Mission digital: SWR dreht Tatort mit SRW-9000PL
Auch der »Tatort«, die Vorzeige-Krimiserie der ARD, verabschiedet sich in kleinen Schritten von der klassischen Filmproduktion in Super-16: Aktuell hat der SWR bei der Produktion des nächsten Bodensee-»Tatorts« den bandbasierten Single-Sensor-Camcorder SRW-9000 von Sony mit PL-Mount getestet — mit großem Erfolg, wie die Verantwortlichen resümieren.
Der SWR produziert derzeit pro Jahr neun Fernsehfilme und betreibt bis dato auch ein eigenes Filmkopierwerk — damit ist der Südwestsender mittlerweile die einzige ARD-Anstalt, die dem Film noch in dieser Form die Stange hält. Nach aktueller Planung wird das Kopierwerk allerdings Ende 2013 geschlossen — und spätestens dann wird sich der Sender auch von Super-16 verabschieden. Deshalb testet der SWR derzeit verschiedene Alternativen zur Super-16-Produktion, um so einen sanften Umstieg zu realisieren.
Killt die Digitaltechnik Super-16?
Für etliche in der Branche ist es ein Reizthema: Wenn es darum geht, ob Super-16 in der HD-Fernsehwelt bestehen kann, scheiden sich häufig die Geister — und die Diskussion wird oft im Handumdrehen emotional. Ob berechtigt, oder nicht: Mit dem Aufkommen von digitalen Single-Sensor-Kameras steigen immer mehr Produktionen auf die HD-Videoaufzeichnung um. Das ist die Realität und der gilt es Rechnung zu tragen: auch hier greift eben die normative Kraft des Faktischen.
Deshalb diskutiert dieser Artikel nicht vorrangig die grundlegende Frage, ob es sinnvoll und richtig ist, Super-16 durch digitale Aufnahmesysteme zu ersetzen, sondern er beschreibt, wie sich der SWR beim Tatort auf diesen Weg begibt.
Vorgeschichte
»Für uns war klar, dass wir auch künftig unsere Filminfrastruktur jenseits des Kopierwerks, also die eingespielten Produktionsabläufe noch weiterhin nutzen wollen. Wir können schließlich nicht von heute auf morgen enorme Investitionen vornehmen und alles gleichzeitig umstellen. Deshalb streben wir einen weichen Übergang an — und in diesem Zusammenhang sehen wir auch die aktuelle Testproduktion einer »Tatort«-Folge mit einer bandbasierten Kamera«, erklärt Thomas Makosch, Abteilungsleiter FS-Aufnahme und Bearbeitung beim SWR.
Gegenüber komplett file-basierten Workflows hat der SWR im Fernsehfilmbereich aus ganz unterschiedlichen Gründen noch Vorbehalte: So möchte sich der Sender nicht nur die Kosten für einen DIT und/oder Data-Wrangler am Set sparen, sondern auch Aufwand und Kosten, die durch das Daten-Handling bei file-basierter Aufzeichnung im weiteren Produktionsablauf entstehen.
»Letztlich fragen uns die Redaktionen immer: „Was kostet das mehr?“, und das müssen wir bei unseren Lösungsvorschlägen für den Umstieg berücksichtigen«, erklärt Thomas Makosch und ergänzt: »Deshalb glauben wir, dass zwar manchem die Entscheidung, mit dem SRW-9000 PL auf Band aufzuzeichnen, rückwärtsgerichtet erscheinen mag, wir uns damit aber im Gegenzug viele Probleme und Kosten sparen.«
Perspektivisch gesehen bringt Sonys SRW-9000 PL aber ohnehin schon die Möglichkeit zur file-basierten Aufzeichnung mit: Der Hersteller kündigte für dieses Jahr die Einführung von SR-Memory an, einem Festspeichermediums mit einer Kapazität von einem Terabyte pro Einheit und ausreichender Datenrate um damit problemlos HDCAM-SR-Material bandlos speichern zu können (Meldung). Damit kann dann auch der SRW-9000 PL zum Bandlos-Camcorder umgerüstet werden. »Aber selbst dann hat man weiterhin die Möglichkeit, parallel zur Aufzeichnung auf Festspeicher auch auf Band aufzuzeichnen — was aus unserer Sicht sehr interessant ist«, urteilt Thomas Makosch.
Kamera
Möglich wurde die »Tatort«-Produktion mit dem SRW-9000 PL durch das Engagement von Sony und Band Pro Munich, die für die Produktion zwei Kameras zur Verfügung stellten. Kameramann Jürgen Carle, der unter anderem schon zahlreiche »Tatort«- und »Bloch«-Filme gedreht hat und der für den »Tatort: 1000 Tode« im Jahr 2003 mit dem Deutschen Kamerapreis ausgezeichnet wurde, konnte rund zwei Monate vor der Produktion den Camcorder testen und unter den damaligen Wetterverhältnissen gleich bei Schnee ermitteln, wie der SRW-9000 PL mit extremen Kontrastverhältnissen umgeht. »Diese Tests waren sehr wichtig und brachten natürlich viel Sicherheit und Vertrauen in die Produktion«, so Burkard Kreisel, Fachbereichsleiter FS-Aufnahme beim SWR.
»Wir haben die Produktion mit 25p und 4:2:2-Signalverarbeitung im S-Log Cine Mode auf HDCAM-SR-Bänder aufgezeichnet«, berichtet Kameramann Jürgen Carle. Wenn mit S-Log-Gamma gedreht wird, bietet die Kamera einen sehr hohen Kontrastumfang, sodass man in der Postproduktion noch viele Möglichkeiten hat, das Bild anzupassen. »In diesem Modus lässt sich die Kamera auch ganz ähnlich wie eine Filmkamera bedienen«, erläutert Burkard Kreisel. Aus seiner Sicht schreckt die klassische Videoterminologie, etwa in den Einstell- und Bedienmenüs von Sony-Camcordern, viele Filmkameraleute ab. Deshalb habe man sich beim SRW-9000 PL bewusst entschieden, im sehr filmähnlichen Cine-Mode zu arbeiten. Das hat sich aus SWR-Sicht auch bewährt: Kameramann Jürgen Carle, der aus der Filmwelt kommt und schon zahlreiche Super-16-Produktionen gedreht hat, fand sich in dieser Umgebung sofort zurecht und konnte gleich loslegen.
Das SWR-Team setzte die Kamera mit einen vollständigen Satz Ultra Primes von Zeiss ein, die wiederum der BR für den Test an den SWR ausgeliehen hatte. Zusätzlich stellte Fujinon über den Vertriebspartner Videor seine neuen Zoom-Objektive der HK-Serie zur Verfügung. Ursprünglich war geplant, deutlich mehr mit den Festbrennweiten als mit den Zooms zu arbeiten, dann waren die Verantwortlichen aber mit Qualität und Handling der Fujinon-Zooms so zufrieden, dass schlussendlich rund zwei Drittel der Produktion mit diesen Objektiven gedreht wurden. Vor allem das 18 – 85-mm-Objektiv erwies sich aus Sicht des SWR-Teams als sehr praktikabel und qualitativ hochwertig, weil es etwa bei Schärfeverlagerungen keinerlei unerwünschtes Pumpen verursacht. Ebenfalls zum Dreh angetreten war eine Cooke-Optik, die sich Kameramann Jürgen Carle gewünscht hatte.
Ein zweiter SRW-9000-PL-Camcorder stand dank Band Pro Munich für die Second Unit zur Verfügung. Ein besonderes Bonbon legte Band-Pro-Munich-Chef Gerhard Baier oben drauf: Er hatte es sogar geschafft, vier brandneue Leica-Objektive aus der Serienfertigung für den Dreh bereit zu stellen. Die Second Unit konnte mit vier Leica-Objektiven (21, 35, 50 und 75 mm) Establishing- und Beauty-Shots umsetzen. »Der Kollege Andreas Bein, der sie testen durfte, drehte mit Unterstützung durch Rainer Hercher von Band Pro so viel Material, dass es fast noch für einen weiteren Tatort reichen würde«, berichtet Burkard Kreisel, der von der Qualität der Leica-Objektive ebenfalls sehr beeindruckt war. Zeit für MTF-Messungen blieb während des Tests allerdings nicht.
Im Vorfeld der Produktion, nach den ersten Kamera- und Objektivtests hatte der SWR phasenweise noch erwogen, auch ältere Angenieux-35-mm-Filmobjektive aus dem eigenen Bestand für die Produktion einzusetzen. Letztlich entschied man sich jedoch dagegen, denn es stellte sich sehr schnell heraus, dass die Kamera so viel Qualität bietet, dass man sie mit den alten Objektiven nicht hätte ausreizen können: Die neuen Objektive sind besser in der Lage, die mit dem SRW-9000 mögliche Qualität auch tatsächlich auszunutzen.
Ein wichtiger Aspekt bei der Produktion war der Einsatz des SRW-9000 als Handkamera. Thomas Makosch berichtet, dass aus der Redaktion die Frage kam, ob denn aufgrund der Größe des Sony-Camcorders nun das Drehen von Handkameraszenen nicht, oder nur noch eingeschränkt möglich sei. »Natürlich ist die Kamera schwerer und auch größer als eine SR3, was bei manchen Szenen schon Einschränkungen bedeuten kann«, so Makosch. Aber aus seiner Sicht lassen sich solche Hindernisse schon bei der Drehplanung ausräumen. Zukünftig könnte man bei solchen Szenen aus Sicht von Thomas Makosch auch einen PMW-F3 einsetzen (Test). Dieser neue XDCAM-EX-Camcorder von Sony, der ebenfalls als Single-Large-Sensor-Camcorder mit einem Bildwandler in S35-Abmessungen konstruiert ist, war für den Tatort-Dreh allerdings noch nicht verfügbar.
Weitere wichtige Aspekte, die Burkard Kreisel herausgreift, liegen in der Leistungsaufnahme des SRW-9000 PL, in der Tonfunktionalität und in der Option, Rampen zu fahren: »Da liegen wir beim SRW-9000 etliche Watt unter dem Leistungshunger der Konkurrenzmodelle, zudem können wir mit dem Sony-Camcorder unsere vorhandenen V-Mount-Akkus nutzen. Dass wir den Ton gleich mit aufzeichnen können, ist ein weiterer Riesenvorteil und ermöglicht eine schnelle Kontrolle vor Ort«, so Kreisel.
Dass bei der Aufzeichnung mit Band oder auf Festspeicher zumindest in der Anfangsphase deutlich mehr aufgezeichnet wird, als mit Film, liegt nahe. Auch beim SWR-Team war das nicht anders: »Natürlich hat das Team am Anfang mehr gedreht als mit Film, aber mittlerweile hat sich das wieder aufs normale Maß reduziert«, berichtet Burkard Kreisel.
Produktionsleiter Dieter Streck betont, dass die Abläufe für das Team im Vergleich zu Super-16-Produktion an einigen Stellen auch schneller und einfacher geworden seien. »Weil das Kopierwerk entfällt, sind wir natürlich deutlich schneller, wenn es um die Beurteilung der Ergebnisse geht«, so Streck. »Wir müssen also mit dem Abbau eines Motivs nicht warten, sondern sehen gleich die Ergebnisse — das ist ein großer Vorteil«. Was die Abläufe am Set betrifft, galt es allerdings schon, einige Dinge zu ändern, etwa das Akku-Management: »Aber wenn man an ein paar Stellschrauben justiert, funktioniert das alles recht schnell«, so Streck.
Kamerasucher und Monitoring
Ein Knackpunkt bei den digitalen Kameras ist nach wie vor der Sucher. Schon die Unterschiede zwischen den einzelnen Kameras sind groß, aber die Beurteilung — besonders durch Kameraleute mit Filmhintergrund — fällt eigentlich modellübergreifend kritisch aus: Es wird von vielen Anwendern als wesentlich anstrengender empfunden, mit den aktuell verfügbaren Suchern einen 10-Stunden-Drehtag zu absolvieren, die Kameraarbeit bewerten viele Kameraleute als ermüdender und dennoch unsicherer, als beim Arbeiten mit einem optischen Sucher.
Bei der »Tatort«-Produktion war der SRW-9000 mit dem 2,7-Zoll-Sucher HDVF-C30 von Sony bestückt. Neben Standardfunktionalität wie Peaking, verfügt dieser Lupensucher auch über einige interessante Funktionen, die man bei anderen Suchern vergeblich sucht: S-Log-Gamma-Support und Farbraumanpassung.
Doch auch dieser sehr hochwertige Sucher konnte die Ansprüche und Wünsche von Kameramann Jürgen Carle und Fachbereichsleiter Burkard Kreisel nicht ganz erfüllen. »Wir würden uns etwa für den Sucher auch eine Art Overscan wünschen«, sagt Burkard Kreisel, »damit man als Kameramann das Motiv und die Umgebung einfach besser einschätzen kann und »mehr« sieht — so wie man das eben von der Filmkamera her kennt.«
Jürgen Carle arbeitete nicht zuletzt aus diesen Gründen auch häufig mit Sonys neuem Oled-Set-Monitor PVM-740, der zu diesem Zweck direkt auf die Kamera montiert wurde. Der größere Monitor ermöglichte es Carle und seiner Assistentin, Kadrierung, Schärfe und Belichtung des Bildes besser zu beurteilen. Allerdings wirke es für die Schauspieler bisweilen ungewohnt, wenn der Kameramann beim Dreh nicht mehr durch den Sucher blicke, sondern auf den Monitor: »Das kann die Schauspieler schon verunsichern und auch die Konzentration im Moment des Drehs stören«, meint Thomas Makosch, aber wenn man den Schauspielern im Ausgleich zeigen könne, wie das Bild am Ende aussehen wird, lasse sich auch das lösen.
Fürs Monitoring am Set setzte der SWR zudem anfangs auch einen 32-Zoll-Monitor von Sony ein — nicht ohne die Befürchtung, mit dem großen Kontrollbild dann gewissermaßen auch zehn zusätzliche Regisseure am Set zu haben. »Das trat dann allerdings nicht ein, und das anfängliche Interesse hatte sich nach zwei, drei Tagen schnell wieder gelegt«, erzählt Burkard Kreisel. Nach den ersten Tagen sei man dann sogar auf einen leichteren und mobileren 23-Zoll-HD-Monitor umgestiegen. Dem Regisseur Jürgen Bretzinger stand zusätzlich eine drahtloser 8-Zoll-Monitor von TV-Logic zur Verfügung.
Thomas Makosch ergänzt: »Als wir beim SWR HD einführten, haben wir uns ja in vielen Bereichen, gerade auch bei Maske und Ausstattung, mit den Anforderungen der höheren Auflösung beschäftigt und die Mitarbeiter auch geschult. Das Thema ist mittlerweile durch, und dank dieser Anstrengungen musste sich bei der aktuellen »Tatort«-Produktion niemand bei seiner Arbeit umstellen«.
Bildqualität
»Die Umstellung auf den Super-35-Sensor bringt für uns einen absoluten Mehrwehrt«, urteilt Burkard Kreisel und meinst damit den Schritt vom Super-16-Bildfenster zum größeren elektronischen Sensor von Kameras und Camcordern wie SRW-9000, Red– oder Arri-Alexa-Kameras. »Erst mit dieser Sensorgröße kann nun auch mit Videokameras ein Look erzielt werden, der Spielfilmniveau hat.«
»Mit einem 2/3-Zoll-Camcorder hätte man sich sehr schwer getan, einen Regisseur für so eine Produktion zu finden«, meint auch Thomas Makosch und ergänzt: »Aber mit dem 35-mm-Look, der nun möglich ist, damit überzeugt man sie letztlich alle.«
Wenn es um die Bildqualität des SRW-9000 PL geht, hebt das SWR-Team besonders die Hauttonwiedergabe hervor, die Thomas Makosch für sehr angenehm und realistisch hält. »Mit den Bildern der Kamera im S-Log-Modus bin ich absolut zufrieden«, urteilt Kameramann Jürgen Carle, und Burkard Kreisel ergänzt »Die Hauttonwiedergabe dieser Kamera kann man gar nicht genug hervorheben.« Produktionsleiter Dieter Streck bestätigt dies ebenfalls, wenn er sagt, dass auch seitens der Schauspieler Bild und Look der Kamera sehr gut ankommen.
Interview mit Kameramann Jürgen Carle
Wie beurteilen Sie als erfahrener Filmkameramann die Arbeit mit Sonys SRW-9000 PL?
Jürgen Carle: Ich habe bisher fast ausschließlich in Super-16 gedreht. Als ich mir die SRW-9000 PL dann das erste Mal ansah, kam sie mir zunächst etwas groß und schwer vor. Vor allem auch deshalb, weil ich im vergangenen Jahr drei Filme ausschließlich auf Film und mit Handkamera gedreht habe — und für solche Einsätze hatte ich bei der SRW-9000 PL schon mein Bedenken. Das hat sich dann aber gelöst: Ich habe bei der aktuellen »Tatort«-Produktion etwa zehn Szenen mit Handkamera gedreht — und das ging ganz gut.
Umstellen mussten wir uns die ersten Tage lediglich bei einigen Kleinigkeiten: Die Schwenkköpfe für die Kamera sind etwas größer, und die etwas schwereren Zoomobjektive muss man immer zu zweit justieren, das geht alleine nicht — aber das ist eben so wie beim 35-mm-Film.Wie beurteilen Sie die Handling, Bildqualität und Look ihrer ersten Arbeit mit dem SRW-9000 PL?
Jürgen Carle: Den Look der Kamera, den man im S-Log-Modus erreicht, finde ich schon sehr gut. Damit bin ich sehr zufrieden — das sieht wirklich kinomäßig aus. Es macht mir auch eine Riesenfreude, wenn ich mit 35-mm-Objektiven arbeiten kann. Wir hatten bei der Produktion unter anderem die neuen Festbrennweiten von Leica im Einsatz, zusätzlich eine 65-mm-Cooke-Optik und auch Zooms aus der HK-Serie von Fujinon. Mit letzteren war ich sehr zufrieden, aber man muss sich schon darüber im klaren sein, dass die Kamera inklusive Zoomoptik dann mehr Platz benötigt als eine SR3. Das könnte in engen Räumen schon mal ein Thema sein, aber letztlich kann man sich damit arrangieren: Es gab keinen Drehtag, an dem wir echte Probleme hatten. Vom Handling her bin ich eigentlich sogar etwas schneller geworden. Ein abschließendes Urteil zur Bildqualität will ich mir erst nach dem Grading erlauben.
Wie arbeiten Sie praktisch mit dem SRW-9000 PL?
Jürgen Carle: Die Kamera ist so konzipiert wie eine 35-mm-Kamera. Ich messe nach wie vor das Licht mit meinem Belichtungsmesser und aus meiner Erfahrung heraus mache ich fast dasselbe Licht wie bei Film. Nur bei Innen- und Nachtmotiven muss man etwas partieller, differenzierter leuchten und in der Tiefe auch mal zusätzlich eingreifen, weil man einfach mehr sieht. Das hat aber keinerlei Einfluss auf die Beleuchtungszeiten, wir sind dadurch nicht langsamer geworden, wobei das sicherlich auch daran liegt, dass die Teams hier beim SWR extrem eingespielt sind.Wie waren Sie mit dem Sucher zufrieden?
Jürgen Carle: Bei meinen Filmdrehs habe ich auch in der Vergangenheit öfter mit einer Ausspiegelung auf der Kamera gearbeitet — und ich schaute dann auch öfters auf diese Ausspiegelung, um das Bild zu beurteilen. Bei der Arbeit mit dem SRW-9000 PL war das letztlich genauso, nur eben noch etwas extremer. Eigentlich habe ich nur bei Handkamera-Einstellungen ausschließlich den Sucher verwendet — bei den anderen Szenen der aktuellen »Tatort«-Produktion habe ich sehr oft über den Sucher hinweg aufs Oled-Display geschaut. Das hat allerdings anfangs teilweise die Schauspieler etwas irritiert: Die glaubten dann, man konzentriere sich nicht.
Man muss aber auch sagen, dass es enorm anstrengend ist, den ganzen Drehtag über durch den Kamerasucher zu schauen. Das rechte Auge ermüdet und ich kann dann die Schärfe nicht mehr richtig beurteilen. Die Schärfe ist bei HD ohnehin die größte Problematik, denn die Assistenten müssen viel genauer arbeiten und messen.
Wie beurteilen Sie die Gestaltungsmöglichkeiten, die Ihnen der SRW-9000 PL bietet?
Jürgen Carle: Ich nutze die Schärfentiefe oft und gerne als Gestaltungsmittel. Bei der Arbeit mit der SRW-9000PL setzte ich häufig ND-Filter ein, um mit einer offeneren Blende zu arbeiten und somit fehlende Schärfentiefe als Gestaltungsmittel nutzen zu können. Bei Establishing-Shots haben wir gelegentlich auch mit Verlaufsfiltern gearbeitet, aber das war’s dann auch.
Das Bild, das die Kamera im S-Log-Modus generiert, ist so gut, dass man nichts weiter daran machen muss — vor allem kommt es den Schauspielern sehr entgegen, insbesondere mit der Hauttonwiedergabe war ich sehr zufrieden.
Ich war eigentlich lange Zeit gegen die digitale Aufnahme und habe als alter Filmkameramann die Arbeit mit Film immer verteidigt. Aber ich merke jetzt, dass ich mit der HD-Kamera, dem Super-35-Chip und vor allem den 35-mm-Objektiven viel mehr Gestaltungsmöglichkeiten habe. Das betrachte ich als Riesenvorteil. Jetzt würde ich zum Vergleich auch gerne noch mit einer Alexa von Arri arbeiten. Viele meiner Kollegen sind begeistert von dieser Kamera und sagen, dass sie sich sehr schnell umbauen lässt und dass sie sehr kompakt ist, was gerade beim Einsatz als Handkamera von Vorteil ist. Das möchte ich gerne ausprobieren.
Workflow in der Post
Im Durchschnitt dreht das Tatort-Team rund 70 Minuten Rohmaterial pro Tag — über die gesamte Drehzeit von 23 Tagen. Während der Dreh noch läuft wird schon roh geschnitten, für den Feinschnitt stehen dann noch weitere zehn Tage zur Verfügung.
In der Dreh- und Rohschnittphase wird das Material von den HDCAM-SR-Bändern täglich via SRW-1-Recorder oder mittels SRW-5500-Deck in Avid-Schnittsysteme (Media Composer 4) eingespielt, dabei in DNxHD mit 185 Mbps gewandelt und mit einem Speichersystem des Typs Avid Isis gespeichert.
»Von dieser Stelle an arbeiten wir letztlich mit dem gleichen Workflow wie bei unseren Super-16-Produktionen«, erklärt Thomas Makosch und ergänzt: »Wir werden aber das Originalmaterial im DPX-Format nach-batchen, damit wir von dieser Produktion eine bessere Qualität erhalten können.«
Theoretisch wäre es derzeit auch schon möglich, das Material nativ im Aufnahmeformat HDCAM SR zu schneiden, Avid-Composer der neueren Generation bieten diese Möglichkeit, die Media-Composer-4 Systeme des SWR sind dazu aber nicht in der Lage. Für die Farbkorrektur setzt der SWR seit einem guten halben Jahr Nucoda-Systeme ein, und auch die »Tatort«-Folgen werden damit farbkorrigiert.
Kosten
Eine zentrale Frage bei der Überlegung, mit welchem Aufnahmesystem der SWR seine »Tatorte« künftig drehen wird, spielen die Kosten. Hier bringt der Wechsel von Super-16 in die digitale Welt, so wie man ihn beim SWR nun ausprobiert hat und künftig praktizieren will, deutliches Einsparpotenzial: Die Kosten für den Rohfilm, die Kopierwerkskosten, wie auch die Abtastungskosten für die erste Musterkorrektur entfallen, was sich bei einer Produktion wie dem Tatort auf eine Größenordnung von 35.000 bis 40.000 Euro summiert.
Burkard Kreisel glaubt, dass der bei diesem Projekt angewandte Band-Workflow von der Kostenseite attraktiv ist. Zwar werde file-basiertes Arbeiten immer mit einer Zeitersparnis in Verbindung gebracht, die es aus seiner Sicht aber faktisch meistens gar nicht gebe, denn man müsse nach dem Datentransfer das gesamte Material ja auch wieder sichten, sodass zwar der Datentransfer für sich betrachtet schneller abläuft, aber anschließend wieder andere zeitintensive Arbeiten nötig seien.
Ein weiterer Aspekt bei der Beurteilung der Kosten liegt darin, dass der SWR seine Produktionsabläufe in wesentlichen Teilen gleich belassen kann wie bisher: Nur am vorderen Ende der Produktionskette gibt es eine Änderung und die Bilder kommen eben nicht mehr via Abtastung in das Schnittsystem, sondern per Bandeinspielung.
Außerdem will sich der SWR beim Umstieg selbst Bescheidenheit verordnen: »Wir werden wohl schlanker kaufen«, sagt Thomas Makosch und meint damit, dass man wohl nur in die Hauptkamera investieren, das Equipment für die Second Unit aber künftig zumieten wird.
Was die generellen Anschaffungskosten betrifft, dürften sich Arris Alexa und Sonys SRW-9000 PL derzeit auf einem recht ähnlichen Niveau bewegen: »Bei der Red ist der Body zwar deutlich günstiger, aber das ganz Zubehör macht die Kamera auch wieder teurer, und letztlich muss man für den komplizierten Red-Workflow am Ende der Kette wieder das investieren, was man am Anfang spart«, urteilt Thomas Makosch.
Fazit
Der SWR ist mit der aktuellen HDCAM-SR-Produktion hoch zufrieden, wird aber auch noch andere Single-Sensor-Camcorder testen. Für »Schätze der Welt« ist im Sommer eine Produktion mit Arris Alexa geplant, und dann will sich der Sender langsam einer Entscheidung annähern. Dabei wird es aber nicht ausschließlich um die Kamera selbst gehen, sondern auch darum, wie sich das Nachfolgesystem für Super-16 in die bestehenden Arbeitsweisen beim Sender integrieren lässt.
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