Backstage, Making-of, Virtual Production: 25.10.2022

Mystery-Serie »1899«: Virtuell produziert in Babelsberg

Die Netflix-Serie »1899«, erdacht und umgesetzt von Jantje Friese und Baran bo Odar, wurde auf der Virtual Production Stage im Studio Babelsberg gedreht.

1899, Poster, © Netflix
»1899« wird ab dem 17. 11. 2022 auf Netflix zu sehen sein

Die Mystery-Serie »1899« wird ab dem 17. 11. 2022 auf Netflix zu sehen sein. Die acht Episoden erzählen von den mysteriösen Geschehnissen während der Fahrt eines Auswandererschiffs von Europa nach New York.

Erdacht und umgesetzt wurde »1899« von Jantje Friese und Baran bo Odar, den Machern von »Dark«, einer sehr erfolgreichen und preisgekrönten Science-Fiction-Mystery-Serie, von der 26 Episoden in drei Staffeln gedreht wurden. Anders aber als »Dark« wurde »1899« auf der Virtual Production Stage von Studio Babelsberg gedreht (Meldung).

Ab dem 17.11.2022 können die Zuschauer entscheiden, ob ihnen diese Serie gefällt — und die Technik-Experten können ab dann selbst sehen, was die Dark Bay Virtual Production Studios in Studio Babelsberg leisten können. Einen kleinen Vorabeindruck und weitere Infos bietet dieser Videobeitrag.


Jantje Friese und Baran bo Odar über »1899«.
1899, © Netflix
»1899« wurde im Dark Bay Virtual Production Studio gedreht.

Im folgenden können Sie weitere Details zu dieser Produktion erfahren, anhand von Interviews mit Jantje Friese und Baran bo Odar, dem DoP und Kameramann Nikolaus Summerer und dem Executive Producer Philipp Klausing. Weitere Infos zur Technik des Dark Bay Virtual Production Studios in Studio Babelsberg, wo »1899« realisiert wurde, finden Sie hier.

1899, Poster, © Netflix
»1899« ist eine Mystery-Serie.
Synopsis »1899«

Europäische Auswanderer begeben sich im Jahr 1899 an Bord eines Dampfschiffes auf die Reise gen Westen. Das Auswandererschiff soll die Passagiere von Europa nach New York bringen. Hoffnungsvoll blicken die Passagiere unterschiedlichster Herkunft, Hintergründe und Nationalitäten auf das anbrechende Jahrhundert. Sie alle träumen von einer besseren Zukunft in der Fremde und hoffen dort, ihre Träume und Hoffnungen umsetzen zu können. Als sie auf dem offenen Meer ein zweites, treibendes Schiff entdecken, das seit Monaten als vermisst gilt, nimmt ihre Reise eine unerwartete Wendung. Was sie an Bord vorfinden, verwandelt ihre Überfahrt ins gelobte Land in ein albtraumhaftes Rätsel. Ein Netz von Geheimnissen scheint die Vergangenheit jedes einzelnen Passagiers miteinander zu verbinden.

Die Geschichte wird in acht Episoden erzählt.


Trailer zu »1899«.
Jantje Friese, Baran bo Odar, © Netflix
Jantje Friese und Baran bo Odar von Dark Ways.
Interview mit Jantje Friese und Baran bo Odar

Jantje Friese und Baran bo Odar absolvierten beide die Hochschule für Film und Fernsehen in München (HFF).

Große gemeinsame Erfolge  erzielten sie mit »Who Am I – Kein System ist sicher«, bei dem Friese das Drehbuch und Odar die Regie übernahm. Der Thriller wurde von der Presse gefeiert, er erhielt drei Deutsche Filmpreise und wurde als bester deutscher Film 2015 mit einem Bambi ausgezeichnet. 2017 nahmen Friese und Odar ihre Zusammenarbeit als Drehbuchautorin und Regisseur auf, um das erste deutsche Netflix-Original, »Dark«, zu entwickeln. Die von Anfang an als Trilogie geplante Mystery-Serie wurde zu einem weltweiten Erfolg und gewann sieben Grimme-Preise. 2019 gründete das kreative Duo die Produktionsfirma Dark Ways GmbH, um seine zweite Mystery-Serie für Netflix zu produzieren: »1899«. Die erste Staffel wurde von Mai bis Oktober 2021 im »Dark Bay Virtual Production Studio« (einem Tochterunternehmen von Dark Ways) im Studio Babelsberg abgedreht, einem der größten LED-Studios Europas für virtuelle Filmproduktionen.

1899, © Netflix
Die erste Staffel wurde von Mai bis Oktober 2021 im »Dark Bay Virtual Production Studio« gedreht.

»1899« ist die erste europäische Serienproduktion, die auf einer Virtual Production Stage — einem Volume — gedreht wurde. Wie kam es dazu?

Baran bo Odar: Das geht zunächst zurück auf unsere Idee, eine europäische Serie mit europäischer Besetzung und Crew zu drehen. Natürlich wollten wir reisen und in den entsprechenden Ländern drehen. Doch dann kam Corona und uns wurde schlagartig klar, dass Reisen für eine absehbare Zeit nicht mehr möglich sein würde. Kelly Luegenbiehl von Netflix machte uns auf eine neue Technologie aufmerksam, die gerade bei »The Mandalorian« zum Einsatz gekommen war.

Anfangs haben wir das nicht ernst genommen, weil wir uns immer als traditionelle Filmemacher_innen gesehen haben. Ich persönlich mag es nicht, mit Greenscreen zu arbeiten — wo immer möglich, drehe ich in-camera. Schließlich gab ich mir aber einen Ruck und sah mir die Serie an. Was soll ich sagen? Ich war sofort überzeugt.

Wir machten uns also schlau, lasen Artikel und Blogs und sprachen mit Kolleg_innen von »The Mandalorian«, die uns sehr offen erzählten, was in einem Volume möglich ist und was nicht. Es herrscht der Fehlglaube, das Volume sei ein Wunderwerkzeug, man müsse einfach nur einen Knopf drücken und schon könne man vor beliebigen Hintergründen drehen. Diesen Zahn hat man uns schnell gezogen. Die Vorbereitung ist langwierig und intensiv und kann auch frustrierend sein, weil es sich anfühlt, als müsse man sein filmisches Rüstzeug noch einmal komplett neu erlernen. Es hat fast ein Jahr gedauert, bis wir die Grundzüge der Technologie begriffen und verinnerlicht hatten.1899, © Netflix

Wer waren dabei Ihre wichtigsten Mitstreiter_innen?

Jantje Friese: Wichtig sind stets Kameramann Nik Summerer und Szenenbildner Udo Kramer. Sie kennen uns und wissen, wie wir arbeiten und was uns wichtig ist. Wir können uns aufeinander verlassen. Wenn man Neuland betritt, ist es immer gut, andere Leute mit am Tisch zu haben, die einen blind verstehen, mit denen man bereits mehrere Herausforderungen gemeistert hat.

Baran bo Odar: Uns war es wichtig, mit einer Crew zu arbeiten, die genau wie wir Lust hat, etwas Neues auszuprobieren und zu erlernen. Alle waren bereit für die Herausforderung und haben sich gefreut, neue Wege zu beschreiten. Mit Framestore haben wir einen Visual-Effects-Partner gefunden, der uns bei der Nutzung der neuen Technologie mit Rat und Tat zur Seite stand. Natürlich hatten auch sie noch keine Erfahrung mit der Arbeit in einem Volume, aber wir haben gemeinsam gelernt, sind gemeinsam an den Herausforderungen gewachsen.

1899, © Netflix

Hat das Wissen, dass die Volume-Technologie zum Einsatz kommen würde, die Arbeit an den Drehbüchern beeinflusst?

Jantje Friese: Ganz wesentlich. Für uns alle bedeutete es erst einmal einen gewaltigen Lernprozess. Man denkt schnell, man hätte verstanden, mit was man es da zu tun hat. Aber dann muss man es doch erst einmal mit eigenen Augen gesehen haben, um wirklich zu erahnen, was sich erzählerisch an Freiheiten eröffnet. Die Entscheidung, in einem Volume zu drehen, fiel mitten in die Arbeit an den ersten Fassungen. Wir mussten also recht schnell lernen, wie man Szenen dafür umschreiben muss. Darsteller_innen bewegen sich anders im Raum. Und natürlich verändert sich die Welt völlig, in die sich die Darsteller_innen begeben. Man muss adaptieren, dass man freier denken kann, weil sich eine wahnsinnige Palette an neuen Möglichkeiten eröffnet. Ich selbst habe den Eindruck, beim Schreiben sehr viel über diese Technik gelernt zu haben.

1899, © Netflix

Interview mit DoP Nikolaus Summerer
Nikolaus Summerer, DoP/Kameramann, © Filmacademy
Nikolaus Summerer, DoP und Kameramann.

DoP und Kameramann Nikolaus Summerer arbeitet regelmäßig mit Baran bo Odar zusammen: Gemeinsam haben sie bereits »Dark« sowie davor Odars Sechzigminüter »Unter der Sonne« und dessen Regiedebüt »Das letzte Schweigen« sowie »Who Am I – Kein System ist sicher« realisiert. Jüngere Arbeiten sind zudem die Netflix Produktion »Jadotville« sowie die Komödie »Highway to Hellas«. Für »Unter der Sonne« wurde Summerer für den Deutschen Kamerapreis nominiert, »Who Am I – Kein System ist sicher« brachte ihm den Deutschen Kamerapreis sowie eine Nominierung für den Deutschen Filmpreis ein.

Bei der Produktion von »1899«  verwendete Nikolaus Summerer im Dark Bay Virtual Production Studio zwei Arri-Kameras des Typs Alexa Mini LF (Meldung). Das geometrisch und perspektivisch angepasste, hochauflösende Bild für den Hintergrund-Screen, wurde basierend auf den Trackingdaten der A-Kamera in Echtzeit errechnet. Außerhalb der Virtual Production Stage wurde auch eine Alexa LF verwendet. Bei den Objektiven entschied sich Summerer für Arri Alfa Anamorphics (Meldung).

Was dachten Sie, als Jantje Friese und Baran bo Odar Ihnen von dem Projekt erzählten?

Nikolaus Summerer: Ein Schiff! Das fand ich spannend, auch wenn wir am Ende überhaupt nicht auf einem Schiff gedreht haben. Natürlich stellte ich mir gleich die Frage, wohin die Reise gehen soll: Wie würde diese Welt aussehen, wie sehr würde sie dem entsprechen, was sich vor meinem inneren Auge abspielte? 1899, historisch — ein Schiff zu dieser Zeit bietet zahllose grandiose Locations, die man bislang nicht oft gesehen hat. Ich habe mich auch auf die vielen besonderen Kostüme gefreut, die ich vor der Kamera sehen würde. Und da es die neue Idee von Bo und Jantje war, hat mich natürlich am meisten interessiert, wie düster die Serie wohl werden würde.

1899, © Netflix

Wie sind Sie danach vorgegangen?

Nikolaus Summerer: Wenn ich an einem neuen Projekt arbeite, lese ich für gewöhnlich erst einmal das Drehbuch, um mir eine Vorstellung zu machen, was von mir verlangt wird, was wir eigentlich erzählen wollen. Wenn ich das Drehbuch zum zweiten Mal lese, kommen die Bilder. Jetzt frage ich mich nicht mehr, um was es geht. Jetzt frage ich mich, wie es aussehen könnte.

Ich nehme mir die Zeit, eine große Bibliothek von mir gesammelter Bilder durchzugehen, beispielsweise Bilder aus anderen Filmen, Screenshots, Gemälde oder Fotografien. Mit diesen Bildern kommuniziere ich dann meine visuelle Interpretation der Geschichte und teile ein Gefühl für die zu erzählende Stimmung. In den nächsten Monaten der Vorbereitung wird sich dann Look und Mood immer weiter verfestigen.  

Nikolaus Summerer, © Netflix
Nikolaus Summerer bei den Dreharbeiten von »1899«

Mit wem teilen Sie diese Bilder?

Nikolaus Summerer: An der Arbeit mit Bo schätze ich sehr, dass die Schlüsselgewerke früh in das Projekt eingebunden werden, wie das Kostüm- oder das Szenenbild — also in diesem Fall Bina Daigeler und Udo Kramer. Die beiden bringen ebenfalls ihre Recherchen mit und berichten von ihren visuellen Ideen und was sie herausgefunden haben.

Von Udo habe ich zum Beispiel erfahren, dass es auf diesen großen Reisen an Bord Sportprogramme gab, damit sich die Menschen nicht langweilten. Das spielt dann in der Serie vielleicht keine große Rolle, aber all das hilft einem, tiefer in diese Welt einzutauchen und ein besseres Bild zu bekommen. Mit Udo habe ich bereits bei »Dark« sehr gut und kreativ zusammengearbeitet. Ich vertraue ihm voll und ganz. Er ist ein Szenenbildner, der seine Entwürfe immer auch aus der Perspektive der Kamera sieht.

Bina, mit der ich zum ersten Mal zu tun hatte, brachte schon früh viele verschiedene Stoffe mit, damit man sich anhand der Texturen vorstellen konnte, wie sie vor der Kamera aussehen würden, wie man sie ausleuchten müsste, um ein Optimum herauszuholen.

Vor allem sind diese frühen Gespräche und der intensive Austausch wichtig, um sicherzustellen, dass wir alle an einem Strang ziehen, um Bo und Jantje dabei zu helfen, ihre Vision umzusetzen.

1899, © Netflix

Was sind die Hauptkulissen von »1899«?

Nikolaus Summerer: Wir haben an vielen verschiedenen Locations gedreht. Zunächst einmal gibt es die Unterkünfte der Passagier_innen — in unserem Fall die erste und die dritte Klasse — die Wartungsräume, die Maschinenräume, die Brücke, den Speisesaal und den Kohlebunker. All diese Sets unterscheiden sich grundlegend durch verschiedene Wände und Materialien voneinander. Überall kommen Reflexionen zum Einsatz. Wenn man eine Show dreht, die so dunkel ist wie unsere, dann sind Reflexionen von grundlegender Bedeutung, weil sie den Bildern die nötige Tiefe verleihen. Das ist die Leistung von Udo und seinem großartigen Team. Sie bieten mir eine Spielfläche, in der ich mit Licht arbeiten kann, um den Räumen und nicht zuletzt den Figuren eine Form zu geben. 

Nikolaus Summerer am Set von »1899« mit Schauspieler Andreas Pietschmann, der die Rolle des »Eyk« spielt.

Kam die Arbeit im Volume Ihrem Stil der Kameraarbeit entgegen?

Nikolaus Summerer: Ich bin gern mittendrin, bediene die Kamera am liebsten selbst. Ich will den Schauspieler_innen nahe sein, will unmittelbar auf sie reagieren können und die Situation hautnah miterleben. Nur so kann ich meine Arbeit sofort anpassen und muss nicht erst Anweisungen über ein Headset geben. Das würde dann eine Verzögerung ergeben, die einen die entscheidenden Millisekunden verpassen lässt.

Ich genieße körperlich spürbare Situationen. Das entspricht meinem Selbstverständnis der Arbeit eines Kameramanns und meiner Zusammenarbeit mit Bo. Ich weiß ziemlich genau, was ihm gefällt und was er nicht mag. Unser persönlicher visueller Geschmack ist sehr ähnlich. Wir müssen nicht immer alles durchdiskutieren und sparen auf diese Weise auch viel Zeit, was bei einem Projekt dieser Größe ein großer Vorteil ist.

Im Dark Bay Virtual Production Studio haben Sie mit zwei Kameras gedreht. Die Darstellung des Hintergrunds kann ja aber immer nur auf eine Kamera optimiert sein. Wie ging das?

Ja, im Volume haben wir mit zwei Kameras gearbeitet. Eine dieser Kameras war getrackt und hat in Abhängigkeit von Brennweite, Schärfe, Bildwinkel und Kamerahöhe  ein hochauflösendes Bild auf dem Hintergrundscreen erhalten. Die zweite Kamera hat vor dem gleichen Hintergrund gefilmt. Dadurch dass die zweite Kamera mit einer längeren Brennweite ausgestattet war, war dies — mit Kompromissen und Einschränkungen — möglich. 

 

1899, © Netflix

 Philipp Klausing, Executive Producer, Dark Ways
Philipp Klausing, Dark Ways.
Interview mit Executive Producer Philipp Klausing

Philipp Klausing führt gemeinsam mit Jantje Friese und Baran bo Odar die in Berlin ansässige Produktionsfirma Dark Ways. »1899« ist die erste Produktion der Firma. Klausing leitet ebenfalls die im Studio Babelsberg errichtete Dark Bay Virtual Production Stage, eines der größten Volumes auf europäischem Boden. Klausing sammelte zunächst Erfahrungen als Unit Manager von Filmproduktionen wie »Bourne Ultimatum«, »Inglourious Basterds«, »Unknown Identity« und »Wer ist Hanna?«. Als Produktionsleiter arbeitete er an »Die Bücherdiebin«, »Lucy« und zwölf Episoden von »Homeland«. Herstellungsleiter war er unter anderem bei »The Berlin File«, »Men & Chicken« und »Hot Dog«. Im Anschluss betreute er die beiden letzten Staffeln von »Dark«« und arbeitet seither mit Jantje Friese und Baran bo Odar zusammen.

Können Sie erzählen, wie man eine solche Show auf die Beine stellt?

Philipp Klausing: Von Anfang an stand fest, dass es eine in Europa verankerte Geschichte mit einem internationalen Ensemble sein würde, gedreht in den jeweiligen Sprachen der Figuren. Diese Grundidee fanden wir ungemein reizvoll und wollten sie bewahren.

Damals gab es gerade den ersten großen Lockdown, und wir mussten nach Möglichkeiten suchen, eine große paneuropäische Serie inmitten einer Pandemie zu entwickeln, vorzubereiten und zu drehen. Es war undenkbar, mit einem Tross von 200 Mitarbeiter_innen durch Europa zu reisen und an all den verschiedenen Orten zu drehen, die in den Drehbüchern vorgesehen waren, ohne ein substanzielles Risiko einzugehen.

Bo und Jantje mussten also einen anderen Weg finden, das Projekt umzusetzen, ohne die Grundidee einer großen internationalen Geschichte aufzugeben. Eines Tages, wir waren noch mit »Dark« beschäftigt, fragte Bo unseren Kameramann Nik Summerer und mich, ob wir schon einmal von virtueller Produktion gehört hätten. Das sei eine reizvolle Idee, der wir nachgehen sollten.

1899, © NetflixWelche Vorzüge hat es, in einem Volume zu drehen?

Philipp Klausing: Im Gegensatz zur Arbeit vor einem Greenscreen können die Schauspieler_innen miteinander agieren, sie wissen, wo sie sich befinden. Sie können sich auf Objekte fokussieren, die sonst erst in der Postproduktion hinzugefügt werden. Ich würde sagen, dass es eine überaus zufriedenstellende Arbeitsweise ist, und bin überzeugt, dass in der Zukunft viele Kreative darauf zurückgreifen werden. 

Was bedeutet es für das Filmschaffen in Deutschland oder sogar Europa, dass diese Art des Filmemachens fortan im Studio Babelsberg als feste Einrichtung zur Verfügung steht?

Philipp Klausing: Ich denke, man muss sich erst einmal damit auseinandersetzen, was es bedeutet, wenn wir über virtuelle Produktion sprechen.

Für mich ist es kein Werkzeug, das man mietet, und auch nicht wirklich eine Technologie. Ich würde es eher als Methodik bezeichnen – ein Produktionsprozess, aus dem man großen visuellen Nutzen ziehen kann, der aber von den Filmschaffenden als Team angewandt werden muss.

Künftig wird es möglich sein, Projekte ganz anders zu denken. Man kann von Berlin aus eine Geschichte erzählen, die in New York spielt, auf dem Mars, in einer dystopischen Zukunft oder einer historisch verbürgten Vergangenheit und abends mit der S-Bahn nach Hause fahren. Für mich definitiv ein Gamechanger, der uns hilft, nachhaltiger zu produzieren, gleichzeitig aber erlaubt, visuell konkurrenzfähige Produkte zu generieren.

1899, © Netflix

Was haben Sie gelernt?

Philipp Klausing: Unser kreatives Team um Jantje, Bo, Nik und Udo hat es geschafft, die Technik anzuwenden, ohne seinen gewohnten cineastischen Anspruch einzubüßen. Wir haben große Teile der kreativen Kontrolle in den Produktionsprozess zurückgeholt und es ist uns gelungen, unter Einbeziehung klassischer Filmtechnikexpertise aus dem Kulissenbau, aus der Licht- und Kameratechnik sowie den Spezialeffekten die Restriktion des begrenzten Raums der Studioumgebung in einem Volume aufzuheben.

Es ist richtig, Mut zu beweisen und sich den Herausforderungen zu stellen. Man kann künftig völlig frei sein bei der Ausgestaltung seiner Geschichten, kann sie so erzählen, wie man es für richtig hält. Man ist nicht mehr gebunden an Drehorte und andere Limitierungen, die einem bisher das Leben als Geschichtenerzähler schwer gemacht haben, sondern kann sich seine Welt so bauen, wie man sie sich vorstellt. All das ist jetzt möglich!

Dark Bay Virtual Production Studio
Grundriss des Dark Bay Virtual Production Studio.