Cloud, Interview, Live, Remote, Top-Story: 13.06.2024

»Get dirty«: Interview mit Andreas Heyden

Andreas Heyden, CEO des Sportsenders Dyn, über die Erfahrungen mit dem neuen Produktions- und Sendekonzept, die Vorteile von Cloud-Produktion und die Fallstricke neuer Technologien.





War das Produktionskonzept in dieser Konsequenz von Anfang an so geplant?

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Die Aspekte »Human centered«, »cloud native« und Nachhaltigkeit sind Andreas Heyden besonders wichtig.

Andreas Heyden: Um das zu beantworten, muss ich etwas ausholen. Die DFL ist ja bekannt dafür, als Wegweiser der Innovation im Sport zu agieren, insbesondere in Bezug auf neue Kameraperspektiven. Aber die Produktionskette ist aufgrund der Verpflichtung aus den Medienverträgen bei der DFL ziemlich zementiert. Ich habe in meiner Zeit dort (als Geschäftsführer der DFL Digital Sports GmbH, Anmerkung der Redaktion) viele Jahre darüber nachgedacht, was man anders machen könnte, und auch damals schon sehr stark mit AWS experimentiert. Dabei hatte ich eine Zielvorstellung, die im Wesentlichen auf drei Punkten basierte:

  • Ich wollte »Human Centered« agieren, d. h. die Arbeit zu den Menschen bringen und nicht die Menschen zur Arbeit. Damit schaffe ich die Voraussetzungen dafür, dass die Leute nach ihrem Arbeitstag abends wieder zuhause sein können.

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    Wichtige Eckpunkte des Dyn-Media-Konzepts.
  • Der zweite wichtige Punkt war, dass ich cloud native arbeiten wollte. Wenn man die Cloud falsch benutzt, kann es sehr teuer werden. Wenn man aber von Anfang an Signalwege, Produktionswege, Kontributions- und Distributionswege so denkt und konzipiert, dass ich nur einmal in die Cloud rein- und erst kurz vor Kunde wieder aus der Cloud rausgehe, dann habe ich einen Riesenvorteil, weil alle Zwischenschritte cloudbasiert stattfinden. Ein Beispiel dafür: Wenn ich in Griechenland ein Satellitensignal in die Cloud ein- und in Frankfurt wieder ausspiele, ist AWS für die Strecke dazwischen verantwortlich – und nicht ich. In so einem Szenario ist es also von Vorteil, wenn ich in der Cloud arbeite.
  • Der dritte Punkt ist das Thema Nachhaltigkeit. Betrachtet man den Logistikaufwand und den Reiseaufwand, so ist nun mal im Sport die Medienproduktion der zweitgrößte CO2-Verursacher, nach den Besucherinnen und Besuchern eines Events. Das möchten wir mit der Verantwortung, die wir für die nachfolgenden Generation tragen, verändern.
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Andreas Heyden setzt sich unter anderem für nachhaltige Produktion ein.

Die Cloud ist also ein zentraler Pfeiler Ihres Produktionskonzepts – auch weil Sie dadurch die Kosten besser kontrollieren können?

Andreas Heyden: Genau, und zusätzlich spielt auch die Variabilisierung der Kosten eine Rolle, denn wir produzieren »nur« 200 Tage im Jahr. Das heißt, an 156 Tagen benötigen wir die Broadcasting-Infrastruktur nicht.

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Dyn Media verfolgt ein fortschrittliches Produktionskonzept.

Auf der anderen Seite müssen wir aber auch in der Breite skalierbar sein, denn wir haben bis zu 26 Spiele parallel, die wir live auf der Plattform produzieren. Also muss ich auch Instanzen duplizieren können, und das kann ich nicht mit viel Blech im Keller. Dafür muss ich dauerhaft 26 Kanäle, sprich sehr viel Hardware, vorhalten. Der smartere Weg, mit der Cloud umzugehen, ist hier definitiv der sinnvollere und nachhaltigere.

Riedel Simplylive ist ein zentraler Baustein der Dyn-Media-Produktion.

Ein anderes schönes Beispiel: Wenn ich ein 20-Gigabyte-File in einem Archiv habe und davon nur zwei Minuten benötige, investiere ich lieber in eine cloudbasierte Schnittsoftware, schneide in der Cloud und lasse dann den Redakteur oder die Redakteurin genau diese zwei Minuten runterladen – und nicht die ganzen 20 GB der gesamten 90-Minuten-Dokumentation.

Das Multikamera-Produktionssystem Simplylive kommt dieser Arbeitsweise entgegen. Welche Rolle spielt es bei Dyn Media und welche Bedeutung hat es für Ihre Art zu produzieren?

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»In der Live-Produktion investieren wir in Personen nach dem Prinzip ‚Training on the Job’«, erklärt Andreas Heyden.

Andreas Heyden: Sehr guter Punkt. Simplylive war für uns ein zentraler Baustein, denn wir wollten in Broadcastqualität Inputs wie etwa Kamerasignale, Daten, Grafiken in einer neuen Art der Medienproduktion verfügbar machen. Wir wollten keine großen Konsolen mit Knöpfen, sondern Touchscreens. Keine Hebel, die ich hoch und runter ziehe, sondern ein Streamdeck-Pult.

Wir glauben auch fest daran, dass es heutzutage wenig junge Menschen gibt, die sich speziell zum EVS Slomo-Operator entwickeln wollen, sondern viel mehr solche, die einen Twitch-Stream machen oder die es gewohnt sind, Content auf YouTube zu veröffentlichen. Menschen, die zu Hause mit OBS oder mit VMix arbeiten und sich nicht an Interfaces orientieren möchten, sondern das Interface an ihnen. Und das ist bei Simplylive der Fall. Da kommt der Regisseur in die Übertragung, hat einen USB-Stick mit seinen persönlichen Einstellungen dabei und personalisiert damit das System so, wie er es haben möchte. Das ist ein Rieseneffizienzgewinn.

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Konventionelle Produktion im Vergleich zur Dyn-Produktion.

Sie haben also andere Operator als jene, die man von klassischen Produktionen her kennt?

Andreas Heyden: Ich würde sagen, wir haben eine Teilmenge sehr erfahrener Leute, die einfach Lust haben, sich auf Neues einzulassen und die sich in unserem Team gefunden haben.

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Dyn Media arbeitet auch …

In der Live-Produktion investieren wir in Personen nach dem Prinzip »Training on the Job«. Diese Arbeit ist verantwortungsvoll und wichtig, es ist aber keine schwierige Aufgabe, da die Komplexität dieser Aufgabe im Backend umgesetzt wird. Wenn ich das Frontend so verständlich mache, dass ich nicht zum falschen Zeitpunkt die falschen Knöpfe drücken kann, ist es mit einem begrenzbaren Aufwand möglich, Operator dafür zu trainieren, ohne dass sie hochspezialisiert sein müssen.

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… mit vielen jungen Menschen.

Wir arbeiten auch sehr eng mit der Sporthochschule Köln zusammen, und viele Studierende sehen den Job bei uns als ihren Eintritt in die Medienbranche. Werden wir diese jungen Menschen über die nächsten Jahre halten können? Ich hoffe es, aber es kann auch sein, dass sie sich dadurch qualifizieren und genügend Erfahrungen sammeln, um dann irgendwann mal eine Weltmeisterschaft zu machen. Dort sitzen sie vielleicht wieder im Ü-Wagen. Aber Sie sind zumindest durch Dyn dort hingekommen – und das ist eigentlich mein Ziel: Ich möchte jede Mitarbeiterin, jeden Mitarbeiter in dem, was sie oder er tut, auf die nächste Ebene heben.

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