Sony Venice: neue Horizonte
6K, Vollformat, 15 Blendenstufen Dynamikumfang und ein neues Farbmanagment – das sind nur einige grundlegende Eckdaten der Sony-Vollformatkamera Venice. Wie schlägt sich das Sony-Flaggschiff bei einer Produktion? Tobias Körtge hat’s ausprobiert.
Der Praxistest
Test-Setup
Das Sony-Venice-Setup von Band Pro Munich wurde mit dem Raw-Recorder AXS-R7, passendem Kamerasupport und den EZ-Vistavision-Objektiven von Angénieux geliefert. Das EZ-1 deckt einen Brennweitenbereich von 45 bis 135 mm ab, das EZ-2 von 22 bis 60 mm. Beide Objektive sind vergleichsweise kompakt und leicht; sie sind prinzipiell mit PL-, aber auch mit EF- oder E-Mount verfügbar. Von Movcam gibt es einen ENG-Handgriff, der sich mit den Objektiven nutzen lässt.
Der Film
Tobias Körtge drehte mit Sony Venice einen Kurzfilm zum Thema Cyber Security mit dem Schwerpunkt Social Engineering. Der 11 minütige Schulungsfilm wird weltweit zur Mitarbeitersensibilisierung in verschiedenen Großunternehmen eingesetzt – dann in einer englischsprachigen Synchronisation. »In dem Film stellen wir dar, wie Cyber-Kriminelle in Sicherheitsbereiche eindringen und sich Zugang zu vertraulichen Daten in einem Unternehmen verschaffen«, erläutert Tobias Körtge.
Gedreht wurde 3 Tage lang in einem modernen Bürogebäude und einem futuristisch anmutenden Kommandozentrum. »Um die Leistungsfähigkeit der Kamera ausloten zu können, zeichneten wir in 6K Raw im 17:9-Format mit X-OCN auf«, erläutert Tobias Körtge das grundlegende Setup beim Dreh.
Bedienung
Venice ist klar als Kamera für aufwändigere Produktionen gedacht und von der Bedienung her darauf ausgelegt, dass Kameraleute mit einem Assistenten arbeiten. So war das auch bei dieser Produktion.
Für die Kameraleute gibt es auf der linken Seite ein kleineres Display, über das sich grundlegende Einstellungen vornehmen lassen und etwa der achtstufige ND-Filter eingestellt wird. Auf der rechten Kameraseite befindet sich ein weiteres, größeres Display, das die Assistenten bedienen können. Hier lassen sich etwa Frameraten, Shutter, Empfindlichkeit oder Weißabgleich einstellen und anpassen.
»Die Bedienung ist wirklich gut gelungen und das Handling der Kamera durchdacht«, urteilt Tobias Körtge, »man kommt mit ihr sofort zurecht und weiß auch ohne Studium des Handbuchs, wie man etwas einstellt. Das Ganze geht schnell und unkompliziert, was die Arbeit am Set wirklich erleichtert.«
Körtge findet, dass Sony bei der Venice vieles richtig gemacht habe, woran der Hersteller aus seiner Sicht bei Kameras wie F5 oder F55 gescheitert sei. Diese Modelle findet er, was die Bedienung und das Handling betreffe, viel zu umständlich. »Bei der Venice ist das aber überhaupt nicht so, mit dieser Kamera kam ich sofort gut zurecht.«
Die Menüführung hebt er als besonders gelungen hervor. So sei es etwa möglich, damit die wichtigsten Parameter schnell einzustellen. Gleichzeitig sei es aber auch leicht, in die Tiefe zu gehen und einzelne Parameter im Detail anzupassen. »Das Menü ist wirklich sehr intuitiv«, sagt Körtge. Toll findet er auch die Möglichkeit, dass sowohl Kameraleute als auch die Assistenten guten Zugriff aufs Menü haben.
Auch die Bauform der Kamera überzeugt ihn: »Die Schrauben und Gewinde sitzen an den richtigen Stellen, sie sind stabil ausgeführt und durchdacht platziert.«
Besitzer einer F55 können übrigens Basisplatten und auch anderes Zubehör ihrer Kamera auch an einer Venice nutzen, denn deren Höhe vom Boden bis zum optischen Zentrum entspricht den Maßen der F55.
Insgesamt resümiert Körtge, dass die Sony Venice auch den Vergleich mit Arris Kameras nicht scheuen müsse — und sich wohl auch einige Anregungen bei diesen geholt habe.
Sucher
Sony hat für Venice einen OLED-Sucher entwickelt, den Tobias Körtge als echtes Highlight wertet. Dessen OLED-Panel bietet eine Auflösung von 1920 x 1080 »und ermöglicht es tatsächlich, zuverlässig und korrekt zu fokussieren«, so seine Erfahrung. Er ergänzt, dass es schlichtweg Spaß mache, mit dem DVF-EL 200 zu arbeiten. Per Drehregler lassen sich Helligkeit, Peaking und Kontrast direkt einstellen. »Toll ist auch, dass ein An-, Um- oder Abbau ruckzuck und ohne Werkzeug möglich ist«, sagt Körtge. Angeschlossen wird der Sucher per Lemo-Stecker.
Beim Blick durch den Sucher kommt man auch mit dem Lüfter der Venice in Kontakt, allerdings eher unangenehm: Denn solange die Kamera nicht läuft, bläst der Lüfter direkt ins Ohr des Operators, wenn der durch den Sucher blickt. Ein Detail, das wohl konstruktiven Bedingungen geschuldet ist.
ND-Filter
Wie erwähnt bietet Venice einen mechanischen, achtstufen ND-Filter, der einen ND-Bereich von 0,3 (1/2 = 1 Stufe) bis 2,4 (1/256 = 8 Stufen) abdeckt. »Damit hat sich das Thema der externen Filter aus meiner Sicht erledigt«, sagt Tobias Körtge, »denn mit acht ND-Filtern kann man nahezu jede Situation meistern.« Letztlich gebe es keinen Grund mehr, sich mit externen Filter zu mühen, wenn man so komfortabel wie bei der Venice mit den internen ND-Filtern arbeiten kann.
Postproduktion
Beim Dreh in 6K Raw fielen große Datenmengen an, doch Tobias Körtge war überrascht, dass diese bei Nutzung des X-OCN-Aufzeichnungsformats durchaus noch überschaubar seien. Zusätzlich nutzte sein Team auch die S-Log-3 MPEG-Proxy-Aufzeichnung in 4:2:2 der Kamera, was sich in der Post als sehr sinnvoll erwiesen habe.
»Auch für die Proxys hatten wir den vollen 17:9-Bildausschnitt zur Verfügung« berichtet Körtge, sodass mit diesen Proxydaten in Adobe Premiere geschnitten werden konnte. Am Ende wurde das Material dann in 6K nachgepatcht, erläutert er, was nach einem Update von Premiere nun auch möglich sei.
»Der Profi sieht natürlich den Unterschied zwischen den Raw-Dateien und den Proxys«, urteilt Körtge, wenngleich er von der hohen Qualität der Proxy-Files durchaus angetan ist und glaubt, dass man wohl vor allem bei intensiver Postproduktion von der höheren Qualität der Raw-Files profitiere.
Bei der Arbeit mit den Raw-Files hebt Tobias Körtge die S-709 LUT hervor. Nutze man diese fürs Raw-Material, sorge sie beim Großteil des Materials für ordentliche, gute Bilder. »Das bietet eine gute Basis für ein weiteres Grading und reicht in etlichen Fällen auch gänzlich aus«, meint Körtge.
Bildqualität
»Erste Sahne«: So lautet Tobias Körtges Kurz-Urteil zur Bildqualität, die er mit Sony Venice und den Angénieux-Zooms erreichen konnte. Seiner Meinung nach unterscheidet sich der Look definitiv von dem einer Arri Alexa oder Amira. Sony habe es geschafft, ihn einen Tick filmischer als bei den Vorgänger-Kameras zu gestalten und die Tendenz zu wärmeren Farben zu reduzieren. Stattdessen liefere Venice ein cleanes, feines, nuancenreiches, aber dennoch stimmungsvolles Bild.
Körtge attestiert der Kamera auch einen sehr guten Umgang mit Hauttönen. Wo bei anderen Kameras öfter mal Probleme beim Make-up auftreten könnten, habe sich Venice im Zusammenspiel mit den Angénieux-Objektiven als recht unproblematisch erwiesen. Das führt er darauf zurück, dass der Look der Kamera insgesamt etwas heller und dadurch schmeichelnder wirke.
Sony gibt für die Venice einen Dynamikumfang von 15 Blenden an. Tobias Körtge bestätigt diesen Wert und merkt an, dass 15 Blenden in dieser Klasse heutzutage durchaus als Standard betrachtet werden könnten.
Objektive, Monitor
Das EZ-1 deckt einen Brennweitenbereich von 45 bis 135 mm ab, das EZ-2 von 22 bis 60 mm. Tobias Körtge bescheinigt den beiden Zoom-Objektiven eine sehr gute Qualität – insbesondere, wenn man noch den Preis und die Lichtstärke der Objektive berücksichtige. Die weitwinkligere Zoom-Optik setzte Körtge allerdings eher selten ein, auch deshalb, weil aus seiner Sicht der Look im Bereich von 22 mm zu weich ausfalle. »Den Großteil der Produktion habe ich mit dem EZ-1 realisiert, das war mein absolutes Lieblings-Objektiv«, berichtet er. Dennoch brauche man letztlich auch immer das EZ-2 am Set, wenn man etwa mal auf 35 mm Brennweite gehen wolle, wo, wie er findet, das EZ-2 sehr gute Bilder liefert.
Für die Bildkontrolle nutzten Körtge und sein 1. Kamera-Assistent Maximilian Schmelzer einen kompakten TV Logic 058W Monitor; außerdem war ein großer 18-Zoll-Monitor von TV Logic als Referenzmonitor für Regie und Kunden mit am Set.
Abnehmbarer Sensorblock
Dank des einfach zu bedienenden, leichten (1,9 kg mit PL-Fassung bzw. 1,4 kg mit E-Mount) kabelgebundenen Verlängerungssystems kann das Kameragehäuse zwischen 2,7 bis 5,5 Meter vom eigentlichen Bildsensorblock entfernt werden. Bei diesem Praxistest war das System noch nicht im Einsatz, da es aber viele neue Möglichkeiten in der Anwendung bietet, soll es an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben.
Das System sorgt dafür, dass sich die Kamera unauffällig in Setups und Drehsituationen einfügen kann – sowohl beim Filmen mit Kardanaufhängung, Handheld-Stabilisatoren und bei Unterwasseraufnahmen als auch in Helikoptern, mit 3D/VR-Rigs sowie bei der Aufnahme von Szenen in engen Räumlichkeiten oder an ungewöhnlichen Orten, zum Beispiel in Fahrzeugen oder auf Kränen.
Das Venice-Verlängerungssystem CBK-3610XS besteht aus einer Frontabdeckung, einem Gehäuse für den Bildsensorblock mit 2,7 Metern Kabellänge sowie weiteren 2,7 Metern Verlängerungskabel. Es ist kompatibel mit bestehenden Venice-Kameras, auf denen die Firmware V3.0 installiert ist.
Über das Verlängerungssystem stehen ein HD-SDI-Ausgang und ein 12-V- bzw. 24-V-Ausgang als Stromversorgung für Zubehör zur Verfügung, zum Beispiel für Objektiv-Servomotoren oder Monitore. Zudem besteht die Möglichkeit, am CBK-3610XS-System verschiedene Halterungen und weitere Zubehörteile anzubringen. Das Venice-Verlängerungssystem ist voraussichtlich ab Februar 2019 erhältlich.
Drehen mit Vollformat: sinnvoll?
Ein Aspekt, der aus der Sicht von Tobias Körtge bei Vollformat oft untergeht, sind die Möglichkeiten, aber auch die Anforderungen, die sich daraus für die Bildgestaltung ergeben. Dass man damit ein sehr filmisches Bild mit einer eindrucksvollen Schärfentiefe erzielen und viel mehr mit unterschiedlichen Ebenen im Bild arbeiten könne, steht für ihn außer Zweifel.
Nahe am Motiv zu sein, aber trotzdem eine weiteres Bild zu haben, biete viele tolle Möglichkeiten, sich filmisch auszudrücken. »Doch dafür muss man auch einen Preis bezahlen. Zum einen muss man deutlich mehr leuchten und zum anderen auch ganz anders über Anschlüsse und Einstellungsgrößen nachdenken. Gerade bei Close-ups kann das schwierig werden«, findet Körtge und ergänzt, dass man letztlich ganz anders arbeiten müsse, insbesondere was Abstände und Objektweiten betreffe.
Auch für die Assistenten sei ein Dreh in Vollformat nicht ganz einfach, gerade wenn es darum geht, die korrekte Schärfe zu treffen und bei dynamischen Szenen die Schärfe nachzuführen. »Vollformat verzeiht in solchen Situationen gar nichts – dann gibt es nur scharf oder unscharf«, urteilt Körtge.
Aus seiner Sicht ergibt die hohe 6K-Auflösung im Zusammenspiel mit Vollformat daher insbesondere im szenischen Bereich Sinn – vorausgesetzt, der höhere Aufwand, der sich bei der Produktion daraus ergebe, sei vom Budget her überhaupt machbar.
Fazit
Für Tobias Körtge hat Sony mit der Venice ein Produkt entwickelt, das durch tolle Bildqualität, einfache Bedienung und robuste Bauweise überzeugt. Dass man die Kamera innerhalb kürzester Zeit gut und sicher bedienen könne, empfindet er als echten Vorteil. Die Möglichkeit, mit Support und Objektiven die Kamera für die jeweilige Drehsituation anpassen zu können, kommt seiner Arbeitsweise entgegen.
Für ihn ist Sony mit der Venice eine konkurrenzfähige Kamera gelungen, die viel unter der Haube hat und unterschiedlichste Anforderungen bewältigen kann. Wirklich ausspielen kann sie ihre Werte aus seiner Sicht aber vor allem bei hochwertigen Produktionen, die auch VFX-Anteile hätten.
Hier geht’s zum fertigen Film.
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