SWR: Neue Workflows von TikTok bis Tatort
Der SWR hat seine bisher genutzten Avid Media Composer durch Adobe-Premiere-Schnittplätze ersetzt. Zwischenzeitlich wurde bereits schon ein erster SWR-»Tatort« mit Premiere geschnitten. Marc Weckenmann über einen großen Systemwechsel, der mehr Flexibilität bringen soll.
Herausforderungen, Change-Prozess
Beim SWR-Projekt ging es letztlich um weit mehr als einen reinen Hard- und Software-Austausch: Auch Abläufe und Arbeitsbereiche beim SWR veränderten sich. »Viele der Mitarbeitenden, die in der Postproduktion arbeiten, kannten über viele Jahre nur die Arbeit fürs lineare Fernsehen am Composer— und es war schon eine große Herausforderung, alle Personen mitzunehmen«, urteilt Weckenmann.
Hinzu kam, dass es nicht nur um drei Standorte ging und die Zuständigkeit von fünf Abteilungen: letztlich waren rund 150 Mitarbeitende von den Veränderungen betroffen. Die Personen, die etwa über Jahre den »Tatort« geschnitten hatten, hegten gewisse Vorbehalte gegen Premiere.
»Den eher technisch versierten, jüngeren und offeneren Beteiligten war klar, dass Premiere alle benötigten Funktionen bot, die Herausforderung bestand darin, auch alle unsere Leute davon zu überzeugen, sie entsprechend zu schulen und mitzunehmen. Dabei ist klar und absolut verständlich: Jemand, der jahrelang mit einem System gearbeitet hat, ist extrem versiert und kann sozusagen ‚blind’ sehr schnell damit arbeiten. Das aufzugeben, ist nicht leicht. Man hat gewisse Bedenken, dass man nicht mehr die gleiche Leistung erbringen kann, die man zuvor erbrachte. Dann sitzt vielleicht auch noch ein Redakteur daneben und plötzlich verspürt man Druck. Eine große Aufgabe bestand für uns darin, auch solche Ängste zu nehmen«, erläutert Weckenmann.
Aus diesem Grund entwickelte der SWR das Konzept sogenannter Frontrunner. »Darunter verstanden wir Mitarbeiter_innen, die bereit waren, sich frühzeitig mit den neuen Programmen und Arbeitsweisen zu beschäftigen.«
Die Frontrunner wurden in einer frühen Phase des Projekts geschult und konnten mit Premiere-Systemen arbeiten, die an allen Standorten zur Verfügung gestellt wurden. Sie gaben wertvolles Feedback dazu, was noch nicht optimal funktionierte und angepasst werden musste.
Die Frontrunner waren auch an der Entwicklung des Schulungskonzepts beteiligt. Die Schulungen für die Mitarbeitenden führte die ARD.ZDF Medienakademie durch — und zwar mit Modulen, die aufeinander aufbauten und auch die Nutzung von Helmut im Premiere-Kosmos umfassten. In die Schulungen waren auch die Frontrunner involviert.
»Das sorgte für eine gute und lockere Atmosphäre, denn wenn man ‚unter Kollegen_innen‘ ist, traut man sich, mehr zu fragen und zu thematisieren«, so Weckenmann, der dieses Konzept nur empfehlen kann.
Im Anschluss an die Schulungen ging es für die Mitarbeitenden dann sofort in die echten Projekte, die der SWR mit einem engmaschigen Support begleitete, um etwaige Fragen oder Probleme direkt lösen zu können. »Das war schon eindrucksvoll: Die Mitarbeitenden haben ihre letzten Projekte mit Avid realisiert, erhielten eine zweiwöchige Schulung und dann ging es schon in die Projektarbeit mit Premiere«, erinnert sich Weckenmann. Einige Wochen später folgten dann Advanced-Schulungen, um die neu erworbenen Kenntnisse zu vertiefen.
Die Schulungen und der sukzessive Umbau der Schnittplätze an den drei SWR-Hauptstandorten wurde in mehreren Wochen realisiert.
Dass so ein Prozess herausfordernd ist, liegt nahe. Marc Weckenmann erinnert sich: »Wir hatten natürlich die gesamte Bandbreite an Reaktionen. Da gab es Leute, die Avid bis ins Detail kannten, damit zufrieden und zuhause waren und nur sehr ungern umsteigen wollten, und am anderen Ende waren jene, die sich freuten, endlich nicht mehr mit Avid schneiden zu müssen«.
Als Schlüssel zum Erfolg dieses Change-Prozesses nennt Weckenmann einerseits die Frontrunner, andererseits aber auch, dass es für den Wechsel ausreichend Zeit gab und ein sehr gutes Support-Konzept eingeplant war. »Am Ende ist es aber auch ein bisschen Überzeugung im ‚Doing‘.«
Samantha Bacon, Strategic Development Managerin für Video bei Adobe, betont abschließend, dass auch die Kommunikation bei dem gesamten Projekt eine große Rolle gespielt habe. Adobe habe in dem Projekt eine sehr enge Verbindung zum SWR gepflegt und in einem regelmäßigen Jour Fixe, um aktuelle Herausforderungen gemeinsam zu lösen. Sie bilanziert: »Es hilft einfach, wenn alle miteinander reden.«
»Tatort« und »Die Fallers«
Ein wichtiger Meilenstein war erreicht, als der SWR mit Premiere Pro den ersten »Tatort« geschnitten hatte.
»Natürlich gab es einzelne Dinge, die nicht optimal funktionierten, aber im Großen und Ganzen erhielt ich die Rückmeldung, dass alles gut funktioniert habe«, resümiert Weckenmann.
Im Umfeld der szenischen Produktionen gab es dann auch am ehesten Verbesserungswünsche.
Die Editor_innen wünschten sich beispielsweise drei Monitore, um ein Projekt dieser Größenordnung komfortabler schneiden zu können. Des Weiteren standen Marker- und Kommentierungsfunktionen auf der Wunschliste, berichtet Samantha Bacon.
Eine weitere Premiere feierte der SWR übrigens vor kurzem bei der Serie »Die Fallers«, die nun ebenfalls mit Premiere Pro geschnitten wird.
Perspektiven
Aktuell produziert der SWR mit Premiere Pro noch viele Inhalte fürs lineare Programm, aber Formate für digitale Plattformen, wie z.B. Mediathek und Social Media gewinnen weiterhin an Bedeutung. Perspektivisch soll es mehr Inhalte für diverse Plattformen und Kanäle geben.
Weil multimediale Inhalte jetzt auch in der Postproduktion mit Premiere erstellt werden können, ergeben sich neue Möglichkeiten und Anwendungsfelder: »Wir wollen den redaktionellen Bereichen künftig anbieten, solche Inhalte in unserer professionellen Umgebung zu erstellen. Bisher musste das auf Grund fehlender technischer Möglichkeit überwiegend in der Redaktion selbst stattfinden.«
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