Understanding VFX — Teil 2
In der mehrteiligen Artikelreihe »Understanding VFX« stellt Juan García ein weites Spektrum an VFX-Fachwissen vor. Dieses Mal geht es um die vielleicht grundlegendsten Fragen beim Thema VFX: Warum und wann?
Beginnend von den Basics, über anspruchsvollere Themen, bis hin zu wertvollen Praxistipps, wird diese Artikelreihe ergänzt.
Die vielleicht grundlegendsten Fragen beim Thema VFX: Warum und wann?
Diese grundlegenden Fragen zum Thema VFX betreffen praktisch jedes einzelne Gewerk. Beim Erschaffen ganzer Welten sind die Anforderungen von Projekt zu Projekt unterschiedlicher, als sie nicht sein könnten. Wann ersetzen wir einen kompletten Studiobau oder einen Dreh an einer realen Location durch einen Chromakey-Dreh im Studio?
Wann überlassen wir Explosionen und Feuer dem SFX-Department und wann dem VFX-Department – oder eventuell sogar beiden auf einmal?
Der Einsatz von VFX bedeutet zum einen Einschränkung für einige Gewerke, zum anderen aber Arbeitsentlastung durch neue Aufgabenaufteilungen und Verantwortungsbereiche – unabhängig von den schier grenzenlosen kreativen Möglichkeiten, die VFX bieten: Anything is possible.
Es gibt letztlich viele Gründe, VFX in einem Projekt zu verwenden. Einige praktische, konkrete Beispiele, die im folgenden illustriert sind, erklären die drei wichtigsten Fragen nach dem »Warum«.
Wenn es keine Lösung gibt, eine Szene, wie sie im Drehbuch steht oder vom Regisseur vorgegeben wird, auf herkömmliche und/oder praktische Weise zu filmen.
Outer-Space-Szenen wie bei »Gravity« (2013) können auf herkömmlichem Wege nicht realisiert, also einfach gedreht werden. Gleiches gilt aber auch für Unterwasser-Sequenzen, wie man sie beispielsweise bei »Pacific Rim« (2013) sieht. In beiden Fällen spielt die Umgebung für den kompletten Film beziehungsweise die Geschichte eine extrem wichtige Rolle. Dennoch ist es nicht möglich, diese Bilder auf herkömmliche Weise zu erschaffen.
Ein anderes Beispiel wäre die Transformation von Darstellern oder Tieren, wie beispielsweise bei »Black Swan« (2011) oder der »Underworld«-Reihe, sie sind anderweitig nicht umzusetzen.
Wenn es zwar die (theoretische) Möglichkeit gibt, eine Szene praktisch und herkömmlich zu drehen, dies aber Darsteller und Crew in unverantwortliche Gefahr bringen würde.
Nehmen wir »Life of Pi – Schiffbruch mit Tiger« (2012) als Beispiel: Den Hauptdarsteller Suraj Sharma zusammen mit einem Tiger in ein Rettungsboot zu setzen und diese interagieren zu lassen, wäre logischerweise viel zu riskant gewesen. Unabhängig davon hätte man letztlich auch keinerlei Kontrolle über die exakten Bewegungen, Mimik, Gestik und Reaktionen des Tieres gehabt.
Ein weiteres Beispiel ist »The Walk« (2015), der als fiktionale Umsetzung des Dokumentarfilms »Man on a Wire« (2008) realisiert wurde. Der Seilakrobat Philippe Petit, gespielt von Joseph Gordon-Levitt, balanciert in diesem Film scheinbar in 400 m Höhe über ein Drahtseil, gespannt zwischen den beiden Türmen des World Trade Centers — das hätte man aus vielen Gründen nicht als Realdreh umsetzen können.
Wenn es günstiger ist. Sei es aufgrund von mangelnden Locations, Größe (Scale) oder hoher Bauaufwände in Relation zur On-Screen-Time und Production-Value.
Auch dieser Punkt lässt sich anhand von zahllosen Beispielen illustrieren. So kann man einen Establishing-Shot der Gesamt-Location natürlich prinzipiell auch per Kranfahrt, Hubschrauberflug oder mit dem Einsatz einer Kameradrohne real aufnehmen – aber nur dann, wenn es die Location in der gewünschten Form auch tatsächlich gibt und man dort eine Drehgenehmigung erhält. Andernfalls wird man dies eben über ein Matte-Painting oder mit einer Kombination aus Miniaturen (Szenenbild) sowie CGI (VFX) umsetzen.
Einige sehr beeindruckende Beispiele für die Kombination von Realsets, Miniaturbauten und Visual-Effects sind in den Filmen aus dem »Der Herr der Ringe«-Zyklus umgesetzt. Beispiele hierfür sind die Stadt Gondor oder aber auch Saromans Turm: Dort wurde jeweils eine Kombination aus realen Modellen und Matte-Paintings produziert.
Die Fernsehserie »Game of Thrones« zeigt, dass es aber auch mit »verhältnismäßig kleineren« Budgets geht: »Game of Thrones« verwendet ebenfalls größtenteils CGI-Elemente als Establishing-Shots für mittelalterliche Städte und ähnliche Szenerien, die zwar teilweise real vorhanden sind, jedoch durch CGI erweitert und verbessert werden.
Das richtige Produktionsverfahren wählen
Manchmal gibt es also verschiedene Optionen, eine Szene umzusetzen. Dann heißt es abzuwägen, wie man die optimale Lösung findet. Die findet man aber in aller Regel nur dann, wenn ausreichende Kommunikation und Kooperation zwischen den Fachbereichen herrschen.
Gerade bei uns in Deutschland, wo wir oft mit knappen Budgets auskommen müssen, sind Fehlentscheidungen fatal: Jede Verschwendung rächt sich und schmälert das Gesamtergebnis. Unabhängige VFX-Producer und/oder VFX-Supervisor können durch ihr Knowhow nicht nur im VFX-, sondern auch in den unterschiedlichsten anderen Departments für Einsparungen und Optimierungen sorgen.
Leider ist es aber selbst heute keine Seltenheit, dass letztlich Budget verschwendet wird, obwohl man eine bessere und günstigere Möglichkeit hätte finden können, um eine gleichwertige Lösung zu erzielen
So werden immer wieder schlicht und ergreifend Tausende von Euros für Kostüme, Requisiten oder Kulissen ausgegeben, die man in Anbetracht von Herstellungskosten und Zeitfaktoren weitaus effizienter und günstiger via VFX/CGI hätte herstellen können. Oder auch andersrum: Wenn der Einsatz von CGI in Situationen, wo es praktischere Lösungsansätze gegeben hätte, unnötige Postproduktionskosten verursacht.
Den optimalen Weg zu finden, das kann schon bei der Motivsuche und Auswahl der Drehorte anfangen und sich durch die gesamte Produktion ziehen. Wer die Möglichkeiten aber nicht kennt, der kann sie auch nicht nutzen. Die nötige Expertise an Bord zu holen, rentiert sich aber so gut wie immer.
Was kostet das alles?
Heutzutage hat der durchschnittliche Hollywood-Feature-Film ein Budget von rund 100 Millionen US-Dollar – Blockbuster oft bis hin zu 350 Millionen oder mehr. VFX-lastige Produktionen liegen in der Regel im höheren Segment. Heißt das, dass VFX ein Preistreiber ist? Ob das stimmt, wird in der kommenden Folge beantwortet.
Fazit dieser Folge
Unabhängig von der Produktionsgröße gilt: Gute Kommunikation und kreativer Input aus verschiedenen Quellen können das Endergebnis stark verbessern.
Wenn sich VFX-Experten von Beginn an zusammen mit Szenenbildnern, Kameraleuten, Regisseuren und Produzenten an einen Tisch setzen, kann das den Unterschied von einer guten zu einer sehr guten Produktion ausmachen.
Wenn allen Beteiligten klar ist, wann und warum VFX eingesetzt werden, trägt das zum Gelingen bei — und alle können Vorteile daraus ziehen.
Hier geht’s zu Understanding VFX – Teil 1.
Zum AutorJuan García ist unabhängiger VFX-Supervisor sowie VFX-Producer. Seit 2007 realisiert er Produktionen mit großen Anteilen an VFX. Als VFX-Supervisor und Producer betreute er von Werbefilmen über TV-Produktionen bis hin zu namhaften Spielfilmen und Forschungsprojekten bereits zahlreiche, unterschiedlichste Arten von Produktionen. Unter dem Motto »Your one step for all VFX needs« gründete er im Jahr 2014 die Pixelgate Media GmbH mit dem Ziel, Kunden, Produktionsfirmen, Produzenten und Postproduktions- sowie VFX-Studios als unabhängiger Dienstleister zur Seite zu stehen. García ist gelernter Fotomedienfachmann mit Fokus auf Digital Imaging, studierte Produktion für Film und Fernsehen in Kanada, arbeitete anschließend als Aufnahmeleiter bei der ARD (NDR/HR/WDR) und arbeitete bei Reallifefilm International GmbH zusammen mit dem VR- und S3D-Pionier Sönke Kirchhof (INVR GmbH/Berlin) im Rahmen eines Stipendiums im Haus der jungen Produzenten von Studio Hamburg. |
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