Neue Technologie für variable Bandenwerbung in Stadien
Parallel Ads: Animierte Bandenwerbung, die im Stadion anders aussieht als in TV-Übertragungen, eröffnet weitere Werbemöglichkeiten.
Das könnte der nächste Schritt für die Vermarktung der Bandenwerbung in Stadien sein: Mit einer neuen Technologie wird es möglich, dass die Bandenwerbung im Stadion für die dortigen Zuschauer auch weiterhin so aussieht wie gewohnt, also in Form animierter Werbebanner. Gleichzeitig könnte man aber diese Werbung durch einen technischen Trick in der TV-Übertragung austauschen: Auf dem Fernsehschirm sieht man dann auf der Bande andere, ebenfalls animierte Banner — und das auch noch abhängig davon, in welchem Land oder auf welchem Sender man das Spiel anschaut.
Der Entwickler dieser Technologie, das Schweizer Unternehmen Appario Global Solutions (AGS) und der Werbevermakter TGI, wollen auf ihren Websites noch nicht so ganz genau erklären, wie das Ganze funktioniert, aber dass es funktioniert, können die Unternehmen zeigen — und weisen gleichzeitig darauf hin, dass es sich nicht um einen Stanztrick oder eine virtuelle Einblendung handelt. Vielmehr gibt es außer den im Stadion wahrgenommenen, offensichtlichen Bildinhalten, auch weitere »versteckte« Bildinhalte, die auf den Displays ganzflächig dargestellt werden. Wenn die Shutter der Kameras und die Displays synchronisiert laufen, kann man die »alternativen Inhalte« dann im TV-Signal sichtbar machen.
AGS hat demnach eine patentierte Technologie entwickelt, die das Unternehmen Dynamic Content Multiplication (DMC) nennt. Damit können auf LCD-Bildschirmen gleichzeitig mehrere Bildinhalte dargestellt werden. Blickt man ganz normal aufs Display, sieht man nur einen Inhalt, aber es können eben gleichzeitig weitere Fullscreen-Inhalte auf diesem Display versteckt angezeigt werden.
AGS deutet für die DMC-Technologie an, dass es sich um »physikalische Darstellung mehrerer Sätze von volldynamischen Bildern auf LED-Bildschirmen« handle. Und weiter: »Professionelle Kameras können einen oder mehrere Sätze von Bildern erfassen, während das unbewehrte Auge nur einen Inhalt sieht.«
Weitere Hinweise gibt der Hersteller auch noch in diesen Aussagen: »Die ‚versteckten‘ Bilder werden nur von der Kamera eingefangen und für das menschliche Auge visuell gelöscht. Die Bilder sind aber echt, die Reflexionen dieser Bilder sind ebenfalls echt. Der Einsatz der Technologie verursacht weniger als ein Frame an Verzögerung. Die Verwendung mehrerer Kameras, die frei bewegt werden können, ist möglich. Es besteht keine Notwendigkeit für zusätzliche Kameraausrüstung. Es ist auch keine Postproduction nötig, um die alternativen Inhalte sichtbar zu werden, sie werden direkt in der vorhandenen Kameraausrüstung erzeugt.«
Bei einer kürzlich durchgeführten Produktion wurden Sony-Kameras des Typs HDC-5500 mit einer laut Hersteller »innovativen Global-Shutter-Technologie« eingesetzt. Und diese Kameras lieferten den verschiedenen Inhabern von Sportrechten gezielt »alternative Werbeinhalte« für das weltweite TV-Publikum.
So geschehen auch im diesjährigen Finale des FA Cups: Eingesetzt wurden die HDC-5500 dort für die Live-Produktion des Endspiels zwischen Chelsea und Leicester City, das am Samstag, den 15. Mai 2021 im Londoner Wembley-Stadion stattfand. Die Vermarktung der Technologie setzte das Unternehmen TGI um und nennt es »Parallel Ads«. TGI ist auch offizieller FA-Werbevermarktungspartner.
TGI bewirbt das System »Parallel Ads« als »multiregionalen Werbeinhalt«, der auf der LCD-Bandenwerbung des jeweiligen Sportstadions angezeigt wird. Für verschiedene Märkte zugeschnittene Werbung wird demnach »nacheinander auf den Bildschirmen am Spielfeldrand gezeigt, schneller als das menschliche Auge sehen kann«.
»Parallel Ads« synchronisiert also das LED-Playout-System mit der Host-Broadcast-Produktion und ermöglicht die Ausgabe von bis zu vier separaten Echtzeit-Feeds, die direkt von der Kamerasteuerungseinheit abgerufen werden können.
Nach der Produktion von vier verschiedenen Feeds in den letzten Halbfinals wurden am 15. Mai 2021 erneut regionalspezifische Inhalte parallel in mehrere Regionen gesendet. TV-Zuschauer in einer bestimmten Region sahen das Spiel mit Bandenwerbung, die nur für sie relevant ist — ohne dass kostspielige zusätzliche Produktionsressourcen zur Unterstützung weiterer Märkte erforderlich waren.
Sowohl die HDC-5500 als auch die HDC-3500 und die HDC-P50 sind laut Sony die perfekte Basis für den Einsatz von »Parallel Ads«, weil sie einen Global Shutter bieten.
»Wir freuen uns sehr, mit Gravity Media zusammenzuarbeiten, um diese innovative Lösung zu liefern, die für globale Zuschauer und Werbetreibende entwickelt wurde«, sagt Norbert Paquet, Head of Media Solutions, Sony Professional Solutions.
»Dies ist nur ein Vorgeschmack auf die innovativen Produktions-möglichkeiten und neuen Einnahme-quellen, die unsere Live-Produktions-kameras für TV-Sender und Rechteinhaber ermöglichen. Halten Sie in diesem Jahr Ausschau nach weiteren Neuigkeiten über spannende Produktionsanwendungen dieser Spitzentechnologie für Sport, Musikkonzerte und andere Live-Events.«
So könnte es funktionieren
Fasst man die oben erläuterten Puzzlestücke zusammen, ergibt sich aus Sicht der Redaktion die folgende Vermutung, wie das System prinzipiell funktionieren könnte:
Die Bildwahrnehmung des Menschen, basierend aus Augen, Nerven und Gehirn, weist eine gewisse Trägheit auf (man spricht auch von der Visionspersistenz). Auf diesem Phänomen basiert das Grundprinzip jedes Daumenkinos und letztlich jede Art von Bewegtbildwiedergabe: Wenn man mehr als 17 einzelne Bilder pro Sekunde hintereinander zeigt, dann nimmt der Mensch diese Sequenz als Bewegungsablauf wahr — solange sich die Bilder nicht zu stark voneinander unterscheiden. Heute sind bei Bildwiedergabesystemen Bildraten von 24, 25, 30 und dem Vielfachen dieser Bildraten üblich. Moderne Displays können aber sehr viel mehr einzelne Bilder darstellen, das nutzen beispielsweise »flimmerfreie« Computermonitore. Schon im Consumer-TV-Bereich sind auch 500 Hz, also 500 Bilder pro Sekunde, keine Besonderheit mehr.
Da die Bandenwerbung in gut ausgestatteten Stadien ja aus LCD-Bildschirmen besteht, können diese sicher ebenfalls solche höheren Bildraten wiedergeben. Nun könnte man — und das ist die Vermutung des Funktionsprinzip der »Parallel Ads« — dafür sorgen, dass man zwischen die vom Zuschauer visuell wahrgenommenen Bildfolgen einzelne andere Bildfolgen »einschmuggelt«.
Ein Beispiel: Nehmen wir 150 Einzelbilder pro Sekunde an. Dann zeigt man dem Auge Bild 1 bis 4 aus einer zusammengehörenden Sequenz 1, Bild 5 aber zeigt das erste Bild einer ganz andere Sequenz 2. Bild 6 bis 9 gehören dann wieder zu Sequenz 1, Bild 10 zur Sequenz 2 — und so immer weiter. Dann erhält das Auge innerhalb einer Sekunde 120 Bilder aus der Sequenz 1 und 30 Bilder der Sequenz 2. Der menschliche Zuschauer sieht aber wegen der Visionspersistenz dann nur die Sequenz 1, die Sequenz 2 bleibt unsichtbar, weil die menschliche Wahrnehmung zu träge ist, um die sehr kurz »zwischengeschummelten« Bilder zu sehen.
Wenn man aber den Shutter einer Kamera so mit dem Display synchronisiert, dass die Kamera (in unserem Beispiel) nur jedes fünfte Einzelbild sieht, dann wird die Kamera auf dem Display nur die Sequenz 2 zeigen. Die Kamera zeigt also ausschließlich Sequenz 2 und zwar mit einer Bildrate von 30 Einzelbildern pro Sekunde — man wird also auch hier als menschlicher Beobachter des Kamerasignals ebenfalls die Sequenz 2 als Bewegtbild erkennen.
Nun ist es natürlich einfach denkbar, das Ganze auch mit höheren Bildraten als 150 Bildern pro Sekunde umzusetzen und dadurch mehrere »unsichtbare« Sequenzen innerhalb der »sichtbaren« Sequenz der Display-Darstellung zu verstecken.