Editing, Interview, Postproduction: 13.03.2023

Editing von »Im Westen nichts Neues«

»Im Westen nichts Neues« gewann vier Oscars. Ein Interview mit Editor Sven Budelmann über diesen Film.



Bei der Szene, kurz bevor die Panzer kommen, spürt man richtig, dass etwas passieren wird. Wie haben Sie das aufgebaut? Liegt es an der Länge der Szenen oder an den Einstellungen? Ist es die Musik? Sind es die Soundeffekte?

Budelmann: Ich glaube, es gab hierbei viele knifflige Elemente, mit denen man umgehen musste. Es fängt an in der Küche im französischen Schützengraben, als sie dort alles essen — und dann plötzlich alles zu vibrieren beginnt. Die Ratten rennen durch den Raum und irgendetwas kommt.

Die Soldaten wussten aber nicht, was kommt, sie spürten lediglich diese Vibration der nahenden Panzer . Wir brauchten dieses Element, die Aufregung der Soldaten, die dann alle rausrannten und sich fragten »Was ist da los? Was ist das?«. Wir sprechen über den ersten Weltkrieg: Das war das allererste Mal, dass Panzer und Flammenwerfer eingesetzt wurden. Die Soldaten hatten keine Ahnung, was da auf sie zukam.

Wir wollten diesen Moment so weit wie möglich herauskitzeln. Etwa so: ‚Ist das ein Tyrannosaurus Rex, der da über das Feld kommt? Was ist das? Nein, es ist ein Panzer.‘

Im Westen nichts Neues, © Reiner Bajo

Das erinnert mich auch an eine Filmkritik — in der es hieß: »Diese Panzer sind so schrecklich in 3D gemacht. Sie sehen so unwirklich aus, wie aus Star Wars.« Ich dachte bei mir: »Das ist nicht 3D! Diese Panzer waren echt, das waren echte Panzer!« Wir hatten zwei davon. Ich glaube, jetzt sehen wir insgesamt sechs von ihnen, sie wurden aber lediglich per VFX vervielfältigt.

(…) Ich muss sagen, dass alle diese Szenen auch vom Musik-Layout abgeleitet wurden. Wir sehen die Action, aber die wird balanciert, wenn die Musik einsetzt. Das Niveau und die Tonalität mussten eben im Schneideraum ausprobiert werden.

Im Westen nichts Neues, © Reiner Bajo

Sven Budelmann, © Budelmann
Sven Budelmann:»Für mich ist der Schnitt der kreativste Teil des Filmemachens.«

Für mich ist der Schnitt der kreativste Teil des Filmemachens. Es geht nicht nur darum, das Bild zu schneiden. Es geht um das Gesamtpaket. Es geht um Performance und Musik, Bild und Ton. Alles beeinflusst die Tonalität, die Geschichte und die emotionale Wahrnehmung.

Der Schneideraum ist der einzige Ort, an dem wir an all diesen Elementen gleichzeitig arbeiten können. Das ist es, was wir im Grunde genommen getan haben. Ich hatte einige wirklich schöne Stimmungen in Volkers Ordner mit Layout-Musik gefunden. (Anmerkung der Redaktion: Komponist Volker Bertelmann).

Im Westen nichts Neues, © Reiner Bajo

Was er uns gegeben hat, war einfach ein Geschenk. Er hat diesen kühnen Sound der Panzermaschinerie kreiert, die über den Berg kommt, über die Hügel und mit den Stampfgeräuschen. Das war einfach brachial und brutal. (…)

Volker kam zu einem späteren Zeitpunkt zu uns. Mitte Juni hat er den Film zum ersten Mal gesehen. Von da an war er sehr schnell und sehr kreativ und hat uns viele neue Stichworte gegeben.

Im Westen nichts Neues, © Reiner Bajo

Sie waren bei der Tonmischung dabei. Warum sollte ein Editor bei der Mischung dabei sein?

Budelmann: Das ist eine gute Frage. Aus irgendeinem Grund denke ich, dass es immer gut ist, dabei zu sein, zumindest ein paar Mal, bevor sie den Mix abschließen. Denn manchmal gehen Elemente verloren, die ich festgelegt habe. Aber zum Glück hat die großartige Crew um Frank Kruse, unseren Sounddesigner, viele der Layouts übernommen, die wir im Offline-Schnitt gemacht haben, weil sie den Wert darin gesehen haben.

Edward ist ebenfalls sehr sound-orientiert. Wenn etwas mit dem Ton nicht stimmt, nehmen wir uns wirklich viel Zeit, um zusätzliche Takes mit einer besseren Aussprache zu finden oder zu bearbeiten: ‚Diese Einstellung muss zwei Frames früher oder später erfolgen.‘

Im Westen nichts Neues, © Reiner Bajo

Edward möchte wirklich, dass er genau so und nicht anders in der Mischung landet. Diese Veränderungen und die Wahrnehmungsperspektive, die ich immer einnehme — ich denke, das ist wichtig. Wir haben uns die Zeit genommen, das herauszufinden, und wir hatten einen Grund dafür, warum wir das gemacht haben: Also warum sollte es nicht übernommen werden?

Als ich den Film zum ersten Mal sah, war ich von der Tonmischung überwältigt. Die Geräuschkulisse ist so unglaublich. Ich habe so etwas noch nie gehört und dachte: Liegt es daran, dass der Geräuschpegel so hoch ist? Woran liegt das? Es war so intensiv und es ist erstaunlich, was diese Leute geleistet haben.

Im Westen nichts Neues, © Reiner Bajo

Wie wirkt es sich auf die Zusammenarbeit mit einem Regisseur aus, wenn man — nicht wie bei ‚Im Westen nichts Neues‘ — remote arbeitet und nicht im gleichen Raum ist?

Budelmann: Manchmal ist es toll und lustig, weil ich dann den Regisseur zum ersten Mal von vorne sehe. Ich glaube, das sagt wahrscheinlich jeder, oder? Das ist so ungewöhnlich. Normalerweise sitzt der Regisseur hinter mir, auf der rechten Seite. Nun, wenn man mit Zoom oder Evercast arbeitet, sieht man ihn — und da ist dieser kleine Mann oder diese kleine Frau und man sieht Ihnen direkt ins Gesicht.

Aber es ist interessant. Wenn man sich eine Szene zusammen ansieht, kann man die Reaktionen sehen und man kann auch sagen: ‚Sag mir nicht, dass du es dir angesehen hast, denn du warst abgelenkt!‘ Das Gute daran ist, dass wir alle lernen, dass Remote Work funktioniert, aber es ist doch schöner, jemanden dabei zu haben.

Und manchmal habe ich das Gefühl, dass ich meine sozialen Fähigkeiten verloren habe, wenn ich mit anderen Menschen in einem Raum bin und mich mit ihnen unterhalte — weil jetzt alles digital ist.


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