Broadcast, Top-Story: 08.06.2006

Fußball regiert die Welt

Auf den TV-Schirmen herrscht Ausnahmezustand: Schon jetzt und erst recht für die folgenden vier Wochen dominiert Fußball die Programme — hierzulande besonders stark, aber auch in allen anderen Ländern, in denen es ein Mindestmaß an Fußballbegeisterung gibt. Ein Fest für die Fans und ein Fest für die Medienbranche – kein anderes Sport-Event wird so aufwändig produziert wie die Fußball-WM. www.film-tv-video.de beleuchtet die technischen Seiten der Produktion: Im Zentrum des WM-Reports steht neben der HD-Ü-Wagen-Technik aus Deutschland auch das International Broadcast Center in München und auch der dort angesiedelte Bereich New Media. (PDF-Download im druckfreundlichen Layout mit mehr Bildern und weiteren Infos am Ende des Online-Artikels.)

In der Bevölkerung grassiert das WM-Fieber schon seit Wochen – und dürfte seinen vorläufigen Höhepunkt beim Eröffnungsspiel Deutschland gegen Costa Rica am 9. Juni in München erreichen. Mit weiteren Fieberschüben ist im Verlauf des Turniers zu rechnen, wenn bei jedem Spiel geschätzte rund 500 Millionen Zuschauer an TV-Geräten weltweit zuschauen werden. Den absoluten Höchststand wird die Fieberkurve wohl beim Endspiel in Berlin erreichen: Dann werden nach aktuellen Schätzungen rund 1,5 Milliarden Fernsehzuschauer in aller Welt verfolgen, welche Mannschaft die begehrte Trophäe gewinnen und für die nächsten vier Jahre mit nach Hause nehmen wird.

In der TV-Branche ist das Fieber schon länger virulent: schon vor drei Jahren begann die Planung der TV-Übertragungen, die Hochphase der Installationen und Tests lag unmittelbar vor dem Beginn der Weltmeisterschaft. Nun geht es auf der technischen Seite eher darum, ruhig Blut zu bewahren, professionell zu arbeiten und mögliche Probleme und Krisenherde rasch und geräuschlos zu beseitigen. Der technische Aufwand war im Vorfeld und ist während der laufenden Berichterstattung enorm, er sprengt unter zahlreichen Aspekten alles bisher realisierte.

HBS: Host Broadcaster der Fußball-WM

Die Fifa, der internationale Fußballverband, lässt sich die Rechte für die Berichterstattung mit exorbitant hohen Summen bezahlen. Die Fifa nimmt nach eigenen Angaben allein mit den Rechten für Fernsehen und neue Medien bei dieser WM rund 1,8 Milliarden Schweizer Franken ein. Bei solchen Zahlen wirken die Produktionskosten für die Bild- und Tonübertragung der aktuellen WM in Höhe von rund 170 Millionen Schweizer Franken mindestens vertretbar, wenn nicht sogar gering, aber sie sind im Vergleich zu anderen Sportveranstaltungen dennoch rekordverdächtig.

Die Fifa hat mit Planung und Produktion der technischen Seite der WM-TV-

Übertragungen die Firma Host Broadcast Servcies (HBS) beauftragt. HBS produziert die offiziellen, international verfügbaren Be-wegtbilder der WM, das sogenannte Weltbild. Dieser Begriff ist ein wenig irreführend, denn es handelt sich keineswegs um ein einziges Sendesignal, sondern um zahlreiche parallel angebotene Bild- und Tonsignale, die in Form unterschiedlicher Pakete angeboten werden. Über 270 Broadcaster aus 200 Ländern haben Rechte erworben, auf diese Signale in der einen oder anderen Form zugreifen zu können. Je nach erworbener Nutzungslizenz können die Sender zusätzlich noch eigene Technik aufbauen und ihr Programm mit eigenen Signalen aus den Stadien anreichern. Zudem bauen natürlich viele Sender auch noch temporäre WM-Studios auf, um ein eigenes Rahmenprogramm zu gestalten.

HBS produzierte bereits die WM in Südkorea und Japan und erhielt von der Fifa kürzlich auch den Zuschlag für die Produktion der nächsten WM in Südafrika. HBS-Chef Francis Tellier erläutert, dass die Firma über einen festen Stamm von rund 25 Mitarbeitern verfüge, der aber während der WM auf bis zu 2.000 Mitarbeiter anwachse. Rund drei Jahre hat sich HBS auf die aktuelle WM vorbereitet, Partner gesucht, organisiert, aufgebaut und überwacht.

Die WM in Deutschland produziert HBS so aufwändig wie keine WM zuvor: Zum einen hat sich HBS schon 2003 für die Produktion in HD und 16:9 entschieden. Zum anderen werden 26 Kameras pro Stadion eingesetzt und den Broadcastern stehen 16 verschiedenen Feeds zur Verfügung, aus deren Bildern und Tönen sie wählen können, wenn sie das maximale Rechtepaket erworben haben. Insgesamt werden bei der Fußball-WM 2006 so viele unterschiedliche TV-Signale in so hoher technischer Qualität wie nie zuvor verarbeitet. Klar ist dabei auch: Wo es um so viel Geld geht, muss auch sehr viel in Backup-Lösungen, in Signalsicherheit und technische Redundanz investiert werden, was den Aufwand noch einmal weit über das hinaus wachsen lässt, was man auf den ersten und zweiten Blick sieht.

Um all die ehrgeizigen Pläne umsetzen zu können, die bei HBS im Vorfeld entwickelt wurden, hat sich das Unternehmen schon frühzeitig potente Partner gesucht und etwa mit T-Systems im Jahr 2004 einen Vertrag geschlossen. T-Systems vernetzte auf Basis dieses Vertrags die Stadien mit dem International Broadcast Center in München und schloss hierfür alle zwölf Stadien, in denen WM-Spiele stattfinden, an das schon existierende Glasfasernetz der Telekom an. T-Systems wird während der WM die von HBS produzierten multilateralen sowie die unilateralen Feeds der einzelnen Broadcaster über das eigene Telekommunikationsnetz von den zwölf Stadien zum Internationalen Broadcast Center (IBC) in München übertragen. Dabei existierten jeweils zwei unabhängige 20-Gbps-Glasfaserverbindungen, und um diese 100%-Redundanz noch zu toppen, gibt es als Fall-Back-Lösung auch noch eine Satellitenverbindung von jedem Spielort zum IBC. »Wir wollen allen Broadcastern HD anbieten, deshalb werden HD-Signale via Glasfaser aus den Stadien übertragen,« beschreibt Helmut Egenbauer, Senior Executive Vice President von Media & Broadcast, eine der Leistungen von T-Systems.

Als zweiten wichtigen WM-2006-Partner wählte HBS »nach einer harten aber fairen Bieterkonkurrenz«, wie man bei HBS betont, Grass Valley aus. Francis Tellier erklärt, dass Grass Valley schon früh nach der Vereinbarung der Zusammenarbeit eine extrem wichtige Rolle für HBS gespielt habe und immer noch spiele. Man habe das mit dem Hersteller getroffene Agreement als »Premiere Supplier« für die notwendigen Broadcast-Installationen bislang nicht bereut — ein endgültiges Resümee lasse sich natürlich erst nach Ende der WM ziehen.

Laut Hervé Dammann, General Manager der Systems-Gruppe bei Grass Valley, arbeitet auch Grass Valley seit zwei Jahren am »WM-Projekt« und hat in dieser Zeit nach eigenen Angaben bis zum Beginn der WM schon mehr gut 50.000 Mannstunden investiert. Große Teile davon flossen in Planung und Bau des International Broadcast Centers in München. Insgesamt sieht sich Grass Valley nicht als Equipment-Lieferant sondern als Service-Provider, der für HBS auch Integration, Installation, Inbetriebnahme und Teile der Organisation übernommen hat.

Weiter hat Grass Valley auch die Ausstattung der HD-Ü-Wagen an den Wettkampforten geplant und ?überwacht. Die Ü-Wagen mietet HBS für die Fußball-WM bei Ü-Wagen-Dienstleistern an, so wie das Unternehmen üblicherweise den weitaus größten Teil des eingesetzten Equipments anmietet. Grass Valley plante und überwachte, dass die HD-Ü-Wagen den festgelegten Anforderungen entsprechen, außerdem plante und realisierte Grass Valley neue HD-Ü-Wagen im Auftrag der TV-Dienstleister, die während der WM für HBS arbeiten. Neue Wagen aus Deutschland orderten Wige und Studio Berlin Adlershof sowie aus England die Firma Visions. Neben diesen drei von Grass Valley neu aufgebauten Wagen suchte das Unternehmen für HBS noch Media Pro aus Spanien aus und aus Frankreich kommt von VCF und Visual TV je ein Ü-Wagen. (Mehr über den Einsatz der genannten und weiterer HD-Ü-Wagen aus Deutschland bei der Fußball-WM2006 lesen Sie in separaten Artikeln bei www.film-tv- video.de.)

Jeder dieser für das offizielle Bild eingesetzten Ü-Wagen wechselt während der WM ständig zwischen zwei Spielorten hin und her. Für den Fall einer Havarie oder eines Verkehrsunfalls steht zusätzlich zu den sechs genannten ein weiterer HD-Ü-Wagen als »Back-Up-Lösung« für den Notfall bereit — er kommt von der britischen Firma Visions.

Einige Zahlen verdeutlichen den Umfang des Engagements von Grass Valley: Der Hersteller lieferte für den Bau des IBC und an die diversen TV-Dienstleister mehr als 182 Kameras, 10 Mischer-Systeme (XtenDD und Kalypso), 12 große Trinix-Kreuzschienen-Systeme und über 900 Modular-Einheiten fürs Signal-Processing (Kameleon und Gecko). Kein anderer Hersteller könne diese umfassende Bandbreite an Produkten liefern, merkt Hervé Dammann von Grass Valley an und ergänzt, dass mit diesem Equipment aus jedem Stadion mehr als 50 Video-Feeds mit Embedded Audio ins IBC geschickt werden, wo im Master Control Room zu Spitzenzeiten rund 250 Signal-Feeds parallel verarbeitet werden.

Die WM in HD — auch beim Endkunden?

Von offizieller Seite aus, also durch HBS, wird die Fußball-WM komplett in HD produziert. Alle Signale werden aus den Stadien unkomprimiert ins IBC übertragen. Die Mehrzahl der Broadcaster wird zwar kein HD-Signale senden, aber dennoch von der höheren Signalqualität profitieren, die dadurch erreicht wird. Und es gibt auch Broadcaster, bei denen die Fußball-WM in HD stattfindet und über den Sender geht. So gehören Korea, Japan und die USA zu den Ländern, in denen die Fußball-WM flächendeckend in HD zu sehen ist. Aber auch in Europa gibt es die Fußball-WM in HD: Premiere in Deutschland, aber auch Broadcaster in Dänemark, Holland, Schweden, Italien, Frankreich und Großbritannien werden HD-Übertragungen bis zum Endkunden haben. Den Flaschenhals bilden in Europa die Set-Top-Boxen, die nach Industrie- und Händlerangaben nicht in ausreichender Zahl verfügbar sind.

Produktion in den Stadien

Die TV-Dienstleister von HBS setzen in den Stadien für die Produktion der Spiele je 25 HD-Kameras ein, die neben dem Geschehen auf dem Spielfeld auch die Trainerbank und die Publikumsränge erfassen. Sechs dieser 25 HD-Kameras sind Slow-Motion-Kameras, kabellose HD-Kameras werden in den Stadien nicht eingesetzt. Hinzu kommt jeweils noch eine im Stadion fest eingebaute »Roof-Cam«, die einen kompletten Überblick von oben bietet. Zum Vergleich: Selbst bei den ebenfalls schon extrem aufwändig produzierten Champions-League-Endspielen wurden bislang maximal 22 Kameras eingesetzt.

Die Kameraleute zeichnen bei den Spielen im »Shoot & Protect«-Modus mit klaren Vorgaben für die Gestaltung des Bildausschnitts ein 16:9-Bild in HD und 1080i auf. Neben dem Master-Ü-Wagen platziert HBS bei jedem Spiel noch ein Slomo-Fahrzeug für HD-Replays sowie ein weiteres Fahrzeug für die Grafik. Diese Signale werden von den Technical Operation Centers (TOC) aus den Stadien über Glasfaser-Leitungen ins IBC übertragen, wobei T-Systems die schon erläuterten Redundanzen vorhält.

Alle Kameras sind laut Grass Valley mit HD-Objektiven bestückt, die meisten davon sind große Box-Objektive. Die Aufzeichnung der von den Kameras eingefangenen Signale erfolgt einerseits mit Slomo-Servern von EVS und andererseits mit DVCPROHD-Recordern.

Zusätzlich zu den 26 HBS-Kameras dürfen die »Partner Broadcaster« — das sind in der Regel große Sender, die entsprechende Rechte erworben haben— in den Stadien noch maximal vier eigene Kameras platzieren. Diese werden über die HBS-Infrastruktur angeschlossen, die Sender müssen demnach lediglich die Kameras mitbringen und anschließen, eigene Kabel müssen nicht gezogen werden. Neben einigen anderen großen Broadcastern werden auch ARD und ZDF diese Möglichkeit nutzen und dementsprechend mit eigenen Kameras und Ü-Wagen weitere Bilder aus den Stadien für die eigene Berichterstattung einfangen und ans IBC übertragen — allerdings in SD.

Mit den genannten und weiteren Quellen kommen pro Stadion und Spiel rund 50 Video-Feeds mit Embedded Audio im IBC an. Im IBC werden während der Fußball-WM voraussichtlich 2.200 Stunden Material aufgezeichnet, sofort geloggt, archiviert und dann sofort minutenweise an Sender verkauft, die keine größeren Rechte an der Fußball-WM gekauft haben.

HBS produziert bei der WM in Deutschland wie schon in Korea/Japan mit dem »Dreamteam«-Konzept. Francis Tellier von HBS erläutert, dass HBS dabei sechs erfahrene Bildregisseure und auch sechs komplette Venue-Teams beschäftigt, die alle schon mehrere Top-Fußball-Events realisiert haben und zum Großteil schon bei der WM in Korea und Japan mit dabei gewesen sind. Aus England gehören John Watts und Jamie Oakfoard, der das Endspiel des Confederations Cup verantwortete, zum Team, aus Frankreich Francois Lanaud und Francois-Charles Bideaux. Aus Deutschland ist Wolfgang Straub mit dabei, der schon bei der WM in Japan und Korea mitgearbeitet hatte und der unter anderem für Sat.1 die Bundesliga, für RTL die Champions-League und für die ARD etliche Spiele der Nationalmannschaft realisierte. Neu im Team ist Knut Fleischmann, ebenfalls aus Deutschland. Er hat als Bildregisseur schon zahllose Bundesligaspiele für ARD, Sat.1 und Premiere produziert, ebenso Champions-League-Spiele für Sat.1 und Premiere und den DFB-Pokal für die ARD.

Bei der Produktion der WM-Spiele können die sechs Bildregisseure jeweils mit ihren eingespielten Teams arbeiten, sie müssen sich jedoch an die Vorgaben von HBS halten, um ein einheitliches Produktionsbild zu liefern. Dass beim Weltbild kein Platz für außergewöhnliche Spielereien ist, versteht sich von selbst. Deshalb wird HBS einen vergleichsweise konservativen Bildstil einhalten, der die Anforderungen möglichst vieler Broadcaster weltweit erfüllt, so Francis Tellier.

Eine Besonderheit bei der WM-Produktion sind die zahlreichen unterschiedlichen Signal-Feeds, die HBS den Broadcastern in unterschiedlichen Programm-Paketen anbietet: Die Basic Feeds (BIF, Basic International Feed) stehen allen Sendern zur Verfügung. Zusätzlich produziert HBS jedoch Super Feeds, also weitere Signale unterschiedlichsten Inhalts. Diese Super Feeds stehen jenen Sendern zur Verfügung, die entsprechende Rechte erworben haben. Im Unterschied zur WM 2002, wo es die Super Feeds lediglich im Komplettpaket gab, wird es den Sendern bei der WM 2006 möglich sein, einzelne Super Feeds individuell zu ordern und zu nutzen.

Das hat für die Abnehmer viele Vorteile: Kleinere Sender, die sich keine oder nur eingeschränkte eigene Berichterstattung leisten können, haben etwa dank der EBIF-Show Zugriff auf ein hochwertig produziertes Komplettprogramm. Größere Broadcaster wiederum können sich dank des Multi-Feed-Konzepts von HBS auf die Produktion national relevanter Beiträge konzentrieren, weil sie bei den Multi-Feeds schon aus einer Vielzahl hochwertiger Bilder wählen können.

International Broadcast Center

Das International Broadcast Center (IBC) in München bildet das Herzstück der WM-Produktion. Es ist in drei Messehallen der Messe München untergebracht und beherbergt auf einer Grundfläche von rund 30.000 Quadratmetern den Master Control Room, die zugehörigen Technikräume, aber auch Arbeitsräume, Studios und Regien von rund 90 internationalen Broadcastern, die mit eigenen Teams vor Ort präsent sind und direkt von der WM in Deutschland berichten.

Viele der Sender, die im IBC physisch präsent sind, haben ihr Quartier schon Wochen vor der WM bezogen und produzieren von München aus ein umfangreiches Programm. Als besonders fußballversessen zeigen sich dabei die mexikanischen Sender Televisa und Azteca, die im IBC unabhängig voneinander die beiden größten Studios mit einer Fläche von bis zu 900 Quadratmeter und einer Höhe bis zu 9 m betreiben. Aus den Studios im IBC wird teilweise ein umfangreiches Programm aus Deutschland gesendet, darunter Shows, Beiträge über Land und Leute und vieles mehr. Auch Broadcaster aus Italien, Brasilien und den USA betreiben im IBC beachtlichen Aufwand, um ihr Fußball-Programm für zuhause zu produzieren.

Gerade für Brasilien spielt auch die Radioberichterstattung von der WM eine wichtige Rolle. Die entsprechenden Studios und Arbeitsplätze der Radiosender unterschiedlichster Nationen sind rund um die »Radio Plaza« des IBC gruppiert — einem Ort, an dem es während der WM auch bei deutschen Temperaturen heiße Gefühle geben dürfte.

Aber nicht nur heißblütige Kommentatoren, sondern auch die geballte Technik im IBC sorgen für massive Wärmeentwicklung, der man mit umfassender, zusätzlicher Klimatechnik in den Messehallen zuleibe rückt. Temperatur ist auch ein wichtiges Thema für die Sicherheitsexperten: Aufgrund der Holzbauweise des IBC forderte etwa der Brandschutz zunächst den Einbau von Sprinkleranlagen. Eine Anforderung, die jedem Techniker den Schweiß auf die Stirn treibt, wenn er sich vorstellt, dass eventuell ein illegal rauchender Mitarbeiter die Sprinkleranlage im benachbarten Technikraum auslösen könnte. Die Vorstellung, dass Equipment unwiederbringlich von einer irrtümlich ausgelösten Sprinkleranlage zerstört und ein großflächiger Stromausfall provoziert wird, ist sehr unangenehm. Also musste eine andere Lösung her: Man entschied sich, in den wichtigen, zentralen Technikräumen den Sauerstoffgehalt soweit zu reduzieren, dass dadurch ein gewisser Feuerschutz erfüllt ist, außerdem ist in diesen Bereichen die Raumtemperatur auf 15 Grad Celsius abgesenkt. In den solchermaßen ausgewiesenen Räumen entspricht der Sauerstoffgehalt nun dem eines Niveaus von 3.000 m — was wiederum dazu führt, dass sich nur medizinisch dafür für tauglich befundene Mitarbeiter für maximal drei Stunden am Stück in diesen Technikräumen aufhalten dürfen.

Damit die rund 3.000 Mitarbeiter im IBC nicht nur hart arbeiten und ansonsten darben müssen, sondern auch die Spiele verfolgen können, wenn sie mal Zeit dafür haben, sind auf dem kompletten Gelände rund 300 Monitore installiert und es gibt auch einen Biergarten. Sehr interessant dürfte für die Mitarbeiter aber auch das HD-Kino inmitten des IBC sein. Dort werden die Spiele mit einem Barco-Projektor in HD auf eine große Leinwand projiziert. Es ist zu erwarten, dass hier die beste Projektion von WM-Spielen weltweit zu sehen ist, denn das Signal, mit dem hier der Projektor beschickt wird, kommt direkt und unkomprimiert aus dem jeweiligen Stadion, das Bild wurde also auf dem Weg zu dieser Leinwand nicht x-fach komprimiert und dekomprimiert.

Es gibt neben dem Kino auch noch einige andere Möglichkeiten, im IBC HD-Bilder in höchster Qualität zu sehen. So betreibt etwa T-Systems im IBC eine VIP-Lounge, in der die Spiele auf 47-Zoll-Barco-Schirmen zu sehen sein werden.

Das HD-Kino und die T-Systems-Lounge befinden sich in direkter räumlicher Nähe zur »Bayern Plaza«, einem Platz auf dem IBC-Gelände, der als Kulisse für Interviews, Shows und Beiträge aller Art dienen soll: Hier finden sich großformatige Kulissen bayerischer Berge und Seen, aber auch dörfliche Ansichten und Straßenzüge. Geht es nach den IBC-Planern, werden die Sender aus aller Welt die Bayern-Plaza nutzen, um vor diesen Kulissen kurze Programm-Einspieler zu produzieren. Fest geplant sind derzeit BR-Showeinlagen mit »Waldi und Harry« sowie Teile des gemeinsamen Morgenmagazins von ARD und ZDF.

Technik und Signalverarbeitung im IBC

Im International Broadcast Center (IBC) in München laufen im Master Control Room (MCR) alle Signale aus den Stadien für rund 2.200 Stunden Programm zusammen. Während HBS auch die Einrichtungen, die im Master Control Room genutzt werden, üblicherweise nur für die Dauer des jeweils zu produzierenden Events anmietet, läuft das im aktuellen Fall anders: HBS hat die Einrichtung des Master Control Rooms erworben, weil das gleiche Equipment beim nächsten großen Event, das HBS produziert, wieder eingesetzt werden soll. Das sind die Asian Games, eine Art olympischer Spiele asiatischer Sportarten, die in Doha stattfinden — und es ist in diesem Fall einfach preisgünstiger für HBS, das Equipment zu erwerben und dorthin zu transferieren, als es dort wieder anzumieten.

Auf sechzehn 70-Zoll-Multi-Screens werden im Master Control Room alle aus den Stadien ankommenden Signale überwacht, kontrolliert und verteilt. Es sind bis zu 144 SD-Feeds und 18 HD-Feeds gleichzeitig, die im MCR überwacht, weitergereicht und dann von den einzelnen Sendern weiter verarbeitet werden, bevor sie dann wieder via Satellit zu den Broadcastern in alle Welt abgesetzt werden. Dass hierfür massive Routing-Kapazitäten notwendig sind, versteht sich von selbst und erklärt die hohe Zahl der von Grass Valley gelieferten Kreuzschienen, die insgesamt eine virtuelle Matrix von 6.000 Quellen und 6.000 Senken bilden.

Der Master Control Room und die ihm zugeordnete Technik belegen insgesamt rund 800 Quadratmeter. Der von außen durch eine Scheibe sichtbare Teil mit den Multiviewer-Systemen repräsentiert nur einen kleinen Teil davon. So gibt es etwa in der Nähe des Master Control Rooms auch einen Maintenance Room, in dem T-Systems-Mitarbeiter damit beschäftigt sind, die Qualität der Signalübertragung lückenlos zu überwachen und sicherzustellen.

Neben den Studios der einzelnen Broadcaster und dem MCR gibt es im IBC auch zahlreiche Nachbearbeitungsräume und Regien, die entweder einzelnen Broadcastern zugeordnet sind oder von HBS und seinen Dienstleistern genutzt werden. Hier werden Live-Sendungen gefahren aber auch Aufzeichnungen produziert und es wird natürlich geschnitten und bearbeitet. So produzieren etwa 14 Crews Beiträge für das EBIF-Angebot von HBS. Teilweise schneiden diese Crews das Material schon vor Ort mit Avid-Laptops und schicken dann schon fertige Beiträge in das im IBC angesiedelte Production Center von HBS, teilweise wird das Material aber auch erst im IBC bearbeitet.

T-Systems wickelt neben der Signalverteilung im Auftrag von HBS auch die Verteilung der Signale der verschiedenen Broadcaster in die jeweiligen Länder ab. Übertragen werden diese Signale per Telekom Global Net, ATM Broadcast Services und Satellit an die Broadcast-Kunden in der ganzen Welt. Damit die Satelliten-Übertragung für die Broadcaster besonders einfach zu handhaben ist, arbeitet T-Systems mit SES-Astra zusammen. Beide Unternehmen bündeln ihre Angebote im Service-Paket »Content Delivery Worldwide«, das sich aus Programmzuführung, Transponder-Kapazitäten sowie Uplink- und Downlink-Diensten zusammensetzt, die über einen gemeinsamen Ansprechpartner zu buchen sind. Damit können TV-Sender ihre Sportberichte von der Fußball-WM über das International Broadcasting Center (IBC) in München in die ganze Welt übertragen. Aber auch Bilder von anderen Schauplätzen will T-Systems so um die Welt schicken. Das Herzstück bilden dabei die Erdfunkstellen der Telekom-Tochter in Raisting und Usingen, von denen aus die Satellitenflotte von SES beschickt wird.

New Media, IT Command Center

Weil HBS die Fußball-WM 2006 in HD produziert, ist schon die »klassische« TV-Übertragung mit vielen Neuerungen und Innovationen verbunden und es wird hierdurch von vielen auch ein Schub für die generelle Akzeptanz von HDTV erwartet. Gleichzeitig bedeutet die WM aber auch im Bereich von IPTV und Mobile-TV einen großen Sprung. Hier sehen viele der Beteiligten sogar die größere und bedeutendere Technikumwälzung.

Das hierfür während der Fußball-WM eingesetzte Personal und die aufgebaute Technik übersteigen den bei früheren Sportveranstaltungen in diesem Bereich getriebenen Aufwand bei weitem. Die wachsende Bedeutung der »New Media Services«, die Auswertung der WM-Bilder für Handy-TV, für die Übertragung an mobile Endgeräte aber auch fürs Internet-Streaming wird im IBC schon rein räumlich deutlich.

Realisiert wurde der New-Media-Bereich des IBC in weiten Teilen von T-Systems in Zusammenarbeit mit Avaya, Toshiba und Yahoo. Auch der Münchner TV-Dienstleister Plazamedia ist hier aktiv und produziert beispielsweise Bild- und Video-MMS (Multimedia Messaging Services – quasi die »Bild-SMS«). Außerdem erstellt Plazamedia für Premiere und verschiedene deutsche Mobilfunkbetreiber Mobile-TV-Inhalte der WM. Zu insgesamt 20 ausgewählten Spielen wird dabei das Premiere TV-Live-Signal für mobile Endgeräte optimiert und kodiert. Weiter produziert Plazamedia im Auftrag von Premiere eine Zusammenfassung mit aktuellen Analysen, Hintergrundberichten sowie Experteninterviews zu einzelnen Spielbegegnungen. Ausgestrahlt wird das 15-minütige Streaming-Format auf den Mobilfunkportalen von T-Mobile und Vodafone.

Im Bereich New Media herrscht während den laufenden Spielen also höchste Betriebsamkeit: Hier wählen speziell hierfür ausgebildete Mitarbeiter im Auftrag von T-Systems manuell aus dem ankommenden Bildmaterial die wichtigen Bildausschnitte aus und bereiten sie für die optimale Darstellung auf Handy-Displays auf. Außerdem werden die New-Media-Übertragungen mit einem eigenen Kommentar in acht Sprachen versehen. Die Aufbereitung des Bildmaterial braucht Zeit, deshalb gibt es einen Zeitversatz zwischen dem tatsächlichen Geschehen und der »New-Media-Übertragung«. Die Anbieter sind aber nicht nur bemüht, diesen Zeitversatz klein zu halten, sondern auch vertraglich dazu verpflichtet: Die Lizenzvereinbarung definiert nämlich ein Zeitfenster, innerhalb dessen die Übertragung noch als »live« gilt und das die Anbieter einhalten müssen.

Die bearbeiteten und für Mobile-TV aufbereiteten Clips stellt T-Systems dann den Mobilfunkanbietern zur Verfügung, die eine entsprechende Lizenz erworben haben, das sind neben der Konzernschwester T-Mobile aber auch andere Firmen wie O2 und Vodafone. Wer also die WM auf einem Handy verfolgt, der kann je nach Anbieter erwarten, dass er speziell für die kleinen Displays aufbereitete und optimierte Bilder zu sehen bekommt, anstatt nur ein reguläres TV-Bild auf einem Minischirm betrachten zu müssen.

Auch Francis Tellier von HBS glaubt fest an das Wachstum der »Neuen Medien« und meint, dass dieser Bereich bei der nächsten WM einen weiteren Wachstumsschub erleben werde. Schon in diesem Jahr haben Anbieter aus mehr als 100 Ländern New-Media-Lizenzen erworben und man kann diesen Bereich zur WM 2006 im Realbetrieb, »unter Last« erleben.

Neben den New-Media-Auswertungen kommen dem IT-Command-Center (ITCC) auch noch weitere, letztlich sogar wichtigere Aufgaben zu, für die sich Fifa und HBS die Deutsche Telekom als Partner suchte, deren Töchter T-Systems und T-Com schon vor drei Jahren begonnen haben, die Informations- und Kommunikations-Strukturen für die WM zu entwickeln und umzusetzen.

Dazu sagt Udo Großcappenberg, Projektkoordinator bei T-Systems: »Die Anforderungen sind hoch. Die Fifa erwartet von uns zum Beispiel Dienstleistungen zu Daten- und Sprachnetzen in einer Qualität, die sogar die Anforderungen von Kunden aus der Wirtschaft übersteigt«. 99,9 Prozent beträgt demnach die vertraglich vereinbarte Verfügbarkeit, in der das gesamte Organisationsteam und sämtliche Fifa-Mitarbeiter über die Hochgeschwindigkeitsnetze auf Daten verschiedener Programme zugreifen können müssen. Neben den Tests im Vorfeld soll ein gesicherter Betrieb den reibungslosen Einsatz der Systeme garantieren. Gemeinsam mit dem Event-Information-System, das sämtliche Informationen zum eigentlichen Spielbetrieb verwaltet, betreibt T-Systems die Lösungen auf mehr als 25 Servern in einem der Hochsicherheits-Rechenzentren des Unternehmens. Weiter laufen in München während der WM alle technischen Anfragen aus den Stadien und auch von anderen Standorten ein. Auf Großbildschirmen überwachen und steuern die Mitarbeiter von T-Systems das Netz und sollen so dafür sorgen, dass im Problemfall sofort ein Experte vor Ort ist. So werden während der WM allein von T-Systems rund 130 Mitarbeiter pro Stadion und Spiel für die Fifa unterwegs sein.

Fußball für alle

Die Fußball-Weltmeisterschaft wird im Jahr 2006 mit deutlich größerem Aufwand produziert als je eine WM zuvor. Genau dasselbe wird man wohl in vier Jahren über die WM in Südafrika schreiben und lesen können: Schließlich verdient die Fifa mit den medialen Verwertungsrechten Unsummen, die Sender müssen also ihrerseits wieder das maximale aus ihrer Berichterstattung heraus pressen.

Angenehmer Nebeneffekt für Fußball-Fans: Auch die Qualität der Übertragungen wird mit jeder WM besser, schließlich muss die Fifa für die Preise, die sie für die Rechte verlangt, auch etwas bieten. Hinzu kommt, dass jede Fußball-WM auch immer schon Motor für die gesamte Medienbranche war und technologische Entwicklungen voranbrachte: 1970 kam für viele Fans die Farbe ins Spiel, 1974 gab es die ersten Zeitlupen zu bewundern, 1990 war das erste HD-Match zu sehen, vor vier Jahren ?etablierte HBS das Multifeed-Konzept und in diesem Jahr sind nun alle Spiele in HD verfügbar. Und auch wenn sich HD trotz der WM noch nicht in dem Maße etabliert hat, wie es sich mancher erhoffte: der Weg für HD ist in jedem Fall geebnet, der hochauflösende Standard wird seinen Weg machen – und zwar nicht nur beim Sport. Vielleicht kann man sogar darauf hoffen, dass die nächste WM dann schon in 1080p produziert wird?

Zunächst bleibt aber die Fußball-WM 2006 das Maß der Dinge und es gibt trotz intensiver Planung und Vorbereitung auch auf technischer Seite noch etliche offene Fragen. Der Job bleibt also für die Planer, Organisatoren und Techniker von HBS und den Broadcastern auch während der laufenden WM spannend. Selbst wenn keinerlei Probleme auftreten sollten, ist das so, denn vieles, was die Übertragung und technische Abwicklung betrifft, entscheidet sich erst nach den ersten 48 Spielen. Dann wird der eine oder andere Sender eines überraschend weitergekommenen Teilnehmerlandes vielleicht doch noch rasch zusätzliche Kapazitäten benötigen…

Downloads zum Artikel:

T_WM2006_IBC.pdf

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