Plazamedia: Technologie an der Schnittstelle
Plazamedia ist ein TV-Dienstleister, ursprünglich bekannt durch Sport-Außenproduktionen, aber mittlerweile in vielen weiteren Feldern wie Sendeabwicklung, Postproduktion und Neue Medien aktiv und erfolgreich. Wenn es darum geht, neue Technologien einzuführen und zu etablieren, steht Plazamedia zwischen den Herstellern auf der einen und seinen Broadcast-Kunden auf der anderen Seite: Die einen versprechen neue Funktionalität, die anderen wollen möglichst wenig dafür bezahlen. Wie schafft es Plazamedia, diesen Spagat erfolgreich zu meistern? Wo liegen die besonderen Herausforderungen? www.film-tv-video.de hat sich darüber mit Chris Wieland, dem Bereichsleiter Technologie von Plazamedia unterhalten.
www.film-tv-video.de: Wenn man die großen Broadcast-Messen besucht, kann man den Eindruck gewinnen, IT-Technik sei das Allheilmittel der Branche: Sie erschließt demnach auf der Endkundenseite neue Märkte und macht auf der Produktionsseite alles einfacher, schneller und billiger. In der Praxis sieht das dann oft ganz anders aus, oftmals lassen sich die Systeme nicht so nutzen wie angekündigt und schon gar nicht mit bestehender Technik verzahnen und integrieren. Mit welcher IT-Realität lebt Plazamedia? In welchen Bereichen und warum hat Plazamedia IT-Technik eingeführt? Wo liegen für Sie die grundlegenden Vor- und Nachteile des file-basierten Arbeitens?
Chris Wieland: Als Innovationsführer der Branche setzen wir schon seit geraumer Zeit IT-Technik unternehmensübergreifend ein. Bei allen aktuellen Projekten, bei denen wir neue oder zusätzliche Technik aufbauen, nutzen wir die Vorteile der vernetzten Produktion. So etwa beim gesamten Bundesliga-Konferenzkanal: Dort laufen die Prozesse durchgängig nonlinear ab. Nur so sind wir in der Lage, die hohe zeitliche Komplexität der Mehrkanalproduktion abzubilden. Aber auch im Bereich der Sende- und speziell der Multikanal-Abwicklung beispielsweise, haben wir alles, was in den vergangenen drei Jahren neu gebaut wurde, IT-basierend aufgesetzt. Natürlich gibt es die Videokassette nach wie vor als »historischen« Datenträger, der uns auch noch über viele Jahre begleiten wird. Mit unserer neuen digitalen Service-Platform »E-Center« bieten wir nun jedoch umfangreiche Digitalisierungs- und Archivierungsleistungen an. Das Band steht in der Regel nur noch am Anfang der jeweiligen Bearbeitungsprozesse, die weiteren Arbeitsschritte erfolgen möglichst file-basiert und vernetzt.
Von den klassischen Bereichen sind bei Plazamedia die Sendeabwicklungen und die Zentralgrafik schon am weitesten auf IT-Technik transferiert. Allerdings gilt es, den Begriff »IT-Technik« etwas genauer abzugrenzen. Die Anforderungen an Verfügbarkeit und Haltbarkeit der Systeme im 24/7-TV-Umfeld, mit latent großen Datenvolumina in der Bearbeitung, bedingen ausgereifte Geräte und Bauteile für den Dauerbetrieb.
Plakativ ausgedrückt: Diese doch sehr individualisierten Systeme gibt es nicht fertig auf dem Markt zu kaufen und sind somit auch nicht so preisgünstig wie Massenware. Und leider sind zudem bei teuerster »professioneller IT Technik« die Reinvestitionszyklen erheblich kürzer als bei proprietärer Elektronik und die Wartungsaufwände im Betrieb erheblich höher. Oft unbeachtet bleibt auch die Tatsache, dass bei vernetzten IT-Systemen, die natürlich neue und elegante Arbeitsprozesse ermöglichen, die Kosten vom Client-Arbeitsplatz ins Netzwerk verschoben werden. Ein eindeutiger Kostenvorteil lässt sich daher aus meiner Erfahrung nicht realisieren. Und das ist natürlich oft gegenüber unseren Kunden erklärungsbedürftig.
Denn leider vergisst der Anbieter häufig zu erwähnen, dass entweder die Kosten im Netzwerk unbeachtet blieben oder auch die Verfügbarkeit weit ab der Kundenanforderung liegt.
www.film-tv-video.de: Oftmals treten Probleme mit der IT-Technik an den Schnittstellen zwischen verschiedenen Bereichen auf oder dann, wenn Systeme unterschiedlicher Hersteller integriert werden müssen. Was sind hier die Erfahrungen bei Plazamedia?
Chris Wieland: In der Regel ist es tatsächlich so, dass die geschlossenen Inselbereiche, in denen wir IT einsetzen, sehr gut funktionieren — vor allem dann, wenn man bei einem Hersteller bleibt. Sobald man aber einen zweiten Lieferanten mit ins Boot nimmt, wird es oftmals schon schwierig. Die Probleme beginnen dann manchmal schon auf einem eigentlich recht niedrigen Anforderungsniveau, etwa wenn es darum geht, File-Kompatibilität herzustellen. Das schaffen tatsächlich nur wenige Anbieter. Software ist eben nicht gleich Software. Spätestens jedoch, wenn wir beim Datenverkehr über Weitverkehrsnetze reden, wird es spannend. Denn IP-Netze geraten bei den üblichen Datenmengen und Echtzeitanforderungen aus Film und Fernsehen doch sehr schnell an ihre Grenzen und müssten um mehrere Faktoren überdimensioniert werden. Zumindest in öffentlichen Netzen sehe ich hier noch Entwicklungsbedarf.
Es gibt daher aus meiner Sicht oft noch eine große Diskrepanz zwischen dem, was die Hersteller während der Messen als problemlos funktionierend präsentieren und dem, was in der Produktionsrealität unter »Interoperabilitätsgedanken« in der Tat störungsfrei möglich ist.
www.film-tv-video.de: Wie könnte denn hier eine Lösung aussehen? Eine Art abgespecktes und dafür praktikables MXF?
Chris Wieland: Ja, das wäre vorstellbar. MXF erscheint mir in seiner Mächtigkeit nicht grundsätzlich praktikabel für den Massenmarkt. Vielleicht ist ja genau diese schwer überschaubare Dimension an Daten der Grund für manche Hersteller, eigene, an MXF angelehnte proprietäre Exzerpte zu implementieren — womit der Gedanke des freien File- und Datenaustauschs natürlich wiederum ad absurdum geführt wird.
Wir Anwender sind angewiesen auf maximale Interoperabilität und müssen Systeme in Abhängigkeit ihrer Leistungsfähigkeit und nicht ihrer Herstellerzugehörigkeit entsprechend einsetzen können. Als Integrator und Anwender müssen wir zudem über die Option verfügen, die besten Produkte unterschiedlicher Hersteller kombinieren zu können. Dies war bisher ja auch möglich. Weshalb also sollte ich mich jetzt beim Einsatz von IT-Technik zurückentwickeln?
www.film-tv-video.de: Wie reagieren die Hersteller darauf?
Chris Wieland: Sie beziehen sich unisono auf den MXF-Standard und liefern aber dann doch eine proprietäre Abwandlung aus MXF oder sind in bestimmten Funktionen nicht produktionskompatibel. Leider sind wir in der vernetzten Produktion jedoch darauf angewiesen, während der laufenden Übertragung von Essenzen schon darauf zuzugreifen. Die aus diesem Fall resultierende Gesamtbearbeitungszeit bei großen Dateien erzielt schlechtere Werte als alte erprobte Linearprozesse.
www.film-tv-video.de: Bringt denn unter diesen Bedingungen der Wechsel zur IT-Technik noch den Nutzen, den man sich als Anwender erhofft, oder bedeutet er zunächst sogar erheblichen Mehraufwand?
Chris Wieland: Letztendlich besteht der größte Nutzen derzeit darin, dass man weniger Kopierprozesse und damit auch deutlich geringere Qualitätsverluste hat. Ich kann auch Material im Netzwerk verteilen, ohne dass ein Band in die Hand genommen werden muss. Arbeitsprozesse werden dadurch auf jeden Fall verschlankt. Unterm Strich werden wir in ein paar Jahren sicherlich mit einer funktionierenden neuen Technologie arbeiten — vorausgesetzt Hersteller und Anwender gehen diesen Weg gemeinsam.
Auf lange Sicht werden wir also eleganter, weil vernetzt und teilweise ortsunabhängig, produzieren können — aber gleichzeitig reduziert sich die typische Fehlertoleranz der Systeme. Daraus ergeben sich neue organisatorische und technologische Anforderungen an Hersteller und Anwender.
www.film-tv-video.de: Wie fängt man als Integrator und Anwender dieses Problem auf? Sie sind ja letztlich gegenüber Ihren Kunden in der Pflicht.
Chris Wieland: Das ist natürlich nicht ganz einfach. Hier bauen wir auf gute Organisation und auch auf neueste Netzwerktechnologien. Wir versuchen so weit als möglich autarke Funktionsinseln zu realisieren. Des Weiteren haben wir uns entschlossen, unser Broadcast-IT-Netzwerk auf MPLS-Technologie zu betreiben. Dies ist der derzeit höchste und sicherste erhältliche Standard. Das Netzwerk ist in seinem Design auf absolute 1:1-Redundanz hin ausgelegt, bis hin zur Energieversorgung der Einzelkomponenten.
In der klassischen Videotechnik ließen sich solche Anforderungen einfacher lösen. Auf File-Ebene ist das nicht mehr so unkompliziert. Netzwerke sind aufgrund ihrer Intelligenz zumindest nicht patchbar. Letztendlich müssen wir hier einfach neue Wege beschreiten, die zwar erst einmal anders, aber nicht per se und keineswegs in allen Aspekten, besser oder schlechter sind.
www.film-tv-video.de: Werden größere Firmen wie Plazamedia in Zukunft verstärkt Mitarbeiter brauchen, die sich um die Schnittstellenproblematik kümmern?
Chris Wieland: Das sehen wir absolut als neues Berufsbild. Viele Firmen werden solche Experten im eigenen Haus beschäftigen müssen, denn dieses Know-how kann man nicht außer Haus geben oder zukaufen. Wir haben mittlerweile eine ganze Abteilung solcher Spezialisten, was letztendlich ein großer Wettbewerbsvorteil ist.
In der TV-Produktion brauchen wir eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung. Unser System ist nur gut, wenn es im 24/7-Betrieb standhält. Eine Abhängigkeit von externen Dienstleistern sehe ich daher für uns als nicht optimal an. Deshalb beschäftigen wir mittlerweile eine eigene Software-Entwicklung und eine Broadcast-IT-Abteilung, die die komplette Produktionsinfrastruktur auf der Netzwerkseite aufsetzt und betreibt.
www.film-tv-video.de: Was bedeutet das für die klassischen Videoanbieter wie Sony und Panasonic, wenn sich die ganze Branche von der klassischen Videotechnik immer mehr entfernt und stattdessen der IT-Technik annähert?
Chris Wieland: Den klassischen Broadcast-Lieferanten mit proprietärer Elektronik, wird es zukünftig in dieser eindeutigen Form nicht mehr geben. Mein heutiger Wunschanbieter kommt zwar noch aus dieser Zeit, versorgt mit dem Grundverständnis für 100%ige Produktionssicherheit bewegt er sich aber in Richtung der IT-basierten Systeme. Er bietet mir also nicht nur die neuen Technologien, sondern auch die Sicherheit, die er in der Vergangenheit Dank dedizierter Hardware auch geliefert hat. Das kann mir ein reiner IT-Technologieanbieter aus der Erfahrung heraus noch nicht ganz bieten. Im klassischen Broadcast-Sektor benötigen wir eine Verfügbarkeit, die nahe bei 100% liegt.
Anders stellt es sich dar, wenn wir neue Formate und neue Zielgruppen erschließen und hier der klassische TV-Ansatz nicht zum tragen kommt. Im Web-TV-Sektor werden derzeit noch kleine Störungen toleriert, und so lange das so bleibt, sind auch die Herstellungskosten deutlich reduzierbar. Aber wenn wir über Produkte wie die Fußball-Bundesliga oder andere extrem teure Rechte sprechen, ob in TV oder IP-TV übertragen, ist schon ein Sekundenausfall katastrophal.
www.film-tv-video.de: Die Hersteller haben hier natürlich das Problem, dass sehr viele ihrer Kunden nicht mehr bereit sind, für die hohe Systemverfügbarkeit auch einen hohen Preis zu bezahlen. Viele wollen hohe Verfügbarkeit und einen niedrigen Preis.
Chris Wieland: Das ist richtig. Wer aber zum einen propagiert, dass mit IT-Technik zu geringen Kosten alles möglich ist, der muss sich über genau diese Kundenanforderungen nicht wundern. Spätestens in der vernetzten Produktion geht diese Rechnung aber aufgrund der hohen Infrastrukturkosten nicht mehr auf.
www.film-tv-video.de: Was könnten die Hersteller stattdessen tun?
Chris Wieland: Persönlich denke ich, dass sich die Hersteller letztlich auf zwei klar getrennte Produktschienen festlegen sollten — zum einen auf ein anspruchsvolles und hochverfügbares Angebot, welches die Anforderungen der gewohnten TV-Qualität erfüllt. Daneben eine günstige Linie, die tatsächlich nur einen Bruchteil des Broadcast-Preises kostet, aber eben auch nicht diese Verfügbarkeit und Leistungsfähigkeit bietet.
www.film-tv-video.de: Aber ist es denn für die Hersteller auf lange Sicht überhaupt möglich, eine teure anspruchsvollen und eine günstige Produktlinie getrennt zu entwickeln und zu unterhalten? Trägt sich das überhaupt noch?
Chris Wieland: Ich denke schon, dass zwei Produktlinien parallel Bestand haben können. Denn die Marktpolarisierung wird weitergehen: Der High-End-Bereich hat seine Berechtigung und wird in HD weiter wachsen, auch wenn der große Hype derzeit in Richtung New Media geht. Dieser Konsumsektor bietet im Augenblick das größte Entwicklungspotenzial und wird zumindest parallel bestehen und natürlich auch neue interessante Märkte eröffnen.
www.film-tv-video.de: IT-Technik ist nicht nur aus technischer Sicht eine große Veränderung, sie erfordert auch vom Personal andere Kenntnisse. Bestimmte Berufsbilder verändern sich, manche fallen weg und neue kommen hinzu. Wie reagierten die Mitarbeiter bei Plazamedia auf die Veränderungen?
www.film-tv-video.de: Chris Wieland: Bei uns lief dieser Prozess quasi schleichend ab. Große Brüche gab und gibt es nicht. Wir nehmen unsere Kollegen mit auf den technologisch neuen Weg — und sie gehen diesen auch mit. Dadurch, dass wir uns schon seit einigen Jahren mit IT beschäftigen und mit kleinen Inseln schon viele Erfahrungen sammeln konnten, lernen auch die Mitarbeiter Stück für Stück, mit der neuen Technologie umzugehen.
www.film-tv-video.de: Kann man denn als Dienstleister überhaupt noch so viel Geld in neue Technologien investieren? Oder setzt man sich als Early Adopter einer Technologie aufgrund des starken Preisverfalls nicht ohnehin einem zu großen Risiko aus?
Chris Wieland: Für mich ist die Antwort klar: Als Early Adopter habe ich die Möglichkeit, Entwicklungen aktiv zu beeinflussen, um so die Aufträge mit dem bestmöglichen Werkzeug bearbeiten zu können, und technologisch an der Spitze zu stehen. Letztlich ist der Preisdruck am Markt groß und wir alle müssen mit diesem Preisverfall auch etwas mitgehen. Damit muss man sich einfach abfinden, das Rad dreht sich mit der IT-Technik einfach wesentlich schneller.
Downloads zum Artikel: