Dokfest München 2017: Vorschau und Empfehlungen
Am Donnerstag den 3. Mai 2017 beginnt das 32. Internationale Dokumentarfilmfestival München mit einem Programm aus 157 Filmen aus 45 Ländern. Der Doku-Kameramann Hans Albrecht Lusznat hat einen Teil der Filme schon gesehen und gibt hier seine ganz persönlichen Tipps und Bewertungen ab.
El Color des Camaleon
Es fängt ganz harmlos an: mit privaten Videoaufnahmen skifahrender Kinder. Die 4:3-Aufnahmen sind schon gute 20 Jahre alt. Dann ist ein Kameramann zu sehen, der sich eine Schutzweste anzieht, um an der Mauer zwischen Israel und Palästina zu berichten. Es geht um den Krisenreporter Jorge Lübbert. Sein Sohn Andrés Lübbert berichtet.
Immer wieder machen Söhne Filme über den Vater, um Brüche in der Kommunikation zu verarbeiten. Bei diesem Film spürt man schon am Anfang, dass es einen gewaltigen Bruch gibt – der Vater kann oft nicht antworten, bittet um Zeit. Er ist während der Pinochet-Zeit aus Chile in die DDR geflohen. Aber das ist nur ein Teil der Geschichte. Das erfährt der Sohn, als er in den Stasi-Unterlagen des Vaters liest. Langsam dringt man in eine verworrene Vergangenheit vor, in der die Rolle des traumatisierten Vaters zwischen Opfer und Täter schwankt.
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Swagger
Der Film beginnt mit einem Drohnenflug durch eine nächtlich Großstadt-Siedlung. Die Kamera schwebt Engels gleich vom Himmel herab, passiert die Hochhausfronten mit ihren erleuchteten Fenstern, um dann auf ein offenes zuzusteuern. Dahinter kann man schon aus der Ferne ein schwarzen Jungne an einer Nähmaschine erkennen. Schließlich endet der Flug im Zimmer bei dem Jungen: Ein Drohneneinsatz vom Feinsten.
Von elf Kindern/Jugendlichen in einer Vorstadt im Norden von Paris handelt dieser Film, fast alle dunkelhäutig, alle sind Migranten-Kinder. Sie besuchen den Collège Claude Debussy in Aulnay- Sous-Bois und erzählen über ihr Alltagsleben, über die Beziehung zu den Franzosen, über ihre Zukunftsvorstellungen, ihre Träume und Ängste. Das alles ist gut fotografiert als fiktives Gespräch angeordnet mit einer immer wieder über die Achse springenden Gesprächsführung, bei der scheinbar jeder jedem zuhört. Unterbrochen wird der virtuelle Dialog durch Alltagsszenen und Selbstinszenierungen der Jugendlichen. Mit dem Titel sind wir wieder bei dem Jungen an der Nähmaschine, der sich besonders lässig und cool kleidet: swagger.
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Auf dünnem Eis – die Asylentscheider
Drei und drei als Grundformel der Dramaturgie: Drei Asylbewerber, aus dem Iran, Afghanistan und dem Sudan werden in diesem Film während ihrer Anhörung bei drei Entscheidern gezeigt, beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in Bingen und in Hamburg. Es ist ein schwieriges Geschäft und im Jahr 2016 hat es 745.545 Anträge gegeben, die 1.775 Entscheider bearbeiten sollten. Nach dem Gesetz müssen sie für jeden Einzelfall prüfen, ob das Asylrecht zutrifft.
Zwischendurch erfährt man mehr über die fünfwöchige Ausbildung der Entscheider in Nürnberg. Einer aus diesem Crashkurs führt dann am Ende des Films selbst eine Befragung durch. Letztlich begreift man das Dilemma der Entscheider: Einerseits fühlen sie mit Flüchtlingen mit und sehen deren Schicksale, andererseits müssen sie eine dem Gesetz entsprechende und dem Fall angemessene Entscheidung treffen.
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Wrong Elements
Der Busch ist das unspektakulär zugewucherte Land, das sich über den Norden von Uganda erstreckt. Geofrey wurde mit 13 Jahren von den Rebellen der LRA des Joseph Kony entführt und zum Kindersoldaten gemacht. Die Lord`s Resistence Army (LRA) ist eine im Norden Ugandas und im Süd-Sudan operierende esoterisch-militante Terrorgruppe, deren Umtrieben mehr als 100.000 Menschen zum Opfer fielen. 60.000 Kinder wurden entführt, Geofrey, sein Freund Mike die Freundin Nighty konnten nach mehreren Jahren entkommen und versuchen nach einer Amnesty ins normale Alltagsleben zurückzufinden.
Für den Film werden erlebte Szenen nachgestellt und die drei begeben sich auf die Suche nach Spuren ihrer ehemaligen Lager. Dabei schwelgen sie auf der einen Seite in Erinnerungen, als ob die Vergangenheit ein Ausflug ins Feriencamp gewesen wäre. Auf der anderen Seite kommen immer wieder Brüche zum Vorschein, die seelische Verletzungen.
Die Filmemacher begleiten die ugandische Armee auf der Suche nach der LRA, und unter den Soldaten befindet sich ein Überläufer. Der Film ist in 4:3 gedreht.
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Nowhere to hide
Ein Mann im weißen Gewand kommt in der Wüste auf die Kamera zu. Ganz dicht vorm Objektiv, so als halte er das Gerät selbst, spricht er über seine Not, über die Hoffnungslosigkeit der Situation. Früher, im Dezember 2011, arbeitet Nori Scharif im Jalawla Hospital im Irak als Krankenpfleger und Sanitäter in der Ambulanz. Seit dem Abzug der Invasionsarmee der »Koalition der Willigen« 2010 herrscht Bürgerkrieg im Irak. Entsprechend hektisch ist die Situation im Krankenhaus. Der Filmemacher rüstet Nori mit einer Kamera aus und bittet ihn, den Alltag und die Situation im Irak zu dokumentieren, und diese Aufgabe nimmt er ernst. Mit der Kamera besucht er die Opfer von Schießereien und Bombenattentaten, Leute, die zuvor im Krankenhaus waren, und befragt sie. Dazwischen filmt er seine Familie, den Alltag im Irak. Geschickt sind die Aufnahmen des Filmemachers mit den Bildern von Nori verwoben. Die Kämpfer des IS rücken vor, der Krieg kommt näher und Nori filmt nur mehr sich und seine Familie auf der Flucht. Interessant ist, wie sich Noris Ausdrucksweise mit der Kamera verbessert. Unbegreiflich bleibt, wer in diesem Land gegen wen kämpft und welchen Sinn der Terror hat. Man ist mitten drin, wie die anderen 30 Millionen Iraker.
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