Multikamera-Impro-Projekt »Das Fest der Liebe«
Jan Georg Schütte inszenierte in »Das Fest der Liebe« ein Familienfest der besonderen Art: mit 45 Kameras und improvisiertem Schauspiel. Wie es gelang, die Herausforderungen dieser Produktion zu lösen, erläutert DoP Nikolas Jürgens.
Probentage für die Kameraleute
Bei der Miniserie »Das Fest der Liebe« waren 40 Kameraleute beim Dreh im Einsatz. Sie bereiteten sich an fünf Probentagen auf den Hauptdreh vor. »Oft arbeiten wir bei den Proben mit einer Schauspielklasse zusammen, die zuvor sämtliche Infos von Jan Georg erhalten hat. Er nutzt das, um auch für sich zu testen, ob das System, das sich für den Improvisationsdreh überlegt hat, funktioniert«, erläutert Nikolas Jürgens.
Auch für die Technik liefern diese Probentage wertvolle Erkenntnisse, »denn wir haben dabei die Möglichkeit, einmal alles durchzuspielen, zu sehen, wo es Probleme geben kann, und abzuwägen, was alles geschehen könnte«, beschreibt Nikolas Jürgens.
Nach dem Probedurchlauf gibt es dann einen Auswertungstag, an dem analysiert wird, wie die Abläufe und Räume funktionieren.
»Natürlich können wir nach den Proben nicht davon ausgehen, dass wir nun wissen, wie der Dreh verlaufen wird. Aber wir haben dann als Team verstanden, wie sich der Raum anfühlt und wo es Schwachstellen gibt. Außerdem können wir so den ganzen logistischen Ablauf mit all den Standortwechseln prüfen«, erklärt Nikolas Jürgens.
Die Kameras
Das Team nutzte bei »Das Fest der Liebe« diverse Sony-Kameras und zeichnete in 4K und XAVC Intra-Codec auf. FX9-Kameras (Praxistest) waren beim Dreh zuständig für die Totalen, FS7-MkI- und FS7-MkII-Kameras (Praxistest) konzentrierten sich eher auf nahe Einstellungen. Weiter waren auch noch diverse FX6-Kameras am Start (Praxistest), und auch FX3-Kameras (Praxistest) waren als kleine und kompakte Kameras an versteckten Stellen eingebaut.
»Zusätzlich nutzten wir noch vier PTZ-Kameras von Canon, die unbemannt waren und die wir per Joystick fernbedienten«, ergänzt Nikolas Jürgens.
Alle Kameras wurden mit Fotoobjektiven bestückt. Hauptsächlich waren dies Canon-Zoomobjektive (70-200, 24-105 und teilweise auch 24-70 mm).
»Ein Vorteil der Canon-Objektive ist ihr Optik-Stabilisator«, urteilt Nikolas Jürgens. Teilweise waren vereinzelt auch weitwinkligere und lichtstärkere Objektive im Einsatz. Um die Objektive an den Sony-E-Mount zu adaptieren, nutzte das Team Metabones-Adapter, stellenweise auch mit Speedbooster, je nachdem, wie viel Lichtstärke notwendig war.
Kabel verstecken
Nikolas Jürgens erläutert: »Es sind nicht sehr viele Kameras mit Videofunk bestückt, weil meist die Reichweiten nicht ausreichen würden, die wir benötigen. Daher arbeiten wir viel kabelgebunden. Am Set sind kilometerweit Kabel versteckt. Dabei nutzen wir meist Glasfaser, weil wir damit viele Signalwege in einem Kabel abdecken können.«
Für die Setbauer und Ausstatter ist das eine große Herausforderung, denn eine ihrer Aufgaben ist es eben auch, die Kabel so unterzubringen, dass sie während des Drehs keinesfalls sichtbar werden. »Das ist wirklich sehr aufwändig«, urteilt Nikolas Jürgens.
Die Illusion für die Zuschauer soll erhalten bleiben, es dürfen keine Kabel und kein Kamera-Equipment im Bild zu sehen sein.
Licht am Set
Stefan Fahle Meese hatte als Oberbeleuchter die schwierige Aufgabe, den Multikamera-Drehort ins Licht zu setzen, ohne dass man das Equipment sehen durfte. Letztlich war es nur möglich, ein Grundlicht zu erzeugen.
Klassisches Umleuchten, wie es normalerweise am Set stattfindet, ist bei einem Dreh dieser Art schließlich nicht möglich. In der Folge wurde beim Dreh insgesamt sehr viel im Lowlight-Bereich gearbeitet. »Man muss auch ein stückweit mutig sein und in Kauf nehmen, dass man mal nur eine Silhouette sieht«, urteilt Nikolas Jürgens.
Materialschlacht
Alle Kameras liefen während des Drehs durch und wurden lediglich ausgeschaltet, wenn der Akku oder die Speicherkarte ausgetauscht werden mussten.
Mit DIT Christian Saure wurde dafür eigens ein Verfahren entwickelt, wie er die Karten einsammelt, auswechselt und das Material kopiert — ohne dabei den Überblick zu verlieren. »Man gelangt dabei durchaus an die Kapazitätsgrenzen der Technik«, so Nikolas Jürgens.
Mit dieser Arbeitsweise, aber auch der sehr intensiven Probenphase geschuldet, gab es laut Nikolas Jürgens keinerlei Probleme, etwa mit Verwechslungen. Karten zu beschriften, zu testen, Kopien zu prüfen, all das gehört für das DIT-Team um Christian Saure mit seinen zehn Rechnern am Set mit dazu. Für die Reviews am Set nutzt er übrigens die Blackmagic-Software DaVinci Resolve (Praxistest).
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