Vizrt: All about Live
Vizrt hat längst einen festen Platz in der Welt der Live-Grafik erobert. film-tv-video.de sprach mit Gerhard Lang, CTO bei Vizrt, und Daniel Url, Head of Global Product Management, über Branchen- und Technologieperspektiven, über Software, wachsende Bilderflut, sinkende Werbeeinnahmen und Chancen durch Innovationen.
Ab in die Cloud?
Vizrt kommt aus der Software-Entwicklung, war schon immer tief in der IT verwurzelt und hat IP rasch integriert. Steht nun der Wechsel in die Cloud an, als logischer nächster Schritt?
Gerhard Lang merkt dazu an, dass es durchaus noch einige Stolpersteine für reine Cloud-Lösungen gebe: »Uns ist natürlich klar und bewusst, wer unsere Kunden sind, wo sie investieren und welche Qualitätsansprüche sie haben.« Er erläutert, dass es bei einem Broadcast-Center, das auf IP und ST-2110 basiere, einige Faktoren gebe, die sich in der Cloud sehr schwer abbilden ließen. So erfordere allein das Transportieren der Inhalte in und von der Cloud eine Komprimierung. »Das kann geringere Qualität verursachen, und zudem muss man dabei auch Latenzen berücksichtigen.«
Er verdeutlicht das an einem Beispiel: »Wenn ich das Transport-Protokoll SRT verwende, um von meinen Quellen einen komprimierten Strom in die Cloud zu schicken, benötigt man an dieser Stelle schon den ersten Konverter, um von SDI, NDI oder 2110 auf SRT zu kommen. In der Cloud angekommen, muss wieder konvertiert werden, bevor dann die Bearbeitung erfolgen kann und das Material im nächsten Schritt wieder aus der Cloud zurückgeschickt wird — entsprechend konvertiert.«
Eigentlich wolle man aber immer die höchstmögliche Qualität erhalten, also 10 Bit, 4:2:2, unkomprimiert, zudem eine hohe Ausfallsicherheit und Zugriff auf alle Quellen haben. »Bis das alles in der Cloud verfügbar ist, und zwar durchgängig und nicht nur an einzelnen Stellen, wird es noch etwas dauern — auch wenn unsere Komponenten dafür schon vorbereitet sind«, so Lang.
Deshalb optimiere Vizrt seine Produkte aktuell für On-Premise Broadcast Datacenter, weil man davon ausgehe, dass Broadcaster die Technik noch für eine ganze Weile im eigenen Haus vorhalten wollen: aus Gründen der Praktikabilität, der Qualität, der Betriebssicherheit und auch wegen der Kosten. Schließlich seien Cloud-Lösungen keineswegs automatisch stets die kostengünstigere Lösung.
Daniel Url betont, dass es zudem auch einen großen Unterschied ausmache, ob man von Cloud und Live-Produktion oder von Cloud und nachgelagerten Bearbeitungsprozessen spreche, wie sie etwa Viz One als MAM-System liefert. »Für MAM-Applikationen eignet sich die Cloud perfekt, im Live-Umfeld muss das jedoch von Fall zu Fall analysiert und berechnet werden – technologisch sind wir aber bereits dazu in der Lage«, bilanziert Url.
Gerhard Lang verdeutlicht mit einem eindrucksvollen Beispiel, warum das so ist. »Wenn eine komplette Viz Engine mit maximaler Last rechnet, kann man sich das so vorstellen, als ob man eine komplette 1,7 m lange Brockhaus-Ausgabe durchblättert, jeden einzelnen Buchstaben herausnimmt, verändert und wieder einfügt – und das 12 mal pro Sekunde.« Man könne sich also leicht vorstellen, dass sich so ein Ablauf nicht besonders leicht modularisieren lasse, ohne dabei Leistungseinbußen eines Systems hinzunehmen, etwa im Hinblick auf Latenzen oder Komprimierung.
»Dennoch ist auch für Vizrt der Bereich Cloud ein wichtiger Treiber. Alle unsere Produkte laufen bereits heute in der Cloud, und besonders mit Lösungen wie z.B. Vectar + legen wir die Messlatte für Cloud basierende Live Produktion eine Stufe höher. NBCU Peacock hat beispielsweise die Live-Produktion für die US-Wahlen mit Vectar+ und Engine in der Cloud realisiert«, so Url.
Heute On-Premise – und morgen?
Daniel Url stellt fest, dass aktuell viele Broadcaster in neue On-Premise-Broadcast-Center investieren, die auf 2110 basieren. »Natürlich sehen alle den Trend in Richtung Cloud, aber derzeit eben noch eher für nachgelagerte Prozesse. Das ist der Grund dafür, dass viele Kunden jetzt in eine moderne Infrastruktur vor Ort investieren, weil ihnen das einen sanfteren und langfristigeren Übergang in Cloud-Strukturen ermöglicht«, so Url.
Er führt noch einen weiteren Aspekt an: »Wenn Sie sich aktuell für einen Cloud-Anbieter entscheiden, ist ein späterer Wechsel nicht so leicht möglich. Doch viele Broadcaster wollen sich nicht in diese Abhängigkeit begeben.«
Die Zukunft – flexibel
Vizrt hat sein Produktangebot komplett überarbeitet und bietet ab sofort die neue Software Suite »Flexible Access« im Abo-Modell an.
Mit diesem Schritt wolle man für Flexibilität im technischen Entscheidungsprozess sorgen, betont Url. »Aktuell kann niemand sagen, was oder welche Plattform in drei Jahren technologisch angesagt ist, und natürlich ist es auch für Broadcaster schwierig, langfristig zu planen. Mit Flexible Access schaffen wir hier die nötige Flexibilität, damit kann der Kunde selbst bestimmen, wann er vom On-Premise-Datacenter in die Cloud wechseln will.«
Er ergänzt: »Mit einem normalen Capex-Investment ist man für einen längeren Zeitraum gebunden, und das brechen wir mit Flexible Access auf und können damit eine bisher unerreichte Flexibilität bieten.«
Letztlich gehe auch der Hersteller ein Risiko ein, wenn er ein Subscription-Modell anbiete. »Hersteller mit einem Subscription-Modell müssen sich sehr sicher sein, dass sie ein ausgezeichnetes Produkt anbieten, und sie müssen es zudem stets auf höchstem Niveau halten und weiterentwickeln«, konstatiert Url.
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