Archivierung, Report, Top-Story, Trend: 19.04.2002

Bedrohte Bestände: Videoarchive sichern

In bundesdeutschen Archiven schlummern Zehntausende analoger Videobänder auf Spulen und in Kassettengehäusen, etliche davon schon seit mehr als zwei Dekaden. Die meisten davon würden zweifellos noch viele Jahre der Lagerung unbeschadet überstehen, am Rest aber nagt der Zahn der Zeit so stark, dass größere Schäden oder der Totalverlust zu befürchten sind: Zeit zu handeln. Das ZDF hat ein halbautomatisches Kopierverfahren mit integrierter Qualitätskontrolle entwickelt, das Effektivität und Sicherheit beim Überspielen der alten 1-Zoll-Bestände sichern soll.

Viele Gründe sprechen dafür, jetzt aktiv zu werden, wenn es um Video-Archivbestände geht. Einer der wichtigsten Gründe besteht in der Sorge um die Inhalte. Das oft an die Wand gemalte Schreckgespenst von den »zu Staub zerfallenen Videoaufnahmen« stellt sich in der Praxis meist weit weniger dramatisch dar, als diese reißerische Formulierung vorspiegelt, hat aber einen realen Hintergrund: Das aus mehreren Schichten aufgebaute Videoband ist einem normalen Alterungsprozess ausgesetzt, und je nach Zusammensetzung von Band-, Gehäuse- und Hüllenmaterial und abhängig von verschiedenen Umwelt- und Lagereinflüssen, kann dieser Alterungsprozess unterschiedlich schnell voran schreiten.

Dahinter steckt ein komplexes Thema, ein ganz eigenes Forschungs- und Wissensgebiet. Als gesichert kann derzeit gelten, dass die meisten Bänder sicher noch viele Jahre der Lagerung unbeschadet überstehen würden, an einigen aber nagt der Zahn der Zeit so stark, dass größere Schäden oder der Totalverlust zu befürchten sind.

Leider weiß man nicht, welche Bänder besonders gefährdet sind, denn selbst unter sonst gleichen Bedingungen kann es große Unterschiede geben. Ein Beispiel: Bei Open-Reel-Formaten, wie beim in Deutschland weit verbreiteten 1″-B-Format, kann es sein, dass einzelne Bänder mit der bloßen Hand berührt wurden, also beim Ein- und Auslegen keine Handschuhe getragen wurden. Ein solchermaßen mit feinen Spuren von Fett, Säure und Schweiß der menschlichen Hand »geimpftes« Band kann ganz andere Zerfallsspuren aufweisen, als ein sonst gleiches, aber stets mit Handschuhen behandeltes Band.

Von solchen chemischen und physikalischen Bedrohungen abgesehen, gibt es besonders auch wirtschaftliche Gründe, die für das Umspielen wertvoller Archivbestände sprechen: Die Wartung und Instandhaltung der veralteten Abspielgeräte, die man für U-Matic-, 1″-B- und 1″-C-Bänder braucht, wird immer schwieriger und aufwändiger, die Maschinen brauchen Lager- und/oder Stellplatz und kosten letztlich auch dann Geld, wenn sie gar nicht benutzt werden. Ältere Bänder aus dem Archiv können heute in den Redaktionen und an den Schnittplätzen gar nicht mehr angesehen oder verarbeitet werden, sondern es muss erst eine Kopie in einem aktuellen Bandformat hergestellt werden – auch das ist umständlich und teuer. Die alten Bänder selbst verursachen ebenfalls beträchtliche Lagerkosten und das auch noch in höherem Maß, als heute gerechtfertigt ist: Auf dem Platz, den ein 90-Minuten-1″-Band im Archiv beansprucht, können etwa vier DVCPRO50-Kassetten mit einer Laufzeit von 744 Minuten untergebracht werden. Es sind eben heute auch in der Bandtechnik wesentlich höhere Speicherdichten realisiert.

Aus diesen und weiteren Randbedingungen ergibt sich für jedes Archiv ein Zeitpunkt, zu dem gehandelt werden sollte. Beim ZDF in Mainz läuft dieser Prozess kontinuierlich auf verschiedenen Ebenen ab. Wurden zunächst schon vor Jahren die 16-mm-Produktionen auf Betacam-SP-Kassetten umkopiert, so folgte dann das U-Matic-Archiv, dessen bewahrenswerte Teile auf Digital Betacam umkopiert wurden. Nun ist das 1″-B-Format-Archiv dran und das ZDF entschied sich hier für die Umkopierung auf DVCPRO50-Kassetten.

Eigentlich war die Entscheidung für DVCPRO50 naheliegend, denn das ZDF hat derzeit schon mehr als 400 Geräte aus der DVCPRO-Familie von Panasonic in Gebrauch. Dennoch prüfte man intensiv, ob nicht auch andere Formate in Frage kämen, etwa auch reine Datenformate. Weshalb letztlich die Wahl auf DVCPRO50 fiel, hat nach Angaben von Wolfgang Koob, Geschäftsbereichsleiter Studioproduktion und Sendebetrieb beim ZDF, und Herbert Koch, Koordinator Aufnahme Wiedergabe, viele Gründe: technische, praktische, pragmatische und wirtschaftliche. Einiges davon wird die folgende Beschreibung der ZDF-Applikation darlegen, aber wie weit die Überlegungen gingen, zeigt ein in die Zukunft gerichteter Aspekt: In zwanzig oder dreißig Jahren muss das nun umkopierte Material wahrscheinlich erneut in dann aktuellen Formaten und auf neue Träger umkopiert werden. Dabei lassen sich Kosten sparen, wenn man die Kassetten mit höherer Geschwindigkeit umspielen kann. DVCPRO50 bietet diese Möglichkeit, schon jetzt stehen Maschinen mit zweifacher Kopiergeschwindigkeit zur Verfügung.

Aus einem Bestand von fast 150.000 Bändern im 1″-B-Format, die beim ZDF vorliegen, wurden von den Redaktionen und Archivaren diejenigen ausgesucht, deren Inhalte tatsächlich aufbewahrt werden und die demnach umkopiert werden sollen. Das sind immer noch rund 93.000 Bänder, die etwa 72.000 Programmstunden enthalten: 8,2 Jahre Nonstop-Videoprogramm. Damit die Kosten nicht explodieren, muss dieser Mammut-Copy-Job möglichst effektiv abgewickelt werden. Ziel des ZDF war es, den Ablauf möglichst weit zu automatisieren und dabei trotzdem eine möglichst hohe Sicherheit zu erreichen. Das Material kann schon wegen der schieren Menge während des Überspielens nicht gesichtet werden, sondern man muss sich auf die Elektronik verlassen. Nur bei einigen wenigen, besonders wichtigen Zeitdokumenten wird es auch noch eine zusätzliche Sichtung und technische Prüfung geben. Gute Kontrolle, hohe Zuverlässigkeit und Sicherheit ist aber bei allen Kopien wichtig: Aus Kostengründen werden die 1″-Bänder nämlich nach dem Kopieren vernichtet.

Um sicherzustellen, dass in bestmöglicher Qualität kopiert wird, hat das ZDF eine eigene Software entwickelt, die neben der Steuerung einer 1″-B-Format-Maschine (BCN -51) und eines DVCPRO50-Recorders (AJ-D960) während des Kopiervorgangs die Signalqualität überwacht. Um dies optimal lösen zu können, war es notwendig, auch auf die internen Datenströme des DVCPRO50-Recorders zugreifen zu können. Panasonic ermöglichte dies und legte die notwendigen Daten offen.

Der Kopiervorgang wird fließbandartig abgewickelt, innerhalb von fünf Jahren sollen bis zu fünf Mitarbeiter in zwei Schichten an fünf Tagen pro Woche das 1″-Archiv umkopieren. Da jeder Mitarbeiter mehrere Kopierplätze parallel betreut, war neben dem hohen Automatisierungsgrad und der zuverlässigen elektronischen Überwachung und Beurteilung des Kopiervorgangs auch eine klare Benutzerführung unerlässlich. Es wird letztlich nur zwischen »Good« und »Bad« unterschieden. Der Kopiervorgang stoppt, wenn bestimmte, vorher festgelegte Grenzwerte unterschritten werden. Dann ist eine genauere Analyse möglich, weil der Rechner den Kopierverlauf intern mitprotokolliert. Zudem bietet die Software die komfortable Abwicklung von Standard-Vorgängen, wie etwa dem bildgenauen Anschneiden (Assemble).

Realisiert hat die Software und das darin enthaltene Konzept der Fehlererkennung und Signalüberwachung Sven Siller, der mittlerweile beim ZDF angestellt ist, aber einen Großteil der Vorarbeit im Rahmen seiner Diplomarbeit leistete. Dabei konnte Siller unter anderem auf eine Eigenentwicklung zurückgreifen, die er im Rahmen eines Praktikums schon früher für das ZDF umsetzte: Weil die BCN-51 keine RS-422-Schnittstelle bietet, muss sie über eine spezielle Steuerplatine angesteuert und fernbedient werden. Diese Remote- und Timecode-Platine steckt in einem Standard-PC, auf dem die Software läuft. Eine zweite Platine im PC übernimmt die A/D-Wandlung der RF-Signale, die von der 1″-Maschine abgegeben werden. Diese Signale dienen zur Überwachung der Signalqualität. Via RS-232 tauscht der PC zudem Daten mit der DVCPRO50-Maschine aus, hierüber erhält der Rechner aus der Recorder-Elektronik das Feedback, ob die Aufzeichnungsqualität stimmt. Per RS-422 wird die DVCPRO50-Maschine vom Rechner ferngesteuert. Die eigentlichen Nutzsignale durchlaufen aber nicht den PC. Die Audiosignale digitalisiert die DVCPRO50-Maschine direkt, für die A/D-Wandlung der analogen Videosignale in digitale SDI-Signale setzt das ZDF einen hochwertigen, separaten Wandler ein (Golden Gate von Snell & Wilcox), am Eingang des Digitalrecorders kommen also schon SDI-Signale an.

Wenn der Kopiervorgang gestoppt wird, kann der Operator kontrollieren, woran das lag. Lässt sich der Fehler einfach beseitigen, kann er direkt mit dem Kopiersystem einen Re-Cue ausführen und wieder bildgenau anschneiden. In komplexeren Fällen wird das Band separat weiterverarbeitet und im Feinschnitt gerettet, was noch zu retten ist. Nur bei den wichtigsten, zeitgeschichtlich wertvollen Produktionen wird manuell kontrolliert und gesichtet.

Insgesamt zehn Kopierplätze dieser Art will das ZDF parallel betreiben, sechs in Mainz und vier in München. Zwei weitere Arbeitsplätze werden jeweils betriebsbereit in Reserve vorgehalten. Bei den DVCPRO50-Maschinen ist der Ersatz von Verschleißteilen oder die Beschaffung neuer Maschinen kein Problem, mit Kopfstandzeiten zwischen 4.000 und 6.000 Stunden, so bisherige Erfahrungen, sieht das ZDF auf dieser Seite keine Probleme. Schwieriger ist es da schon bei den betagten BCN-Maschinen auf der Zuspielseite. Aber auch hier sieht sich das ZDF auf der sicheren Seite: Insgesamt verfügt der Sender über rund 50 1″-B-Format-Maschinen, davon sind drei Stück noch völlig unbenutzt, es handelt sich dabei um die letzten drei in diesem Format hergestellten Maschinen.

An den BCN-Maschinen wird für den Kopiereinsatz eine mechanische Änderung durchgeführt: Das Band läuft über einen Saphir, der feinste Verschmutzungen vom Band abstreift.

Den freiwerdenden Archivplatz nutzt das ZDF für die neuen Kopien. Zudem hat das ZDF eine spezielle, einheitlich große Archivhülle für die DVCPRO-Bänder entwickelt, in der auch die MAZ- und Sendeprotokolle der jeweiligen Bänder Platz finden.

Warum man nicht gleichzeitig von den Archivbändern auch Low-Res-Dateien für Browsing-Zwecke herstellt, wo man doch ohnehin alle Bänder anfassen und abspielen muss, beantwortet Wolfgang Koob, Geschäftsbereichsleiter Studioproduktion und Sendebetrieb: »Das sind letztlich Kostengründe, denn das hätte den automatisierten Ablauf deutlich komplexer und aufwändiger gestaltet und zusätzliche Geräte und Speichermedien erfordert.« Herbert Koch, Koordinator Aufnahme Wiedergabe, ergänzt: »Außerdem stellt sich die derzeit nicht zu beantwortende Frage, welches denn hier das richtige Format wäre und worauf man denn die auch bei niedrigen Auflösungen noch stattlichen Datenmengen speichern und bereitstellen sollte.«

Das ZDF bietet seine Archiv-Lösung, die prinzipiell auch mit anderen digitalen Formaten funktioniert, anderen Interessenten zum Kauf an. So hat sich etwa Radio Bremen entschieden, seine Archivbestände mit der ZDF-Lösung zu kopieren.

Mehr zum Einsatz von DVCPRO beim ZDF finden Sie in der Info-Zone von www.film-tv-video.de: Wenn Sie hier klicken, gelangen Sie direkt zu einem Beitrag hierüber.

Downloads zum Artikel:

T_0402_ZDF_Archiv.pdf