Praxistest Canon R5: Zu viel erwartet?
R5: Gamechanger für DSLR-Filmer? Ein Praxistest mit dem jüngsten Filmer-Fotoapparat von Canon.
Überhitzung
Der große Aufreger für alle unabhängigen Tester ist die Temperaturproblematik der R5. So schnell die erste Euphorie über die geleakten Daten der Kamera hochkochte, genauso schnell verbreitete sich der angebliche Schock über die Aufnahme-Limits.
Canon hat ja selbst die Aufnahme-Limits veröffentlicht, und nach dem ersten Firmware-Update sah die ganze Sache auch schon nicht mehr ganz so schlimm aus. Das anfangs wohl willkürlich gesetzte, automatische Stoppen der Kamera wurde mit dem Update so geändert, dass sie nun wirklich erst bei einer drohenden Überhitzung abschaltet.
Laut Canon wurde mit der neuen Firmware der Temperaturmesser verbessert und der Algorithmus zur Überwachung der Aufnahmezeit angepasst, so dass die Kamera jetzt länger aufnehmen kann — durch die Einberechnung weiterer Faktoren, wie etwa externer Kühlung.
Dennoch muss man klar sagen: Bringt man die R5 an ihre Leistungsgrenzen, dann wird es der R5 gern mal zu heiß und die Aufnahme wird abgebrochen. Die bis dahin gedrehten Szenen/Files werden aber trotzdem noch korrekt gespeichert: Die Kamera zwingt einen in diesem Fall also zwar zu Zwangspausen, wenn man weiter drehen will, aber es gehen keine Files verloren.
Im Test gab es keine unerwarteten, spontanen Abschaltungen oder Abstürze. Stattdessen wird oben links im Display angezeigt, wie lang man mit dem aktuellen Hitzestau noch aufnehmen kann.
In der Praxis stellte sich das Thema Überhitzung im Test so dar: Ich ließ die Kamera in 4K laufen. Nach 30 Minuten hat sie sich — wie es auch in der Bedienungsanleitung erläutert wird — abgeschaltet. Genauer gesagt: Die Kamera schaltet in den Standby-Modus.
Im Display wurde mir dann angezeigt, dass ich sofort für eine weitere Minute aufnehmen könnte. Ich habe stattdessen lieber 15 Minuten gewartet, und die Kamera zeigt dann an, dass man nun für zehn weitere Minuten drehen könnte. Ich habe sie dann weiter im 4K-HQ-Modus laufen lassen, und sie schaltete dann nach 28 Minuten wieder in Standby.
Auch die Kamera selbst kann hier also offenbar keine konkreten, genauen Zahlen vorhersagen. Es handelt sich um eine Schätzung, ein Zusammenspiel aus vorheriger Laufzeit, Umgebungstemperatur und Aufnahmemodus.
Apropos Aufnahmemodus: In 4K-LQ und im HD-Modus begegneten uns im Test keinerlei Überhitzungs-Limits. Und wenn man nach einer vorherigen »Überhitzung« direkt in einem dieser Aufnahme-Formate weiter filmt, geht das nahtlos weiter. Man ist also durch »Overheat« nicht komplett blockiert, sondern kann zur Not in reduzierter Qualität weiterdrehen.
Nun kann man sagen: Besser eine LQ-Aufnahme als gar keine. Man muss aber auch klar sagen: Man sieht schon mit bloßem Auge einen deutlichen Qualitätsunterschied zwischen dem 4K-HQ- und dem 4K-LQ-Modus.
Ob man sich mit diesen Begrenzungen arrangieren kann, muss natürlich jeder selbst entscheiden. Und Canon antwortete ja kürzlich mit einer neuen Alternative auf diese Frage: in Form der neu angekündigten EOS C70 (Infos) …
Praxis
Ich habe eine Reihe von Testaufnahmen umgesetzt und diese zusätzlich zum Artikel nach Bearbeitung mit leichter Farbkorrektur hochgeladen. Im Video sind unter anderem ISO-Tests, die verschiedenen Aufnahmeformate, Zeitlupe, sowie ein Test des internen Stabilisators zu sehen.
Für die »großen« Formate 8K-Raw und 4K-120p braucht es eine CFexpress Karte Typ B. (Zum Vergleich: Die neue Sony A7S3 nutzt Typ A).
Zur Verfügung stand als Speicherkarte eine SanDisk Extreme Pro 64 GB mit 1.500 MB/s Lesen und 800 MB/s Schreiben. Wie man sich schnell ausrechnen kann, wird man mit einer 64-GB-Karte nicht gerade ein langes Interview in Raw aufnehmen können. Allerdings meldete sich die Kamera bei Verwendung des Raw-Formats bereits nach 6 Sekunden mit der Anzeige »Movie-Aufn. Angehalten«. Hier würde ein Griff zu der schnelleren SanDisk CFexpress Type B Speicherkarte mit 1.400 MB/s Schreibgeschwindigkeit helfen.
Was sofort auffällt, wenn man die Kamera das erste Mal in Betrieb nimmt: Das Einstellrad für die verschiedenen Modi wie Av/Tv, Automatik/Manuell lässt sich sowohl für Foto als auch Video separat nutzen: Je nachdem, was man einstellt.
Das Menü war mir als ehemaliger 5D-Nutzer sofort vertraut, und die R5 liegt auch ähnlich gut in der Hand.
Wie oben bereits erwähnt, ist man mit dem Canon 28-70 schon sehr sony-like unterwegs: ein relativ kleiner Body mit einem großen Objektiv.
Ein kurzer Autofokustest hat mich sehr überrascht. Ich drehe praktisch immer manuell, insofern ist AF für mich normalerweise nie ein Thema. Aber was sich da getan hat, ist schon erstaunlich: der AF der R5 ist sehr eindrucksvoll. Und besonders in Kombination mit einem Systemobjektiv ist der AF natürlich sehr sinnvoll.
Auch ein adaptiertes EF 50mm 1.4 fokussierte problemlos automatisch — allerdings bauartbedingt natürlich nicht smooth sanft und gleichmäßig, sondern ziemlich ruckelig.
Der Autofokus arbeitet mit Augen- und Personenerkennung, was im Nahbereich sehr zuverlässig funktioniert. Dreht sich zum Beispiel der Interviewpartner zur Seite, so dass die Augen nicht mehr im Bild sind, bleibt der Fokus trotzdem auf der erkannten Person. Gerade für Gimbal-Arbeiten ist das eine tolle Sache.
Beim 28-70 war es möglich, die Fokusführung des Objektivs in der Kamera zu ändern. Unter dem Menüpunkt MF »Fokusringgeschwindigkeit« kann man die Fokusführung so einstellen, dass sie entweder mit der Drehgeschwindigkeit des Fokusrings variiert oder mit dem Drehungsgrad, also linear.
Die Blende des Objektivs funktioniert im Automatikmodus übrigens butterweich, man sieht keine sprunghaften Übergänge. Ebenso verhält sich das mit der ISO-Verstellung.
Schön finde ich, dass sich Peaking bei den Kameraherstellern durchgesetzt hat. So ist dieses auch in der R5 zu finden.
Als weitere interessante Schärfehilfe empfinde ich die »Focus Hilfe«, bei der im Display zwei kleine Pfeile aufeinander zugehen und sich bei getroffenem Fokus überlagern.
Auch eine Ausschnittsvergrößerung bietet die R5 als Fokusassistent an, ausgeführt in zwei Stufen: 6-fach und 15-fach. Leider fand ich keine Funktion im Menü, um direkt zwischen Vergrößerung und Normalansicht zu wechseln. Stattdessen muss man offenbar immer erst auf 6-fach, dann auf 15-fach und dann wieder zurück zum Vollbild zu wechseln. Eine Kleinigkeit — aber manchmal können solche Dinge eben nerven. Und wenn wir schon im Mäkelmodus sind: Den vorderen Fn-Knopf, der direkt neben dem Objektiv liegt, habe ich ziemlich häufig unabsichtlich berührt — vielleicht passiert das anderen Anwendern auch.
Da ich gern Hyperlapse-Projekte (Artikel) umsetze, beachte ich bei Kameras auch immer auf eine interne Wasserwaage. Auch hier hatte Magic Lantern schon damals bei der 5DMark III vorgelegt und eine äußerst akkurate Level-Anzeige geschaffen. Canon knüpft hier an und liefert eine durchaus nutzbare Wasserwaagenfunktion.
Das klappbare Display ist brillant und kann auch bei Sonnenschein noch gut abgelesen werden. Einzig der dicke schwarze Balken am unteren Rand trübt den Eindruck etwas. Die weitere Rückseite der Kamera ist dann sehr 5D–like aufgebaut mit dem großen Blendenrad. Lediglich die Knöpfe auf der linken Seite sind, bedingt durch das Klapp-Display, auf die gegenüberliegende gewandert — im Fall des Zoom-In-Knopfes letztlich sogar eine Verbesserung, da dieser jetzt gut mit dem Daumen zu erreichen ist.
Die Stabilisierung des Sensors verspricht acht Stufen, getestet wurde seitens Canon mit dem RF 24-105 Objektiv bei 105 mm Brennweite. Zusätzlich gibt es noch eine zuschaltbare digitale Stabilisierung mit zwei Stufen.
Beim Filmen aus der Hand und leichten simulierten Jib-Bewegungen funktioniert die Stabilisierung sehr gut. Beim Laufen ist mir im Weitwinkelbereich ein leichtes Wobbeln des Bildes aufgefallen, das etwa auch beim Stabilisator der GH5 von Panasonic zu bemerken ist, ebenfalls im Weitwinkelbereich.
Im Testvideo kann man dies ganz gut an den Bildrändern sehen, wenn man Links/Rechts-Bewegungen durchführt.
Die 100- oder 120-fps-Zeitlupe wird ohne Ton aufgenommen, Mediainfo lieferte mir hier eine Bitrate von um die 443 Mbps bei 100 fps.
Angezeigt wird das File als 25p und wird auch so direkt im Schnittprogramm interpretiert. Man hat also bereits ein Zeitlupenvideo (HFR) und muss es bei Bedarf auf Realzeit beschleunigen. Den Shutter hatte ich bei 100 fps auf 1/200.
Am anderen Ende, wenn man die Zeit beschleunigen will, bietet die R5 eine interessante Lösung. Bekannt ist dabei ja bereits die Reduzierung der Framerate, so wie es etwa bei der Panasonic GH5 möglich ist, wo man die Framerate auf 2 fps reduzieren kann. Dadurch erhält man ein klassisches Zeitraffervideo.
Bei der Variante der R5 hingegen bleibt das Video in Realzeit, aber die Bewegungen verwischen mehr. Das ist bei normaler Geschwindigkeit ein Stilmittel oder toller Effekt, beschleunige ich das Video aber zu einem Zeitraffer, habe ich einen schönen Motion-Blur in den Bewegungen.
Auch dies ist im Testvideo zu sehen, ebenso wie ein ISO Test. Die Verschlusszeit habe ich dabei auf bis 1/8 s herabgesetzt.
Wie praktisch eine hohe nutzbare ISO bei Nachtdrehs ist, wurde bei film-tv-video.de vor kurzem in einem Artikel am Beispiel der S1H von Panasonic gezeigt (Artikel). Canon bietet mit der R5 ebenfalls eine Vollformatkamera mit hohen ISO-Werten, und im Video gibt es eine Testreihe, die illustriert, was die R5 in diesem Bereich zu bieten hat. Unter den gewählten Umständen würde ich ISO 8.000 als noch brauchbar empfinden.
Eine weitere Testreihe, die es nicht in das Video geschafft hat, habe ich in einer dunklen Straße gedreht. Hier musste das kaum vorhandene Licht durch die ISO massiv verstärkt werden, und es war bei ISO 6.000 bereits mehr Rauschen zu sehen als bei ISO 8.000 in der vorherigen Testreihe.
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Seite 4: Postproduction, Fazit
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