Neuland
Der SWR produzierte im Frühjahr 2001 den ersten »Tatort« im neuen 24P-Format. In www.film-tv-video.de berichten Kameramann Hans-Jörg Allgeier, Brigitte Dithard von der Redaktion und Norbert Gerstner aus der Postproduktion des SWR von ihren Erfahrungen.
Die Entscheidung dürfte dem SWR nicht leicht gefallen sein: Den »Tatort«, das Paradepferd der Öffentlich-Rechtlichen im szenischen Bereich, nicht auf Film zu drehen, rüttelt an manchen Sender-Grundfesten. Super-16-Filmmaterial ist in der Tatort-Serienproduktion nach wie vor das Maß aller Dinge. Wohl auch wegen schmerzlicher Erfahrungen: Für seinen auf Digital-Betacam gedrehten »Tatort« steckte der Sender Freies Berlin einst Kritik von allen Seiten ein, viele empfanden das Ergebnis als Debakel. Das hat die Innovations- und Risikofreude des SWR ganz sicher nicht begünstigt. Dennoch entschied sich der SWR nach umfangreichen Tests zu dem Experiment, seinen Kommissar Bienzle in 24P zu drehen.
Brigitte Dithard, Redakteurin aus der Hauptabteilung Film, Serie und Musik des Senders, fasst die Entscheidungswege und die Besonderheiten bei der Produktion des HD-Tatorts so zusammen: »Wir haben uns die Entscheidung für HD nicht leicht gemacht und vorher intensiv getestet. So wurden bei der vorangegangenen Tatort-Produktion einige Szenen parallel in Super-16 und HD gedreht. Als wir dieses Material beim Betrachten nicht voneinander unterscheiden konnten, war die Entscheidung ziemlich klar. Finanzielle Aspekte waren dabei nicht ausschlaggebend.«
Mit dem Ergebnis dieses Experiments sind die Verantwortlichen offenbar durchweg zufrieden. Im folgenden lesen Sie eine Kurzversion der Kommentare des Kameramanns Allgeier, der Redakteurin Dithard und des Postpro-Experten Gerstner. Den vollständigen Text können Sie als PDF-datei herunterladen. Dazu bitte auf den rechts stehenden PDF-Button klicken.
KAMERAMANN HANS-JÖRG ALLGEIER
Hans-Jörg Allgeier: Mit Hartmut Griesmayr, einem erfahrenen, zielorientiert arbeitenden Regisseur, sollte der Tatort »Bienzle und der Todesschrei« gedreht werden. Hartmut Griesmayr und ich hatten zuvor schon oft zusammen gearbeitet. Wir harmonierten sehr gut und so war er für mich der ideale Partner, ein innovatives Aufnahmeverfahren auszuprobieren. Die Redaktion, der Regisseur und ich waren vom Verfahren überzeugt und wir entschlossen uns, den Tatort mit 24P zu drehen.
Das Handling mit der neuen Sony HDW-F900 war nach wenigen Tagen Routine: die Umstellung auf einen Schwarz-Weiss-Sucher, die etwas schwerere Kamera, das etwas andere »In-der-Hand-Liegen«.
Auch die Drehergebnisse überzeugten uns. Die Kamera zeigte optimale Ergebnisse bei Innenaufnahmen mit Original-Licht ( z. B. Neon) wie OP-Räumen, Gängen, Wohnungen. Hier waren immer nur geringe zusätzliche Lichteinheiten notwendig.
Vorsichtiger dagegen musste ich bei Außenaufnahmen sein. Hier bestand leicht die Gefahr des Überbelichtens, besonders wenn große helle Flächen im Bild waren. In diesen Fällen arbeiteten wir mit Filtern.
Hilfreich ist hier der Monitor, der zum Equipment gehört. Er bietet mir, anders als eine Videoausspielung bei der Filmkamera, eine sehr getreue Wiedergabe dessen, was die Kamera aufnimmt, so dass ich sofort reagieren und korrigieren kann.
Die Nachbearbeitung erwies sich als unkompliziert. Durch die gute Ausgangsqualität konnte das Colourmatching an einem Tag durchgeführt werden.
Nicht vergessen werden sollte, dass mögliche Fehlerquellen wie beim Film, zum Beispiel Schmutz in der Kamera oder Kopierwerksschäden, bei diesem Verfahren ausgeschlossen sind.
Ich würde gerne wieder auf 24P drehen!
REDAKTION UND POSTPRODUKTION – SWR:
BRIGITTE DITHARD, NORBERT GERSTNER
Brigitte Dithard ist Redakteurin in der HA Film, Serie und Musik beim SWR, Norbert Gerstner stellvertrender Abteilungsleiter FS Bearbeitung, Systemingenieur für die Postproduction.
Aus welchen Gründen hat sich der SWR dazu entschlossen, einen Tatort in 24P zu drehen?
Brigitte Dithard: Der Hauptgrund, dass wir das neue Verfahren 24P ausprobiert haben, war Neugierde. Unser Produktionsbetrieb kam mit dem Vorschlag auf uns zu, weil er wissen wollte, welches Potenzial in dem Material steckt. Natürlich war es ein Risiko, gleich ein ganzes 90-Minuten-Drama damit zu drehen. Wir haben uns auch nur darauf eingelassen, nachdem die Tests, die der Kameramann Hans-Jörg Allgeier durchgeführt hat, sehr zufriedenstellend verlaufen sind. In einer direkten Gegenüberstellung von Super16 und 24P ließ sich in den Augen des unvoreingenommenen Betrachters kein Unterschied feststellen. Daher haben der Regisseur, Hartmut Griesmayr, und wir von der Redaktion uns auf das Experiment eingelassen.
Norbert Gerstner: Der SWR Baden-Baden hat in der Vergangenheit alle szenischen Produktionen mit 35/16 mm Film aufgenommen und im eigenen Filmkopierwerk entwickelt. Mit 24P wurden Ende des letzten Jahres die ersten Aufnahmeversuche gemacht. Diese Aufnahmen ermutigten uns der Filmredaktion vorzuschlagen, dass bei einer szenischen Produktion parallele 24P-Aufnahmen gemacht werden sollten. Nach den ersten Gesprächen mit der Redaktion und dem Regisseur, sowie weiteren Vergleichstests zwischen 24P und Super16 mm Film haben wir uns dann entschlossen, den ganzen Tatort in 24P zu produzieren.
Waren für den Sender die Produktionskosten im Vergleich zum Dreh auf Film geringer?
Brigitte Dithard: Wir konnten für diese Produktion auf die Unterstützung einiger Firmen zurückgreifen. Daher haben wir mit den augenblicklichen Preisen keine Erfahrung. Nach unserer Kenntnis ist zur Zeit 24P noch nicht das wirtschaftlichere Verfahren aufgrund der hohen Kameramiete.
Norbert Gerstner: Außer den hohen Kameramieten sind auch die Postproduktionskosten derzeit noch höher.
Waren Planung und Organisation des Drehs aufwändiger?
Norbert Gerstner: Nach Aussage unseres Kameramanns Hans-Jörg Allgeier gab es am Anfang Umstellungsschwierigkeiten durch die 24P-Kamera, beispielsweise war der S/W-Sucher an der Kamera gewöhnungsbedürftig. Bei Außenaufnahmen musste auf den geringeren Belichtungsspielraum der 24P-Kamera geachtet werden.
Wie lautet Ihr allgemeines Resümee? Gab es aus Ihrer Sicht gravierende Vor- oder Nachteile bei der 24P-Produktion im Vergleich zu einer klassischen Filmproduktion?
Norbert Gerstner: Bei einer Filmproduktion mit Avid-Schnitt können die Muster erst zwei Tage nach dem Dreh angeschaut werden. Bei 24P war die erste Begutachtung schon am Drehort durch einen HD-Monitor möglich. Die Mustervorführung am Avid fand einen Tag nach dem Dreh statt. Anfang Juli fand eine SWR-interne 24P-Vorführung des fertig geschnittenen und farbkorrigierten Tatorts statt, es gab durchgehend nur positive Anmerkungen. Bei einer Projektionsbreite von etwa 5 m war die Bildauflösung sehr gut und der 24P-Standard überzeugte durch schöne, filmische Bilder.
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