Dokfest München 2016: Vorschau und Empfehlungen
Am Donnerstag den 5. Mai 2016 beginnt das 31. Internationale Dokumentarfilmfestival München mit einem Programm aus 151 Filmen aus 46 Ländern. Der Doku-Kameramann Hans Albrecht Lusznat hat einen Teil der Filme schon gesehen und gibt hier seine ganz persönlichen Tipps und Bewertungen mit einer Abstufung von null bis zu fünf Sternen ab.
Cyclique
Die junge Frau mit dem Fahrradhelm erhält letzte Anweisungen für ihre Tour, dann geht es mit dem roten Rucksack los, in rasanter Fahrt über rote Ampeln, durch die Straßen von Lausanne: »Wenn ich auf meinem Fahrrad sitze, dann fühle ich mich manchmal, als ob ich fliege«. Drei Fahrradkuriere von Velocity, Caroline, Ralph und Matila, beobachtet der Filmemacher bei ihrer Arbeit. Sie sind zwischen 20 und 30, zwischen Ausbildung und Beruf, genießen die Freiheit und auch den Rausch dieser Arbeit und wissen doch, dass es nur eine Phase im Leben ist, die irgendwann ein Ende haben muss. Die Kamera bleibt immer nah an den Personen, während der Fahrten eine bewundernswerte Leistung. Wenn Ralph mit der Freundin in die Badewanne steigt, dann auch, um den Fahrradschlauch auf Dichtheit zu testen. Am Ende geht er nach Kanada und Caroline aus der ersten Szene findet eine Möglichkeit, ihrem Traumjob Journalismus näher zu kommen.
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Arctic Superstar
Nils Rune Utsi ist Rapper und tritt unter dem Namen SlinCraze auf. Das ist nichts Besonderes, aber er lebt in Masi, in Nord-Norwegen und rappt in Sami, einer Minderheitensprache, die schätzungsweise noch von 24.000 Einwohnern in den nordischen Ländern gesprochen wird. Der Film begleitet ihn ein Stück auf dem Weg seiner Kariere, die in den schneebedeckten Weiten des Nordens recht mühsam ist.
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Hinter dem Schneesturm
Ein alter Mann sitzt in einem Rollstuhl am Fenster. Der Enkel kümmert sich um den Pflegefall und fängt an, Fragen zu stellen. Woran denkt der Großvater? Schnell landet das karge Gespräch beim Thema Krieg. Der Großvater war als Soldat in Mariupol in der Ukraine. Dort hat er während der Besatzungszeit zwischen 1941 und 1943 Fotos gemacht. Der Enkel fährt in die Ukraine und sucht nach Zeitzeugen der Massaker an den Juden. Daheim berichtet er dem Großvater. Der kann sich kaum erinnern, letztlich bleibt alles im Ungewissen.
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Herkules
Ein älterer Mann schleppt Pakete mit Briketts die Treppe eines Altbaus hinauf und stellt sie in einer Kammer ab. Früher hat er 100 kg getragen, erzählt er, während ihn die Kamera bei seiner Tour begleitet und es wird klar, dass sich Filmemacher und Kohlenträger schon länger kennen. Es hat schon einen Film über den türkischen Kohlenhändler gegeben, 15 Jahre früher in schwarz weiß gedreht, der einen Teil des neuen Werkes ausmacht. Zentrum des Familienlebens ist ein kleiner Laden in Kreuzberg, in dem die Mutter sitzt, und die Geschäfte koordiniert und in die Kamera erzählt, wie sie verheiratet worden ist, den von den Eltern gewählten Mann erst nicht wollte und sogar angezeigt hat, was ihr dann später für Jahre Probleme mit den Behörden eingebracht hat. Er ist Kohlenhändler geblieben, weil die alternativen Geschäftsideen mit einer Bäckerei oder Kneipe nicht funktioniert und nur Verluste eingefahren haben. Am Schluss des Films sitzt Herkules im Laden, ist immer noch Kohlenhändler und sinniert über das vergangene Leben und bekommt Lob von seinem Sohn, dem Schauspieler Oktay Özdemir.
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Kandahar Journals
Der Ich-Erzähler ist Fotograf und begleitet den Krieg in Afghanistan mit seinen Fotos, Filmaufnahmen und einem Tagebuch. Verloren irrt eine Patrouille von Nato-Soldaten durch die ländlichen Gebiete um Kandahar, auf der Suche nach einem Feind, der im Bürgerkrieg nicht so leicht zu sehen ist. Der Filmemacher versteht diesen Krieg genauso wenig wie der Zuschauer, immerhin bekommt man mit, wie sinnlos sich das Ganze anfühlt.
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Eva Hesse
Eva Hesse war eine der bedeutendsten Künstlerinnen der 60er Jahre. In dem Portrait wird an Hand von Fotos, Filmaufnahmen, Tagebuchtexten und Zeitzeugenerinnerungen ein dichtes Bild ihres Schaffens vermittelt.
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Ukrainian Sheriffs
Viktor und Volodya sind die vom Bürgermeister eingesetzten Sheriffs im ukrainischen Dorf Stara Zburjivka und fahren mit ihrem sandfarbenen Lada zu den Nachbarn, wenn es Probleme gibt, um die Ordnung aufrecht zu erhalten. Dabei sind sie mehr Sozialarbeiter und versuchen Streit und Probleme zu schlichten. Meist gibt es eine einvernehmliche Lösung. Soll die Polizei aus der entfernten Station anrücken, müssen die Bürger die Benzinkosten erstatten. Hoch oben in einem Ausguck hockt ein weiterer Kollege und behält das flache Land mit den vereinzelten Hütten im Auge. Als der Konflikt mit Russland sich zuspitzt, ist auch ihr Dorf betroffen.
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Master&Tatyana
Vita Lukus (1943-1987) war ein litauischer Fotograf aus Vilnius. Am 16. März 87 sprang er vom Balkon seiner Wohnung in den Tod. Eine Nachbarin, die der Filmemacher zufällig trifft, kann sich erinnern. Zurück blieb seine Frau Tatyana, die mit dem Fotoarchiv und zwei Kleidern nach dem Fall des Eisernen Vorhangs in die USA emigrierte. Jetzt hat sie für eine große Ausstellung der meist unbekannten Arbeiten das Werk von Lukus zurück nach Litauen gebracht. Der Film lebt wesentlich von den eindrucksvollen Fotos, die Vita Lukus geschaffen hat.
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