Das »disziplinierte Experiment« des SWR
Der SWR will künftig digitale Inhalte mit veränderten Strukturen produzieren. Bei einer Veranstaltung der ARD-ZDF-Medienakademie stellte der Sender die neuen Methoden vor und vermittelte Hintergründe des ambitionierten Projekts.
Die öffentlich-rechtlichen Sender befinden sich derzeit inmitten eines massiven Umbruchs: Sie müssen einerseits Wege finden, um auch junge Zuschauer wieder stärker für Fernsehen und Radio zu begeistern. Andererseits gilt es, Inhalte für unterschiedlichste Plattformen aufzubereiten und für die Online- und die mobile Nutzung per Smartphone zu optimieren. Gleichzeitig sollen die Sender möglichst auch noch mehr und schneller produzieren. Und zusätzlich soll das Ganze auch noch mit geringeren Finanzmitteln und letztlich auch mit weniger Mitarbeitern umgesetzt werden.
Angesichts solch komplexer Herausforderungen sind neue Wege gefragt — und der SWR hat versucht, solche zu beschreiten. Hierfür hat der Sender »diszipliniert experimentiert« – mit dem Ziel, neue Methoden zu entwickeln, die es erlauben, digitale Angebote im Einklang mit klassischen Fernseh- und Radioprogrammen zu produzieren und beides miteinander zu verknüpfen.
Das Ganze fand im Rahmen eines konkreten Projekts statt: Der Sender strukturierte seinen Bereich »Aktuelles« um. Das Ergebnis: Seit Februar dieses Jahres liefert der SWR unter dem Dach von »SWR Aktuell« Inhalte auf neuen Wegen an die Nutzer: in Fernsehen, Radio und Online, sowie in den sozialen Netzwerken und der neu entwickelten News-App.
Bei einer Veranstaltung der ARD-ZDF-Medienakademie stand das Change Management im Fokus, das dieses Projekt überhaupt erst möglich machte.
Das »disziplinierte Experiment«
Thomas Dauser, Leiter Intendanz und strategische Unternehmensentwicklung, berichtete in seinem Impulsreferat davon, wie man die Redaktionen auf den Start der digitalen Nachrichtenmarke vorbereitet habe. Gemeinsam mit den Mitarbeitern ging es darum, in einer Laborsituation neue Darstellungsformen zu entwickeln und die gewonnenen Erkenntnisse sofort auf den Prüfstand zu stellen und auszuprobieren, so Dauser.
Das hatte den positiven Effekt, dass der Sender unmittelbare Rückmeldung erhielt, ob die jeweilige Idee aus dem Labor überhaupt praxistauglich war, erläutert Thomas Dauser. Er ergänzt, dass es aber mindestens ebenso wichtig gewesen sei, die Mitarbeiter auf breiter Basis in den Veränderungsprozess einzubeziehen. Schließlich solle letztlich der gesamte SWR multimedialer werden, so Dauser, und nicht nur die für »SWR Aktuell« zuliefernden Bereiche.
Das will man unter anderem mit integrierten Redaktionen erreichen, in denen vorhandenes Produktions-Knowhow verbreitert werde, so dass – plakativ gesprochen – ein ständig lernendes Team alle Ausspielwege und Plattformen passgenau bespielen kann.
Für den Bereich »SWR Aktuell« destillierten die Teams in der Laborphase heraus, dass neben einem einheitlichen Look über alle Kanäle und Medien hinweg, künftig etwa auch Silent Videos generiert werden müssten – also Videos, deren Inhalte mit Texttafeln versehen sind, sodass man sie auch ohne gesprochenes Wort verstehen kann — etwa auf einem Smartphone mit abgestelltem Ton.
Das ist nur ein Beispiel dafür, wie der Sender versucht, die Workflows, aber auch die Zuständigkeiten an die Realität anzupassen — und auf diesem Weg eben auch die Generation Youtube wieder an öffentlich-rechtlich produzierte Inhalte zu binden – in welcher Form auch immer.
Podiumsdiskussion
Dass es bei solch massiven Veränderungen innerhalb eines Unternehmens viele Risiken, aber auch Widerstände gibt, versteht sich von selbst. Um solche Fragen ging es in der Podiumsdiskussion, die sich an Thomas Dausers Impulsreferat anschloss. Deren Teilnehmer waren:
- Stefanie Schneider, SWR, Landessenderdirektorin Baden-Württemberg
- Gerald Kimmel, Erster Vorsitzender »Association of Change Management Professionals – German Chapter«
- Monika Gerber, ARD-ZDF-Medienakademie, Geschäftsbereichsleiterin Überfachliches Angebot
- Tobias Geißner, ARD-ZDF-Medienakademie, Geschäftsbereich Programm und Gestaltung, Fachgebietsleiter Marketing, Programm-Marken, Radio — als Moderator
Moderator Geißner stellte gleich zu Beginn die zentrale Frage, wo sich beim SWR-Projekt ganz konkret Erwartungen erfüllt hätten – oder eben auch nicht – und welche Ansätze sich als erfolgreich erwiesen hätten.
Stefanie Schneider bilanziert, dass es aus ihrer Sicht bei dem SWR-Projekt essenziell gewesen sei, nicht alle Aufgaben auf einmal anzugehen. Wolle man sich neu erfinden, könne man nicht jede Aufgabe, die sich auf dem Weg dahin stelle, sofort erfüllen. Sonst drohe die Gefahr, das eigentliche Ziel aus den Augen zu verlieren. Ihre Einschätzung lautet: Zu oft scheuten sich Führungskräfte, bestimmte Punkte oder Aufgaben eines Projekts zu streichen. Das aber, so Schneider, sei ein entscheidender Erfolgsfaktor.
Die Frage, ob ein Projekt, wie es der SWR umgesetzt hat, auch ein anderes Führungsverständnis erfordere, bejaht Stefanie Schneider eindeutig. Sie betont, dass es angesichts der Fülle der Herausforderungen Führungskräften bedürfe, die offene Grenzen aushielten. Moderator Tobias Geißner warf die Frage auf, wie sich das mit den Machtansprüchen mancher Mitarbeiter vereinen lasse. Stefanie Schneider darauf: Nur mit sehr viel Kommunikation ließen sich solche Probleme lösen. Man brauche jemanden, der allen alles erklären könne – und das letztlich mantra-artig.
Solche Szenarien begegnen Gerald Kimmel, Partner bei der Managementberatung CPC und erster Vorsitzender der »Association of Change Management Professionals – German Chapter« beinahe täglich. In seiner nunmehr über 25jährigen Beratertätigkeit kann er auf umfangreiche Erfahrungen zurückblicken, wenn es bei Unternehmen darum geht, neue Strukturen und Abläufe zu etablieren. Dabei, so Kimmel, könne man eben auch viel falsch machen. Vor allem hebt er hervor: Change könne man nicht delegieren — wer Veränderung im Unternehmen wünsche, müsse bei sich selbst anfangen und so die Voraussetzungen dafür schaffen, dass die Veränderung von innen angestoßen und initiiert werden können.
Ein von der Führungsspitze von oben verordneter Änderungsprozess funktioniere in der Regel nicht – auch dann nicht, wenn für seine Rechtfertigung externe Berater geholt oder auch Psychologen beschäftigt würden. Kimmel sieht vielmehr eine größere Chance darin, gemeinsam mit den Mitarbeitern das Change Management voranzutreiben.
Stefanie Schneider pflichtet ihm bei, wenn sie sagt, dass es auch bei der Einbindung der Mitarbeiter in erster Linie darum gehe, zu kommunizieren. Natürlich gebe es trotzdem immer Mitarbeiter, die sich gegen Veränderung sperrten. Auch das, so Schneider, müsse man akzeptieren. Umso wichtiger sei es, Nachwuchs aufzubauen.
Monika Gerber von der ARD-ZDF-Medienakademie erläutert, dass aktuell alle Sender mit solchen Herausforderungen kämpften und auf die eine oder andere Weise damit konfrontiert seien. Aus diesem Grund werde die ARD-ZDF-Medienakademie ihr Angebot in dieser Richtung erweitern. Ziel sei es, Schulungen und Seminare anzubieten, die Mittel und Methoden bereitstellten, mit denen sich Change Management bei Sendern besser umsetzen lasse.
Gerald Kimmel resümiert: Veränderung ist ein iterativer Prozess. Dabei passierten auch Fehler — und er wünsche sich, dass die Unternehmen genug Raum für eine Ausprobierkultur schafften.
Monika Gerber ist sich sicher, dass die ARD-ZDF-Medienakademie die Sender mit neuen Angeboten auf diesem Weg begleiten könne und auch solle.
Wie gut und erfolgreich die Sender ihre Change-Management-Projekte umsetzen können, hängt natürlich letztlich von vielen Faktoren ab. In einem Markt, indem sich die Mediennutzung – vor allem der jüngeren Generation — dramatisch verändert, gibt es leider viele unbekannte Variablen, die Einfluss nehmen.