Report, Top-Story: 18.12.2003

Einer muss den Anfang machen

Andrew Cummings arbeitete schon viele Jahre als Producer in der Werbefilmproduktion, bevor ihm die Idee kam, aus dem besonders in London etablierten System dieses Branchensegments aus zu brechen: Er gründete eine neue Firma, kaufte einen HD-Camcorder, einen HD-Recorder und ein HD-Postproduction-System. Jetzt bietet sein Unternehmen AHC komplette HD-Produktionen aus einer Hand an und das Konzept der kleinen, aber high-endigen Firma scheint auf zu gehen.

Es ist eines dieser kleineren, unscheinbaren Häuser in Soho. An der blauen Eingangstür steht kein Name, findet sich kein Firmenschild. Hinter der Tür führt eine steile Treppe nach oben. Das ganze Haus scheint zum Großteil aus einem Treppenhaus zu bestehen, von dem ein paar kleine, spärlich möblierte Räume abgehen. Und hier soll die Zukunft einer ganzen Branche liegen?

Vielleicht: Immerhin geht Andrew Cummings einen neuen Weg, investierte in einer Zeit in relativ teures Equipment aus der HD-Liga, in der andere, gut am Markt etablierte, viel größere Unternehmen mehr als vorsichtig agieren. Er zeigt damit, dass es auch anders geht, setzt konsequent auf ein kleines, schlank aufgestelltes Unternehmensmodell mit klarem Fokus.

»Wir machen HD und nutzen die Möglichkeiten und Vorteile aus, die dieses Format bietet.« So fasst Andrew Cummings zusammen, was AHC von anderen Firmen unterscheidet. Klingt simpel, aber es gehört doch auch einige Chuzpe und gute Marktkenntnis dazu, nur wenige Meter von den großen Adressen der Londoner Postproduction-Szene entfernt, fast unbemerkt gegen die ungeschriebenen Regeln einer Branche zu verstoßen und unbeirrt sein Ding zu verfolgen.

»Spätestens als der Quantel-Lastwagen vor unserer Tür stand, hätten die anderen vielleicht hellhörig werden können, aber das hat wohl keiner unserer Nachbarn hier mitgekriegt«, flachst Andrew Cummings. »Den HDCAM-Camcorder und den passenden Recorder konnten wir ja noch relativ unbemerkt her schaffen.« Das ist nur teilweise Ernst gemeint, denn einige der Nachbarn mit größeren, bekannten Namen waren mittlerweile schon Kunden bei AHC: »Wir sind nicht immer ganz ausgelastet und wenn wir noch Kapazität frei haben, nutzen einige Post-Häuser aus der Umgebung uns als HD-Facility. Kürzlich musste ich ein paar von den Jungs, die ursprünglich nur vier Stunden gebucht hatten, um „ein paar Kleinigkeiten in HD zu erledigen“, nach vier Tagen raus werfen, weil uns unsere eigenen Projekte drückten. Die beiden waren total begeistert von den Grading-Möglichkeiten, die wir mit eQ hier haben, sie haben letztlich ihrem kompletten Clip bei uns einen neuen Look verpasst, anstatt nur ein paar kleine Bugs zu fixen.«

Von der Technik sieht man bei AHC zunächst gar nicht viel, ahnt nicht, dass man auf dem Plasmaschirm im Besprechungsraum direkt die Arbeit verfolgen kann, die ein Zimmer weiter am eQ erledigt wird, weiß nicht, dass hier auch HD-Zuspielungen aus dem »Maschinenraum« anliegen können. Letzterer besteht im Grunde aus einem einzigen19-Zoll-Schrank, in dem die eQ-Hardware, ein HDCAM- und ein Digi-Beta-Recorder die zentralen Komponenten sind. Der Rest stellt die Verbindung zwischen den Arbeitsplätzen und dem zentralen Equipment her. Neben dem eQ gibt es noch drei PC-Bearbeitungsplätze, die für 3D-Arbeiten, aber auch für simplere Editing-, für Compositing– und andere Vorbereitungsarbeiten genutzt werden. Combustion, Mokey und Renderfarm laufen als Softwares auf diesen Systemen, auch Tools für DVD-Authoring- und Encoding-Jobs sind vorhanden und werden genutzt. Und natürlich gibt es noch den HDCAM-Camcorder.

Das reicht, findet Andrew Cummings: »Mehr brauchen wir gar nicht, denn wir sind klar fokussiert. Außerdem können wir mit unserem Equipment 95 % der Jobs erledigen, die es derzeit auf dem Markt überhaupt gibt.« Und weiter: »Wir positionieren uns als One-Stop-Shop, bieten alles aus einer Hand an, von der Kamera bis zum fertigen Commercial.«

Wieso hat sich AHC für eQ entschieden? »Wir haben auch die Lösungen von 5D, Sonys Xpri, Smoke von Discreet und DS-HD von Avid angeschaut. Für uns und das, was wir vor hatten, war eQ einfach am besten geeignet.« Wie läuft eQ bei AHC im Praxisbetrieb? »Das System kann fast alles, was Quantel angekündigt hatte, wir sind positiv überrascht. Es ist ja schließlich ganz normal, dass die Hersteller am Anfang etwas mehr versprechen, als in der jeweils aktuellen Software-Version dann realisiert ist. Natürlich gab es am Anfang das eine oder andere Problem, die Maschine stürzte auch mal ab. Aber für eine Version 1 lief eQ erstaunlich gut. Wenn die Maschine mal crasht, kehrt sie wieder an die Stelle im Prozess zurück, die unmittelbar vor dem Crash erreicht war. Das nimmt den seltenen Abstürzen viel von ihrem Schrecken.«

Was war der Auslöser für Andrew Cummings, den Sprung in die neue Firma und zu HD zu wagen? »Ich war als Werbefilm-Producer Kunde bei vielen verschiedenen Facilities, ich habe mit den unterschiedlichsten Film- und Videoformaten gearbeitet. Da macht man sich im Lauf der Zeit eben so seine Gedanken über Abläufe und Organisationsformen. Wenn es ein einzelnes Erlebnis gab, das mich endgültig darin bestärkte, die schon länger gehegte Idee zu realisieren, die nun in AHC Wirklichkeit geworden ist, dann war es ein gründlich schief gelaufener Filmdreh in Südafrika. Wegen eines Generatorfehlers hatten wir praktisch im gesamten belichteten 35-mm-Material einen pumpenden, pulsierenden Effekt in der Bildhelligkeit, was wir allerdings erst bemerkten, als wir zurück in England die Muster sahen. Wir mussten alles noch einmal drehen, die Versicherung machte uns Schwierigkeiten und wollte nicht bezahlen, wir waren in extremem Zeitdruck. Selten hatte ich mir sehnlicher gewünscht, ich hätte wie bei einem ganz normalen HD-Dreh schon am Set auf einem Monitor in voller Bildqualität sehen können, was wir aufgenommen hatten.« Nach diesem desaströsen Erweckungserlebnis war für Andrew Cummings klar, dass er mehr haben wollte, als den eigenen SDOffline-Schnittplatz, den er schon damals besaß. Der Entschluss, in HD zu investieren, und mehr Kontrolle über den gesamten Produktionsprozess zu haben, war gereift.

»Ganz generell sehe ich HD als eigenständiges Format, das zwar auch andere Formate wie etwa Film emulieren kann, das aber auch seine ganz eigene Qualität hat. Ich finde, man kann HD-Material zwar auch so aussehen lassen wie Film, das ist aber eben nur eine von vielen Möglichkeiten: HD ist aus meiner Sicht viel flexibler als andere Formate.«

Was sagen die Kunden dazu, sind sie leicht zu überzeugen, auf HD zu setzen? »Nein, das ist ganz und gar nicht immer einfach. Es gibt eben diesen Hang zum Film, weil man jahrelang immer mit Film gedreht hat. Selbst wenn man einem Kunden Material gezeigt hat, bei dem er überhaupt nicht mehr sagen konnte, welche Teile auf 35 mm und welche auf HD gedreht wurden, sagen manche: ‚Ja das ist beeindruckend, aber wir wollen doch lieber auf Film produzieren.‘ Das ist teilweise schon absurd, aber es ist eben auch für die Kunden ein Lernprozess, der aber immerhin schon begonnen hat. Wir sind sehr zuversichtlich, dass die Lernkurve sehr steil sein wird.«

Stuart Barralet, Editor bei AHC, bringt es so auf den Punkt: »HD ist HD. Das ist nicht billiger Film und nicht aufgebohrtes SD-Video. Das klar zu machen, daran arbeiten wir.«

Welche Art von Produktionen hat AHC schon realisiert? »Neben High-End-Commercials haben wir auch schon Doku-Jobs umgesetzt und aus dem Musikbereich haben wir ebenfalls einen Job erledigt,« fasst Andrew Cummings zusammen.

Die Diskussion um HD und Film nimmt aus Sicht von Andrew Cummings teilweise schon irrationale bis surrreale Formen an: »Viele wollen unbedingt auf Film drehen, die ganze Postproduction findet dann aber in SD statt und am Ende steht ein SD-Master. Aus unserer Erfahrung sieht das Ergebnis aber um Welten besser aus, wenn man durchgängig in HD arbeitet und erst ganz am Schluss auf SD down-konvertiert. Bei vielen Produktionen wird derzeit am Anfang der Produktionskette viel Geld fürs Drehen auf Film ausgegeben, die Ausgangsqualität wird aber dann gar nicht ausgenutzt und in der Post wird sogar massiv Qualität verschenkt. Die Verbreitung solcher Erkenntnisse dauert eben eine gewisse Zeit, aber der Umdenkprozess hat begonnen.«

Die Technik von AHC wurde in den Räumen in Soho von Grund auf neu installiert. »Bei uns sind alle Systeme und Räume miteinander vernetzt. Aus unserer Sicht war es gut und richtig, das Ganze gleich als HD-Facility auf zu setzen. Das ist viel besser, als ein Upgrade bestehender Technik von SD auf HD.«

Wie bewertet Andrew Cummings HDCAM als Aufnahmeformat? »Wir sind zufrieden, aber wegen der Kompression ist HDCAM sicher derzeit aus rein technischer Sicht das schwächste Glied in unserer HD-Kette. Nicht umsonst hat Sony ja HDCAM SR vorgestellt, und es gibt auch andere Ansätze im Kamerabereich. Aber es ist eben auch das am weitesten verbreitete HD-Format, es ist gut etabliert, und wenn man weiß, wie weit man gehen kann und wie man damit umgehen muss, gibt es in der Praxis auch keine Probleme. Das Master wollen ohnehin alle unsere Kunden im HDCAM-Format.« Wichtig ist es beim Produzieren auf HD laut Cummings, einen DoP zu haben, der über Erfahrung mit HD verfügt. »HD ist viel sensibler als Digi-Beta. Die Kamera sieht zwar ähnlich aus und das führt manchmal zu falschen Rückschlüssen: Mit HD zu drehen ist einfach etwas ganz anderes. Wenn man keinen DoP hat, der auf dem neuesten Stand ist, sind Probleme vorprogrammiert.«

Das Herz der Postproduction bei AHC ist zweifellos das eQ-System von Quantel und hier hat es Andrew Cummings und seinem Operator Stuart Barralet ganz besonders QColor angetan, die Color-Grading-Option des Systems. »Setzt man QColor ein, hat man viel mehr Möglichkeiten als mit einem konventionellen Grading-System: Alle Masken und Layer sind verfügbar, damit kann man genauer, schneller, effizienter und besser farbkorrigieren und einen einzigartigen Look für jede Produktion gestalten.«

Auch hier hat eQ-Operator Stuart Barralet eine pointierte Sicht: »QColor ist super, damit kann ich selbst aus echten Junk-Originalaufnahmen noch gute Bilder machen.« Und weiter: »Mit den richtigen Tools sind Dinge möglich, die bisher fast undenkbar waren. Wir haben etwa einen Commercial produziert, bei dem das Ursprungsmaterial auf Film gedreht wurde. Der Spot war dem Kunden dann aber in der ersten, ursprünglich von der Agentur geplanten Version zu langweilig. Also wurden Inserts produziert, aber eben mit kleinerem Budget auf HD. Das haben wir dann mit dem Grain-Surgery-Plug-In und den Grading-Funktionen von eQ so bearbeitet, dass die allermeisten Leute, denen wir das bisher vorgeführt haben, nicht erkannten, dass die Inserts auf HD produziert sind, wenn wir das nicht vorher erwähnten. Außerdem hat es beim Filmdreh am Strand in Strömen geregnet, und auch das haben wir in der Postproduction so bearbeitet, dass man es nicht sieht.«

»Unsere Größe, unser Equipment und die Tatsache, dass wir nicht nach der traditionellen, arbeitsteiligen Methode operieren, erlaubt uns eine wesentlich bessere, engere Integration der Arbeitsabläufe. Wir finden, dass alles besser ineinander greift und das merkt man auch dem Endprodukt an,« resümiert Andrew Cummings und sieht darin eine mögliche Zukunft für viele seiner Branchenkollegen: »Wer bis heute noch irgendwo ein Offline-Avid stehen hat, kann mit Systemen wie eQ eine kleine, voll integrierte Produktionsfirma werden, anstatt sich weiter in den traditionellen Workflow mit voll ausgestatteten, unabhängig arbeitenden Posthäusern quetschen zu lassen.« In diesem Zusammenhang wagt Cummings auch eine Prognose: »Ich bin überzeugt: In zwei Jahren wird die Mehrzahl der hochwertigen Dokus und ein Großteil der Commercials in HD produziert.«

Was kostet es, in HD zu produzieren? »Im Vergleich zu 35-mm-Film sind wir günstiger. So wie wir aufgestellt sind, kann es im Einzelfall passieren, dass HD bei uns sogar nicht einmal mehr kostet, als SD auf dem traditionellen Weg.« Wenn Mehrkosten anfallen, liegt das nach den Erfahrungen von Andrew Cummings meistens gar nicht unbedingt am Equipment, sondern daran, dass man beim HD-Dreh gegenüber SD etwa ein aufwändigeres Set-Design betreiben muss und dass die optimale Bildgestaltung etwas mehr Aufwand erfordert.

Seit Mai 2003 gibt es AHC und Andrew Cummings zieht eine positive Zwischenbilanz: »Vor gut eineinhalb Jahren fand ich, das wäre eine gute und stimmige Art heute zu arbeiten. Wir fragten uns: Warum macht das niemand? Und dann sagten wir: Das Equipment dafür ist verfügbar, lass es uns probieren! Heute finde ich: Das ist ein perfekter Weg zu arbeiten.«

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