Vizrt: All about Live
Vizrt hat längst einen festen Platz in der Welt der Live-Grafik erobert. film-tv-video.de sprach mit Gerhard Lang, CTO bei Vizrt, und Daniel Url, Head of Global Product Management, über Branchen- und Technologieperspektiven, über Software, wachsende Bilderflut, sinkende Werbeeinnahmen und Chancen durch Innovationen.
Innovation – im handlichen Format
»Vizrt galt schon immer als innovatives Unternehmen, aber unsere Produkte waren nicht für alle Zielgruppen gleichermaßen leicht zugänglich. Mit Flexible Access werden die Lösungen aber auch für die sogenannten Second-Tier-Kunden interessant«, erläutert Gerhard Lang. Vizrt spricht damit also auch jene Zielgruppe an, die nicht über die ganz großen Budgets verfügt, aber dennoch professionelle Tools benötigt. Daniel Url ist sich sicher, dass dies ein Wachstumsmarkt ist: »Der Bedarf an hochwertigem Bewegtbild wächst, und überall dort, wo das gefordert ist, benötigt man entsprechende Produktionssysteme.«
Gerhard Lang fasst diesen Ansatz noch etwas weiter. »Wir glauben fest daran, dass man heutzutage hochwertigen Live-Content nahezu zeitgleich auf allen Plattformen zur Verfügung stellen sollte.«
Er ergänzt: »Unter hochwertigem Content verstehen wir nicht nur, dass die Bildausschnitte entsprechend gewählt und angeordnet werden, sondern auch, dass die Grafik bei allen Formaten informativ, lesbar und entsprechend der CI des Senders dargestellt werden. Das kann man nur mit adaptiven Grafiken und adaptiven Ausschnitten bewerkstelligen. Unsere Tools sind dazu in der Lage, deshalb sehen wir hier sehr viel Potenzial«.
Der einheitliche Look des Contents, gleichgültig, ob er nun auf einem UHD-TV oder einem Smartphone angesehen wird, ist derzeit noch längst nicht bei allen Medienhäusern erreicht. Das liegt auch daran, dass es sehr oft noch unterschiedliche Produktionsinseln für die diversen Distributionskanäle gebe. »Oft sind diese Inseln nicht mit den gleichen Budgets ausgestattet«, sagt Url, »doch genau hier können wir mit Flexible Access ermöglichen, dass Corporate Identity und Look auf jedem Device identisch aussehen.«
Remote als neuer Standard
Mit der Pandemie kamen auch neue Arbeitsformen, und viele Broadcaster mussten sehr schnell und oft mit begrenztem Budget neue Workflows etablieren. »Im Grunde haben wir unsere Produkte so umstrukturiert, dass sie für die Kunden auch in der Pandemie bedienbar waren«, erzählt Gerhard Lang.
Im einfachsten Setup konnten die Mitarbeiter über VPN und Remote Desktop auf die Rechner im Sender zugreifen, um mit den Vizrt-Tools ihre Grafiken zu erstellen. »Das belastet allerdings die Bandbreite und birgt auch ein gewisses Sicherheitsrisiko. Deshalb strebten wir schon sehr bald eine Virtualisierung an«, berichtet Gerhard Lang. Konkret: Vizrt machte seine Software cloud-fähig: Die Mitarbeiter saßen also an ihrem Rechner, riefen die Cloud-Applikation auf, konnten Assets auf ihre Rechner laden und mit der Cloud-Software daran arbeiten – und die Ergebnisse im Anschluss wieder hochladen.
»Manche Kunden gingen auch noch einen Schritt weiter und nutzten ein Angebot, das es erlaubte, die jeweilige Viz-Applikation direkt im Browser aufzurufen«, so Lang. Mit all diesen Lösungen konnte Vizrt die Remote-Produktion im Bereich Creation für die Kunden sehr gut umsetzen.
In der Live-Produktion spielte verstärkt die Fernsteuerbarkeit der Vizrt-Systeme eine entscheidende Rolle. Die Mitarbeiter konnten darüber Realgrafiken steuern und auch virtuelle Studios administrieren. »Das Wichtigste dabei ist, alle Quellen und Ressourcen zu kennen, sie zu orchestrieren und zu wissen, was zu welchem Zeitpunkt wohin geroutet werden muss«, fasst Gerhard Lang die Leistung von Vizrt in diesem Umfeld zusammen.
Die Pandemie war hier aus der Sicht von Daniel Url ganz eindeutig ein Treiber für die Remote Produktion. Die Möglichkeit, so zu arbeiten, habe allerdings schon existiert, bevor Corona zum zentralen Thema geworden sei. Es habe nur keine akute Notwendigkeit gegeben, bewährte Arbeitsweisen umzustellen. »Remote Production ist kein Problem, Remote Production muss man einfach nur machen«, resümiert Url.
Beam me up!
Manchmal sind außergewöhnliche Dinge nötig, um etwas in Gang zu bringen, was es schon seit geraumer Zeit gibt. Gerhard Lang berichtet, dass Vizrt schon 2008 eine Technik im Köcher hatte, die sich am einfachsten mit »Teleportation« umschreiben lässt. »Damals konnten wir das mit den vorhandenen Bandbreiten nicht umsetzen. Heutzutage aber, mit der IP-Infrastruktur, den entsprechenden Bandbreiten, den vorhandenen Protokollen und der Qualität von Video, das man per Internet übertragen kann, ist das kein Problem mehr.«
Eurosport setzte diese Technologie in der Pandemie unter anderem als Teil seiner Berichterstattung über die US Open ein. Der Sportsender »teleportierte« die Spieler – sprich Videobilder davon – aus New York in sein Studio in London. Für den Zuschauer wirkte die Interviewsituation mit Moderatorin und »teleportiertem« Spieler vergleichsweise natürlich, auch wenn letztere gar nicht real im Londoner Studio anwesend waren.
Nachwuchs gefragt
Die Broadcast-Branche gehört mittlerweile nicht mehr zu den »hipsten« Branchen, und der Wunsch von Berufseinsteigern »irgendwas mit Medien« ist nicht mehr so häufig zu hören. Personalberater berichten: Wer sich für IT und Software interessiert, möchte eher zu Google und Konsorten als zu einem Broadcast-Unternehmen.
Vizrt sieht das Ganze jedoch deutlich positiver. »Wir können unseren Bewerbern Showreels zeigen, die im Grunde nahezu alles abdecken: das reicht von Nachrichten über unzählige Sportarten bis hin zu großen Events und auch eSports. Kurzum: Ich glaube, wir als Vizrt können durchaus etwas bieten, was auch den Nachwuchs anspricht«, betont Gerhard Lang.
Potenzial des deutschsprachigen Markts
In einer globalisierten Welt spielt die DACH-Region im Broadcast-Bereich schon lange nicht mehr die erste Geige, sitzt vielleicht sogar nicht einmal mehr in der ersten Reihe. Das sieht Daniel Url positiver und hebt hervor, dass Vizrt schon immer ein sehr europäisch geprägtes Unternehmen gewesen sei. »Viele Innovationen bei uns im Unternehmen wurden von deutschsprachigen Kunden getriggert, und zwei unserer fünf R&D-Zentren befinden sich im deutschsprachigen Raum«, sagt Url – und das werde sich auch nicht ändern.
Gerhard Lang bekräftigt die Bedeutung des deutschsprachigen Markts mit einer Anekdote: »Der ORF hat schon vor vielen Jahren die Idee entwickelt, dass eine Rückprojektion im Studio so gerendert werden sollte, dass sie der Perspektive der Kamera entspricht. Das haben wir damals umgesetzt und dann Jahre später im Zusammenhang mit Videowänden wieder aufgegriffen und beispielsweise für unseren Kunden Fox Sports in einer Anwendung realisiert. Selbst Epic Games rühmt sich übrigens damit, bei ‚The Mandalorian’ so gearbeitet zu haben. Aber die Grundidee dazu hatte der ORF – und das zu einem Zeitpunkt, als es noch gar keine LED-Wände gab.«
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