»Sisi 2« – Breitbild-Dreh im Baltikum
Die zweite Sisi-Staffel lief Ende vergangenen Jahres erfolgreich bei RTL+ und RTL, eine dritte Staffel ist schon geplant. DoP Michael Schreitel über die Besonderheiten und Herausforderungen dieser Produktion.
Formatentscheidung
Vor dem Dreh ging es erst einmal um die Frage, in welchem Format gedreht werden sollte. »Da wir ‚Totenwald‘ schon in Cinemascope gedreht hatten, wollten wir auch bei ‚Sisi‘ mit 2fach-Anamorphoten drehen und fanden einen lettischen Verleiher, der uns Cooke-Anamorphoten für diesen langen Zeitraum zur Verfügung stellen konnte.«
Als B-Satz hatte das Team Atlas Orion-Anamorphoten im Gepäck.
Als Kamera war die Alexa Mini LF von Arri vorgesehen, also eine Kamera mit Vollformatsensor. »Wir haben dann getestet, wie groß der Bereich des Sensors war, den wir mit den S35-Objektiven abdecken konnten, denn wir wollten durchaus über Super35 hinausgehen«, erzählt Schreitel. Die Tests ergaben, dass noch mehr ging: »Schlussendlich konnten wir mit den Cooke Anamorphoten 40% ‚mehr Negativ‘ herausschlagen – und haben damit 4K-Auflösung zumindest angekratzt«, so Schreitel. »Die Cooke-Anamorphoten haben uns dabei wirklich überzeugt«, urteilt Schreitel rückblickend.
Weil das Finishing der Serie in 2K geplant war, war es auch in Ordnung, bei der ersten Staffel nicht in echter 4K-Auflösung zu drehen.
Als der Dreh der zweiten Staffel anstand, wollte DoP Michael Schreitel jedoch mit den dann verfügbaren Cooke 1.8 Vollformat-Anamorphoten drehen. »Mit diesem Setup erreichten wir 4,5-K-Auflösung, was die Sache optisch nochmals aufwertete«, urteilt Schreitel.
Vollformat und Anamorphoten
Die Entscheidung, in Vollformat und mit Anamorphoten zu drehen, eröffnet weitreichende gestalterische Möglichkeiten, findet Michael Schreitel. Natürlich müsse man unterscheiden zwischen der visuellen Wirkung von Vollformat einerseits und der von Anamorphoten andererseits.
Das Drehen mit einer Vollformat-Kamera betrachtet Michael Schreitel mittlerweile als Standard für eine hochwertige Produktion. »Ich müsste mir ganz genau überlegen, ob ich noch etwas auf Super35 drehen würde, denn damit wird mir einfach ein gestalterisches Tool als DoP genommen, weil ich einen Schauspieler mit Super35 nicht so in den Fokus rücken kann wie ich das mit Vollformat tun kann.«
Drehe man mit einer Vollformatkamera und anamorphotischen Objektiven, gewinne man definitiv mehr gestalterische Möglichkeiten, sagt Schreitel, müsse aber auch mit Einschränkungen zurechtkommen, »denn Anamorphoten sind nicht so lichtstark wie sphärische Objektive. Das muss einem klar sein und das muss man beim Dreh auch berücksichtigen.«
Für den Dreh eines historischen Stoffes findet Schreitel das anamorphotische, breite Bild aber absolut passend, auch wenn man dadurch beim Licht etwas mehr aufpassen müsse.
»Bei ‚Sisi‘ verliehen die Cooke-Anamorphoten dem Material einen ganz besonderen, malerischen Look, der einen förmlich in diese historische Welt hineinzieht«, findet er.
Mit den neuen, lichtstarken Vollformat-Anamorphoten, die für den Dreh der zweiten Staffel zur Verfügung standen, hatte er auch mehr Möglichkeiten. »Der Satz kam damals von einem Verleiher aus Stockholm, und der Dreh mit diesen Objektiven war wirklich toll, weil sie so besonders sind«, sagt er.
Schreitel ergänzt: »Wir können bei unserer Arbeit nicht nur gestalten, sondern müssen bei historischen Filmen auch viele moderne Elemente im Bild verstecken, denn heutzutage sieht es eben an den meisten Orten nicht mehr so aus wie vor 50 oder 150 Jahren. Oft müssen wir deshalb tricksen und Dinge, die man nicht sehen soll, im Unscharfen verschwinden lassen. Genau dafür sind Anamorphoten toll, man erhält mit ihnen ein wunderschönes, ovales Bokeh und eine sehr ansprechende Unschärfe, mit der man so manches verschleiern kann, was die Zuschauer nicht sehen sollen.«
Die Kombination aus Vollformat und Anamorphoten hat aus Schreitels Sicht noch weitere gestalterische Reize. »Wenn man mit Vollformat-Anamorphoten arbeitet, wirken selbst die Bilder eines 50-mm-Objektivs nahezu weitwinklig. Man nutzt also automatisch höhere Brennweiten, um eine nahe Szene zu drehen — und dadurch erhält man noch weniger Schärfentiefe. Das fanden wir sehr spannend«, erzählt Schreitel.
»Wir drehten genaugenommen nicht ganz in Cinemascope. 2,39:1 fanden wir für diese Produktion zu stark, denn wir wollten auch viele weitwinklige Szenen drehen und hätten uns dann sehr weit vom Motiv wegbewegen müssen, um diese Szenen überhaupt drehen zu können. Wir entschieden uns daher für 2,2:1, was wir bei ‚Mindhunter‘ gesehen hatten und dann nach ersten Kamera- und Kostümtests mit dem Sender gemeinsam auch beschlossen wurde.«
Was Schreitel ebenfalls erwähnt, sind die Besonderheiten der Bildsprache: »Schön ist bei Anamorphoten, dass man den Raum etablieren kann und dabei gleichzeitig schon eine halbnahe Einstellung eines Schauspielers gedreht hat. Man kann sich im Raum auch schon bei halbnahe besser orientieren, denn der Bildwinkel ist einfach viel breiter. Dadurch verändert sich automatisch die Bildsprache, und man kann bei Szenen mit vielen Personen ausgezeichnet staffeln. Das haben uns die Western vor 50 Jahren ja schon vorgemacht.«
Kurzum: Gerade für historische Stoffe, wie »Sisi« ja einer ist, eignet sich die Kombination aus Vollformat-Kamera und anamorphotischen Objektiven aus Sicht von Michael Schreitel ganz besonders gut.
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