ARD-Nachrichtenstudio: Grande Dame — modernisiert
Seit Ostersamstag 2014 werden die Nachrichtensendungen der ARD aus einem komplett neuen Nachrichtenstudio gesendet. Anfangs wurde viel über den neuen Look, die Kosten des damit verbundenen Modernisierungsprojekts und die Verzögerungen bei der Umsetzung gesprochen. Mittlerweile haben sich die Zuschauer längst an die geänderte Präsentationsform der Nachrichtensendungen gewöhnt. Zeit also, einen unvorbelasteten Blick auf die Technik zu werfen, die hier zum Tragen kommt. film-tv-video.de war vor Ort und hat mit den Technik-Verantwortlichen gesprochen.
Die »Tagesschau« gibt es seit nunmehr über 60 Jahren und diese tägliche Nachrichtensendung kann man getrost als »Grande Dame« der deutschen Nachrichtensendungen bezeichnen: Sie gilt nach wie vor als Institution im Nachrichten-Business und als Hort zuverlässiger und seriöser Berichterstattung. Auch die »Tagesthemen« gehören unverändert zu den »Fixsternen« sehr vieler deutscher Fernsehzuschauer. Man ist jedoch heutzutage flexibler, wann und wo man diese Nachrichten anschaut — dank des On-Demand-Angebotes, etwa in Form der App.
Bei Sendungen mit so starker Publikumsbindung, wie »Tagesschau« und »Tagesthemen« sie haben, wird natürlich jede Veränderung besonders kritisch beäugt — und wenn dann beim Einbau eines neuen Studios Probleme auftreten und Terminpläne nicht eingehalten werden, sind negative Schlagzeilen vorprogrammiert.
Dass die Modernisierung des Looks der ARD-Nachrichtensendungen aber insgesamt gelungen ist, das signalisiert unter anderem auch eine »Stern«-Umfrage vom 29.4.2014 knapp drei Vierteln der Zuschauer gefällt demnach die neue Nachrichten-Präsentation, bei den jungen Zuschauern zwischen 14 bis 29 liegt die Zustimmung noch höher.
Vielleicht wäre es tatsächlich schöner gewesen, wenn die Fertigstellung des neuen Studios und der neuen Präsentationsform rechtzeitig zum 60. Jubiläum der Tagesschau im Dezember 2012 geklappt hätte. Und natürlich sind knapp 24 Millionen Euro Investitionsvolumen viel Geld — besonders aus der Sicht von Außenstehenden. Aber wie eingangs versprochen, geht es in diesem Artikel ohnehin nicht um die Begleitumstände, sondern um die sehr anspruchsvolle Technik dieses Projekts.
Hintergrund
Die gemeinsamen Nachrichtensendungen der ARD werden in einem Studio in Hamburg-Lokstedt produziert. Zuständig ist dafür der Bereich ARD-aktuell. Das ist eine Gemeinschaftsredaktion sämtlicher Landesrundfunkanstalten, die neben »Tagesschau« und »Tagesthemen«, das »Nachtmagazin«, die »Tagesschau24« und bislang auch den »Wochenspiegel« produziert. ARD-Aktuell ist auf dem Gelände des NDR in Hamburg-Lokstedt untergebracht. Dort sind aktuell rund 300 Mitarbeiter beschäftigt, um die gemeinsamen Nachrichtensendungen der ARD zu produzieren.
Mit dem neuen Studio ersetzte ARD-Aktuell das bestehende Nachrichtenstudio, das schon deutlich mehr als zehn Jahre täglicher Nutzung auf dem Buckel hatte. »Wir haben bei diesem Projekt aber nicht nur das Studio selbst modernisiert, also das, was für den Zuschauer unmittelbar sichtbar ist, sondern auch nahezu die komplette Studiotechnik, also etwa Kameras, Licht, Verkabelung und Mischpulte. Die vollständige, durchgängige Umstellung auf HD und file-basierte Workflows wurde damit umgesetzt«, erläutert Produktionsdirektor Dr. Michael Rombach.
Einige Elemente der vorhandenen Infrastruktur konnten modernisiert werden, etwa die Quantel-Server, die ein Update erhielten und deren Kapazität aufgestockt wurde, aber der weit überwiegende Teil der Technik musste ersetzt und neu angeschafft werden. Ob das neue Studio eine gleich lange Laufzeit haben wird, wie das alte, muss sich angesichts des beschleunigten Technologiewandels sicherlich erst noch erweisen, aber »wir streben in jedem Fall eine Laufzeit von mindestens zehn Jahren an«, sagt Dr. Rombach.
Die Gesamtinvestition für das neue Studio beziffert ARD-aktuell mit 23,8 Millionen Euro. Dieses bereits in der frühen Planungsphase festgelegte Budget konnte trotz der zeitlichen Verzögerungen eingehalten werden. In diesem Betrag sind neben der Technik selbst, auch die Wartungsverträge für mehrere Jahre und die Schulungsmaßnahmen für die Mitarbeiter enthalten.
Dr. Rombach merkt dazu an, dass dieser Betrag — auch im weltweiten Vergleich — durchaus konkurrenzfähig sei.
Neues Design
Was sind die wichtigsten Veränderungen im Look und in der Präsentationsform, die das neue Studio mit sich brachte?
Der Vorspann wurde auf der Bild- und Tonebene modernisiert. In der vollkommen neuen Studio-Umgebung stehen zwei separate Moderationstische vor einer riesigen, gebogenen Medienwand. Alles ist als reales Studioset ausgeführt, es handelt sich nicht um ein Greenscreen-Studio.
Die Medienwand wird von Projektoren mit Bildinhalten beschickt. Die Moderatoren sehen — wenn sie sich umdrehen — darauf die gleichen Bilder wie der Zuschauer zuhause. Bespielt wird die Medienwand mit großen Panoramabildern, Fotos, Grafiken, Videos und Schriften.
Produktionsdirektor Dr. Michael Rombach möchte die Erneuerung aber nicht nur auf diese Aspekte reduziert wissen, sondern stellt eine Beziehung zwischen dem sichtbaren Design und den Abläufen dahinter her: »Natürlich ist die große Medienwand die auffälligste Veränderung. Doch dahinter haben wir viele Workflows neu aufgesetzt. Das ermöglicht neue Präsentationsformen und eröffnet neue Wege, um Inhalte zu vermitteln. Das Studioset selbst stellt nur einen Ausschnitt des wesentlich größeren Gesamtprojekts dar, das auch im redaktionellen Bereich einen großen Schritt nach vorne gebracht hat. Hier haben wir nun ein eigenes, auf unsere Bedürfnisse abgestimmtes System, das aber zum großen Teil auf den Funktionen aufsetzt, die uns das Redaktionssystem OpenMedia von Annova bietet.«
Projektplanung, Grundlagen
Der NDR erteilte im Jahr 2011/12 die Einzelaufträge zur Lieferung und Inbetriebnahme der Systemtechnik. Die Studio-Hamburg-Tochter MCI erhielt dabei den Zuschlag für die Lieferung der bild-, ton- und steuerungstechnischen Einrichtungen. Ein Technik-Team des NDR arbeitete bei der Umsetzung dann eng mit den Ingenieuren von MCI zusammen, um das ambitionierte Projekt zu realisieren.
Das Projekt umfasst im wesentlichen ein Studio, eine Hauptregie, von der aus Blickkontakt ins Studio besteht, und eine kleinere Subregie. Zudem gibt es noch einen Off-Sprecherraum und natürlich noch weitere, dem Studio zugeordnete Technik- und Geräteräume mit Racks voller Rechner und Processing-Einheiten.
Torsten Andresen, Projektleiter bei Studio Hamburg MCI, blickt zurück: »Nach der Auftragserteilung im Juli 2011 ging es direkt in die Planung, die wir im Februar 2012 abschlossen. Dann begannen die baulichen Maßnahmen, die wir im Sommer 2012 beenden konnten. Zu diesem Zeitpunkt war etwa der Ingest schon an ARD-aktuell übergeben. Anschließend erfolgte die stufenweise Inbetriebnahme der Studiotechnik, die sich bei einem so großen und komplexen Projekt natürlich über mehrere Monate erstreckt. Zum Herbst 2012 war im Studio die grundlegende technische Betriebsfähigkeit der gelieferten Systeme erreicht.«
Ab dann übernahm eine aus NDR-Mitarbeitern zusammengesetzte »On-Air-Gruppe« die Optimierung der technischen Systemkonfiguration und der Workflows. Die Gruppe arbeitete vor Ort eng mit einem Expertenteam des Herstellers Orad zusammen, das für die Umsetzung des Designs in das von der Firma gelieferte Echtzeitgrafiksystem verantwortlich war. Bis Ostern 2014 mit dem Sendebetrieb gestartet werden konnte, mussten noch einige Hürden überwunden werden.
Neubau im alten Havariestudio
Das neue Studio befindet sich in unmittelbarer Nähe des früheren Nachrichtenstudios. Es wurde in einem bestehenden Gebäude realisiert: im früheren Havariestudio von ARD-aktuell, in dem viele Jahre auch das Programm von »Tagesschau24« produziert wurde. »Ein Neubau auf der grünen Wiese stand nie zur Diskussion. Es war aus verschiedenen Gründen von Anfang an klar, dass wir die vorhandene Fläche nutzen und umbauen werden«, erläutert Stefan Rickmann, Projektleiter für die Studio- und Regietechnik.
Wie schon im alten Studio, arbeiten auch im neuen Studio keine Kameraleute. Neben automatisierten Stativen kommen im neuen Studio aber auch Kameraroboter zum Einsatz. Nur so lässt sich eine hohe Automatisierung in der Produktion von visuell anspruchsvollen Nachrichtensendungen realisieren. Gleichzeitig sollten aus gestalterischen Gründen möglichst viele Moderationspositionen und kranartige Fahrten im Studio möglich sein.
Die Lösung bestand darin, drei Roboterarme, die sich schnell bewegen können, an Schienensystemen mit Linearmotoren unter der Studiodecke aufzuhängen. Um die Last der jeweils rund 500 kg schweren Robotersysteme tragen und die bei den Fahrten auftretenden Kräfte aufnehmen zu können, wurde unter der Studiodecke eine Stahlkonstruktion eingebaut. Stefan Rickmann erläutert: »Ohne diese Stahlkonstruktion wäre es gar nicht möglich gewesen, diese Systeme einzubauen.« Klaus Kluth, Abteilungsleiter Studio Bild und Ton, verdeutlicht mit einem Beispiel, welche Kräfte hierbei wirken könnten: »Wenn sich das System bewegt, kann es im Fehlerfall eine Kraft entwickeln, die mit der eines etwa zwei Tonnen schweren Fahrzeugs vergleichbar ist, das mit 30 Stundenkilometern auf ein Hindernis aufprallt.«
Zu Beginn des Umbaus wurde zunächst das alte Studio mit seinen 320 qm Grundfläche komplett entkernt und dann die Tragekonstruktion eingebaut.
MCI-Projektleiter Torsten Andresen erklärt, dass diese baulichen Aspekte das Gesamtprojekt beeinflussten. So musste etwa die gesamte Robotik im Studio auf der Basis eines umfangreichen Sicherheitskonzepts durch den TÜV geprüft und abgenommen werden: »Für den TÜV war ein solches Projekt in vielen Fällen ebenfalls Neuland«, so Andresen. Ein Beispiel: Aus TÜV-Sicht handelt es sich bei einem roboterisierten Nachrichtenstudio um einen »begehbaren Maschinenraum« und es sind entsprechend die dafür geltenden Sicherheitsbestimmungen einzuhalten.
Grundlegende Überlegungen, Brick-Konzept
Das On-Air-Design der neuen Tagesschau stand längst fest, bevor die technische Umsetzung des Projekts begann. Es wurde vom ehemaligen Leiter des Teams Strategie und Innovation bei ARD-aktuell, Hans-Georg Grommes, maßgeblich initiiert und entwickelt.
Die zentrale Idee des Sets im neuen Nachrichtenstudio bestand darin, nicht eine reale Dekoration vor einer grünen Wand zu haben, wie heutzutage in einer Vielzahl moderner Nachrichtenstudios der Fall. Vielmehr sollten die Moderationspulte vor einer realen Projektionswand stehen, auf der die Moderatoren die gleichen Bilder sehen, wie die Zuschauer zuhause. Dr. Kai Gniffke, Erster Chefredakteur ARD-aktuell, erläutert dazu: »Nachrichten leben von Verlässlichkeit, Sicherheit und Glaubwürdigkeit. Dem folgt die Grundidee des neuen Studios: Alles, was die Zuschauer auf dem Bildschirm sehen, ist real im Studio vorhanden.«
»Die von der Redaktion formulierte Grundidee war für die technische Planung eine zentrale Anforderung und Vorgabe, die in den einzelnen Produktionsbereichen etliche innovative Lösungen nach sich zog«, berichtet Wolfgang Kuhlmann, Projektkoordinator für das Gesamtprojekt. »Aber es ging natürlich auch darum, die bisherigen Abläufe und Arbeitsweisen sehr genau zu untersuchen und bestmöglich neu aufzusetzen.«
Klaus Kluth, Abteilungsleiter Studio Bild und Ton, erklärt: »Wir hatten zum einen eine technische Ersatzinvestition für das alte Studio umzusetzen. Zusätzlich gab es aber auch ein komplettes Re-Design und dann auch noch die Änderung aller Arbeitsabläufe. Diese Komplexität des Projekts forderte allen Beteiligten viel Einsatz ab.«
Bei der Analyse der bestehenden Arbeitsabläufe kristallisierte sich unter anderem heraus, dass bei der Produktion der Nachrichtensendungen früher viele Arbeiten und Aktionen mehrfach manuell ausgeführt werden mussten. Nach der Modernisierung sollten die Abläufe hingegen modulartig gegliedert sein und viele Arbeitsschritte computer-unterstützt ablaufen. Die Planer haben dafür den Begriff »Brick-Konzept« gefunden: die Sendungen und Abläufe sind in standardisierte Bausteine untergliedert.
Um diesen Ansatz etwas besser zu verstehen, muss man vielleicht zunächst einen Schritt zurückgehen: Bei der Produktion einer Nachrichtensendung gibt es einerseits viele wiederkehrende, technisch standardisierte Elemente, andererseits ist auch möglichst viel Flexibilität nötig, um in letzter Sekunde noch Beiträge aktualisieren, austauschen oder optimieren zu können. Ein weiterer Aspekt besteht darin, dass die Technik die Redakteure unterstützen und nicht einschränken soll: Sie sollen sich ja nicht vorrangig mit der Technik, sondern mit den Inhalten der Sendung beschäftigen. Die technische Komplexität soll sich also möglichst hinter einfach zu handhabenden Workflows verbergen.
»Unsere Aufgabe war es letztlich, für alle Gewerke übergreifend Werkzeuge und Abläufe zu entwickeln, die schnelles und intuitives Arbeiten innerhalb einheitlicher Standards erlauben«, berichten Stefan Rickmann und Wolfgang Kuhlmann. Das führende System innerhalb des so entstandenen Brick-Konzepts wurde das Redaktionssystem OpenMedia von Annova. Ohne zu weit in die Tiefe gehen zu wollen: Jeder Brick stellt eine Sammlung standardisierter Abläufe dar, die in OpenMedia einmal angelegt und programmiert wurden und die dann von den Redakteuren genutzt werden können, um — wie mit intelligenten Legosteinen — eine Sendung zusammenzubauen.
Schaltzentrale OpenMedia
In den einzelnen Bricks sind alle Templates, Vorlagen, Steuerbefehle und Metadaten miteinander verknüpft, die erforderlich sind, um bestimmte Sendungselemente zu realisieren. OpenMedia fungiert also als zentrales Planungsinstrument, das im Hintergrund zahlreiche Aktionen und Systeme koordiniert, um die sich der anwendende Redakteur nicht im einzelnen kümmern muss.
Wolfgang Kuhlmann erläutert: »Wir können via Active-X-Plug-In in OpenMedia nicht nur Clips, sondern auch Inserts, Vordergrund-Grafiken und auch Medienwandgrafiken integrieren, Texte eingeben, Agenturmeldungen aufrufen und einbauen. Kurzum: OpenMedia — ist für uns die zentrale Oberfläche, auf der nahezu alle produktionsrelevanten Entscheidungen getroffen werden.«
Als Bricks sind etwa auch bestimmte Schaltsituationen, diverse Sprecherpositionen oder Kamerafahrten angelegt. Andreas Lützkendorf, Redakteur bei ARD-aktuell und Programmchef von Tagesschau24, erläutert das Konzept der Bricks mit einem konkreten Beispiel: »Der Redakteur entscheidet aufgrund der Produktionssituation, wie er seine Sendung in OpenMedia aufbaut. Er kann beispielsweise mit einer frontalen Einstellung beginnen, aber auch mit einer seitlichen, offenen Position. Für den Redakteur ist das zunächst eine dramaturgische, inhaltlich Entscheidung. In OpenMedia sind damit aber jede Menge Templates und Aktionen verbunden, will heißen: Wählt der Redakteur den Brick „Frontale Einstellung“, sind darin auch die richtige Kameraposition, die korrekte Einstellung des Lichts und vieles mehr hinterlegt. Darum muss sich der Redakteur gar nicht kümmern — das nimmt ihm OpenMedia im Zusammenspiel mit der Mosart-Automation ab.«
Dr. Rombach ergänzt: »Man muss sehen, dass bei der gesamten Planung immer der Anwender, also der Redakteur, im Vordergrund stand. Deshalb haben wir das Brick-Konzept in OpenMedia auch so optimiert, dass der Redakteur nur Bricks miteinander kombinieren kann, die tatsächlich zusammenpassen.«
Die Bricks sind sogar so intelligent angelegt, dass es möglich ist, einmal mit Inhalten gefüllte Bricks aus den »Tagesthemen« zu kopieren und sie bei einer »Tagesschau« einzubauen — was bei anderen Systemen nicht möglich wäre, denn hier sind ja möglicherweise andere Kamerapositionen und Grafikgrößen festgelegt. Beim Arbeiten mit Bricks prüft das von ARD-aktuell genutzte System in diesem Fall aber eigenständig, welche Elemente des »Tagesthemen«-Bricks auch bei der »Tagesschau« übernommen werden können und dürfen.
Art Director Stephan Persdorf sagt, dass die Tests, die hinter dieser Logik stehen, zu den größten Aufgaben des gesamten Projekts zählten. »Es war beispielsweise eine Riesenaufgabe, die Bricks so anzulegen, dass für den, der am System sitzt, wirklich nur die relevanten Optionen zur Verfügung stehen. Wir arbeiten hier im 24/7-Schichtbetrieb und alle müssen mit so einem System klarkommen: Darin besteht letztlich die eigentliche Herausforderung.«
Die Redaktion war von Beginn an in die Entwicklung des Brick-Konzepts eingebunden. Die Bricks wurden von Mitarbeitern aus dem Bereich Produktion »gebaut«. »Das waren sicher Gründe dafür, dass die Mitarbeiter in Redaktion und Produktion von Anfang an die Arbeit mit den vordefinierten Presets sehr gut angenommen haben«, resümiert Wolfgang Kuhlmann.
Mosart-Automation
Eine fundamentale Veränderung gab es im Zuge der neuen Workflows auch in der Regie: Hier ist nun die Automationslösung Mosart integriert, die aus dem OpenMedia-Sendungsablauf alle notwendigen Infos und Metadaten bezieht und die richtigen Steuerungsbefehle an alle Produktions-Devices wie Bild- und Ton-Mischpult, Quantel-Server, Kameras, Robotik, Lichttechnik, Teleprompter etc. ausgibt. Wolfgang Kuhlmann erklärt: »In der Regie wird während der Sendung lediglich an einem Bedienplatz der aktuelle OpenMedia-Sendungsablauf manuell abgefahren. Dieser Workflow garantiert ARD-aktuell vielfältige dramaturgische Möglichkeiten im Studio, bei guter Bedienbarkeit und hoher Sendesicherheit.«
Ingest, Schnitt und Playout mit Quantel
Seit 2006 schon nutzt ARD-aktuell das Server-System Enterprise sQ von Quantel. Damit hatte die server-basierte Nachrichtenproduktion Einzug gehalten, in diesem Bereich war ARD-aktuell also durchaus up-to-date. Nun wurde im Rahmen der Modernisierung das Server-System auf die HD-Produktion umgerüstet.
Andreas Lützkendorf, Redakteur bei ARD-aktuell und Programmchef von »Tagesschau24«, erläutert, dass die Server-Kapazität dabei so erweitert wurde, dass die 600 Stunden Speicherkapazität, die vormals in SD-Qualität zur Verfügung standen, nun auch in HD bereitstehen.
ARD-aktuell setzt bei der Konfiguration des Sende-Servers auf extrem hohe Sendesicherheit und hat ein »Zwei-Zonen-Modell« entwickelt. Das erlaubt es, im Falle einer Havarie blitzschnell auf die zweite Zone umzuschalten, auf der das komplette Material redundant vorgehalten wird. Außerdem ermöglicht es auch System-Upgrades bei laufendem 24/7-Sendebetrieb.
Für die Produktion in den Newsrooms bei ARD-aktuell stehen den Redakteuren insgesamt 100 Arbeitsplätze zur Verfügung, die zum Browsen und Schneiden mit der Quantel-Software sQ Cut X ausgestattet sind. Mit diesem Editor ist es möglich, schon sieben Sekunden nach Ingest-Beginn mit dem weiterhin auflaufenden Material zu schneiden (Edit-while-Ingest) — im Nachrichten-Business bietet das einen wichtigen Zeitvorteil. Zu den Roh-Editoren kommen weitere zehn sQ-Edit-Plus-Versionen für die Cutter hinzu, die damit aufwändigere Beiträge schneiden.
Medienwand, neue Bildsprache
Die Medienwand der Tagesschau ist sicher der größte Hingucker im neuen Studio: Auf einer Breite von rund 18 m bietet sie eine durchgehende Bildfläche, auf der sich Panoramafotos, Grafiken, Videos und Schrifteinblendungen ohne Übergänge oder Stege darstellen lassen. Mit großformatigen Fotos können Themen damit sehr ausdrucksstark bebildert werden.
Art Director Stephan Persdorf erläutert: »Bilder werden in der Kommunikation allgemein immer wichtiger, das gilt nicht nur für den Entertainment- sondern auch für den News-Bereich. Mit den großformatigen Fotos können wir den Zuschauern eine Nachricht auch emotional näherbringen. Um das zu transportieren, ist die große Medienwand natürlich ein idealer Träger. Doch das ist natürlich nicht die einzige Ebene, mit der wir arbeiten: Sprache, Text, Ton sind weitere wichtige Ebenen, und alle zusammen sprechen den Zuschauer auf ganz unterschiedlichen Wegen an.«
Aus technischer Sicht war die Installation der Medienwand nicht ganz einfach zu realisieren, berichtet NDR-Projektleiter Stefan Rickmann. Schnell sei klar geworden, dass sie nur durch eine Rückprojektion realisiert werden konnte. Mit den Firmen Ambion und Lang AG wurden Partner gefunden, die das ehrgeizige Unterfangen auch umsetzen konnten. Schlussendlich kamen sieben Panasonic-Projektoren zum Einsatz (PT-DS20), die das Bild über ein Spiegelsystem auf die Rückprojektionswand lenken.
Die Projektoren sind in einem Doppelboden in speziellen, gekapselten Klimagehäusen untergebracht. Von hier gibt es keine direkte Verbindung zum Studioboden, so dass sich die Bewegungen der Moderatoren im Studio nicht auf die Medienwand auswirken. Klaus Kluth erläutert, dass alle Projektoren vernetzt sind und regelmäßig den eigenen Lichtstrom messen, damit sich Unterschiede sofort ausgleichen lassen.
Die Projektoren werden mit rund 15.000 ANSI-Lumen betrieben, obwohl seitens der Geräte prinzipiell eine höhere Lichtleistung möglich wäre. Der niedrigere Wert hat sich aber als gute Kompromisslösung zwischen Steuer- und Regeltechnik und einer über die Lampenlebensdauer gleichmäßige Projektionsleistung im Zusammenspiel mit der Studiobeleuchtung erwiesen.
Die Zuspielung der Medienwand wickelt das Orad-Grafiksystem ab. Wenn man die komplette Medienwand betrachtet, ergibt sich dafür eine Auflösung von 8.260 x 1.050 Bildpunkten.
In puncto Dynamikumfang würden sich die NDR-Techniker noch eine Steigerung der Qualität der Projektion wünschen. Den Unterschied zwischen dem Zuspielmaterial und dem, was man auf der Bildwand sieht, kann man auch als Zuschauer sehen: Wenn etwa bei Live-Schaltungen der Korrespondent zunächst auf der Bildwand mit Moderator davor zu sehen ist und dann bildfüllend, wirkt das Bild auf der Monitorwand im Direktvergleich deutlich flauer als das Korrespondenten-Vollbild. »Damit müssen wir leben, mehr gibt die aktuelle Technik noch nicht her und wir dürfen natürlich auch nicht das notwendige Studiolicht vergessen«, erläutert Klaus Kluth.
Sollte die Medienwand trotz aller Sicherheitsvorkehrungen, die das verhindern sollen, einmal ausfallen, gibt es im Studio eine Notlösung: Vor der Medienwand lässt sich einfach eine Leinwand herunterziehen, sodass die Sendung dann vor einem neutralen Hintergrund weiterlaufen kann.
Grafik
Die Medienwand spielt eine zentrale Rolle im neuen Studio und um sie mit Fotos, Grafiken, Animation und Schriften bespielen zu können, war ein ausgefeiltes Grafiksystem notwendig, das der Hersteller Orad lieferte. Grundlage des Systems waren Orads HDVG-Grafikkomponenten.
Die Software von Orad musste allerdings angepasst werden, um die besonderen Herausforderungen zu meistern, die aus dem Zusammenspiel der gebogenen Medienwand mit seitlichen Kamerapositionen resultieren. Ein Beispiel macht das klarer: Blickt eine Kamera in flachem Winkel auf ein Plakat mit einer Schrift, dann sind die einzelnen Schriftzeichen im Kamerabild um so größer, je näher sie an der Kamera liegen. Es gibt also lineare Verzerrungen. Bei einem gebogenen Plakat werden daraus dann auch noch nichtlineare Verzerrungen. Beides will man natürlich in einer Nachrichtensendung nicht haben.
Im neuen ARD-Nachrichtenstudio kam dann noch hinzu, dass die Sendung ja mit mehreren Kameras produziert wird, die sich zudem noch an verschiedene Positionen bewegen. Abhängig von der jeweiligen Kameraposition würden also Schriften, Grafiken und Fotos auf der Medienwand ganz unterschiedlich verzerrt dargestellt.
Wie stark sich das in der Praxis auswirkt, zeigte sich dann im ersten Probebetrieb und es wurde klar, dass man hierfür eine Lösung braucht — und dass dies eine ausgesprochen komplexe Aufgabe ist. Diese Situation verlangte dann von allen Beteiligten starke Nerven, denn ohne die funktionierende Darstellung von Schriften auf der Medienwand hätte letztlich das komplette Design des neuen Studios auf der Kippe gestanden. Dr. Michael Rombach erinnert sich: »Alle haben die volle Komplexität der Echtzeitgrafik innerhalb unseres Projekts zunächst nicht in vollem Umfang erkannt.«
Durch enge Kooperation aller beteiligten Firmen und einen enormen Einsatz des Herstellers Orad konnten die Probleme aber schließlich gelöst werden. Die gefundene Lösung des Problems sieht so aus, dass das Grafiksystem die Schriften abhängig von der jeweiligen Kameraperspektive vorverzerrt, so dass sie dann im Sendebild wieder normal dargestellt werden.
Dr. Rombach fasst zusammen: »Die mit einem Echtzeitgrafiksystem bespielte, reale Medienwand, die unsere Nachrichtenpräsentation von der anderer Sender unterscheidet und für die es sehr gute redaktionelle Gründe gibt, fordert auf der technischen Seite einen gewissen Tribut: Es gab zusätzliche Herausforderungen bei allen Abbildungsfragen zu meistern und das technische Gesamtsystem ist auch ein gutes Stück komplexer. Beides haben wir aber im Schulterschluss mit den Herstellern erfolgreich gemeistert.«
Studio: Robotiksysteme, Kameras
Ein wichtiges Element der visuellen Gestaltung stellen die im Studio verwendeten Kamera-Robotersysteme dar: Sie ermöglichen die dynamische Bildgestaltung und erlauben zahlreiche Kameraperspektiven. Die Positionierung und Steuerung der Kameras läuft automatisiert ab.
Stefan Rickmann berichtet, dass man sich im Vorfeld ganz unterschiedliche Systeme angesehen habe, aber aufgrund der baulichen Gegebenheiten des Studios bestimmte Systeme schon von vornherein ausgeschieden seien. »Außerdem war ein Kamerabetrieb ganz ohne Kamerapersonal vorgegeben«, ergänzt Wolfgang Kuhlmann.
Die Entscheidung fiel letztlich auf die an der Decke installierten Camerobot-Systeme, ergänzt um Robotik-Fahrstative von Shotoku.
Damit der Moderator oder auch andere Mitarbeiter oder Studiogäste nicht mit den Kamera-Robotern zusammenstoßen, gibt es definierte Sicherheitsbereiche. Insgesamt neun Laserscanner ermitteln, ob eine Person diese Bereiche verlässt und sorgen dafür, dass die Robotik dann sofort gestoppt wird.
»Wir haben von der Firma Camerobot ein Collision Detection System installieren lassen, um den unbemannten Betrieb zu ermöglichen«, ergänzt Stefan Rickmann, »dadurch können wir auch aus der Subregie, also ohne direkten Sichtkontakt ins Studio, alle Kameras steuern, ohne dabei Gefahr zu laufen, einen Scheinwerfer abzuräumen oder mit einem anderen Kamera-System zusammenzustoßen.«
Auf den drei Camerobot-Systemen sind HDC-P1-Kameraköpfe von Sony montiert. »Bei den Camerobot-Systemen mussten wir natürlich auf das Gewicht achten, deshalb wurden hier die leichteren Sony-HDC-P1-Köpfe verwendet. Wir haben außerdem auch einen speziellen, leichteren Teleprompter installiert, um das Gesamtgewicht am Roboterarm zur Vermeidung von Vibrationen bei Kamerabewegungen soweit möglich zu reduzieren«, berichtet Stefan Rickmann.
Auf dem Boden sind Shotoku-Systeme im Einsatz, auf denen Sony-Systemkameras des Typs HDC-2400 mit ENG-Optiken montiert sind. Diese Systeme können ebenfalls unbemannt und automatisiert im Studio eingesetzt werden.
Wie schon weiter oben beschrieben, müssen die verschiedenen Kamerabewegungen einer Sendung nur ein Mal als Preset angelegt werden, dann können sie einfach immer wieder verwendet werden. Wird der entsprechende Brick verwendet, überträgt das Redaktionssystem die Informationen an die Mosart-Automation, die dann den jeweiligen Camerobot und die Shotoku-Fahrstative entsprechend ansteuert.
Lichtanlage
Die gesamte Scheinwerfertechnik des neuen Studios basiert auf LED-Scheinwerfern von Arri. Die LED-Technik hat den Vorteil, dass sich das Studio nicht mehr so stark aufheizt, wie das früher der Fall war und vor allem in Richtung der Moderatoren nicht mehr so viel Hitze abgestrahlt wird. Beides zusammen hat wiederum den angenehmen Nebeneffekt, dass auch die Leistungsfähigkeit der Klimatechnik etwas reduziert werden konnte.
Eine Besonderheit des Studios besteht darin, dass es mit einer Farbtemperatur von rund 6.000 K (Tageslicht) ausgeleuchtet ist. Das ist der Medienwand geschuldet, die bei klassischen 3.200 K (Kunstlicht), nicht im optimalen Leistungsbereich arbeiten würde. Klaus Kluth berichtet, dass man sich deshalb für den Tageslicht-Betrieb entschieden habe.
Regie
Der Regiebereich grenzt direkt ans Studio an. Aus der Hauptregie kann man durch ein Fensterband direkt ins Studio schauen. Die hier verantwortlichen Mitarbeiter, wie etwa Regisseur/in, Produktionsingenieurin oder CvD, haben also Blickkontakt zu den Moderatoren im Studio. Neben der Hauptregie gibt es eine räumlich davon abgekoppelte Subregie. Die Subregie ist überwiegender Produktionsort für »Tagesschau24«, sie dient aber auch als Havariesystem. Die Regien werden wechselweise genutzt, wenn in der jeweils anderen Regie vorbereitende Arbeiten umgesetzt werden oder Wartungsarbeiten erfolgen.
Einen klassischen Bildmischer sucht man in der Regie zunächst vergebens, obwohl die Funktionalität eines MVS-7000X von Sony zur Verfügung steht: »Das Bildmischer-Bedienpult haben wir durch die Bedienoberfläche des Mosart-Systems ersetzt«, erläutert Projektleiter Stefan Rickmann. Diese Entscheidung hat sich erst im Verlauf des Projekts ergeben. »Vor eineinhalb Jahren hatten wir noch eine Bedienkonsole vorgesehen, um die Sendungen zu fahren. Jetzt nutzen wir sie nur noch für Konfigurationsarbeiten.«
Die Tonpulte in den Regien stammen von Stagetec (Typ Crescendo).
Die Hauptregie ist für acht reguläre Arbeitsplätze ausgelegt (Ton, Regie, Sendepilot, CvD, Koordination, Produktionsingenieur, Licht, Prompter). Weiter gibt es einen Arbeitsplatz zur Bedienung des Orad-Systems, der in Sondersituationen genutzt wird. Die räumlich abgetrennte Subregie ist für drei Mitarbeiter (Sendepilot, Produktions/Ton-Ingenieur, CvD) konzipiert.
Weitere Komponenten
Wie auch in den übrigen Regien am NDR-Hauptstandort Lokstedt, hat man sich für das VSM (Virtual Studio Manager) System von L-S-B zur zentralen Steuerung der Videokreuzschiene, der IMDs und UMDs, Lichtstellpulte, Server sowie des Tally-Systems entschieden.
Weitere Broadcast-Komponenten, die eingebaut wurden, sind Displays von Penta und Panasonic, Multiviewer sowie zentrale Infrastrukturprodukte von Evertz und Lynx. Als zentrale Kommando-Matrix wurde eine Clear-Com Eclipse-Omega mit dem neuartigen Madi-Interface integriert.
Hard- oder Software-Projekt?
Bei Projekten dieser Größenordnung fließen viel Zeit und Energie in die Anpassung der Schnittstellen zwischen den Systemen, aber auch in die Vereinfachung komplexer Abläufe. Dabei geht es immer darum, ein optimales Zusammenspiel von Soft- und Hardware zu finden, denn die eine Seite funktioniert ohne die andere nicht.
Dr. Rombach bilanziert: »Wenn Sie einen Teil der Komplexität aus dem Alltag der Mitarbeiter herausnehmen wollen bzw. müssen, dann bleibt nur, diese in die Automation und die Presets zu integrieren. Das war ein großer Anspruch und hat auch sehr viel Arbeit gemacht, aber wir sind nun im täglichen Betrieb mit dem Ergebnis sehr zufrieden.«
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