Drehreport: »24h Berlin« — 1.000 Stunden HD-Material für 24 Stunden TV-Programm
»24h Berlin« heißt ein Projekt, an dessen Ende 24 Stunden TV-Programm stehen sollen, die am Stück ausgestrahlt werden: eine Doku-Produktion der Superlative. 80 Teams waren am 5. und 6. September 2008 für 24 Stunden in der deutschen Hauptstadt unterwegs und fingen hierfür das Leben in Berlin mit bandlosen Sony-Camcordern ein. film-tv-video.de war am Drehtag dabei und hat mit den Machern des Projekts gesprochen. Im Videoreport beschreiben Produzent Thomas Kufus, Regisseur Volker Heise und viele andere aus dem großen Team die Besonderheiten dieses ungewöhnlichen Projekts.
Berlin, am 6. September um 6:00 Uhr: Drehschluss. Für Regisseur Volker Heise und sein Team gehen die Dreharbeiten der Mammut-Dokumentation »24h Berlin« zu Ende. Nahezu zwei Jahre lang hatten Heise und der Produzent Thomas Kufus auf diesen Punkt hingearbeitet. In den 24 Stunden davor waren in der Hauptstadt 80 Drehteams unterwegs, um das Leben in Berlin mit all seinen zahlreichen Facetten zu dokumentieren. Rund 1.000 Stunden HD-Material sind so zusammengekommen — bandlos aufgenommen. In der Postproduktion soll daraus nun eine 24-Stunden-Doku montiert werden, die genau ein Jahr später 24 Stunden lang bei Arte und RBB gesendet werden soll.
Vorgeschichte
Wie stemmt man ein solches Riesenprojekt? Das ist selbst für eine erfahrene Produktionsfirma wie Zero One eine echte Herausforderung. Zero One hat zwar schon etliche Dokumentationen realisiert, die ebenfalls sehr aufwändig waren, so etwa »Schwarzwaldhaus 1902« oder »Abenteuer 1900 — Leben im Gutshaus«, aber »24h Berlin« stellt vor allem wegen der großen Menge parallel ablaufender Aufgaben und Prozesse ein noch aufwändigeres Projekt dar, als es diese Produktionen waren.
Es überrascht daher nicht, wenn Produzent Thomas Kufus berichtet, dass schon in den Anfängen des Projekts sehr schnell klar wurde, dass man einen technischen Partner brauchen würde, um die Umsetzung zu schaffen. Wie sonst sollte es zu möglich werden, an einem einzigen Tag all die benötigten professionellen HD-Camcorder für den Dreh in Berlin zu versammeln? Und wie sollte es möglich sein, die Unmengen an Material zu bewältigen?
Zero One sprach also mit den großen Herstellern und konnte Sony davon überzeugen, dass »24h Berlin« etwas ganz Besonderes ist und Fernsehgeschichte schreiben könnte. Wilfred Orth von Sony erläutert: »Wir bei Sony fanden die Idee zwar sehr interessant, konnten uns aber zunächst nicht vorstellen, wie wir es schaffen sollten, so viel Equipment — dazu noch brandneue Camcorder-Modelle —, an einem Tag zusammenzuführen und vor allem das Ganze für alle Parteien finanzierbar zu machen.« Einige Besprechungen später stand jedoch das Konzept und Sony konnte gemeinsam mit Zero One ein Business-Modell finden, das für alle Parteien passte. Wilfred Orth ergänzt: »Für mich als Berliner ist das Projekt natürlich besonders schön, weil ich Berlin toll finde. Ich freue mich aber auch darüber, dass wir damit aus technischer Sicht echtes Neuland betreten und die Sony-Mitarbeiter auf allen Ebenen für »24h Berlin« begeistern konnten.«
Während Sony für die technische Infrastruktur verantwortlich zeichnete, stieg mit dem Hamburger Vertriebs- und Systemhaus BPM ein weiterer wichtiger Partner in das Projekt ein, der in der praktischen Umsetzung eine entscheidende Rolle spielen sollte: BPM stellte das komplette Equipment zusammen, prüfte alle Kamera-Packages und war vor Ort, um technischen Support zu leisten. BPM-Geschäftsführer Heinrich Buhr berichtet, dass es dabei einige logistische Herausforderungen zu bewältigen galt, das Projekt aber insgesamt ohne nennenswerte Probleme abgewickelt wurde und auch aus technischer Sicht praktisch problemlos abgelaufen sei.
Regie: Konzept und Freiheit
Wie bringt man 80 Regisseure und Kameraleute zusammen, die alle zu einem gemeinsamen Konzept beitragen und zusammen das 24-Stunden-Porträt realisieren? Volker Heise holte sich dazu die Unterstützung weiterer Regisseure und es gelang ihm, viele Mitglieder der deutschen Dokumentarfilmfamilie zusammen zu führen. So finden sich bekannte Namen wie Romuald Karmakar (»Der Totmacher«), Rosa von Praunheim, Aelrun Goette (»Die Kinder sind tot«) und Andres Veiel (»Black Box BRD«) unter den mitwirkenden Regisseuren, die Volker Heise zuarbeiteten. Dabei gab Volker Heise den einzelnen Regisseuren so viele Freiheiten wie möglich: »Das sind alles erfahrenen Leute, denen brauche ich nichts vorzuschreiben, ganz abgesehen davon, dass sie das auch gar nicht zulassen würden.«
Und so sieht die Struktur von »24h Berlin« aus: 10 Drehteams waren unterwegs, um Impressionen und Bilder der Stadt einzufangen — von den zahlreichen großen und kleinen Ecken der Stadt, die Berlin insgesamt ausmachen. Die anderen 70 Drehteams begleiteten die Protagonisten des Berlin-Porträts, die Zero One zuvor in intensiven Recherchen ausfindig gemacht hatte. Hier finden sich Familien ebenso, wie ganz alte und ganz junge Bewohner der Stadt. 20 davon werden letztlich die tragenden Figuren des 24h-Stunden-Porträts werden, aber auch alle anderen sollen in dem Porträt vorkommen.
So wird ein »umfassendes Bild einer Großstadt im 21. Jahrhundert« entstehen, hofft Produzent Thomas Kufus, der sich von Anfang an für die Idee seines langjährigen Regie-Partners Volker Heise begeistern konnte und unter anderem dafür sorgte, dass die drei Millionen Euro Produktionskosten für das Projekt zusammenkamen.
Unterstützt wird »24h Berlin« auf inhaltlicher Ebene von etlichen prominenten Paten, unter anderem den Schauspielerinnen Katharina und Anna Thalbach, der Pop-Band Mia, dem DJ und Musikunternehmer Paul van Dyk, dem Leiter des Grips-Theaters Volker Ludwig und dem Fußballverein Hertha BSC. Auch die Paten repräsentieren aus Sicht der Macher die unterschiedlichen Facetten von »24h Berlin« und beteiligten sich am Tag der Ausstrahlung mit eigenen Projekten. Auch Klaus Wowereit, Regierender Bürgermeister von Berlin, unterstützte als einer der Protagonisten der Doku das Projekt nach Kräften.
Kameras: bandlos und brandneu
Wie schafft man es, 80 Camcorder in möglichst einem Format an einem Tag und an einem Ort zusammenbringen? »Eigentlich« geht das gar nicht, aber bei »24h Berlin« zogen die Produktionsfirma Zero One, der Hersteller Sony und dessen Vertriebspartner BPM an einem Strang und machten das Unmögliche wahr: Für den Dreh am 5. September 2008 gingen 20 der neuen XDCAM HD 422-Camcorder des Typs PDW-700 an den Start, zusätzlich 50 XDCAM EX-Camcorder des Typ PMW-EX1 und zehn PMW-EX3.
Besonders schwierig war es offenbar, die brandneuen PDW-700 in der gewünschten Anzahl von 20 Stück nach Berlin zu holen, so berichtet es Sony-Mann Wilfred Orth. Eine weitere Hürde innerhalb des Projekts bestand darin, für die bandlosen EX1-Camcorder ausreichend Speicherkarten zu beschaffen, ohne dabei das Budget der Produktion komplett zu sprengen. Letztlich ging jedes Team mit einem Set von drei brandneuen SxS-Karten mit je 32 GB Speicherkapazität in den Drehtag. Dass die Karten in diesem Umfang überhaupt verfügbar waren, hatte Michael Engstfeld von Sony Recording Media möglich gemacht. BPM sorgte dann noch dafür, dass alle EX1- und EX3-Camcorder mit der neuesten Software ausgerüstet waren, so dass sich die neuen, großen Karten auch problemlos nutzen ließen. Drei 32-GB-Karten entsprechen einer Aufzeichnungsdauer von 300 Minuten HD-Material, was natürlich nicht für einen ganzen Tag ausreichte. Zero One entwickelte deshalb ein ausgeklügeltes System, um die Teams per Kurier mit leeren Karten zu versorgen und die vollen abzuholen. In der Firmenzentrale wurde für den Drehtag ein Download-Center aufgebaut, in dem die Karten per Vaio-Laptop gelesen und auf Festplatten kopiert wurden, um anschließend sofort wieder per Kurier an das nächste Team zu gehen.
Man braucht nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, dass in den Hochphasen der Produktion im Download-Center die Hölle los war. Passenderweise brach dann auch noch die Telefonanlage bei Zero One zusammen, so dass die komplette Organisation plötzlich nur noch per Handy möglich war.
Annette Muff, für die als 1. Cutterin des Projekts die Hauptarbeit erst in den Tagen, Wochen und Monaten nach dem Drehtag richtig Raum greift, war aber auch schon während der Drehphase im Download-Center aktiv und berichtet, dass es aus psychologischer Sicht gar nicht so einfach war, die SxS-Karten nach dem Download zu löschen. Eine Furcht, die wohl jeden begleiten dürfte, der zum ersten Mal bandlos arbeitet — und das waren bei dieser Mammut-Doku nicht wenige.
Allein bei den Kameraleuten der Produktion hatte lediglich ein Viertel bereits mit bandlosen Camcordern gearbeitet, der ganze Rest betrat mit der Produktion von »24h Berlin« Neuland. Aus diesem Grund hatte man sich im Vorfeld auch schon dazu entschieden, die Kameraleute in der Woche vor dem Dreh umfassend zu schulen: Zwei Trainer brachten den Kameraleuten die neue Technik nahe und schulten sie im Umgang mit den neuen Sony-Camcordern. Frank Müller gehörte zu den Kameraleuten mit Erfahrungsvorsprung, die auch vorher schon mehrfach bandlos gearbeitet hatten. Für ihn ist klar, dass der bandlosen Aufzeichnung die Zukunft gehört, und mit den neuen, nun verfügbaren Geräten kann er dieser Technologie durchaus viel Positives abgewinnen, gerade wenn es um die Bearbeitung des Materials im Schnitt geht.
Für jene Kameraleute, die das erste Mal bandlos arbeiteten, gab es während des Drehs 24h-Support: BPM- und Sony-Mitarbeiter standen rund um die Uhr zur Verfügung, um eventuelle Fragen der Teams beantworten und technische Probleme schnell lösen zu können. Davon wurde aber offenbar kaum Gebrauch gemacht. Bis auf einige wenige telefonische Anfragen ging die Produktion ohne Schwierigkeiten über die Bühne, berichten die Techniker von BPM.
Regisseur Volker Heise resümiert abschließend, dass eine Produktion wie »24h Berlin« durch die bandlose Aufzeichnungstechnik überhaupt erst möglich wurde. Vielleicht wäre es noch realisierbar gewesen, 80 bandbasierte HD-Camcorder aus ganz Deutschland zusammenzubringen, aber ganz sicher nicht in nur einem HD-Format, meint Heise und schlägt rückblickend die Hände zusammen, wenn er sich den Formatmix vorstellt, der entstanden wäre, wenn man versucht hätte, auf Band aufzuzeichnen.
Schnitt: aufwändig und schnell
Für die Editoren von »24h Berlin« steht der wichtigste Part noch bevor: In den kommenden Monaten geht es darum, die rund 1.000 Stunden Material, die gedreht wurden, zu sichten, zu verwalten und so zu organisieren, dass man kreativ damit arbeiten kann. Für die Chef-Cutterin Annette Muff ein Job, der zunächst damit beginnen muss, eine gute Struktur zu schaffen: Wie müssen die Bezeichnungsstrukturen lauten, um welche Infos muss das Originalmaterial ergänzt werden? Erst wenn diese Denksportaufgaben gelöst seien, könne man sich an die inhaltlichen Fragen des Schnitts machen, urteilt Annette Muff. Dabei ist das Team die Chefcutterin das Bearbeiten großer Materialmengen gewohnt: Bei der Doku »Abenteuer 1900 — Leben im Gutshaus« etwa, galt es rund 500 Stunden Material zu bewältigen. Bei »24h Berlin« wird es nun wegen der noch größeren Materialmenge und der Parallelität zahlreicher Ereignisse noch etwas aufwändiger. Das Team um Annette Muff wird an drei bis vier Avid-Nitris-Systemen in den kommenden Monaten vernetzt mit dem Material arbeiten und abschnittsweise Stunde um Stunde des Berlin-Porträts fertigstellen.
Sendetermin
Im kommenden Jahr, also 20 Jahre nach dem Mauerfall, soll »24h Berlin« am 5. September 2009 ausgestrahlt werden. Arte und der RBB zeigen dann einen ganzen Tag lang das Berlin-Porträt, das nach dem Wunsch von Regisseur Volker Heise und Produzent Thomas Kufus den ganz normalen Alltag einer Großstadt im 21. Jahrhundert zeigen soll.
Offen ist derzeit noch, ob es gekürzte TV- und Kinoauswertungen des Projekts geben wird, und auch die langfristige Archivierung des Materials wird derzeit noch diskutiert. Eines aber ist sicher: »24h Berlin« hat schon vor der Ausstrahlung viele Rekorde gebrochen.
Videoreports von film-tv-video.de
Auch die beiden Videoreports, die film-tv-video.de über »24h Berlin« produzierte, wurden mit einem EX1 in HD gedreht. Sie zeigen mehrere Teams am Drehtag der Produktion bei der Arbeit, ergänzt um Interviews mit den Machern und einigen wichtigen Mitarbeitern. Die Interviews wurden am Tag nach den »24h Berlin«-Dreharbeiten aufgenommen.
Am Ende dieser Seite stehen drei Videoclips zum Download bereit:
– Die oben eingebaute 10-Minuten-Version des Beitrags als Videoclip für den iPod (M4V-File, 50 MB Größe)
– Ein 20 Minuten langer Beitrag, der noch deutlich mehr Einblicke in das Projekt gibt (M4V-File, iPod-geeignet, 100 MB Größe).
– Den längeren Clip gibt es auch in höherer Auflösung als Quicktime-Mov-File (160 MB Größe).
Downloads zum Artikel:
M_1008_24hBerlin_kurz.m4v
M_1008_24hBerlin_lang.m4v
M_1008_24hBerlin_lang_g.mov