Editing, Interview: 18.01.2023

Workflow von »Avatar: The Way of Water«

Ein Gespräch mit den Editoren von »Avatar: The Way of Water« über den Workflow und ihre Arbeit.





»Avatar: The Way of Water«, Plakat, Logo, © Disney
1,901 Milliarden US-Dollar hatte Avatar bis vergangene Woche schon eingespielt, die 2 Milliarden Grenze fällt vermutlich in KW03/23.

Die Editoren Stephen Rivkin und John Refoua berichten im Gespräch mit Steve Hullfish über den Workflow und ihre Arbeit an »Avatar: The Way of Water«. Dies ist eine etwas vereinfachte, verkürzte und verdichtete Übersetzung des Gesprächs — veröffentlicht auf film-tv-video.de mit freundlicher Genehmigung von Boris FX (D-Vertrieb: New Media AV).

Stephen Rivkin und John Refoua sind zwei der insgesamt vier Editoren, die »Avatar: The Way of Water« geschnitten und bearbeitet haben. Rivkin und Refoua haben gemeinsam und auch einzeln schon viele namhafte Kinofilme geschnitten und dafür auch jeweils schon etliche Preise erhalten. Beide waren auch schon als Editoren für den ersten Avatar-Film »Avatar: Aufbruch nach Pandora« aktiv.

Drei der Editoren von »Avatar: The Way of Water«: David Brenner (†), John Refoua und Stephen Rivkin.

Neben Rivkin und Refoua werden in den Credits von »Avatar: The Way of Water« auch zwei weitere Editoren genannt: James Cameron, der Regisseur des Films und David Brenner. David Brenner ist während der Arbeiten an diesem Film verstorben. Darauf angesprochen sagte Stephen Rivkin: »David war ein wesentlicher Bestandteil unseres Teams und sein Beitrag war bedeutend. (…) Die gesamte Avatar-Produktion war am Boden zerstört über seinen Verlust.« John Refoua ergänzt: »David war einfach ein toller Typ. (…) Er war sehr einfühlsam und es war einfach eine Freude, mit ihm zusammen zu sein, und gleichzeitig war er ein großartiger Editor. Wir werden ihn definitiv vermissen.«

Zur Nennung von James Cameron als Editor sagt Stephen Rivkin: »Er war auch schon Teil unseres Editings-Teams bei ‚Avatar 1‘. John und ich haben bei diesem Film als Editoren sehr eng mit ihm zusammengearbeitet — neben seiner Tätigkeit als Regisseur und all den anderen Funktionen, die er ausübt: Autor, Produzent und so weiter.«


Making-Of-Material: Arbeit am Set, Capturing der Schauspieler.

Es gibt in diesem Film ein paar große Wendepunkte. Wie haben Sie die Geschichte des Films strukturiert und wie lange sollten die einzelnen Abschnitte der Geschichte dauern?

Rivkin: Alle Filme beginnen mit einem Drehbuch, und das Drehbuch war sehr ausführlich und sehr detailliert– so wie die meisten Drehbücher von Cameron. Natürlich werden die Szenen im Laufe der Dreharbeiten gekürzt, und wie lange die einzelnen Abschnitte dauern sollen, ist letztlich eine Entscheidung von Jim.

Refoua: Das Besondere an diesem Film ist, dass man ihn in 3-D erleben kann. Bei vielen Dingen, bei denen wir normalerweise sagen würden: ‚Hey, lasst uns zum nächsten Teil übergehen‘, bleiben wir länger dabei und Jim besteht darauf, dass wir länger dabei bleiben müssen, weil die Leute das sehen wollen. Die Leute wollen die Erfahrung machen, unter Wasser zu sein und all die neuen Kreaturen und all das zu sehen. Das ist also das Besondere an diesem Film. Man kann ihn nicht einfach wie andere Filmen beurteilen, denn die Leute wollen auch einfach nur dasitzen und etwas Schönes ansehen.

Rivkin: Das ist ein wirklich guter Punkt. Jim hat oft gesagt: ‚Ich will nicht einfach nur Story Point, an Story Point, an Story Point fügen. Das Avatar-Erlebnis ist etwas ganz anderes, und die Leute wollen einfach in diese Erfahrung eintauchen.‘ Eines seiner Argumente, um auch mehr Länge in einzelnen Abschnitten zu behalten war, dass das Studio bei »Avatar 1« oft mit ihm kämpfte, etwa um die Flugsequenz zu kürzen — aber die Flugsequenz in ‚Avatar 1‘ ist eine der am besten bewerteten und am häufigsten erwähnten Sequenzen des Films.

»Avatar: The Way of Water«, Still, © 20th Century Studios
Avatar hat eine ganz eigene Produktionsweise entwickelt, die weit über klassische Motion-Capture-Drehs hinausgeht.

Wie schafft man es, bei einem Film, der visuell und auditiv so reichhaltig ist, lange genug bei diesen Szenen zu verweilen, obwohl man anfangs selbst gar nicht die fertig gestaltete, großartige 3D-Bilderwelt sieht?

Rivkin: Da sollten wir vielleicht zuerst mal über unseren Workflow sprechen, denn eine der Besonderheiten von »Avatar« und der »Avatar-Saga« ist, dass wir den Film vielfach umschneiden — schon als Basis mindestens zweimal.

Zunächst einmal arbeitet Jim mit den Schauspielern zusammen, dabei sind ungefähr 16 Referenzkameras um sie herum positioniert. Jeder Referenzkameramann wird einer Figur zugewiesen und er macht eine große Nahaufnahme von deren Gesicht. Und dann machen einige der Kameras eine totalere Aufnahme. Nach sorgfältigen Reviews mit Jim erstellen wir dann einen ‚Performance-Schnitt‘, der auf den besten Aufnahmen aller Schauspieler besteht. Wir setzen sozusagen ein Mosaik aus all ihren besten Aufnahmen zusammen. Manchmal stammen sie nicht aus demselben Take, aber wir müssen diesen Performance-Schnitt erstellen. Dann bereiten wir alles vor, um es an unser internes Labor weiterzugeben, wo all diese Performances mit den virtuellen Charakteren verknüpft werden und die Umgebung, die Garderobe, die Requisiten, die Maschinen, die Kreaturen und vieles mehr hinzugefügt werden.

In der zweiten Phase erstellt Jim dann die virtuellen Kameras — wir nennen sie virtuelle Kameras —, mit denen dann die Einstellungen erzeugt werden, so wie man sie auch bei einem »normalen« Film drehen und dann schneiden würde. Das ist dann das erste Mal, dass wir tatsächlich so etwas wie ‚Dailies‘ haben.

»Avatar: The Way of Water«, Still, © 20th Century Studios
Alle Szenen werden komplett mit Schauspielern gedreht — mit bis zu 16 Kameras.

In der Performance-Capture-Phase, wenn wir die Referenzkameras schneiden, entstehen also nicht die Aufnahmen, die im Film vorkommen. Jede Performance kann später im Film zu einer Nahaufnahme, einer mittleren Einstellung, einer Totalen, einer Kranaufnahme oder einer Kamerafahrt werden, je nachdem welche virtuelle Kamera gewählt wird und das fertige Bild generiert.

Auf eine gewisse Art ist diese Arbeitsweise sehr befreiend, denn während der Aufnahme konzentriert sich Jim nur auf die Schauspieler — er arbeitet mit den Schauspielern und die Schauspieler mit ihm. Er muss sich keine Gedanken über die Schärfe, die Beleuchtung, das Verlegen der Dolly-Schienen oder die Aufnahme machen: Es geht nur um die Schauspiel-Performance. In der letzten Phase, in der die eigentlichen Aufnahmen für den Film gemacht werden, sind die Schauspieler dann gar nicht mehr dabei und Jim kann nach Herzenslust drehen, um genau das zu bekommen, was er will. Das ist also der grundlegende Prozess.

Aber in dieser Phase — die wir als Template-Phase bezeichnen — wird die Vorlage für die Aufnahmen erstellt. Wir sehen die Landschaft, die Umgebung, die Garderobe, die Requisiten und alles andere, so dass man wirklich ein Gefühl dafür bekommt, wie die Aufnahmen aussehen werden, wenn sie schließlich in hoher Auflösung gerendert werden. Aber man sieht beispielsweise nicht wirklich die Gesichter. Man bekommt einen Hinweis auf die Augen und den Mund. Man weiß, dass sie synchronisiert sind, aber man sieht die Details des Ausdrucks erst viel später, wenn die endgültigen Renderings zurückkommen.

Refoua: Ich habe ein paar Monate gebraucht, um das Ganz zu verstehen. Dieser Workflow ist auf die Wünsche von Jim abgestimmt, der die volle Kontrolle haben und die verschiedensten Aspekte steuern will. Der erste Aspekt hat also nur mit der Schauspielleistung zu tun und mit nichts anderem. Beim zweiten Aspekt geht es ihm dann um die Beleuchtung und die Gestaltung der Aufnahmen und er muss sich in dieser Phase nicht mehr um die Performance kümmern, weil er die beste Darstellung schon bekommen hat.

Schließlich kommen dann wir ins Spiel: Wir setzen die Einstellungen zusammen und machen eine Szene daraus, mit Soundeffekten und Musik und all dem. Und Jim sagt dann: ‚Okay, das ist die Szene. Und jetzt generieren wir sie‘. Es dauert ein paar Monate, bis man das verstanden hat, weil eben alles so anders ist.

Rivkin: Wenn er will, kann Jim die Aufnahmen räumlich und zeitlich manipulieren, und er kann buchstäblich Berge versetzen, um die Aufnahmen zu komponieren und orchestrieren, die er kreiert.

Es ist ein erstaunlicher Prozess mit einer enormen Flexibilität. Einen Regisseur, der von den unendlichen Möglichkeiten eingeschüchtert ist, könnte das in den Wahnsinn treiben. Aber für einen Regisseur, der weiß, was er will, und in der Lage ist, Aufnahmen zu machen und Dinge zu bewegen, ist es unglaublich befreiend.

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