Die Kamera als Auge
Das sprachliche Bild von der Kamera als Auge, es ist fast schon so alt wie die Geschichte der laufenden Bilder. Ganze Filmautorenbewegungen benannten sich danach und das, obwohl es letztlich ein schiefes Bild ist: Es gab bislang keine auf breiter Basis einsetzbare Bildreproduktionstechnik, die mit den Fähigkeiten des menschlichen Auges mithalten könnte. Mit neuen Bildsensoren kann sich das ändern, besonders was den Kontrastumfang betrifft.
Wer heute von einer Videokamera spricht, der geht fast automatisch davon aus, dass es sich dabei um eine CCD-Kamera handelt. Völlig zu recht: Fast nur im Industrie- und Security-Bereich oder bei billiger Computer-Peripherie werden derzeit auch andere Bildsensoren in nennenswertem Umfang eingesetzt. CCDs dagegen stecken in jedem aktuellen Consumer- oder Profi-Camcorder und in jeder zeitgemäßen TV-Kamera.
Andere Bildwandler können aber schon in naher Zukunft zu einer echten Alternative werden. So etwa der HDRC-Sensor, der an einem deutschen Forschungsinstitut entwickelt und immer weiter verfeinert wurde, so dass er heute an der Schwelle zum Einsatz auch bei höchst anspruchsvollen Bewegtbild-Anwendungen steht.
Um die Vorteile dieser neuen Sensor-Technologie zu verstehen, lohnt sich zunächst ein Blick auf die Problemzonen und Nachteile der derzeit dominanten CCD-Technologie.
CCD: TECHNOLOGIE MIT DEFIZITEN
CCDs gibt es in verschiedenen Bauvarianten, denen unter anderem auch eine negative Eigenschaft gemeinsam ist: Der Kontrastumfang, also der Unterschied zwischen dem hellsten und dunkelsten Bildteil, der noch differenziert abgebildet werden kann, ist relativ eng begrenzt – vor allem, wenn man ihn mit dem Kontrastumfang vergleicht, den etwa ein Filmnegativ oder das menschliche Auge bieten.
Die Lichtempfindlichkeit der CCDs wurden seit ihrer Markteinführung kontinuierlich verbessert. Auch die störenden Bildeffekte (Smear und anderes) wurden beseitigt oder minimiert. Beim Kontrastumfang gab es jedoch keinen Quantensprung.
Nach wie vor problematisch und sehr anspruchsvoll ist auch die CCD-Fertigung, besonders wenn es um CCDs mit hoher Pixelzahl und mit großer Bilddiagonale geht: Dann gibt es sehr viele Pixeldefekte und andere Probleme, was zu hohen Ausschussraten führt. Durch die kleine Zahl der Anbieter und die hohe Komplexität in der Fertigung sind zudem die Preise für 2/3-Zoll-CCDs, wie sie im professionellen Kameramarkt eingesetzt werden, immer noch relativ hoch, vor allem im Vergleich zur Preisentwicklung anderer Bauteile.
CCD: GRENZFÄLLE ZEIGEN DIE LIMITATION
Besonders wenn die Ansprüche an den Bildsensor den normalen Rahmen verlassen, werden die Beschränkungen der CCD-Technologie deutlich. So fordern etwa die Kritiker der HD-Videoproduktion einen höheren Kontrastumfang als er mit der derzeit verfügbaren Technik zu erreichen ist. Dieses momentane Manko der HD-Videoproduktion darf man nicht zur Gänze, aber doch zu einem deutlichen Teil der CCD-Technik ankreiden.
Gleichzeitig wird auch, um filmähnlicheres Verhalten der Kameras zu erreichen, ein größerer Sensor verlangt, der nicht nur 2/3, sondern einen ganzen Zoll beträgt. Beides ist mit der CCD-Technologie nur schwierig zu realisieren.
NEUE SENSOREN KOMMEN: HDRC
Die Entwicklung neuer Bildsensoren könnte viele dieser Probleme lösen. Ein möglicher Ansatz ist dabei die HDRC-Technologie, wie sie am Institut für Mikroelektronik Stuttgart (IMS) entwickelt, verbessert und in kleiner Serie produziert wird. HDRC steht für High Dynamic Range CMOS, also einen CMOS-Chip mit hohem Kontrastumfang. CMOS (Complementary Metal Oxide Semiconductor) steht dabei für einen bestimmten Aufbau und einen bestimmten Herstellungsprozess in der Chip-Fertigung, der von vielen Anbietern betrieben und sehr gut beherrscht wird.
Wie das menschliche Auge arbeitet auch der HDRC-Chip logarithmisch. Dadurch kann er einen Kontrastumfang erfassen, der die Fähigkeiten des menschlichen Auges erreicht und sogar überschreitet. Zwei Beispiele machen besonders plastisch, wie groß der Unterschied zur CCD-Technologie ist:
Mit einer HDRC-Kamera zeichneten Institutsmitarbeiter des IMS die Sonnenfinsternis im Jahr 1999 auf. Dabei wurde die Kamera ohne Filter auf die Sonne gerichtet und konnte gleichzeitig die extrem hellen Explosionen an der Sonnenoberfläche (Protuberanzen) und die Corona darstellen, aber auch die vor der Sonne vorbeiziehenden Wolken wurden noch erfasst.
Bei einer mit voller Leistung leuchtenden 100-Watt-Glühbirne kann ein HDRC-Sensor gleichzeitig die Glühwendel, den Glaskolben und sogar dessen Beschriftung erfassen.
HDRC-Sensoren bewältigen Kontrastverhältnisse von 1.000.000:1 oder 120 dB, das menschliche Auge erreicht spontan 100.000:1 oder 100 dB. Erst nach längerer Adaption deckt das Auge einen Bereich von mehr als 100 dB ab. CCD-Sensoren kommen dagegen beim Kontrastumfang kaum über 1.000:1 oder 60 dB hinaus.
Weil der HDRC-Chip logarithmisch arbeitet, bietet dieser Sensor eine über die gesamte Grauskala konstante prozentuale Abstufung der Grauwerte, also eine hohe und konstante Kontrastauflösung von weiß bis schwarz.
Außerdem entspricht auch die Farbverarbeitung des HDRC wesentlich genauer der des menschlichen Auges, als das beim CCD-Chip der Fall ist: Wo CCD-Kameras bei hell beleuchteten, spiegelnden Objekten in den Reflexionsbereichen sehr schnell nur noch weiße Bildanteile zeigen, weisen die Bilder des HDRC-Chips auch in den ganz hellen Bildteilen noch klare Farbigkeit auf. Sehr helles Rot wird eben als sehr helles Rot und nicht als Weiß wiedergegeben.
PREISGÜNSTIGE MASSENFERTIGUNG PROBLEMLOS MÖGLICH
Die CMOS-Chip-Produktion ist technisch einfacher und auch deshalb sehr viel weiter verbreitet als die CCD-Produktion. Mehr als 50% aller derzeit produzierten Bildsensoren für die unterschiedlichsten Einsatzgebiete werden bereits mit dem CMOS-Prozess hergestellt. Beim Umsatz aller Halbleiterchips liegt die CMOS-Technik noch weiter vorn und ist mit 98 % absolut weltbeherrschend, unter anderem, weil praktisch alle in PCs zum Einsatz kommenden Prozessoren und Speicher CMOS-Chips sind.
Ein weiterer Pluspunkt der CMOS-Technologie: Die Sensorgröße kann relativ problemlos wesentlich weiter getrieben werden, als das mit CCD-Chips wirtschaftlich möglich ist. Eine Bilddiagonale von einem Zoll stellt aus Sicht der Experten für CMOS keine größere Herausforderung dar.
WANN KOMMT DER HDRC-CHIP FÜR DEN BREITEN MARKT?
Ein Hinderungsgrund klingt ganz banal, erweist sich aber als ernsthafte Hürde: Es gibt keine Displays, die den gleichen, enorm großen Kontrastumfang darstellen könnten, den der HDRC-Chip liefert. Man kann also auf einem Bildschirm derzeit immer nur einen Ausschnitt des Kontrastumfangs darstellen, den die HDRC-Kamera tatsächlich erfasst.
Dieses Problem kennt man in der professionellen Film- und Videotechnik, wenn Kinofilme für das Fernsehen abgetastet und ausgestrahlt werden: Das Fernsehsystem bietet eben nur einen wesentlich geringeren Kontrastumfang, als er auf dem belichteten Film vorhanden ist. Man muss also entweder den Kontrastumfang bei der Abtastung insgesamt stauchen, oder aber einen bestimmten Abschnitt auswählen und den Rest im Schwarz »absaufen« oder im Weiß »überstrahlen« lassen. (Das entspricht im wesentlichen den Funktionen Knie, Black-Stretch und -Compress, die bei CCD-Kameras auch schon während der Aufnahme eingesetzt werden, um den gewünschten Kontrastbereich bestmöglich in den vom CCD-Sensor her verfügbaren, engen Rahmen zu quetschen).
Dennoch werden neben Kinofilmen auch viele Produktionen, die letztlich für die Fernsehausstrahlung bestimmt sind, immer noch mit Film gedreht. Das geschieht auch, um mehr Reserven beim Kontrastumfang für die kreative Bildgestaltung in der Nachbearbeitung zu haben. Mit dem gleichen Hintergedanken ließe sich auch eine HDRC-Kamera nutzen, wenn man diese Arbeitsweise auf den Videobereich übertragen würde.
Auch eine Filmabtaster-Applikation der HDRC-Technologie ist denkbar, man könnte den HDRC-Sensor nämlich auch als Linien-Sensor ausführen, analog zu den Linien-CCDs, die in etlichen Abtastern genutzt werden. Hier geht man ohnehin zunehmend dazu über, mit der Abtastung RGB-Daten und nicht Videosignale zu gewinnen und zu speichern, die man dann weiterverarbeitet.
Highspeed-Aufnahmen und variable Frame-Raten sind mit HDRC-Sensoren ebenfalls möglich und wurden am IMS auch schon realisiert. Eine Besonderheit dabei: Weil alle Pixel des HDRC-Sensors direkt ansprechbar und auslesbar sind, kann sogar eine partielle Zeitlupe innerhalb des Bildes realisiert werden. So ist es beim derzeitigen Entwicklungsstand möglich, einen 32 x 32 Pixel großen Ausschnitt auf dem Chip 10.000 mal in der Sekunde auszulesen. Bisher erreichen die am IMS hergestellten HDRC-Chips eine Auflösung von 640 x 480 Bildpunkten und können bei dieser Auflösung bis zu 45 Vollbilder pro Sekunde darstellen.
HDRC-DEFIZITE
Eines der größten Probleme, mit denen die HDRC-Technologie zu kämpfen hat, ist das höhere Bildrauschen im Vergleich zu CCDs der jüngsten Generation. Besonders bei dunklen Bildern ist es noch deutlich sichtbar. Hier haben die Entwickler zwar schon enorme Fortschritte erzielt, aber von Broadcast-Qualität sind die Ergebnisse doch noch ein weites Stück entfernt.
Ebenfalls noch verbesserungsbedürftig: Die Lichtempfindlichkeit der HDRC-Chips. Aber auch hier gibt es Fortschritte, und die Lücke zu dem, was mit CCDs möglich ist, wird kleiner. Der HDRC liegt immer noch deutlich hinten, aber er holt auf.
Das IMS selbst versteht sich in erster Linie als Chip-Entwickler, nicht als Kamerabauer und verfügt deshalb im Bereich Videosignal-Processing auch nicht über die jahrelange Erfahrung der Videokamerahersteller. Dennoch hat das IMS nicht nur HDRC-Chips entwickelt, sondern auf deren Basis auch eigene Kameras gebaut, um die Leistungsfähigkeit dieser Technologie demonstrieren zu können. So gibt es nun schon die sechste Generation einer HDRC-Kamera, und dieses Modell wird auch in Mini-Serie gefertigt, weil es in der Forschung und Entwicklung von anderen Instituten und von Unternehmen eingesetzt wird, als Entwicklungsplattform, aber auch als Laborinstrument. Neben einer HDRC-Kamera, die nur im Zusammenspiel mit Windows-Rechnern betrieben werden kann und alle prinzipiellen Funktionen programmierbar liefert, gibt es auch eine PAL– oder NTSC-Kamera, die vollautomatisch Helligkeit und Kontrast regelt.
ENTWICKLUNGEN, PERSPEKTIVEN
Verbesserte Gebrauchsfreundlichkeit der bisher 40 x 40 x 50 mm großen Kamera durch kompaktere Bauweise und einen Firewire-Anschluss sind die eine Richtung, in der am IMS weiter entwickelt wird. Höhere Auflösungen bei gleichen und auch bei größeren Chip-Abmessungen die andere.
Auch wenn der High-End-Videomarkt nicht auf die HDRC-Technologie anspringen würde, sähe die Zukunft dafür ziemlich rosig aus. Neben dem Security-Bereich stellt nämlich auch der Automobilbereich einen großen Wachstumsmarkt für Bildsensoren dar. So wie die Zahl der in Autos an verschiedensten Stellen eingesetzten Prozessor-Chips in den vergangenen Jahren exponentiell angestiegen ist, so rechnen Experten auch damit, dass in den kommenden Jahren immer mehr »künstliche Augen« im Automotive-Sektor Einzug halten werden. Fünf bis acht Bildsensoren pro Fahrzeug werden dabei schon in den kommenden Jahren für realistisch gehalten, und natürlich sollen dort preisgünstige, kompakte Kameras zum Einsatz kommen, die auch bei extremen Kontrastverhältnissen noch verwertbare Bilder liefern. Der Massenmarkt, den eine Technologie für eine breite Durchsetzung letztlich immer braucht, scheint sich für HDRC hier schon zu eröffnen.
KONTAKT
Für eine Demo-CD und weitere Informationen:
www.ims-chips.de
Institut für Mikroelektronik Stuttgart
Allmandring 30A
70569 Stuttgart
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