Filmtipps für das 35. Dokfest München
Am 6. Mai 2020 beginnt das 35. Internationale Dokumentarfilmfestival München – ohne Publikumspräsenz, mit einer Online-Übertragung. Anschließend wird es bis zum 24. Mai 2020 möglich sein, 121 Filme aus 42 Ländern online anzusehen.
Mitte März 2020 wurde klar, dass wegen der Corona-Krise auch Anfang Mai noch kein Festival würde stattfinden können. Das Dokumentarfilmfestival München musste also die Entscheidung fällen, ganz abzusagen oder zumindest eine Online-Version auf die Beine zu stellen. Zu diesem Zeitpunkt war ein großer Teil der organisatorischen Arbeit schon geleistet, und die Geldgeber des Festivals favorisierten es, eine Online-Version durchzuführen.
Das Online-Experiment findet nun statt: Ohne Publikumspräsenz und in etwas reduziertem Volumen, denn ungefähr 25 % der Filmeinreicher hatten – aus welchen Gründen auch immer – ihre Filme zurückgezogen.
Regeln
Die Filme können (bis auf wenige, zeitlich beschränkte Ausnahmen) von Donnerstag, dem 7. Mai bis zum 24. Mai 2020 kostenpflichtig online geschaut werden. Interessenten müssen sich mit einer E-Mail-Adresse auf der Seite des Dokfest München anmelden. Die Tickets kosten pro Film 4,50 Euro – und wer will, addiert eine Kinospende und zahlt dann 5,50 Euro. Bezahlt wird über Paypal oder per Kreditkarte. Vielnutzer können eine Festivalkarte für 50 Euro kaufen, die — bis auf wenige Ausnahmen — zum Anschauen aller Filme berechtigt ist.
Die Filme sind nur in Deutschland verfügbar, einige auch nur für eine vom Rechteinhaber definierte Anzahl von Zuschauern. Nach dem ersten Start des Films kann jeder Zuschauer den Livestream des Films unterbrechen und dann innerhalb von 24 Stunden zu Ende sehen. Ein Herunterladen des Films ist aus rechtlichen Gründen nicht möglich. Ein Wasserzeichen macht eine illegale Weiterverbreitung nachvollziehbar.
Das 35. Dokfest München in Zahlen (2019 in Klammern):
- 121 Filme (159)
- 42 Länder (51)
- 21 Weltpremieren (30)
- 69 Deutschlandpremieren (79)
- 14 Wettbewerbe und Preise (15)
- 0 Spielorte in München (20)
- 87 Filmgespräche (71)
- ?? erhoffte Besucher (52.000)
Trends 2020
Der Doku-Kameramann Hans-Albrecht Lusznat hat einige Filme schon gesehen und gibt hier seine ganz persönlichen Tipps ab. Weil es dieses Jahr sehr wenig Vorlauf gab, konnte er auch nur wenige Filme vorab sehen und eine Auswahl treffen. Er betont: »Diese Auswahl ist recht zufällig und mit 20 Filmen natürlich nicht unbedingt repräsentativ.«
In den Filmen, die er vorab sehen konnte, konnte Lusznat aber dennoch einige Überschriften und Trends erkennen.
Kein Kommentar
Keiner der hier vorgestellten Filme verwendet einen Kommentar. Das Credo vieler Dokumentarfilmer und -experten: Kommentar ist suspekt. Vor allem im Dokumentarfilm und für die Festivalteilnahme ist er teilweise sogar ein ungeschriebenes Ausschlusskriterium.
Warum ist das so? Kommentare behaupten und unterstellen den Bildern Dinge, die sich der Autor denkt. Mit dem primitiven Mittel des gesprochenen Worts drängt der Filmemacher die Zuschauer in eine bestimmte Richtung und spart sich die Arbeit, seine Informationen bildlich zu belegen. Kommentar ist ein beliebtes Stilmittel des Fernsehens, wo auch das Offensichtliche kommentiert werden muss.
Dokumentarfilm ohne Kommentar bedeutet jedoch leider nicht, dass der Dokumentarfilm wahrhaftiger geworden ist. Die Dokumentarfilmer sind heute nur raffinierter im Umgang mit ihren Mitteln. Das Bild ist für den Zuschauer längst nicht mehr ein visuelles Ersterlebnis mit Individualerfahrung. Film und Fernsehen haben Bilderwelten erschaffen, die im kollektiven Gedächtnis unabhängig von einzelnen Filmen existieren und gemeinsamen Stimmungslagen zugeordnet werden können. Man kann sich das wie Memory-Kärtchen vorstellen, bei denen Bilder bestimmte Themen symbolisch darstellen. In manchen Filmen werden jetzt diese Symbolbilder aufgerufen, um bestimmte Themen abzuhandeln. Inzwischen sind in manchen Filmen die Bilder selbst zum Kommentar geworden.
Kameraarbeit
Die Kameraarbeit findet allgemein auf hohem Niveau statt, und das Beherrschen einer Bildsprache ist eine Allgemeinkompetenz der jungen Generation.
Es gibt mehrere Filmpassagen im Nebel (Vivos / Uta) und sehr oft eine mit der Wasserwaage austarierte Perspektive, wie in der Architektur-Fotografie und deutlich beeinflusst von der Düsseldorfer Photoschule. Schattentheater wie von Lotte Reiniger ist eines der neueren Mittel neben Animation, um schwierigen Themen zu Leibe zu rücken (Paris – kein Tag ohne Dich / Halb Traum). Manchmal müssen die Mittel nicht aufwändig sein, und eine nur auf den Kopf gestellte Autofahrt in Paris (Paris – kein Tag ohne Dich) versetzt einen augenblicklich in die verrückte Situation der Protagonistin.
Themenschwerpunkt China
China ist unausgesprochen das Land des Dokfests 2020, ob es nun um die Maßnahmen geht, mit denen die Regierung die Einwohner von Hongkong unter Kontrolle bringen will (Hongkong Moments), um chinesische Wirtschaftsaktivitäten in Afrika (Days of Cannibalism), ein chinesisches Tunnelprojekt in Georgien (A Tunnel), die Umsiedlung einer Minderheit (Qiang’s Journey), oder den Künstleralltag (Halb Traum): kein Land ist so vielfältig in der Filmauswahl des Dokfests vertreten.
Seite 1: Einleitung
Seite 2: Babenco, Hong Kong Moments, Qiangs’s Journey, Vivos, Acasa my Home, Passion
Seite 3: Uta, Vater mein Bruder, Paris, They Call me Babu, The Letter, Overseas
Seite 4: A Tunnel, Suspension, Days of Cannibalism, Il Piantet in Mare, This Train I Ride, Mating
Seite 5: Unskinned, Workhorse, Halb Traum, Lost In Face, Walchensee Forever, Letztes Jahr Titanic
Keine Story mehr verpassen und einfach den Newsletter abonnieren: |