Report, Top-Story: 20.12.2001

Herr der Farben und Lichtstimmungen

»Der Herr der Ringe« bricht Rekorde in vielen Kategorien: Rund 300 Millionen Dollar Budget, mehr als 350 Drehorte, 32 Terabyte Speicherplatz in der Nachbearbeitung, drei Spielfilme auf einen Streich. www.film-tv-video.de sprach mit Peter Doyle, der als Supervising Digital Colorist & Creative Director maßgeblich den Look von Mittelerde gestaltete – der Welt, durch die der Held Frodo Beutlin mit seinen Gefährten in diesem Film zieht.

»The Lord of the Rings: The Fellowship of the Ring« lautet der Originaltitel des ersten Teils dieses in Neuseeland produzierten Mammut-Filmprojekts. Letztlich sollen drei Spielfilme entstehen, die auf dem dreibändigen Werk von J. R. R. Tolkien basieren, das eine riesige internationale Fangemeinde hat. Die Dreharbeiten für alle Teile wurden am Stück durchgeführt und sind abgeschlossen.
www.film-tv-video.de sprach mit Peter Doyle über seine Arbeit an »Der Herr der Ringe«, kurz nachdem er selbst zum ersten Mal Teil 1 der Trilogie in der Endfassung gesehen hatte und als er schon mit ersten Überlegungen für seinen Anteil an der Postproduktion von Teil 2 begann.
Neben Regisseur Peter Jackson, DoP Andrew Lesnie, den Special-Effects-Spezialisten Richard Taylor und Tania Rodger von Weta, sowie Visual-Effects-Leiter Jim Rygiel und etlichen anderen, gibt es einen Mann, der in den Credits als Supervising Digital Colorist & Creative Director genannt wird und in dieser Funktion ganz wesentlich den Look dieses Films auf der Leinwand mit geschaffen hat: Peter Doyle. Manch einer in Deutschland kennt den Australier noch aus seiner Zeit bei Arri in München. Doyle ist neben Jürgen Kantenwein und Jens Ekelöf, Mitgründer von The PostHouse AG, einer neuen Postproduction-Firma mit Hauptsitz in Hamburg und einer Niederlassung im neuseeländischen Wellington. Bei seinem letzten größeren Projekt vor »Der Herr der Ringe« war der schon mit zahlreichen Preisen ausgezeichnete Doyle als Executive Producer für die Visual Effects von »The Matrix« zuständig.

? Worin bestand Ihre und die Aufgabe von The PostHouse AG insgesamt bei der Postproduktion von »Der Herr der Ringe«?

Peter Doyle: Unsere Aufgabe war das Color Grading von »Der Herr der Ringe«. Zusätzlich haben wir etliche andere Jobs abgewickelt, etwa die Exposure Levels (Anmerkung der Redaktion: unterschiedliche Belichtung, die in unterschiedliche Helligkeitswiedergabe mündet) des unterschiedlichen Materials angeglichen, das Material sortiert und ganz generell das Material der verschiedenen Kameraeinstellungen aufeinander abgestimmt. Daneben mussten wir uns natürlich mit Continuity-Problemen auseinandersetzen, wie sie in einem so langen, umfangreichen Film zwangsläufig auftreten.
Ein wichtiger Part unseres Jobs bestand darin, ganz bestimmte Looks zu schaffen. Das Licht in Neuseeland ist bedingt durch die südliche Hemisphäre extrem klar und auch ein wenig hart. Der Regisseur Peter Jackson wollte aber einen magischen und weichen Look für den Film. Ich war der Auffassung, dass dies auf chemischem Weg (Anmerkung der Redaktion: durch Eingriffe in der Filmentwicklung) nur sehr schwer umsetzbar war. Gemeinsam kamen Peter Jackson, der DoP Andrew Lesnie und ich zu der Überzeugung, dass man auf digitalem Weg diesen Look schaffen könnte. So haben wir dann viele Passagen des Films in der digitalen Welt entsättigt und all die Tricks angewandt, die man beim Color Grading eben zur Verfügung hat, um diesen Look zu erzielen.
Im Laufe der Entwicklung des Films freundeten sich Peter und Andrew dann immer mehr mit den digitalen Nachbearbeitungsmöglichkeiten an und die von uns zusammengestellte Technologie war erfolgreicher, als anfangs angenommen. Im Ergebnis haben wir einen viel größeren Teil des Films digital bearbeitet, als ursprünglich geplant: beinahe 80 %. Das ist für einen Film von 3 Stunden Länge enorm, am Ende waren es 3.000 digital bearbeitete Shots.

? Welches Filmmaterial wurde bei »Der Herr der Ringe« verwendet?

Peter Doyle: Ich habe mit dem DoP Andrew Lesnie umfangreiche Tests durchgeführt, in denen wir unterschiedlichstes Filmmaterial per digitalem Color Grading bearbeiteten. Wenn man das tut, darf man nie vergessen, dass man auf Filmmaterial dreht und der Film am Ende der Bearbeitung auch wieder auf Film ausgegeben und vorgeführt wird. Das muss man bei den Tests berücksichtigen und jeweils das Material auswählen, das am besten mit der digitalen Nachbearbeitung harmoniert. Als Andrew ein bestimmtes Filmmaterial für den Originaldreh ausgesucht hatte, führten wir eine Reihe weiterer Tests durch, um auch das richtige Print-Material für die Vorführkopien zu ermitteln. Mit der Auswahl des Kamera- und des Print-Materials haben wir uns sehr eingehend beschäftigt.
Was das Drehmaterial betrifft: Als wir in die Produktion gingen, war Kodak noch mit der Entwicklung des neuen Intermediate-Filmmaterials beschäftigt. Wir hatten einen engen Kontakt mit Kodak und konnten somit eine Vorversion dieses Filmmaterials verwenden, so dass wir nun bei allen drei Filmen bei einem Material bleiben können.
Genau so konnten wir auch mit Fuji, dem Hersteller des Materials der Vorführkopien arbeiten: Dort wurden in Tokio im Labor noch etliche Modifikationen an dem Filmmaterial vorgenommen, das wir nun für die Release Prints verwenden.

? Welche Postproduktions-Systeme haben Sie verwendet? War der Prozess komplett digital ausgerichtet? Welches Format haben Sie für die Dreharbeiten verwendet?

Peter Doyle: Generell empfiehlt es sich, vor jedem Projekt genau zu ermitteln, welche Technologie überhaupt verfügbar ist. Das ist bei einem Projekt, das über drei Jahre läuft, extrem wichtig. Letzlich entscheidet man sich ja bereits in einer sehr frühen Planungsphase dafür, ob man mit Technologie arbeiten will, die zu diesem Zeitpunkt schon verfügbar ist oder ob man auf das warten will, was es vielleicht erst in einem Jahr geben wird. Zusätzlich muss man davon ausgehen, dass die Technologie, für die man sich entscheidet, ohnehin nach drei Jahren überholt ist.
Mit diesen Überlegungen im Hinterkopf habe ich mit dem Regisseur Peter Jackson und dem DoP Andrew Lesnie in einer ganzen Reihe von Meetings ermittelt, was in dieser Produktion am wichtigsten war. Es wurde deutlich, dass Interaktivität eine zentrale Rolle einnehmen sollte: Die beiden wollten im Prinzip ins Studio kommen, sich hinsetzen und mit dem Color Grading beginnen.
Die zweite wichtige Überlegung war: Aufgrund der enormen Menge an digitalen Effekten und aufgrund des drei Jahre langen Produktionszeitraums war es überaus wichtig, an jeder Sequenz jederzeit und vor allem mit einer nonlinearen Vorgehensweise arbeiten zu können. Wir benötigten also sehr schnelle Workstations, mit denen wir interaktiv arbeiten konnten – Workstations, die lange Sequenzen in Echtzeit und bei vollem Farbraum wiedergeben konnten und die zudem auch einigermaßen investitionssicher waren. Wir entschieden uns schließlich für Octane 2-Workstations von SGI, denn dies waren die einzigen Workstations mit voller16-Bit-Wiedergabemöglichkeit. Wir konnten also mit den 24-Zoll-Flachbildschirmen von Sony das Material im Cineon-10-Bit-File-Format mit vollem Farbraum und in Echtzeit wiedergeben und begutachten.
Ein weiterer Grund für unsere Hardware-Entscheidung: Unsere Online-Editing-Anforderungen waren extrem hoch und die SGI-Workstations waren im Zusammenspiel mit dem Betriebssystem IRIX 6.5.9 und 6.5.11 vor einem Jahr die einzigen Workstations auf dem Markt, die technisch gesehen überhaupt unsere Anforderungen erfüllen konnten.
Nachdem wir uns also für die SGI-Plattform entschieden hatten, begannen wir, uns die Software-Pakete anzusehen, die es zu dieser Zeit für diese Plattform auf dem Markt gab. Ich habe daneben sämtliche Hardware-Hersteller von Color-Grading-Systemen darauf angesprochen, ob sie Interesse hätten, entweder eine Software-Emulation ihrer Hardware-Lösungen oder ein Color- Grading-System zu entwickeln, das genau auf unsere Bedürfnisse zugeschnitten war. Es wurde sehr schnell klar, dass die Hardware-Anbieter das nicht leisten konnten und dass auch die Software-Pakete, die es zu dieser Zeit gab, ganz einfach nicht gut genug waren. Also habe ich einen Software-Hersteller in Ungarn namens Colorfront angesprochen. Diese Firma verfügte über einschlägige Software-Erfahrung in unserem Bereich, und wir einigten uns darauf, dass Colorfront für uns eine Software entwickeln würde, die unsere Spezifikationen erfüllen würde. Wir haben also eine maßgeschneiderte Software-Lösung fürs Color Grading von »Der Herr der Ringe« entwickeln lassen. Diese Software-Lösung wird mittlerweile unter dem Produktnamen Colossus als Mastering System vom englischen Anbieter 5D vertrieben.
Ausgehend von diesem grundlegenden Color-Grading-Paket haben wir eine große Menge weiterer Software selbst geschrieben: für die Bearbeitung aller Aufnahmen, das Color-Management und die digitale Emulation von Filmprints. Außerdem sämtliche Tools, die man für das Managements eines solch umfangreichen Projekts braucht.

? Können Sie uns einen kurzen Überblick über den Workflow in der Postproduktion diese Projekts geben? Wer waren Ihre direkten Partner und wie lief die Koordination mit den anderen Abteilungen ab?

Peter Doyle: Was die Hardware angeht, so waren wir mit der Postproduktion bei Weta per Gigabit-Glasfaserkabel verbunden, das wir buchstäblich zwischen unseren Produktionsräumen und denen unserer für das Scannen und Recording zuständigen Partner verlegt haben. Obwohl wir also in getrennten Gebäuden saßen, erschien das gescannte Material direkt auf unseren Schirmen, und wir konnten unser Material über die Glasfaserleitung wieder problemlos zum Recording geben.
Was das System-Management und die Software angeht: Am Anfang sind wir den gesamten Film durchgegangen und haben eine Color-Bible erstellt. Zu diesem Zweck haben wir die Hauptaufnahmen von jeder Sequenz ausgewählt, und zwar von sämtlichen Darstellern. So hatten wir einen sehr guten Eindruck davon, wie diese Sequenz und die verschiedenen Darsteller im unterschiedlichen Licht dieser Aufnahmen aussehen würden. Wir haben diese Color-Bible dann für den gesamten Film zusammengestellt, was zur Folge hatte, dass wir am Ende eine kleine Zusammenfassung des Filmes von etwa einer Stunde Länge hatten. Auf diese Weise konnten wir die Looks des gesamten Films im Überblick sehen und stets beurteilen, wie die einzelnen Szenen miteinander harmonierten. Das war enorm wichtig für uns, denn der erste Film der Trilogie sollte sehr warm wirken – eben genau wie ein Ort, an dem man gerne sein möchte.Wir wollten alles komplett realistisch und natürlich haben. Im Laufe des Films, und im Laufe der Hobbit-Reise, sollten sich die Bilder »verdunkeln«, so dass das Gefühl eines farb- und lichtleeren Raums entsteht. Diesen Look haben wir erreicht, indem wir den Film fast vollkommen entsättigt haben. Natürlich konnten wir den Film nicht in schwarzweiß produzieren, also haben wir die Hauttöne entsättigt, so dass die Aufnahmen wirken, als hätte man die Farbe teilweise herausgesogen. Dennoch erscheinen diese Sequenzen immer noch realistisch. Das Material wirkt also filmisch, aber definitiv nicht wie ein Film aus dieser Welt, da wir eben die Farbe weitgehend herausgenommen haben. Im Verlauf der weiteren Reise entsteht eine ziemlich magische Atmosphäre, die wir mit einer ganz bestimmten Lichtstimmung verdeutlichen wollten: In dieser Welt schimmert vieles und die Farben Lavendel und eine Art Magenta herrschen vor. Wir behalten diesen Look dann bei, doch gegen Ende des Films wollten wir alles wieder extrem realistisch haben, damit der Zuschauer Teil dieser gesamten Szene wird. Hier kehrt die Farbe quasi zurück. Die Farben sind nun extrem brillant und es wurde eine Vielzahl von Farben verwendet, die durchweg sehr stark gesättigt sind.
Wir haben bei dem Film also ein sehr großes Spektrum an Stimmungen und Farben verwendet, und das war nur möglich, indem wir unsere Color-Bible als Referenz aufgebaut haben.

? Was war aus Ihrer Sicht der schwierigste Part Ihrer Arbeit an »Der Herr der Ringe«?

Peter Doyle: Aus kreativer Sicht bestand die größte Herausforderung darin, die einzelnen Sequenzen für die verschiedenen Jobs aufzuteilen, denn nahezu jede Filmsequenz basiert auf Effekten, Matte Paintings und Miniatur-Modellen. Wenn es keinen detaillierten Arbeitsablauf gibt, stellt sich manchmal die Frage »Wer fängt an? Werden erst die visuellen Effekte gestaltet und gehen diese dann ins Color Grading, oder beginnen wir mit dem Color Grading und werden dann die visuellen Effekte entsprechend angepasst gestaltet?«. Und die nächste Frage: »Was soll überhaupt im Color Grading gemacht werden und was auf einem anderen Weg?« Ich denke, diese Aufteilung war einer der größten Herausforderungen während der ganzen Produktion. Glücklicherweise hat man bei so einer großen Produktion den Luxus eines großen Art Departments. Es gab also jemanden, der Entwürfe gezeichnet hat. Mit ihm haben wir sehr eng zusammengearbeitet. So haben wir nahezu alle unserer Looks entworfen und auch die Farbpaletten. Es gab also immer so etwas wie eine zentrale Anlaufstelle für alle Design- und Style-Fragen.
Die zweite Herausforderung dieses Projekts: Filme wie »Der Herr der Ringe« werden immer noch auf Film veröffentlicht und vorgeführt, und zwar mit Massenkopien. Ein Filmkopierwerk arbeitet üblicherweise aber nur mit Standard-Filmmaterial, was auch bei den meisten Filmprojekten vollkommen ausreichend ist. Wenn man jedoch mit digital nachbearbeitetem Material arbeitet, etwa mit Bildern, die stark entsättigt wurden oder die ganz spezielle Looks haben, sind diese typischen Standard-Kopien nicht mehr ausreichend. Wir haben deshalb sehr intensiv mit Filmkopierwerken in Neuseeland und in Los Angeles zusammengearbeitet. Die Filmkopierwerke haben fantastische Arbeit geleistet und sogar ihre chemischen Entwicklungsprozesse optimiert, damit die Ergebnisse besser reproduzierbar wurden.
Digitale Filmnachbearbeitung ist auch für die Kopierwerke eine sehr große Herausforderung, und wenn man mit extrem farbkorrigiertem Material arbeitet, kann es leicht zu Problemen kommen. Das ist nicht weiter überraschend, wenn man zum Beispiel Schwarzweißfilme auf Farbprints veröffentlicht, hat man dasselbe Problem. In unserem Fall bin ich aber der Meinung, dass die Filmkopierwerke einen extrem guten Job gemacht haben.

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