Thomson Grass Valley: Infinity verfügbar
Mehr als zwei Jahre nach der ersten Ankündigung zur IBC2005 ist es nun soweit: Thomson Grass Valley hat die Auslieferung des bandlosen Camcorders der Infinity-Baureihe gestartet. film-tv-video.de fasst den aktuellen Stand zusammen.
Das Konzept des Infinity-Camcorders besteht kurz gesagt darin, dass Thomson Grass Valley damit ein bandloses Aufnahmesystem anbietet, das in verschiedenen Formaten und Auflösungen auf verschiedene Speichermedien aufnehmen kann. Was der Kunde davon tatsächlich nutzen will, kann er selbst entscheiden, deshalb hebt Thomson Grass Valley im Marketing auf den Begriff »Choice« ab: Auswahl.
Der Camcorder kann sowohl auf Wechselfestplatten (Rev und Rev Pro) wie auf Speicherkarten (CompactFlash) aufzeichnen oder via IT-Schnittstelle auch andere Medien wie etwa USB-Speichersticks nutzen.
Neben verschiedenen DV– und MPEG-2-Codecs steht auch JPEG2000 zur Verfügung — für SD wie für HD.
Das Ganze ist verpackt in einen Camcorder in der klassischen Bauform eines Broadcast-Schulter-Camcorders mit drei 2/3-Zoll-CMOS-Sensoren.
Im Rahmen einer Produktpräsentation bei Videocation in München konnte film-tv-video.de einen ersten Blick auf einen Infinity-Camcorder aus der Serienproduktion werfen.
Die unendliche Geschichte
Infinity hat eine lange Entwicklungsgeschichte hinter sich gebracht, bis es nun doch Ende 2007 in die Serienfertigung ging — länger als der Hersteller beabsichtigt und prognostiziert hatte. Zur IBC2005 hatte Thomson Grass Valley erstmals öffentlich die Infinity-Baureihe angekündigt — mit großem Presserummel, vor 2.500 geladenen Gästen. Der Lieferstart wurde fürs erste Quartal 2006 versprochen. Aber dann wurde es erst einmal still um den file-basierten Schultercamcorder. Das Release-Datum wurde wieder und wieder in die Zukunft verschoben. Technische Probleme, etwa bei der Leistungsaufnahme von anfangs 60 W und bei der Integration des JPEG2000-Codecs waren nach Insider-Informationen einige der Gründe dafür. Kunden, die den Infinity-Camcorder schon vorab bestellt hatten, mussten immer wieder vertröstet werden. Immer wieder gab es auch Gerüchte, die Entwicklung der Infinity Serie würde komplett eingestellt, was Thomson Grass Valley aber dementierte.
Im Februar 2007 gab der Hersteller dann bekannt, dass man statt IT-CCD-Sensoren nun neu entwickelte CMOS-Bildwandler in den Camcorder einbauen werde. Während der Pressekonferenz zur IBC2007 konnte Jacques Dunogué, Senior Executive VP, dann endlich verkünden: Die Camcorder würden ausgeliefert, die Beta-Tests seien abgeschlossen und bis zum Jahresende 2007 werde man die Massenfertigung auf den vollen Umfang hochfahren.
Veränderte Marktsituation
Seit der ersten Ankündigung von Infinity hat sich der Markt der bandlosen Aufnahmesystem stark verändert und ist mittlerweile hart umkämpft. Die anderen Hersteller haben in der Zeit seit Herbst 2005 Fakten geschaffen. Die Infinity-Reihe, mit der Option auf Harddisk oder festspeicher-basierende Medien aufnehmen zu können, steht in direkter Konkurrenz zu den schon im Markt etablierten Akquiseformaten P2 von Panasonic und XDCAM von Sony. Außerdem hat Sony innerhalb eines halben Jahres einen XDCAM EX-Camcorder auf den Markt gebracht und schon in größeren Stückzahlen ausgeliefert.
P2 und XDCAM können mittlerweile auch auf funktionierende Workflows sowohl beim Ingest wie auch in der weiteren Bearbeitung mit etablierten Editing-Lösungen etwa von Avid und Apple verwiesen. Das bei Infinity eingesetzte JPEG2000 hat sich dagegen im Editing noch nicht durchgesetzt.
Aufnahmesensor, Aufnahmeraster und Codecs
Im Infinity-Camcorder sind drei 2/3-Zoll-CMOS-Sensoren als Bildwandler im Einsatz. Thomson Grass Valley hat diese Sensoren mit der Typenbezeichnung Xensium nach eigenen Angaben selbst entwickelt und kauft sie nicht einfach bei Bauteileanbietern zu. Mehr als 15 eigene Patente sind nach Firmeninformationen in die Entwicklung des Xensium-Sensors eingeflossen. Für die CMOS-Chips gibt Thomson Grass Valley eine native Auflösung von 1.920 x 1.080 Bildpunkten und eine Gesamt-Pixelzahl von über 2,4 Millionen an. Der Sensor arbeitet nach Aussage von Firmenmitarbeitern immer im 1080i-Bildmodus, niedrigere SD-Auflösungen werden erst später aus dem Datenstrom down-konvertiert. Vorteile bei der Modulationstiefe und bei der Anwendung der anschließenden Kompressionsverfahren sprechen laut Thomson Grass Valley für diese Vorgehensweise.
Als Aufnahmeraster können die gängigsten Formate für SD und HD sowohl im PAL– als auch NTSC-Raum bedient werden: 525i60, 625i50, 1080i50, 1080i60, 720p50, 720p60. Die SD-Formate sollen sich in 16:9, 4:3 oder Letterbox aufzeichnen lassen.
Der Modus 1080p25 soll zu einem späteren Zeitpunkt implementiert werden, 1080p50 ist für die aktuelle Gerätegeneration noch nicht vorgesehen.
Als Codecs kommen für SD wahlweise DVCAM oder DV in 4:2:0 für die PAL-Welt oder 4:1:1 für die NTSC-Regionen zum Einsatz. Das Alleinstellungsmerkmal der Infinity-Baureihe ist jedoch der in SD wie in HD verfügbare JPEG2000-Codec. Als Besonderheiten dieses Codecs hebt Grass Valley die Skalierbarkeit hervor und meint damit, dass jederzeit und ohne aufwändige Rechenverfahren aus einem großen HD-File zusätzlich niedriger aufgelöste Media-Files für die SD-Welt oder auch Proxies generiert werden können (»encode once, decode in many ways«). Außerdem soll bei JPEG2000 die Bildung von Block-Artefakten selbst bei hohen Kompressionsraten ausgeschlossen sein.
Die Eckdaten der Bildparameter gibt bei Infinity sowohl für SD als auch für HD ein 4:2:2-Abtastraster bei 10 Bit Farbtiefe vor. Die Datenraten für HD liegen laut Hersteller bei wahlweise 50, 75 oder 100 Mbps, für SD bei 30, 40 oder 50 Mbps.
Durch Einbau eines zusätzlichen Hardware-Boards des Typs DMC 1120 kann auch eine MPEG-2 HD-Codierung (I-Frame only) mit 60 oder 80 Mbps Datenrate nachgerüstet werden. Mit diesem Board ist auch IMX-Kompression für SD mit 50 Mbps Datenrate als Akquiseformat verfügbar. Durch ein Firmware-Update, das noch in der ersten Jahreshälfte 2008 kommen soll, soll mit diesem Board dann auch XDCAM HD 422 mit einer Datenrate von 50 Mbps mit dem Camcorder möglich werden.
Als Wrapper für den Video-Content, die vier Audiokanäle und die Metadaten wird laut HerstellerMXF der Standard OP-1a verwendet. Obwohl die Proxy-Funktionalität für Rohschnitt und Browsing mit niedriger aufgelösten Daten eigentlich in den JPEG2000-Media-Files ohne zusätzlichen Speicherplatzbedarf schon enthalten ist, denkt man bei Thomson Grass Valley dennoch über MPEG-4-Proxies nach, so wie es sowohl bei Sonys als auch Panasonics bandlosen Speichermethoden vorzufinden ist. Vermutlich soll dadurch die Einbindung in Content-Management-Systeme (CMS) von Broadcast-Anstalten erleichtert werden.
Speichermedien, Anschlüsse, Leistungsaufnahme
Als Aufnahmemedium hat man bei Infinity die Wahl zwischen festplatten- und festspeicherbasierter Akquisition.
Rev-Scheiben: Das harddisk-basierte Aufnahmemedium Rev und die daraus weiterentwickelte Rev Pro werden von Iomega vertrieben. Rev wurde ursprünglich als Backup-Medium für den IT-Sektor entwickelt.
Bei dieser Wechselfestplattenvariante befindet sich der Schreib- und Lesekopf nicht im Gehäuse des Harddisk-Mediums selbst, sondern im Rev-Slot des Camcorders eingebaut. Der wichtigste Unterschied zwischen Rev-Pro- und Rev-Medien: Nur Rev-Pro-Disks erlauben gleichzeitiges Lesen und Schreiben. Rev-Pro-Medien sind laut Thomson Grass Valley bis zu einer Temperatur von -10 Grad Celsius und einer Höhe von bis zu 4.500 m über dem Meeresspiegel ausfallsicher, Rev bis 0 Grad Celsius und 3.500 m. Beide Scheiben bieten derzeit maximal 35 GB Speicherkapazität, was einer halbe Stunde Aufnahmekapazität in HD-Qualität bei 100 Mbps entspricht. Beim Nettopreis liegen 35-GB-Rev-Medien bei rund 40 Euro, Rev Pro bei 60 Euro.
CompactFlash-Karten: Der Infinity-Camcorder bietet zwei Slots für CompactFlash-Karten. Die aus der digitalen Fotografie bekannten Speicherkarten gibt es in den Ausführungen Ultra II, Extreme III und Extreme IV. Unterschiede finden sich hier in der maximalen Datenrate, mit der auf die Karten geschrieben und davon gelesen werden kann. Außerdem variiert die maximal verfügbare Speichergröße. Der CF-Kartentyp Ultra II ist für Datenraten von bis zu 80 Mbps ausgelegt und in einer Größe von maximal 16 GB erhältlich (Stand: Januar 2008). Extreme III schafft Datenraten von bis zu 160 Mbps und ist ebenfalls mit einer Maximalkapazität von 16 GB im Handel. Extreme IV soll einen Datenstrom von bis zu 320 Mbps verarbeiten, die Maximalkapazität liegt hier aktuell bei 8 GB.
Weitere Speichermöglichkeiten: Als IT-Schnittstellen stehen drei USB-2.0-Anschlüsse und ein FireWire-Interface zur Verfügung. Hier können Speichersticks oder externe Festplatten angeschlossen werden. Ein HDMI-Anschluss soll es erlauben, mit einem externen Vorschau-Monitor die Bildqualität zu überprüfen. Weiterhin findet man am Infinity-Camcorder zwei Gigabit-Ethernet-Schnittstellen und einen SD/HD-SDI Ein- und Ausgang.
Vier XLR-Audioeingänge, AES/EBU via BNC und Embedded Audio über die SD/HD-SDI-Schnittstelle lassen viele Möglichkeiten zur Tonaufnahme und -ausspielung zu.
Die umfassende Fernbedienung des Camcorders soll über Handheld-PCs, PDAs und Smart-Phones möglich sein. Hierfür benötigt man die optional verfügbare Software LCP 400, die sich laut Hersteller auf vielen PDAs mit dem Betriebssystem Windows Mobile oder auf bestimmten Smart-Phones installieren lässt. Über Bluetooth oder W-Lan können damit nach Anbieterangaben alle Kamera-Menüs und Settings verändert werden, auch während der Aufnahme. Auch das Editieren von Metadaten und das Pegeln der Audiokanäle soll damit möglich sein. Die Software stellt das Touch-Screen-Display des Camcorders auf dem Handheld dar und soll letztlich den gleichen Funktionsumfang wie beim Einstellen des Camcorders über das Ausklapp-Display bieten. Thomson Grass Valley will das Programm zu einem Netto-Listenpreis von 400 bis 500 Euro verkaufen.
Obwohl an der Optimierung des Stromverbrauchs während der Entwicklungszeit des Infinity-Camcorders gearbeitet wurde, liegt die Leistungsaufnahme immer noch bei vergleichsweise hohen 45 W bei aktivem Display, Sucher und internem Buffer. Bei der Aufnahme auf die Wechselfestplatte Rev Pro gibt der Hersteller sogar stattliche 49 W an. Zum Vergleich: Bei Sonys XDCAM HD-Camcorder PDW-F355L liegt die Leistungsaufnahme bei 34 W während der Aufnahme bei aktiviertem Display und Sucher. Häufige Akkuwechsel wird man als Kameramann bei der Infinity also ebenso in Kauf nehmen müssen wie eine erhöhte Wärmeentwicklung im Kameragehäuse und damit verbundene Lüftergeräusche.
Sucher, Display, Postproduktion, Preis
Der Schwarz/Weiß-HD-Röhrensucher DMC 1100 bietet laut Thomson Grass Valley eine vertikale Auflösung von über 600 TV-Linien im 16:9 Bildseitenverhältnis und kann mit einer elektronischen Lupe, Focus Assist und Peaking aufwarten: Hilfsfunktionen, die es dem Kameramann erleichtern sollen, die Schärfe korrekt einzustellen. Ein ausklappbarer LCD-Schirm im 4:3-Bildseitenverhältnis soll neben der Navigation per Touch-Screen durch die Kameramenüs auch dazu dienen, einen ersten farbigen Bildeindruck zu gewinnen. Dass Thomson Grass Valley hier ein 4:3-Display einbaut, ist kurzsichtig: Schließlich ist das 16:9-Bildformat im TV-Produktionsalltag für SD mittlerweile nicht nur bei den öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten zum Sende-Standard geworden und bei HD ist 16:9 ohnehin Standard. 16:9-Bilder werden auf dem Ausklappschirm im Letterbox-Verfahren angezeigt: das Bild ist kleiner und schlechter aufgelöst, als das mit einem 16:9-Schirm gleicher Fläche möglich wäre. Zumindest nutzt Thomson Grass Valley aber die Bildbereiche der schwarzen Balken zur Einblendung von technischen Zusatzinformationen.
Das Thomson Grass Valley bei der Infinity auf den JPEG2000-Codec für SD und HD setzt, ist seit der ersten Presseankündigung zur IBC2005 bekannt. In der Postproduktionswelt konnte sich der Codec bei den Softwares der Editing-Marktführer allerdings bislang noch nicht durchsetzen: Weder Apples Final Cut Pro noch Avids Editing-Lösungen erlauben in den derzeitigen Versionen eine native Bearbeitung von JPEG2000-Material. Es ist auch noch offen, ob und wann der Codec integriert wird. Wer mit Infinity dreht, wird also derzeit sein Materials so gut wie immer am Anfang der Postproduktionskette transkodieren müssen – es sei denn, er arbeitet mit Canopus Edius 4.5, der hauseigenen Editing-Lösung von Thomson Grass Valley.
Generell kann auch direkt von den Rev-Medien oder den CF-Karten geschnitten werden, wenn eine zeitnahe Bearbeitung und Sendung des Materials etwa im News-Bereich erwünscht ist. Hier bietet der JPEG2000-Codec Vorteile: Aufgrund seiner Skalierbarkeit lässt sich das gedrehte Material offline mit einer Datenrate von 25 Mbps schneiden, während im Hintergrund der HD-File-Transfer beispielsweise zu einem Editing-Server laufen kann. Diese Proxy-Schnittfunktion in SD-Qualität hat mit der höheren Datenrate und Auflösung gegenüber den niedriger aufgelösten Proxy-Lösungen von P2 und XDCAM den Vorteil, dass vorab beim Rohschnitt eine bessere Bewertung des Bildeindruckes auch in Sachen Schärfe möglich ist – doch sie erfordert natürlich auch höhere Bandbreiten.
Der Infinity-Camcorder wiegt laut Hersteller mit HD- Sucher rund 5,7 kg. Der Netto-Listenpreis von Infinity soll ohne Sucher bei 20.000 Euro liegen, der HD-Sucher DMC 1100 steht mit 2.725 Euro netto in der Liste. Die Lieferzeit des Camcorders gibt Thomson Grass Valley mit derzeit rund drei Monaten ab dem Bestelldatum an.
Angekündigt: Field-Recorder DMR 1000
In der ersten Jahreshälfte 2008 will Thomson Grass Valley noch einen Fieldrecorder des Typs DMR 1000 ausliefern. Dieser soll die gleichen Anschlussmöglichkeiten und Codecs bieten wie der Recorderteil des Infinity-Camcorders, aber neben einem zweiten ausklappbaren LCD-Schirm über ein Jog/Shuttle-Rad und eine RS-422-Schnittstelle verfügen, mit der man den Recorder wie eine MAZ am Schnittplatz steuern kann.