Medientage-Gipfel 2016
In ihrer Eröffnungsrede bei den 30. Medientagen München betonte Bundeskanzlerin Merkel, es gehe darum, Medien- und Meinungsvielfalt zu erhalten.
Medien- und Meinungsvielfalt seien Grundlage für die politische Teilhabe einer informierten, kritischen Bürgerschaft, erklärte die Kanzlerin. Vielfalt erweitere in einer Demokratie den Horizont und sei Voraussetzung für Kompromisse. Die Bundeskanzlerin betonte, dass das Internet auch zu einer Gefahr werden könne, wenn etwa Algorithmen dazu führten, dass die öffentliche Meinung verzerrt werde. Dazu trügen häufig Nutzer bei, die online nur ihre eigene Meinung bestätigt sehen wollten. Deren Zweifel an der Demokratie, »die mit konstruktiver Kritik wenig bis nichts zu tun haben«, würden durch Echo-Kammer-Effekte verstärkt und könnten zu einer weiteren »Verzerrung der Wahrnehmung« führen. Merkel forderte, Algorithmen müssten transparent sein. Risiken sah die Regierungschefin auch darin, dass in der Online-Welt die Echtheit von Informationen und Bildern oft nicht geprüft werden könne. Umso wichtiger sei ein Qualitätsjournalismus, der einordne und Einzelaussagen in Beziehung setze. Qualität stärke Glaubwürdigkeit und Vertrauen.
Merkel unterstrich aber auch die Chancen der Internetgesellschaft: Das Forschungsgebiet Künstliche Intelligenz sei »eines der großen Themenfelder der Zukunft«, das auf Algorithmen und Big Data angewiesen sei und allen helfen könne, vorausgesetzt der Datenschutz funktioniere und der Verwendungszweck von Daten werde nicht missbraucht. Deutschland brauche als führender Industriestandort Daten »als Rohstoff der Zukunft« ebenso wie breitbandige Internet-Verbindungen. Bis 2018 versprach sie eine bundesweite Online-Grundversorgung mit einer Datenübertragungsrate von mindestens 50 Mbit/s. Dafür würden vier Milliarden Euro investiert.
Als aktuelle Herausforderungen für die Medienpolitik nannte Merkel die Bereiche Wettbewerbsrecht, Verbraucher- und Datenschutz sowie den Schutz geistigen Eigentums. Das alles müsse auch auf europäischer Ebene gesichert werden. Die Europäische Union benötige bei der Digitalisierung im Binnenmarkt einheitliche Standards. So würden neue Arbeitsplätze geschaffen. Deshalb wollten die Regierungschefs der EU-Mitgliedstaaten auch die neue AVMD-Richtlinie »schnell voranbringen«, versicherte die Bundeskanzlerin.
Eine weitere Welle der Digitalisierung, so prognostizierten Experten beim Medientage-Gipfel, stehe unmittelbar bevor: Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Wolfgang Wahlster, Vorsitzender der Geschäftsführung des Deutschen Forschungszentrums für künstliche Intelligenz (DFKI), zeigte in seiner Keynote konkrete Auswirkungen einer digitalen Disruption auf. Nachdem Zahlen bislang überwiegend nur gesammelt, gespeichert und verarbeitet worden seien, gehe es im nächsten Schritt darum, digitale Daten mit Hilfe von Algorithmen zu interpretieren, zu veredeln und »aktiv zu monetarisieren«. Dabei spiele künstliche Intelligenz eine große Rolle. Welche Folgen es haben kann, wenn Maschinen das Denken beigebracht wird (Deep Learning), machte der Informatik-Professor an Beispielen wie der Personalisierung von Medieninhalten oder selbstlernenden Systemen zum Erkennen von Sprache und Gesichtern deutlich. Auf dieser Basis könne etwa das interaktive semantische Fernsehsystem Swoozy Fernsehzuschauern jederzeit gestengesteuert und intuitiv Fakten über eine gerade eingeblendete TV-Szene beantworten. Künstliche Intelligenz bedeute, dass sich Computer in ihrer Kommunikationsfähigkeit dem Menschen anpassen würden. Medien-Bots und Roboterjournalismus könnten außerdem Medienangebote personalisieren.
Wahlster warnte aber auch vor Gefahren: Würden Algorithmen die Arbeit von Redaktionen übernehmen, seien Nachrichtenauswahl und Informationsgenese oft intransparent, kritische Distanz und Unabhängigkeit nicht garantiert. Die Auswirkungen der künstlichen Intelligenz auf die Meinungsvielfalt müsse dringend erforscht werden, empfahl der DFKI-Geschäftsführer.
Künstliche Intelligenz: Zweite Welle der Digitalisierung
Was künstliche Intelligenz leisten kann, veranschaulichte Martina Koederitz. Die Vorsitzende der Geschäftsführung von IBM Deutschland gab Einblicke in die Plattform Watson Internet of Things. Als Beispiel präsentierte sie einen Trailer zum Film »Das Morgan Projekt«, den der Superrechner Watson automatisch aus Filmsequenzen erstellte, nachdem zuvor selbstlernende Algorithmen erfolgreiche andere Trailer analysiert hatten. Künstliche Assistenzsysteme könnten helfen, Antworten bei vielen Problemen zu finden, zeigte sich Koederitz von Künstlicher Intelligenz überzeugt. Philipp Justus, Managing Director von Google Deutschland, berichtete, die Alphabet-Tochterfirma Google DeepMind erforsche maschinelles Lernen. Entsprechende Systeme würden beispielsweise zur Bilderkennung beim Service Google Fotos oder bei der Sprachsteuerung von Smartphones eingesetzt. »Das System lernt für Sie«, entgegnet Justus auf Datenschutz-Bedenken. »Wir müssen den Menschen den Wert von Daten verdeutlichen«, forderte Koederitz und nannte als positive Effekte von Assistenzsystemen den Umgang mit Rohstoffen und Energie. Justus verwies auf aktuelle Patienten-Datenanalysen in britischen Krankenhäusern.
Dass die systematische Auswertung von Nutzerdaten schon heute die Medieninhalte verändert, wird angesichts von Social-Media-Aktivitäten, Online-Angeboten oder Mobilfunk-Apps von Printmedien und Rundfunk-Programmanbietern deutlich. Der Bayerische Rundfunk habe eine eigene Software-Entwicklung aufgebaut, um eine enge Zusammenarbeit mit den Redaktionen zu erreichen, schilderte Ulrich Wilhelm, Intendant des Bayerischen Rundfunks. In puncto Personalisierung von Inhalten stünden beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk allerdings individuelle Passgenauigkeit und Datenschutz in einem Spannungsverhältnis. Deshalb seien die persönlichen Daten etwa bei der Bayern 2 App jederzeit löschbar.
Carsten Schmidt, Vorsitzender der Geschäftsführung von Sky Deutschland, erläuterte, Sky baue zurzeit ein Panel mit 15.000 Mitgliedern auf, die künftig Auskunft über ihre Mediennutzung geben würden. Weil Sky bei der GfK-Messung der Marktanteile nur mit etwa 400 Abonnenten vertreten sei, würden diese Daten wenig aussagen.
Conrad Albert, der im Vorstand der ProSiebenSat.1 Media SE für den Bereich External Affairs & Industry Relations zuständig ist, hob hervor, für die Programmplanung von Sat.1 oder ProSieben gelte vorerst weiter die Devise »Weniger Algorithmus, mehr Mensch«. Schließlich wollten die Zuschauer überrascht werden. Dass Netflix und Amazon Prime stark auf Algorithmen setzen, habe der eigenen Video-on-Demand-Plattform nicht geschadet: »Maxdome leidet nicht unter Amazon und Netflix, im Gegenteil!«. Auch wenn Nutzerdaten den Unternehmen Aufschluss über die Wünsche und Motive von Zuschauern, Hörern oder Lesern geben können, bleiben immer mehr Rezipienten für klassische Medien unerreichbar: Die sogenannte Vertrauenskrise der Medien hat dazu geführt, dass sich im Internet Verschwörungstheorien und Hass-Kampagnen verbreiten.
Dr. Armin Wolf, stellvertretender Chefredakteur des Bereichs TV-Information beim Österreichischen Rundfunk (ORF) und Moderator des Nachrichtenmagazins ZIB 2, sprach in diesem Zusammenhang vom Kampagnenjournalismus einer postfaktischen Gesellschaft. Sein Rezept dagegen: Könnten Journalisten das Publikum nicht mehr über die klassischen Medien erreichen, müssten sie online eine Gegenstrategie entwickeln.
Mit Social Media gegen die Vertrauenskrise
Wolf empfahl, Social-Media-Plattformen zu »infiltrieren« und das Publikum »zu seriösem Journalismus zu verführen«. Außer dem Kampagnenjournalismus kritisierte der ORF-Moderator auch den sogenannten Kommerzjournalismus. In diesem Fall gehe es im Zeitalter der Aufmerksamkeitsökonomie vor allem darum, mit extremen und schrillen Inhalten Eskapismus zu bieten. Wolf appellierte an die Branche, Journalismus müsse stärker Kontext und Komplexität abbilden, zwischen wahr und unwahr, zwischen Sinn und Unsinn unterscheiden, um so der Wahrheit so nahe wie irgendwie möglich zu kommen.
Wer steuert also wie die Medien? Und welche Rolle spielt dabei das Phänomen Social Media? Soziale Online-Netzwerke dienen Medienunternehmen, so wurde bei der abschließenden Diskussion des Medientage-Gipfels klar, vor allem als Instrument zur Kundenbindung und Reichweitensteigerung. »Social Media ist keine Bedrohung, sondern eine Chance, mehr Dynamik in ein Thema reinzubringen«, urteilte InStyle-Chefredakteurin Kerstin Weng. »Facebook lebt von Emotionen. Die müssen wir nun mit Hirn verbinden«, schlug Stefan Plöchinger vor, der in der Chefredaktion der Süddeutschen Zeitung für digitale Projekte zuständig ist. So könne gesellschaftlicher Mehrwert entstehen. Laura Himmelreich, Chefredakteurin von Vice.com Deutschland, erläuterte die Strategie des Lifestyle- und Jugendmagazins. Die Redaktion nutze möglichst viele Plattformen, die jeweils optimal zu den Inhalten passen müssten. »Vice denkt in Geschichten, nicht in Mediengrenzen«, beschrieb Himmelreich das erfolgreiche Konzept, das inzwischen in 38 Ländern funktioniere. Es gehe darum, in der Zielgruppe der 18- bis 34-Jährigen das größtmögliche Publikum zu erreichen.
Ein ähnliches Ziel streben auch die Macher von Funk, dem jungen Online-Angebot von ARD und ZDF, an. Programmgeschäftsführer Florian Hager unterstrich das Bemühen, nonlinear und online über möglichst viele Plattformen Nutzer zwischen 15 und 29 Jahren zu gewinnen. Dafür würden zurzeit eigene Inhalte, Formate und Protagonisten etabliert. Wolfgang Link, Vorsitzender der Geschäftsführung von ProSiebenSat.1 TV Deutschland, merkte in der von ZDF-Moderatorin Dunja Hayali geleiteten Diskussion an, junge Nutzer hätten das Interesse am Fernsehen nicht verloren. Das würden die Erfolge von ProSieben beweisen. Im Übrigen gelte es, angesichts der Individualisierung der Gesellschaft die Fragmentierung des Marktes durch entsprechende Zielgruppen-Kanäle aktiv mitzugestalten.
Dunja Hayali fasste schließlich zusammen, alle Medienangebote hätten für ihre jeweiligen Zielgruppen ihre Berechtigung. Fazit: Die Nutzer gewinnen an Bedeutung, ebenso wie Algorithmen, künstliche Intelligenz und Personalisierung.