Report, Top-Story: 18.06.2008

Cannes-Preisträger »Three Monkeys«: HDCAM und Nitris ausgeschöpft

Der Regisseur Nuri Bilge Ceylan wurde für den Film »Three Monkeys« (Originaltitel: »Üç Maymun«) in Cannes ausgezeichnet. Den Look des Films prägten der Kameramann Gökhan Tiryaki und der Finishing-Spezialist Bora Gökşingöl entscheidend mit. film-tv-video.de sprach während der Digitalen Cinematographie in München mit den beiden türkischen Filmschaffenden über die Produktion. (Film-Trailer-Download am Textende.)

Der 1959 geborene Nuri Bilge Ceylan zählt mit seinen künstlerischen Filmen zu den führenden unabhängigen Filmemachern der Türkei, schon sein erster Kurzfilm fand auch im Ausland Beachtung. Spätestens die Auszeichnung seines Spielfilms »Uzak« in Cannes brachte ihm internationale Aufmerksamkeit. Ceylan macht atmosphärisch dichte, persönliche Filme.

Sein aktueller Spielfilm »Three Monkeys« lief beim Filmfestival in Cannes im Wettbewerb und wurde mit dem Regiepreis ausgezeichnet. »Three Monkeys« ist bereits der dritte Cannes-Wettbewerbsbeitrag von Nuri Bilge Ceylan. Der Film erzählt ein Familiendrama in der Türkei, der Titel bezieht sich auf die sprichwörtlichen drei Affen, die nichts sehen, nichts hören, nichts sagen (wollen). Letztlich geht es also auch um das Thema Zivilcourage. In »Three Monkeys« wird viel geschwiegen, Gesten, Mimik, Blicke und Bildgestaltung transportieren einen Großteil des Inhalts, und wie oft in Ceylans Filmen schwingt viel Melancholie mit. Ceylan widmete den Preis, den ihm Faye Dunaway in Cannes für »Three Monkeys« verlieh, seinem »einsamen und wunderschönen Heimatland«.

Neben dem Inhalt und der Regieleistung hatte auch der eindrucksvolle, ungewöhnliche Look des Films in Cannes für Gesprächsstoff gesorgt. Gökhan Tiryaki und Bora Gökşingöl berichteten im Gespräch mit film-tv-video.de, dass selbst das nicht vorrangig technisch interessierte Festivalpublikum in Cannes immer wieder nachfragte, wie das Team diesen Look erreicht hatte.

Seit dem Spielfilm »Climates« (Originaltitel »Iklimler«) will Nuri Bilge Ceylan bis auf weiteres nur noch digitale Aufnahmetechnik einsetzen. Ceylan, der auch als Fotograf arbeitet, sagte dazu schon vor drei Jahren: »Nachdem ich auch in der Fotografie zur Digitaltechnik gewechselt hatte, war es für mich ein logischer Schritt, auch beim bewegten Bild den Wechsel zu vollziehen. (..) Ich glaube nicht, dass ich wieder zum Film zurückkehren werde. Der einzige relevante Nachteil, den ich bei HD sehe, ist die im Vergleich zum Bildfenster bei Film geringere Chipgröße und die daraus resultierende größere Schärfentiefe. Bei meinem Filmstil kann ich das aber ganz gut ausnutzen und größere Schärfentiefe muss ja auch gar nicht immer negativ sein.«

Für Ceylan war die erste Drehphase seines vorangegangenen Films »Climates« der erste Kontakt mit HD (siehe auch Interview aus dem Jahr 2005), nachdem er seine Filme bis dahin auf 35-mm-Film gedreht hatte — wobei er jeweils Regie und Kameraarbeit selbst in die Hand nahm. Schon bei »Climates« hatte Ceylan aber mit Gökhan Tiryaki als DoP zusammengearbeitet. Nun drehten die beiden innerhalb von rund zwei Monaten das Material für »Three Monkeys«. Im Sommer und Herbst 2007 fanden die Dreharbeiten überwiegend im Stadtteil Yedikule von Istanbul statt. In Istanbul wurde der Kinofilm auch postproduziert, dabei setzte Ceylan auf die Technik des Dienstleisters Imaj, der auch als Koproduzent fungierte (mehr Infos über Imaj).

Warum dreht Ceylan seine Spielfilme auf HD? »Mit HD kann ich auch mal mehr als fünf oder sechs Takes machen, bis die Szene schauspielerisch optimal sitzt. (…) HD hilft dem Schauspiel«, sagte Nuri Bilge Ceylan hierzu in einem früheren Interview. »Beim Arbeiten mit HD muss man schauspielerisch schwache Szenen nicht mehr aus Kostengründen akzeptieren. HD ermöglicht dadurch kraftvolleres Storytelling. Wenn man mehr Wiederholungen macht, dauert das Drehen mit HD vielleicht etwas länger. Andererseits verliert man auch keine Zeit durch den Filmwechsel.«

So fiel auch bei »Three Monkeys« die Entscheidung, mit einem HDCAM-Camcorder fürs Kino in Cinemascope (1:2,35) zu drehen, Gökhan Tiryaki setzte dabei auf den HDW-F900 von Sony. »Einer der Gründe hierfür ist, dass die Kamera relativ kompakt ist und lange Einstellungen mit hoher Flexibilität am Set ermöglicht. Andere Systeme bringen hier oft Einschränkungen mit sich, sind größer und erfordern separates Zubehör und viele Kabelverbindungen.«

Weshalb das so wichtig war, erklärt eine Aussage von Nuri Bilge Ceylan über seine Arbeit: »Zu meiner Art Filme zu machen gehört es, am Set zu improvisieren. Außerdem mache ich auch sehr lange Einstellungen. Da können die 4-Minuten-Rollen beim 35-mm-Film eine Belastung und ein Hemmnis darstellen, wenn man nicht weiß, ob eine Einstellung, wenn sie sich vor der Kamera weiterentwickelt, noch auf die Rolle passt. (…) Außerdem fallen die ständigen Unterbrechungen durch den Filmwechsel weg, die schon sehr störend sein können und unter denen die Stimmung einer Einstellung und die Konzentration der Darsteller leiden können.«

Zum technischen Hintergrund sagt Gökhan Tiryaki: »Unsere Tests zeigten, dass wir mit 4:2:2-Material hervorragend arbeiten und unsere Ziele erreichen konnten – letztlich war es für uns nicht notwendig, in 4:4:4 aufzuzeichnen. Wir wussten genau was wir wollten und der Workflow stand fest – dass wir mit 4:2:2 arbeiteten bedeutete in diesem Fall keine Einschränkung. Damit sprach alles für die F900, die wir mit DigiPrime-Objektiven bestückten.«

Am Set arbeitete Gökhan Tiryaki, der schon viel Erfahrung mit HDCAM hat, ohne einen großen Monitor, sondern mit dem Sucher des Camcorders. Auch Regisseur Ceylan nutzt im Normalfall keinen großen Monitor, sondern einen kleineren, portablen LCD-Schirm von Panasonic.

»Mit HD kann ich am Set einfach mehr ausprobieren und ich habe im Schnitt mehr Material zur Auswahl«, ist eine der Erkenntnisse, die Nuri Bilge Ceylan schon bei »Climates« gewann. Das berührt auch die Grundsätze von Ceylan: »Für mich ist das Editing ohnehin der schönste Teil des Filmemachens.«

Das Offline-Editing des Materials fand im Büro von Nuri Bilge Ceylan statt: Rund 10 Wochen arbeiteten Bora Gökşingöl, Ayhan Ergürsel und Nuri Bilge Ceylan, die auch alle im Abspann als Editoren genannt werden, an einem Media Composer Adrenaline von Avid mit dem Material. Für den Online-Schnitt war von Beginn an der Einsatz eines DS-Nitris-Systems bei Imaj geplant — der Hauptarbeitsplatz von Bora Gökşingöl. Der Postproduction-Spezialist erläutert: »Besonders der bewährte, erprobte und reibungslose 24p-Workflow zwischen diesen Avid-Systemen war für uns Grund, diesen Weg zu gehen.« Nuri Bilge Ceylan ging es in der Post besonders darum, mit einem möglichst einfachen Workflow arbeiten zu können, mit dem sich Änderungen sehr schnell umsetzen ließen, sodass viel Zeit für die kreative Arbeit am gedrehten Material blieb – und folglich möglichst wenig Zeit »verschwendet« wurde, um irgendwelche technischen Probleme zu lösen.

Gökşingöl war mit dem Offline- und Online-Editing von »Three Monkeys« befasst, aber auch mit dem Color Grading und mit dem Sound Design. »Es war sehr schön, in der Postproduktion mit verschiedenen Möglichkeiten experimentieren zu können«, erläutert Gökhan Tiryaki: »So konnten wir etwa am Avid-System problemlos mit Geschwindigkeitsveränderungen arbeiten, um in einer Szene den Regen heftiger erscheinen zu lassen — und das System erlaubte uns dabei, die Tonhöhenveränderung, die dabei normalerweise eintreten würde, ganz problemlos zu kompensieren.«

Aber nicht für alle Effekte war DS Nitris bei »Three Monkeys« das System der Wahl: Der Abspann des Films zeigt, dass einige Passagen auch mit dem Autodesk-System Inferno bearbeitet wurden. »Für uns war letztlich in der Postproduktion immer entscheidend, wie wir das gewünschte Ziel am besten und effektivsten erreichen können: Ein reibungsloser Workflow mit möglichst hoher Flexibilität und Änderungsmöglichkeiten war unser Maßstab«, führt Bora Gökşingöl aus.

Erst gegen Ende der Bearbeitung fiel die Entscheidung, auch das Color Grading am DS Nitris durchzuführen: Nuri Bilge Ceylan und er selbst als DoP waren von den Möglichkeiten und von der Funktionalität, die DS Nitris hier bietet, schlichtweg begeistert, berichtet Tiryaki. »Das läuft etwas anders ab, als mit anderen Grading-Systemen, aber wir fanden das für unsere Zwecke optimal. Besonders, dass alles sehr schnell, übersichtlich und im Grunde auch einfach innerhalb nur eines Systems umzusetzen war, empfanden wir als sehr vorteilhaft.«

Dabei fiel die Entscheidung, mit DS Nitris zu graden keineswegs spontan: Drei Wochen lang testeten Tiryaki, Gökşingöl und Ceylan verschiedene Varianten, um die Ergebnisse zu erreichen, die sie sich vorstellten, dann wurde klar, dass DS Nitris hierfür das beste Werkzeug darstellte.

»Die Farb- und Lichtgestaltung war uns sehr wichtig, wir haben sie als entscheidendes Stilmittel für diesen Film betrachtet. Deshalb war es wichtig, hier genau das erreichen zu können, was uns vorschwebte«, resümiert Tiryaki.

Einer der technischen Aspekte, die sich bei den Tests aus Sicht des Teams als problematisch zeigten, lag im Wechsel zwischen linear und logarithmisch arbeitenden Systemen. Hätte man das Material etwa mit dem bei Imaj installierten Lustre graden wollen, wäre dieser Wechsel unvermeidlich gewesen. Mit dem gewählten Workflow hingegen nicht. Nach den Tests wurde das aufwändige Grading dann innerhalb einer Woche realisiert. Das Ergebnis war die Mühe wert: Der so erreichte Look wurde in Cannes als eine Besonderheit dieses Films diskutiert und gefeiert.

Die Vorführung des Films fand in Cannes übrigens als digitale Filmkopie statt, einem der Formate, in denen der fertige Film nun vorliegt: neben einer 35-mm-Kopie, HDCAM, HDCAM SR und Digital Betacam.

Zur Digitalen Cinematographie in München (siehe Report) hatten Kameramann Gökhan Tiryaki und Finishing-Spezialist Bora Gökşingöl eine HDCAM-Kassette mitgebracht und zeigten den Trailer sowie einige Vorher/Nachher-Vergleiche aus dem Grading-Prozess. Auch in der digitalen Projektion im Imax-Kino konnten die Ausschnitte das anwesende Experten-Publikum überzeugen.

Die Chancen, den Film im Kino sehen zu können, stehen nicht schlecht: Die mit dem Weltvertrieb des Films beauftragte Pyramide International konnte den Film schon vor seiner endgültigen Fertigstellung in viele Länder verkaufen, darunter Frankreich, Italien, Großbritannien, Irland, Schweiz, Niederlande, Belgien, Luxemburg, Griechenland, Indien, Russland und die baltischen Staaten.

Weitere Infos

Der Kinotrailer von »Three Monkeys«/»Üç Maymun« steht am Ende dieses Artikels zum Download bereit. Die Laufzeit beträgt jeweils 70 s, es stehen zwei Varianten zur Wahl: ein MP4-File (Dateigröße 19,3 MB) und qualitativ bessseres, aber auch größeres Quicktime/MOV-File (50 MB).

Zu seiner Haltung gegenüber HD und zum Prozess des Filmemachens, so wie er ihn sieht, äußert sich Nuri Bilge Ceylan in einem Interview das film-tv-video.de im Jahr 2005 mit ihm führen konnte. Das Interview fand statt, als sich Ceylan noch in der Drehphase von »Climates« (Originaltitel »Iklimler«) befand, seiner ersten HD-Produktion, die dann 2006 in Cannes mit dem Fipresci-Preis ausgezeichnet wurde.

Mehr Infos zum Koproduzenten Cemal Noyan und zu dessen Unternehmen Imaj, das auf der technischen Seite die tragende Rolle in der Produktion und Postproduktion von »Climates« und »Three Monkeys« spielte, finden Sie in einem Bericht aus dem Jahr 2005.

Stabliste

Regisseur : Nuri Bilge Ceylan
Produzent: Zeynep Özbatur
Co-Produzenten: Fabienne Vonier, Valerio De Paolis, Cemal Noyan, Nuri Bilge Ceylan
Drehbuchautoren: Ebru Ceylan, Ercan Kesal, Nuri Bilge Ceylan
DoP: Gökhan Tiryaki
Schnitt: Ayhan Ergürsel, Bora Gökşingöl, Nuri Bilge Ceylan
Art Director: Ebru Ceylan
Toningenieur: Murat Şenürkmez
Tonschnitt: Umut Şenyol
Tonmischung: Olivier Goinard
Geräuschemacher: Jack Stew
HD-Conforming: Bora Gökşingöl
Color Grading: Bora Gökşingöl
Special Effects Nitris: Bora Gökşingöl
Special Effects Koordinator Inferno: Tijen Pal
Special Effects Supervisor Inferno: Burak Balkan
Special Effects Inferno: Burak Balkan, Daniel Sanders, Michael Harrison, Okan Düzalan, Yaman Derbent, Alp Enuysal, Ömer Şerif Bilsel

Technische Daten

Originaltitel: Üç Maymun
Englischer Titel: Three Monkeys
Aufnahmeformat: HDCAM
Vorführformate: 35-mm-Kopie (Cinemascope), Encoded Digital Print, HDCAM SR, HDCAM, Digital Betacam
Länge der 35-mm-Kopie: 2992 m auf 6 Rollen
Laufzeit: 109 min in 24 fps (35 mm, DCI oder Blu-ray Disc), 104 min in 25 fps (Digital Betacam, Beta SP, DVD und TV-Ausstrahlung)
Originalsprache: Türkisch
Seitenverhältnis: 1:2,35 (Cinemascope)
Ton: Dolby Digital
Produktionsländer: Türkei, Frankreich, Italien
Fertigstellungsjahr: 2008

Downloads zum Artikel:

M_0608_Trailer_3monkeys.mp4
M_0608_Trailer_3monkeys_big.mov

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Autor
C. Gebhard, G. Voigt-Müller

Bildrechte
Aleksi Petridi (Porträt Ceylan), Nonkonform (Porträts Gökşingöl, Tiryaki), NBC Film

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