XDCAM beim WDR
XDCAM-Equipment ist mittlerweile auf breiter Basis verfügbar. Zeit für ein ausführliches Gespräch mit einem der bislang größten XDCAM-Anwender weltweit: dem WDR. (PDF-Download mit Zusatzinfos am Seitenende).
»Die Optical Disc ist kein neues Format, sondern ein neues Aufzeichnungsmedium, das bekannte Formate wie DVCAM und IMX bandlos aufzeichnet.« So lautet das Mantra des Sony-Vertriebs zu XDCAM, seit das Unternehmen die Scheibe für den Profimarkt vorstellte. Das kann man zwar auch ganz anders sehen, beides spielt aber letztlich gar keine Rolle: Optical-Disc-Equipment ist im Markt und es hat zumindest das Potenzial, deutliche Auswirkungen auf die Produktionsweise nach sich zu ziehen.
Man kann zwar mit der Scheibe auch ganz klassisch so weiter arbeiten, wie man das bisher mit Band getan hat, aber das hieße, die meisten Vorteile des Mediums zu verschenken. Somit ist XDCAM in der Konsequenz eben doch mehr als nur ein neues Aufzeichnungsmedium.
Dieser Beitrag stellt die Besonderheiten des Systems vor, beleuchtet den Einsatz des Systems beim WDR. Ein separat verfügbarer Praxistest gibt erste Eindrücke der Arbeit mit dem System wieder.
Von MPEG-2 zu XDCAM
1999 schloss der WDR mit Sony einen Kooperationsvertrag mit dem Ziel, das Betacam-SP-Format im Haus ab zu lösen und stattdessen auf MPEG-2 in der Variante mit 50 Mbps und I-Frame-Only-Kodierung zu setzen, also auf das spätere IMX-Format.
Dass sich der WDR schon 1999 für diesen Weg entschied und das auch ganz offiziell kundtat, sorgte damals nicht nur für Zustimmung, schließlich preschte der Sender mit dieser Entscheidung für den Geschmack etlicher Broadcaster zu früh vor – war doch die Diskussion um Sonys MPEG-2- und Panasonics DVCPRO-Format noch in vollem Gange – und das einzige Gerät, das Sony damals zeigen konnte, war ein MPEG-Recorder im Prototypenstadium.
Heinz-Joachim Weber, Produktions-Direktor des WDR, betonte jedoch schon damals, dass sein Sender über ein Archiv mit rund 250.000 analogen und digitalen Betacam-Kassetten verfüge (inzwischen spricht man beim WDR sogar von rund 500.000 Kassetten) und dass man dieses Archiv auch künftig problemlos weiter nutzen wolle – für den WDR einer der wichtigsten Gründe, auf Sonys MPEG-2-Strategie zu setzen – wie auch später für den SFB (heute RBB), den NDR und den BR.
Von XDCAM war im Jahr 1999 freilich in der Praxis noch keine Rede, auch wenn es schon erste Pläne und Entwicklungsansätze für einen Disk-Camcorder gab. Damals ging es zunächst darum, MPEG-2 im Produktions- und Sendebetrieb mit bandbasierten IMX-Geräten voran zu bringen. Der Ansatz des WDR unterschied sich allerdings von dem, den der NDR praktizierte, wo auch bandbasierte IMX-Camcorder angeschafft wurden. Reinhard Bialke, Leiter der Hauptabteilung Produktion Köln beim WDR, betonte dagegen schon in den Anfängen der Migration, dass der nächste Camcorder, den der WDR anschaffen werde, nicht mehr bandbasierend sein solle und dürfe. Es gehe bei der Migration nicht darum, so Bialke damals, ein Bandformat durch ein anderes zu ersetzen, sondern auch darum, ganz neue und vor allem effektivere und schnellere Produktionsabläufe zu etablieren.
Diese Workflows wie auch die dafür notwendigen Produkte sollten in den Jahren nach 1999 noch heiß und oft diskutiert werden. Doch schon früh machte Sonys Senior Manager Broadcast Strategy Jürgen Burghardt klar: »Ein Kunde wie der WDR kauft keine Katze im Sack: Natürlich haben wir dem WDR schon funktionierende Geräte gezeigt. Aber es ist auch klar, dass Welten dazwischen liegen, ein Gerät in seinen Grundlagen zu entwickeln und es dann zur Serienreife zu bringen.«
Der Rest ist Geschichte: Sony gelang es, das MPEG-2-Format mit 50 Mbps unter dem Formatnamen IMX zumindest in Deutschland auf breiter Basis zu etablieren und die Workflow-Aspekte der neuen Technologie gemeinsam mit internationalen Broadcast-Kunden weiter zu entwickeln. Im Jahr 2003 präsentierte Sony dann schließlich den Disc-Camcorder, der zuvor schon auf etlichen Messen einem kleineren Kreis potenzieller Kunden gezeigt worden war: damit begann das Zeitalter der bandlosen Produktion auch bei Sony wirklich in Schwung zu kommen.
Optical Disc beim WDR
Der WDR detektierte Technologie-Trends und legte Investitionsziele fest, die man in der Entscheidungsebene des Senders am besten beim Format IMX und dessen Weiterentwicklung zum XDCAM-Verfahren gewährleistet sah.
Für Reinhard Bialke, Leiter der Hauptabteilung Produktion Köln beim WDR, war schon früh klar, welche Vorteile die bandlose Aufzeichnung auf Disc einem Sender wie dem WDR bringen würde. Sie bestehen aus WDR-Sicht im Wesentlichen darin, dass das Medium nonlineares Arbeiten ermöglicht, andererseits haben Kameraleute und Editoren nach wie vor einen Träger und damit gewissermaßen einen Bandersatz in Händen. Außerdem sahen Bialke und die anderen Entscheider im technischen Bereich großes Potenzial, durch den Einsatz der Optical Disc die Arbeitsabläufe in der Produktion und im Redaktionsbereich verbessern und beschleunigen zu können.
Aus Bialkes Sicht braucht ein Broadcaster wie der WDR einen flexiblen, direkten und schnelleren Zugriff auf das Audio-/Videomaterial, auch der parallele Zugriff mehrerer Redaktionen auf das Material muss in Vorschauqualität möglich sein. Auf diesen Grundkriterien basierend entwickelte der WDR Ziel und Anforderungen, die mit der Einführung von XDCAM nun realisiert werden sollen.
Mehr als 100 EB-Teams und 70 Postproduction-Arbeitsplätze sollen im Verlauf der Umstellung auf XDCAM beim WDR neues Disc-Equipment erhalten. Eine solche Umstellung lässt sich natürlich nicht in einem Schritt bewältigen, also legte der Sender einen Stufenplan fest und setzte Arbeitsgruppen ein, die sich mit der Ausarbeitung der Details befassten.
Wie wurde die Migration von analoger Betacam-Technik zu XDCAM beim WDR konkret vollzogen? Nachdem der WDR die ersten verfügbaren MPEG-IMX-Produkte im Einsatz hatte, zeichnete sich ab, dass mit XDCAM die bandlose Akquisition möglich werden würde. Gegen Ende 2003 konnte der WDR schließlich die ersten XDCAM-Geräte testen und damit ein Pilotprojekt realisieren.
Die Ergebnisse waren so zufriedenstellend, dass der Sender den nächsten Schritt zum »On-Air-Piloten« anschloss, der letztlich zur Investitionsentscheidung für XDCAM führte: 127 Camcorder des Typs PDW-530, 193 Recorder des Typs PDW-1500 sowie 107 Abspieldecks des Typs PDW-V1 sollen bis Ende 2005 beim WDR in Betrieb genommen werden.
Die konkrete Einführung von XDCAM beim WDR auf breiterer Basis und im Alltagsbetrieb beginnt Ende März 2005 im Kölner Raum. Ende Mai sollen dann die Regionen folgen. Betacam SP soll Mitte 2005 beim WDR als Akquisitionsformat endgültig ausgemustert werden.
Komplett vom Band weg zu kommen, das wird aber noch lange dauern: »Wollten wir etwa auch in der Sendeabwicklung kurzfristig vollständig bandlos werden, würde das unsere finanziellen Ressourcen übersteigen«, erläutert Heinz-Joachim Weber.
Der WDR mietet ungefähr 1.000 Teamtage pro Jahr bei externen Firmen an. Was bedeutet der Wechsel zu XDCAM für diese Dienstleister? Es werden weiterhin alle professionellen Formate angenommen, lautet dazu die offiziell WDR-Position. Lediglich DV wird nicht gewünscht und intern nicht unterstützt, während DVCPRO möglich sei, heißt es.
Status Quo
»Der Einstieg in die neue Technik ist für die Mitarbeiter relativ leicht«, betont Reinhold Vogt, Leiter der Hauptabteilung Produktion NRW beim WDR: »Die grundsätzliche Arbeit bleibt ohnehin gleich, die neue Funktionalität wird bei den Teilbereichsversammlungen sehr positiv aufgenommen.«
Klaus Herrmann, Leiter der Hauptabteilung Herstellung und stellvertretender Produktionsdirektor des WDR, betont, dass es für die Kameraleute von Vorteil sei, dass sich der XDCAM-Camcorder weitgehend so bedienen lasse, wie die schon bekannten Digital-Betacam- oder IMX-Camcorder – in vielen Punkten sogar wie ein Betacam-SP-Camcorder. Dank dieser Vertrautheit gelinge die Migration zur bandlosen Akquisition schneller und besser, da die Produktionsmitarbeiter die Scheu vor dem neuen Gerät sofort verloren und im Gegenteil sogar schnell die Vorteile erkannt hätten, berichtet Hermann. Er ergänzt, dass der XDCAM-Camcorder auch bei Mitarbeitern im Studio sehr gut angekommen sei. Der Redakteur müsse sich im Gegensatz dazu schon eher umstellen, wenn er alle Möglichkeiten von XDCAM nutzen wolle, so Herrmann, aber hier gelte zunächst das »Kann«- und nicht das »Muss«-Prinzip.
In der Nachbearbeitung nutzt der WDR die Systemvorteile von XDCAM derzeit noch nicht. Das liegt zum einen daran, dass es mit den beim WDR genutzten Avid-Nachbearbeitungssystemen noch nicht möglich ist, die XDCAM-Systemvorteile zu nutzen, so Herrmann. Zum anderen könne man »einen WDR auch nicht von heute auf morgen ändern«, so Herrmann.
Reinhold Vogt, Leiter der Hauptabteilung Produktion NRW beim WDR, sieht das genauso. Er urteilt: »Workflow-Änderungen brauchen ihre Zeit, wenn sie funktionieren sollen«. Es ist allerdings schon erklärtes Ziel beim WDR, auf lange Sicht auch in der Nachberbeitung vernetzt und file-basiert zu arbeiten. Derzeit spreche man mit Avid, Sony und Quantel über diese Thematik, um die XDCAM-Integration in der Nachbearbeitung voran zu treiben.
Nach der Postproduction stellt sich natürlich die Frage der Archivierung. dazu Reinhard Bialke: »Unser aktuelles Archivmedium ist die IMX-Kassette. Wir gehen davon aus, dass im Archivbereich das Band noch lange Zeit erhalten bleibt.« Was passiert mit den alten, im analogen Betacam-SP-Format archivierten Produktionen? Werden die umkopiert? Solcherlei ist beim WDR derzeit nicht geplant, weshalb man noch lange auf abwärtskompatible IMX-Bandmaschinen setzen muss. Klaus Herrmann stellt hierzu fest: »Das Langzeitarchiv wird beim WDR wohl noch sehr lange auf Tape vorliegen. Mit IMX-Kassetten ist aber immerhin schon der Schritt zu einem file-basierten System vollzogen.«
Beim WDR sieht man kein Problem darin, dass der Sender jetzt massiv in SD-Equipment investiert, obwohl HD derzeit generell im Kommen ist. Dazu Produktionsdirektor Heinz-Joachim Weber: »HD kommt ganz sicher, deshalb haben wir ja auch in kleinem Umfang HD-Equipment angeschafft, um Topproduktionen in diesem Standard durchführen zu können. Dabei denken wir aber in erster Linie an das Archiv, an zukünftige Verwertungen des Materials in HD. Die Gegenwart und das Alltagsgeschäft für den WDR und die anderen öffentlich-rechtlichen Sender in Deutschland wird bis mindestens 2010 noch SD bleiben.« Reinhard Bialke ergänzt: »Die Optimierung des derzeitigen Qualitätsstandards ist ein wichtiger Schritt in Richtung besserer Bilder. Wir werden die Signalkette bis zum Zuschauer verbessern, HDTV kommt erst später.« Reinhold Vogt fügt ein weiteres Argument für die Sinnhaftigkeit an, jetzt in SD-Equipment zu investieren und die bestehenden Signalwege zu optimieren: »Der zahlenmäßig größte Teil der Camcorder, die der WDR besitzt, wird im Lokalbereich eingesetzt. Es wird länger dauern, bis all diese Geräte ersetzt sind. Es ist also durchaus sinnvoll, die vorhandene Qualität besser bis zum Zuschauer zu transportieren.«
Wie sieht es im Bereich Support aus, welche Herausforderungen kommen auf einen Sender zu, wenn er auf die bandlose Akquisition umsteigt? Für den WDR ist klar, dass die neuen Geräte auch neue Support-Mechanismen erfordern werden. Deshalb diskutiere man mit Sony darüber, ob nicht jedes Gerät eine eigene IP-Adresse erhalten müsse, so dass Software-Updates nahezu automatisch auf die Geräte aufgespielt werden können. Derzeit lassen sich solche Updates via Memory Stick realisieren. Ganz generell lautet aber eine Tendenz beim WDR: Künftig wird es zunehmend mehr Support-Mitarbeiter geben, die aus dem IT-Bereich kommen und ihr Know-how im Broadcast-Umfeld einsetzen.
Wie lange sind die Investitionszyklen der XDCAM-Produkte? Wenn ein Sender wie der WDR auf XDCAM setzt, von welchen Investitionszeiträumen geht er dann aus? Sind Zeiträume, wie sie in Zeiten von Betacam SP möglich waren, überhaupt noch realistisch?
Für Reinhard Bialke ist klar, dass sich solche 10-bis-15-Jahres-Zyklen heutzutage nicht mehr realisieren lassen. Dazu sei die Entwicklung heutzutage zu schnell. Um so wichtiger sei es, auf eine Technologie zu setzen, die sich via Software-Update möglichst lange einsetzen lasse.
SD statt HD, das ergibt also derzeit für den eigenen Sender aus Sicht des WDR durchaus Sinn. Aber wenn sich ein Sender zu einer bandlosen Produktionsumgebung hin entwickelt, ist die Disc dann überhaupt das richtige Medium, wäre nicht der Sprung zum Festspeicher wie ihn Panasonic mit P2 anbietet der technisch konsequentere Schritt und das innovativere Konzept? Das sehen die WDR-Verantwortlichen nicht so. Die Position des WDR ist hier eindeutig: Bei über 100 Teams sei die Aufzeichnung auf Festspeicher heutzutage schlichtweg noch nicht zu finanzieren, urteilt Klaus Herrmann.
Reinhard Bialke: »Das Konzept ist an sich interessant. Es widerspricht aber der von uns angestrebten stufenweisen Migration, denn es gibt ja keinerlei Medienkompatibilität. Hinzu kommen neben dem Speicherpreis auch noch andere Erwägungen wie etwa, dass das Material „verschwindet“, in der Akquisition also kein archivierbarer Träger verwendet wird. Die Disc ist billig, sie kann wie Tape verwendet werden und das ist im derzeitigen Produktionsumfeld ein Vorteil.«
Beim Thema HD Vorreiter zu sein, das hat der WDR nicht vor und gibt diesem Thema keinen Vorrang. Schließlich bestehe der Programmauftrag des WDR nicht darin, eine hochauflösende Technologie zu etablieren, urteilt Heinz-Joachim Weber und glaubt, dass es jetzt primär darum gehe, 16:9 flächendeckend ein zu führen, bevor an HD gedacht werden könne.
Erster Schritt getan
Mit dem Roll-Out der XDCAM-Geräte innerhalb des WDR ist die Umstellung auf bandlose, IT-basierte Arbeitsabläufe noch nicht Realität, aber eine entscheidende Hürde auf dem Weg dorthin ist genommen.
Es hakt derzeit noch in der Nachbearbeitung: Die beim WDR installierten NLE-Systeme können die IMX-Files von XDCAM nicht nativ übernehmen, sondern das Material wird per SDI eingespielt Außerdem steht derzeit am Ende der Nachbearbeitung beim WDR ein IMX-Band. Das soll sich natürlich ändern, in welcher Richtung die Infrastruktur angepasst werden soll, ist aber noch offen. Reinhold Vogt: »Zunächst werden wir in den Landesstudios Adrenaline-Systeme von Avid installieren, denn hier besteht akuter Investitionsbedarf. Wir müssen dann aber in Ruhe untersuchen, wer die beste MXF-Nachbearbeitungslösung für unsere Zwecke anbieten kann, und dazu zählt auch die bimediale Produktion für Radio und TV.«
Reinhard Bialke ergänzt: »dabei spielt auch das Thema Metadaten eine große Rolle. Das ist aber kein WDR-internes, sondern ein ARD/ZDF-Thema, denn es betrifft den wünschenswerten und von allen Seiten angestrebten Programmaustausch auf File-Basis.«
Zukunftsperspektiven
Für den WDR ist klar: XDCAM ist ein erster wichtiger Schritt auf dem Weg zur bandlosen Produktionsumgebung. Bereits angekündigte Sony-Entwicklungen wie etwa eine XDCAM-Jukebox, eine XDCAM-Flexicart und ein XD-CAM-PC-Laufwerk mit
XDCAM HD wird dagegen in naher Zukunft beim WDR keine Rolle spielen – auch wenn Sony schon jetzt an den genauen Spezifikationen von XDCAM HD arbeitet, wie Jürgen Burghardt von Sony bestätigt.
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