Broadcast, Top-Story: 30.03.2011

Facebook-Fernsehen in der Schweiz: Was geht?

Joiz ist Multimedia im wahren Wortsinn: Der TV-Sender aus der Schweiz will seine junge Zielgruppe mit einer Fusion aus klassischem Fernsehen, Web- und Mobiltechnologien, sowie sozialen Netzwerken ansprechen. Dabei sollen diese Kanäle aber nicht einfach nur als parallele Verbreitungswege genutzt werden, sondern sich durch intensive Verknüpfung und Verflechtung gegenseitig befruchten. Dabei setzen die Macher auf ein file-basiertes, technisch schlankes Konzept. film-tv-video.de hat die Zentrale in Zürich besucht.

Jung, hip und innovativ: Das ist nicht nur das eigene Wunschbild von Joiz, sondern dieser Eindruck stellt sich tatsächlich sofort ein, wenn man die Redaktions- und Produktionsräume dieses neuen Schweizer Broadcasters betritt. Gerade mal eine Straßenbahnstation von der Zürcher Zentrale des etablierten Schweizer Fernsehen entfernt, ist in Zürich mit Joiz der »erste crossmediale TV-Sender der Schweiz« entstanden — und jüngst gestartet.

Was verbirgt sich dahinter? »Joiz ist ein Mix aus klassischem Fernsehen mit einer sehr starken Integration von sozialen Netzwerken wie Facebook und Twitter, sowie umfangreichen eigenen Internet- und Mobile-Aktivitäten«, erklärt Peter Schulz, CTO von Joiz.

»Wir wollen ein Programm für junge Leute von etwa 14 bis 29 Jahren machen. Weil wir wissen, dass diese jungen Menschen Medien heute ganz anders konsumieren, haben wir unser technisches und inhaltliches Konzept vollständig darauf abgestimmt. Unsere Zielgruppe sieht fern, nutzt parallel dazu den Laptop, um in Facebook zu chatten, während das Smartphone bereitliegt, um zwischendurch noch schnell eine SMS zu verschicken oder zu empfangen«, beschreibt Peter Schulz die Mediennutzung innerhalb seiner Zielgruppe. Als konsequente Antwort darauf wollen die Macher bei Joiz ein Angebot schaffen, das dieses Verhalten bedient und sich somit vom klassischen Fernsehen deutlich unterscheidet.

Joiz Senderkonzept: TV und zusätzliche Infos via »Second Screen«

Joiz produziert täglich vier bis fünf Stunden eigenes TV-Programm in 1080i, mit dem dann in Wiederholungsschleifen jeweils 24 Stunden täglich gefüllt werden. Der Sender ist via Kabel digital zu empfangen, die zusätzliche analoge Ausstrahlung per Kabel wird angestrebt. Gleichzeitig mit der Ausstrahlung des TV-Programms bedient Joiz auch mobile Medien, Facebook und Internet. Über diese Kanäle will Joiz sein TV-Programm ergänzen und fasst diese Aktivitäten unter dem Oberbegriff »Second Screen« zusammen. Über den jeweiligen Second Screen erhalten die Zuschauer parallel zum TV-Programm ergänzende, inhaltlich passende Infos, die eng mit dem aktuellen Content verknüpft sind, der gerade übers Fernsehen ausgestrahlt wird. Wenn etwa Zuschauer der Modesendung »Must have« wissen wollen, wo sie bestimmte Klamotten oder Accessoires kaufen können, stehen diese Infos auf der Joiz-Website aber auch via Facebook und Twitter ebenso bereit, wie Profile des Moderators und seiner Gäste.

»Neben diesen Second Screens gibt es zwei weitere wichtige Säulen unseres Angebots: Das sind Votings und Facebook-Chats«, erklärt Peter Schulz. Die Votings laufen jeweils parallel zur jeweiligen Sendung, bei den Programm-Wiederholungen im Laufe des Tages werden sie dann durch neue Votings ersetzt. »Wenn wir beispielsweise den Schweizer Jungstar Baschi zu Gast haben, können wir unsere Zuschauer über die Votings noch während der laufenden Sendung befragen, ob wir ihn als nächstes etwa über sein kommendes Konzert oder eher zu seinem Privatleben fragen sollen«, erläutert Peter Schulz. So erhält auch klassisches Fernsehen eine interaktive Komponente.

Facebook spielt bei den sozialen Netzwerken für Joiz erwartungsgemäß die größte Rolle. »Unsere Zielgruppe ist zu 96% in Facebook unterwegs«, so Peter Schulz. Joiz hat daher den Log-In für die eigene Website an die Facebook-Registrierung angekoppelt:  Wer auf der Joiz-Site die Second-Screen-Infos aufrufen oder eigene Videobotschaften veröffentlichen will, meldet sich hierfür bei Joiz mit seinen Facebook-Daten an. »Damit wissen wir schon mal, wie unsere Zuschauer heißen und aus welchem Ort sie kommen.  Außerdem kennen wir auch ihr Alter und ihr Geschlecht. Wer sich bei Joiz anmeldet, erlaubt uns außerdem, dass wir auf seinem jeweiligen Facebook-Account posten dürfen, wodurch wir in der Zielgruppe eine hohe Verbreitung erreichen«, so Peter Schulz.

Bei der Sendung »Kochen mit Shibby« wird eine WG ausgewählt, die dann die bekannte Schweizer Köchin Shibby besucht um vor Ort gemeinsam zu kochen.
Workflow

Joiz ging mit 42 Mitarbeitern an den Start: Nur sechs davon kümmern sich um die Technik. »Das sind vergleichsweise wenig technische Mitarbeiter, aber wir sind der Meinung, dass man Fernsehen mit deutlich geringerem Aufwand betreiben kann – und zwar nicht nur beim Equipment, sondern auch auf der personellen Seite«, urteilt Peter Schulz. »Heutzutage braucht man nicht mehr fünf Leute in der Regie, um eine Sendung zu fahren. Unser Ziel war es von Anfang an, die technischen und organisatorischen Grundlagen zu schaffen, die es auf lange Sicht ermöglichen, dass der Moderator seine Sendung letztlich sogar alleine fährt, ohne dass dazu noch jemand in der Regie sitzen müsste.«

Das ist ein ambitionierter Plan — und wie könnte dieses Selbstfahr-Konzept aussehen? Bei Joiz hat man davon schon genaue Vorstellungen: Der Moderator soll ein iPad bekommen, auf dem eine schematische Ablaufsteuerung zu sehen ist. »Damit kann der Moderator dann seine Grafiken, seine Beiträge und letztlich auch vorher definierte Kamerafahrten abrufen«, blickt Peter Schulz in die Zukunft. Zum kürzlich erfolgten Sendestart hat Joiz das noch nicht so umgesetzt, zunächst ist die Regie noch besetzt: »Die Moderatoren müssen Erfahrung sammeln und Sicherheit gewinnen, insbesondere auch in unserem virtuellen Set, erst dann wollen wir den nächsten Schritt gehen«, sagt Peter Schulz.

Am Anfang sieht der grundlegende Workflow bei Joiz so aus: Der neue Sender arbeitet durchgehend mit Mac-Technologie, das ankommende Material wird stets in ProRes 422 kodiert und in Final Cut Server / XSan abgelegt. Die Metadaten des Materials fließen direkt in das Software-System Step2e ein, wo sie sofort zur weiteren Bearbeitung bereitstehen. Step2e wird für die Planung des Sendeablaufs, aber auch fürs Erfassen der Second-Screen-Informationen eingesetzt,

Editing findet bei Joiz auf zwei Ebenen statt: Die Redakteure können an ihren Arbeitsplätzen mit Rough Cut Editor von Consol das Material vorschneiden, der Hi-Res-Schnitt erfolgt dann an vier Final-Cut-Pro-Arbeitsplätzen. »Jeder Moderator arbeitet mit einem Redakteur zusammen und gestaltet mit ihm gemeinsam jeweils die Sendung«, erläutert Peter Schulz das redaktionelle Konzept bei Joiz, »dabei geht es auch immer um die Frage, was parallel dazu im Internet stattfinden kann«. Ingest, Playout, Grafik und Live-Produktion werden allesamt mit  Macintosh-Computern realisiert, dabei nutzt Joiz diverse Software-Module des österreichischen Anbieters Tools On Air.

Studios und Sendungen

Joiz produziert in seinen zwei Studios täglich mehrere Live-Sendungen, die einen zentralen Bestandteil des Programms ausmachen. Eines der Studios ist mit einer Art Wohnzimmer-Deko inmitten der Joiz-Redaktion untergebracht. Dieser offene Studiobereich ist, wie die gesamte Redaktion, auch von außerhalb des Gebäudes einsehbar. »Wenn wir also bekannte Musiker zu Gast haben, werden wir außen an den Fensterscheiben sicherlich viele Fans zu sehen bekommen«, so Peter Schulz. Aufgenommen wird in diesem Studio mit einer Sony-Studiokamera des Typs HXC-100, zusätzlich ist eine PMW-EX1 als VJ-Kamera im Einsatz.

Das zweite Studio, das Joiz betreibt, ist von der Redaktion abgekoppelt und als Greenbox ausgelegt. Hier hat Joiz mit VR-Cam ein virtuelles Set von For-A installiert. Es basiert auf der virtuellen Studio-Technologie von Brainstorm, die For-A übernommen und in VR-Cam integriert hat.

Joiz betreibt das virtuelle Studio mit drei fest installierten Dome-Kameras von Sony (BRC-H700). Sie liefern HD-Qualität und sind im virtuellen Studio fest installiert, werden also während der Sendung nicht bewegt. »Auf die Sensorik haben wir für den Anfang aus Kostengründen verzichtet, aber wir können das jederzeit nachrüsten und etwa eine vierte Kamera mit Roboterarm dazurüsten, mit der wir uns dann frei im Raum bewegen können«, erläutert Peter Schulz.

Die Kamerasignale laufen auf dem kompakten For-A-Mischer HVS-350. auf. Dieses 1,5-M/E-Gerät bietet 24 Eingänge, ist SD-/HD-fähig und wurde erstmals bei der vergangenen NAB vorgestellt. Audioseitig setzt Joiz auf ein 24-Kanal-Pult von Yamaha (O1V96) und Sennheiser-Mikros. Als Kommunikationslösung ist ein Riedel C44-System mit Zusatz-Komponenten im Einsatz.

Im Studio, das in die Redaktion integriert ist, finden Interviews und Live-Sessions statt.
Zentrales Redaktionssystem: Step2e

Das Step2e-System ist so konzipiert, dass sich damit letztlich alle Workflows eines Senders abbilden lassen. Es bietet Module für Werbedispo, Programmplanung, Media Asset Management, Redaktionssystem Ein-Mann-News-Regie, Sendeautomation und Ressourcen-Planung.

Warum hat sich Joiz für das System entschieden? Der Sender wollte von Anfang an mit einem Redaktionssystem arbeiten, das Fernsehen und Internet gleichermaßen abbilden und bedienen kann. Peter Schulz erklärt: »Bei uns erfasst der Redakteur, der die Sendeabläufe zusammenstellt, gleichzeitig auch die Second-Screen-Informationen und legt die Web-Inhalte an. Gleichzeitig war es für uns wichtig, ein System zu haben, das nicht nur die Beiträge für Fernsehen und Internet steuern kann, sondern auch die ganze Werbung, zu verwalten die wir im Fernsehen ausstrahlen und die wir online platzieren. Die Wahl fiel auf Step2e, weil wir bei diesem System unsere Anforderungen zu großen Teilen erfüllt sahen.«

Als weiteres großes Plus wertete man bei Joiz die Möglichkeiten, aus Step2e heraus die zentralen Hard- und Software-Komponenten zu steuern, die der Sender einsetzt. Step2e verbindet also bei Joiz nicht nur die Werbedispo und die Sendeplanung, sondern auch auch Steuerung des Videomischers, des Audiomischpults, der Evertz-Kreuzschiene und des virtuellen Sets sowie aller Module der Tools-on-Air-Systeme miteinander.

Was ebenfalls für Step2e sprach, war die Unterstützung der Mac-Plattform: »Wir arbeiten nicht nur im Office-, sondern auch im kompletten Produktions- und Sendebereich durchgehend auf Apple-Mac-Basis — das vereinfacht Wartung und Support und es bringt eine gewisse Flexibilität mit sich. Daher war es für uns uanbdingbar, auch auf der Steuerungsseite ein System zu haben, das diese Plattform unterstützt«, so Peter Schulz.

Grafik, Ingest, Playout und Live-Produktion mit Tools On Air

Den kompletten Material-Ingest wickelt Joiz mit der Mac-Software-Lösung PlayIn von Tools on Air ab. »Die Module von Tools on Air waren für uns von Beginn der Systemplanung an eine gesetzte Größe. In diesem System fanden wir viele unserer Ideen schon umgesetzt und unterstützt. Macintosh-Basis, von Grund auf für file-basiertes Arbeiten konzipiert und das Ganze bei einem sehr guten Preis/Leistungs-Verhältnis — das hat uns überzeugt«, berichtet Peter Schulz.

Joiz setzt zusätzlich zum Ingest-Modul JustIn auch den Playout-Server JustPlay sowie die Live-Lösung JustLive ein, um damit Sendungen abzuwickeln und mit Grafiken zu versehen. JustPlay ist eine Playout-Automation ist, die im 24-Stundenbetrieb automatisiert Playout-Listen abarbeitet. JustLive ist eine Ablaufsteuerung, die auch manuelle Eingriffe ermöglicht und somit im Live-Betrieb eingesetzt werden kann. Dabei nutzt Joiz auch besonders die Grafikfunktionalität der Systeme; »Wir arbeiten normalerweise im Playout mit drei Layern. Ein Layer benötigen wir für die Einblendung des Sendelogos, ein weiteres für Bauchbinden, und ein drittes, interaktives Layer nutzen wir, um beispielsweise Voting-Ergebnisse einzublenden«.

Perspektiven

Joiz ist letztlich die Übersetzung und Fortschreibung dessen, was einst mit den Musiksendern begann: Spartenfernsehen für eine junge Zielgruppe. In Zeiten von Youtube sind reine Abspielstationen von Musikvideos für die junge Zielgruppe aber uninteressant geworden. Joiz greift stattdessen neue Trends und Kommunikationsmethoden auf und führt echte Interaktivität fürs Fernsehprogramm ein. In Kombination mit den effektiven und vergleichsweise günstigen Produktions-Workflow könnte dieses Konzept aufgehen. Peter Schulz ist sich sicher: »Wir haben noch sehr viele interessante Ideen, die wir in den kommenden Monaten noch umsetzen wollen — das ist erst der Anfang.«

Die Gründer von Joiz

CEO Alexander Mazzara war bei diversen Sendern tätig, darunter Viva Schweiz, ProSieben und RTL. Später arbeitete Mazzara beim TV-Wirtschaftsmagazin Eco.

Mit Peter Schulz, CTO bei Joiz, hat das Gründungsteam einen IT-Experten im Boot, der unter anderem schon für HP, Cisco, France Telecom, Real Networks und etliche andere IT-Unternehmen tätig war.

Mit Kurt Schaad hat Joiz ein Urgestein des Schweizer Fernsehens im Team, der der auf 39 Jahre Erfahrung beim Schweizer Fernsehen zurückblickt. Schaad war als Moderator und Redakteur tätig und bis Ende 2009 Projekt- und Redaktionsleiter der Wirtschaftssendung Eco.

Christoph Bürge war unter anderem Unterhaltungschef bei Sat.1 und ging dann zu Endemol in die Schweiz. Zuvor war er in verschiedenen Funktionen unter anderem für SBS in Rumänien sowie für TV2 in Ungarn, wie auch fürs Schweizer Fernsehen tätig.

Finanzierung

Das Venture Capital Unternehmen Creathor Venture unterstützt Entwicklung und Start von Joiz mit mehreren Millionen Franken. Innerhalb der nächsten drei Jahre will man aber kostendeckend arbeiten, so Mitgründer Peter Schulz. Innerhalb des ersten Jahres strebe man einen Marktanteil von zwei bis drei Prozent an — das ist die Größenordnung in der auch MTV derzeit liegt.

Das Finanzierungsmodell bei Joiz stützt sich auf mehrere Säulen: zum einen bietet der Sender seinen Kunden Key-Partnerschaften an, die weiter über die Platzierung von Logos hinausgehen sollen. Eine zweite wichtige Säule ist der klassische Werbespot-Verkauf. Eine weitere, ergänzende Einnahmequelle sieht Joiz in Syndication-Deals, wobei dieser Anteil in der Größenordnung von 2 bis 3 Prozent liegen soll.