Wie offene Standards die Medienbranche transformieren
Justus Künanz über die Chancen, die SMPTE ST 2110 als interoperables, skalierbares System für eine effizientere Medienproduktion und -übertragung bietet.
Diverse AV over IP-Protokolle läuten eine neue Zeit für die Broadcast-, Medientechnik- und Eventbranche ein. Um weltweit Interoperabilität zu erreichen, ist die Industrie generell an der Entwicklung einheitlicher Standards interessiert. Mit ST 2110 hat die Society of Motion Picture and Television Engineers (SMPTE) eine herstellerunabhängige Familie offener Standards mit großer Tragweite geschaffen. SMPTE ST 2110 ergänzt das Serial Digital Interface (SDI) und andere etablierte A/V Schnittstellen um zuverlässige IP-Übertragungsprotokolle. Der Standard garantiert, dass Medieninhalte hochqualitativ in Echtzeit über IP-Netzwerke übertragen werden können.
Mehr Flexibilität und Skalierbarkeit
Die Nutzung von IP-Netzwerken zur Übertragung von Mediendaten steigert allgemein Flexibilität und Skalierbarkeit bei Produktionen.
Doch ST 2110 bringt weitere Vorteile mit sich, die es als weltweiten Standard für Medienschaffende interessant machen: Es unterstützt separate Übertragung von Video-, Audio- sowie Zusatzinformationen wie Untertitel. Dabei wird eine vormals gebündelte Übertragung in mehrere Signalströme je nach Medienart aufgesplittet und übertragen. Die daraus resultierenden »Flows« sind über die Einbindung des Precision Time Protocols (PTP) miteinander synchronisiert, können separat geroutet und am Endpunkt wieder zusammengeführt werden. ST 2110 ist somit nicht mehr leitungsbasiert, weshalb keine separaten Kabel für mehrere Signale geführt werden müssen.
Auf einer Netzwerkverbindung sind mehrere paketbasierte Flows möglich, die aufgrund Multicast mehrfach im Netzwerk genutzt werden können – das händische Verkabeln als auch die Verwendung von Kreuzschienen entfällt, was einer kürzeren Vorbereitungszeit zugutekommt. Das Netzwerk passt sich auf diese Weise flexibel an die Bedürfnisse von Produktionshäusern an. Das alles mit einer Latenz, die gleichauf mit etablierten Basisbandsignalen liegt.
Der Standard erleichtert zudem die Umstellung auf höherwertige Videostandards. Diese waren aufgrund unterschiedlicher Datenraten bislang an die jeweiligen Schnittstellen gebunden: Zum Beispiel benötigt Ultra HD die vierfache, teilweise achtfache Datenrate wie Videosignale in HD. ST 2110 hingegen nutzt ohne Änderungen der Infrastruktur nur die Ressourcen, die gerade benötigt werden. Der Standard verbessert zudem die Fehlertoleranz und erleichtert damit Remote-Produktionen und -Übertragungen als auch die Betriebssicherheit durch redundante Übertragungswege.
Die Zukunft der Broadcast-Technologie
Im AVoIP-Markt stehen bereits einige Herstellerallianzen im Wettbewerb, deren Technologie jedoch nur für die Beteiligten und ihre Kunden verfügbar ist. Im Gegensatz dazu ist ST 2110 ein offener, herstellerunabhängiger Standard, der zunächst auf Basis technischer Vorschläge entwickelt wurde. Hersteller können diesen adaptieren und prüfen, wie sie ihn in der Praxis in Produkten umsetzen. Nur über sie erreicht der Standard schließlich die Anwendungen, Nutzer und vor allem Interoperabilität. Panasonic ist unter anderem Mitglied der SMPTE und AIMS und treibt den Einsatz von ST 2110 mit zahlreichen kompatiblen Produkten im Portfolio mit voran.
Ein weiteres Übertragungsformat ist beispielsweise das Network Device Interface (NDI). Dieser Industriestandard ist weniger bandbreitenintensiv und bietet im Direktvergleich eine akzeptable Qualität, weshalb er sich besonders für kleinere Produktionen und Streaming eignet. ST 2110 wird aufgrund der unterstützten Formatvielfalt bei Audio- und Videoübertragung in höherwertigen Anwendungen bevorzugt, in denen Leistungsfähigkeit und Ausfallsicherheit wichtige Kriterien darstellen. So haben bereits einige öffentlich-rechtliche und private Sender auf den Standard ST 2110 umgestellt neben weiteren, die derzeit umrüsten.
Damit auch kleine Produktionen davon wirtschaftlich profitieren können, sollte sich die Anwendungsfreundlichkeit zunächst weiter verbessern. Dies wird durch IPMX erreicht, welches die Standardfamilie ST 2110 als Grundlage nutzt, jedoch an verschiedenen Stellen, wie zum Beispiel der erforderlichen Bandbreite, der Taktverbreitung und dem Umgang mit Kopierschutz Erweiterungen im Sinne des Anwenders einbringt.
Innovative Anwendungen ermöglichen
Derzeit gilt es, die Voraussetzungen für die Umstellung auf ST 2110 zu schaffen: Produktionshäuser müssen neben den Endgeräten über eine leistungsfähige IP-Infrastruktur und Systeme für das Management dieser Netzwerke verfügen. Darüber hinaus festigen diverse Schulungsangebote den sicheren Umgang mit netzwerkbasierenden Übertragungsformaten.
SMPTE ST 2110 bietet eine herstellerunabhängige technologische Lösung für die professionelle Medienbranche, die eine flexiblere, skalierbare und effizientere Produktion und Übertragung ermöglicht. Der Standard spielt eine Schlüsselrolle in der Zukunft der Broadcast-Technologie und bildet das Fundament für innovative Anwendungen wie Remote Produktionen, Cloud-basierte Workflows und fortschrittliche, echtzeitbasierte Medienverteilung.