Kamera, Making-of, Postproduction, Test, Top-Story: 17.09.2020

Nachtdreh mit der S1H

Moderne, digitale Kameras haben eine ganz neue Qualität von Nachtszenen ermöglicht: Die Nacht kann heute im Film ganz anders aussehen als früher. Ein Erfahrungsbericht vom Drehen mit der Panasonic-Kamera S1H.

S1H, Nachtdreh, © Sas Kaykha
Wir waren die ganze Nacht mit Fahrrädern auf dem Nachtdreh unterwegs.

Nachtdreh

Wir waren die ganze Nacht mit Fahrrädern unterwegs, dementsprechend kompakt war das Setup. Die S1H mit dem 50-mm-Objektiv wurde auf dem Gimbal DJI Ronin-S verwendet.

S1H, Nachtdreh, © Sas Kaykha
Ergänzend wurden zwei einfache, preisgünstige LED-Flächenleuchten eingesetzt.

Ergänzend wurden zwei einfache, preisgünstige LED-Flächenleuchten eingesetzt (Neewer), die mit NP-F970-Akkus von Sony betrieben wurden. Die Farbtemperatur dieser Leuchten kann man nur relativ unspezifisch zwischen warm und kalt umschalten — wichtigstes Kriterium waren Preis und niedriges Gewicht. Überraschend positiv: Die LED-Leuchten hatten nach zwei Stunden Dauerbrennen gerade mal 40 % ihrer Ladung aus den Akkus gesaugt.

Filmtechnik-Nachtgeschichte(n)

Stanley Kubrick drehte das Historiendrama »Barry Lyndon« und brachte es 1975 in die Kinos (Trailer). Dieser Film wurde — so wird zumindest kolportiert — ohne elektrische Lichtquellen gedreht. Auch in den Nachtszenen wurden demnach nur Kerzen und Feuer eingesetzt. Das war insgesamt in dieser Zeit eine sehr große Herausforderung: Es wurden spezielle lichtstarke Optiken verwendet (Planar 50 mm mit F0.7, die Zeiss ursprünglich für die NASA hergestellt hatte). Außerdem wurde empfindlicheres Filmmaterial verwendet, und das um eine Blende unterbelichtete Material wurde in der Filmentwicklung chemisch gepusht.

»Collateral« wurde teilweise mit der Viper gedreht.

»Collateral« von Michael Mann aus 2004 spielt weit überwiegend nachts (Trailer). Dabei wurde unter anderem auch eine Thomson Viper eingesetzt, eine frühe Digitalkamera, die eine extreme elektronische Verstärkung erlaubte. Dadurch konnten die imposanten Nachtaufnahmen verwirklicht werden.

Plakat »Bladerunner 2045«.

Ein frappierendes Beispiel, wie sich das Bild der Nacht im Lauf der Filmtechnik verändert hat, kann man beim Vergleich von »Bladerunner« aus dem Jahr 1982 (Trailer) und »Bladerunner 2049« aus dem Jahr 2017 (Trailer) sehen.

Andere historische Filme, die ganz unterschiedliche inhaltliche und gestalterische Darstellungen und Interpretationen der Nacht zeigen, sind »Kopfüber in die Nacht« von John Landis aus 1985 (Beispiel) und »Night on Earth« von Jim Jarmusch aus 1991 (Trailer).

S1H, Nachtdreh, © Sas Kaykha
Die S1H lief bei dieser Produktion in 5,9 K mit V-Log.

Aus den Anfängen der DSLR-Filmerei wissen viele noch (auch bedingt durch die damals gängige 8-Bit-Quantisierung), dass es bei Dunkelheit eher Sinn ergibt, nicht in Log zu drehen. Durch die Basis-ISO von 4.000 erhöht man aber schon allgemein die Helligkeit, hinzu kommt dann die wirklich gute 10-Bit-Signalverarbeitung der Kamera, insofern habe ich mich für Log entschieden: Die S1H lief bei dieser Produktion in 5,9 K mit V-Log.

Die S1H bietet verschiedene Modi für Dual-Native-ISO: Low, High und Automatic. Aus meiner bisherigen Erfahrung heraus würde ich empfehlen, die Automatik nicht zu benutzen, denn ich bin mir nicht sicher, inwieweit direkt einstrahlendes Licht sie durcheinanderbringt.

S1H, Nachtdreh, © Sas Kaykha
Die Obergrenze für die ISO betrug 8.000.

Die Obergrenze für die ISO betrug 8.000. Bei wenig Licht fängt es darüber schnell an zu rauschen. Sofern genügend Licht vorhanden war und ich durch eine höhere ISO eine weiter geschlossene Blende verwirklichen wollte, hätte ich durchaus auch höher gehen können.

Das Tolle an so hohen ISO-Werten ist, dass sich jede noch so kleine Lichtquelle immens verstärkt. Hier muss man beim Drehen nur aufpassen, damit die schönen Lichter nicht ausbrennen.

Was natürlich sofort ins Auge sticht, ist der Himmel. Bei klaren Nächten hat man jetzt automatisch einen Sternenhimmel (selbst hier in der Großstadt) und muss ihn nicht wie bei vielen 1990er-Jahre-Serien mehr schlecht als recht im Schnitt hinzufügen.

DJI, Ronin S
Mit dem Ronin S können Kameras wie die S1H gut kombiniert werden.

Der Ronin-Gimbal (Praxistest) funktioniert mit der S1H wirklich gut. In Verbindung mit dem relativ korpulenten 50-mm-Objektiv ist das Setup zwar nicht gerade leicht, aber das Ergebnis entschädigt.

S1H, Nachtdreh, © Sas Kaykha
Im Vorfeld hatte ich viele Parallelfahrten geplant.

Natürlich ist bei einer so offenen Blende die Schärfe ein zentrales Element. Im Vorfeld hatte ich viele Parallelfahrten geplant, um dem etwas entgegen zu arbeiten. Das Peaking der Kamera sehe ich bei Nachtdrehs eher kritisch, daher habe ich sehr oft die Zoom-in-Funktion genutzt, um die Schärfe nachzukorrigieren.

Sehr hilfreich: Die S1H bietet auch einen »Night Mode«, der die Display-Beleuchtung etwas dimmt, so dass der Helligkeitsunterschied beim Blickwechsel aufs Motiv nicht zu groß ist.

Panasonic, Kamera, S1H
Um die Bedienung weiter zu erleichtern, haben Panasonic-Kameras eine Vielzahl an »Fn«-Buttons.

Um die Bedienung weiter zu erleichtern, haben Panasonic-Kameras eine Vielzahl an »Fn«-Buttons. Einfach länger auf einen Knopf der Kamera drücken, und schon kann man ihn mit seiner Lieblingsfunktion belegen. In meinem Fall habe ich die Wasserwaage und die Umstellung der Basis-ISO sowie die Waveform-Anzeige als Shortcut angelegt.

Waveform und Zebra waren die Werkzeuge, mit denen ich die Belichtung bestimmt habe. Auf die Belichtungsanzeige der Kamera, die mir sagt, um wie viele Blenden ich über- oder unterbelichte, wollte ich mich nicht verlassen, denn dafür gab es einfach zu viele Helligkeitsunterschiede im Bild. Die Spotmessung der S1H hingegen eignet sich hervorragend, um die Helligkeitswerte der einzelnen Lichtinseln im Bild zu kontrollieren.

S1H, Nachtdreh, © Sas Kaykha
Das Bokeh ist schön rund, und auch die Sternstrahlen der Lichter werden schön dargestellt.

Beeindruckt haben mich das Objektiv und dessen Bildeigenschaften. Das Bokeh ist schön rund, und auch die Sternstrahlen der Lichter werden schön dargestellt. Wichtig, um vernünftig fokussieren zu können, ist nur die Umstellung der Fokusführung auf Linear. Es ist natürlich schon etwas schwer, aber zum Beispiel auf dem Ronin hat das für eine perfekte Balance gesorgt, da der Body der S1H ja ebenfalls groß ist.

Die preisgünstigen LED-Panels, die wir nutzten, waren eine wirklich gute Entscheidung. Sie sind so kompakt, dass sie problemlos in einen Rucksack passten.

S1H, Nachtdreh, © Sas Kaykha
Auch als im Bild sichtbare Lichtquellen wurden die LED-Panels beim Nachtdreh eingesetzt.

Da, wie bereits erwähnt, eine hohe ISO jede noch so winzige Lichtquelle verstärkt, musste ich stark aufpassen, dass nichts ausbrennt. Die LED-Leuchten sollten den ursprünglichen »Nacht-Look« nicht beeinträchtigen; daher dienten sie meist nur als leichter Aufheller oder als Verstärkung für bereits vorhandenes Licht. Aber auch als im Bild sichtbare Lichtquellen, also als »Practicals«, waren sie im Einsatz.

S1H, Nachtdreh, © Sas Kaykha
Die einzelnen Lichtquellen bei Nacht liefern per se ja schon harte Kontraste, und um das Ganze noch zu verstärken, kann man hier natürlich auch mit verschiedenen Farben arbeiten.

Die einzelnen Lichtquellen bei Nacht liefern per se ja schon harte Kontraste, und um das Ganze noch zu verstärken, kann man hier natürlich auch mit verschiedenen Farben arbeiten. Blaugrün-Orange ist hier wohl der bekannteste Farbkontrast, aber man kann natürlich jede beliebige Kombination von Komplementärfarben nutzen. Da es sich ja um einen Dreh mit fast nur vorhandener Beleuchtung handelte, war ich da etwas eingeschränkt und musste auf die Lichterfarben vor Ort reagieren.

Seite 1: Einleitung, S1H als Nachtkamera, Video
Seite 2: Nachtdreh, Kasten: Filmtechnik-Nachtgeschichte(n)
Seite 3: Konkretes Beispiel
Seite 4: Schnitt, Video, Fazit


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