Sonstiges, Test, Top-Story: 03.05.2006

HDV fürs Kino?

Im HDV-Format drehen und später auf Film belichten und im Kino vorführen: Viele Independent-Produktionen wollen diesen Weg gehen, so wie sie es auch schon mit DV getan haben. Und viele wollen das mit dem Canon-Camcorder XL H1 tun, dem HDV-Nachfolger des beliebten Canon-DV-Camcorders XL 2. Andreas Frowein hat den Weg vom Dreh mit dem H1 bis zur Belichtung auf Film ausprobiert.

Wenn es um die Projektion von Filmen auf die große Leinwand geht, ist 35-mm-Film noch immer Standard, auch wenn in mehr und mehr Kinos digitale Projektoren Einzug halten. Wer es sich leisten kann, der dreht auch auf 35 mm. Weil das dafür nötige Budget aber in Deutschland nur bei sehr wenigen Spielfilm- und Doku-Produktionen realisierbar ist, wird schon seit Jahrzehnten »aufgeblasen«. Man dreht auf 16 mm oder Super 16 und kopiert dann auf 35 mm um. Aber auch dieser Weg ist für viele Produktionen noch zu teuer, besonders wenn das Drehverhältnis hoch ist. Darin liegt der Grund für den Erfolg von Video und besonders des DV-Formats im Independent-Film-Bereich. Selbst bei bekannten Kinofilmen wie »Das Fest«, »Halbe Treppe«, »Der Felsen« und anderen wurde DV — mit ganz unterschiedlicher technischer Qualität — nicht nur aus ästhetischen Gründen eingesetzt, um einen bestimmten Look zu erreichen, sondern eben auch aus Budgetgründen. Die relativ begrenzte Auflösung ließ aber oft die Grenzen des Formates allzu deutlich zutage treten, besonders bei der Projektion auf eine große Leinwand.

Dennoch wurden viele Filme mit dem bei den Indies sehr beliebten Canon XL 2 gedreht und dann auf 35 mm hochkopiert. Seit Dezember ist nun mit dem HDV-Camcorder XL H1 (einen Test des Camcorders finden Sie hier) ein Nachfolger verfügbar, der im HDV-2-Format aufzeichnet, also mit einer Auflösung von 1440 x 1080 Bildpunkten – was fast viermal so viel ist wie bei DV-Auflösung. Allerdings wird bei HDV stärker komprimiert, die Bilddatenrate ist gleich geblieben wie bei DV. Dennoch versprechen sich viele sehr viel von Canons HDV-Camcorder im Einsatz fürs Kino. Aber: Probieren geht über studieren und deshalb sollte ein Ausbelichtungstest zeigen was man aus dem XL H1 für die große Leinwand rausholen kann. Dazu gehört es, einen möglichst guten »Tape to Film Transfer« zu realisieren, den in diesem Test das Züricher Unternehmen Swiss Effects vornahm, das einen sehr guten Ruf in diesem Dienstleistungsbereich hat.

Um einen ersten Eindruck zu bekommen, welche im Camcorder vorhandenen Grundeinstellungen als Ausgangsbasis für den Test am besten geeignet sind, gab es einen Vorlauf, bei dem unter anderem das gleiche Motiv drei mal gedreht wurde: Mit normalem Video-Gamma und normaler Matrix, dann mit Cine-Gamma 1 und Cine-Matrix 1 und schließlich mit Cine-Gamma 2 und Cine-Matrix 2.

Die Daten können auf verschiedene Weise in die Filmbelichtung gelangen: Entweder — für die Produktion einfach aber auch teuer — indem das Band verschickt und dann die weitere Arbeit dem Dienstleister überlassen wird. Das wird in aller Regel aber schon deshalb nicht vorkommen, weil das Material ja geschnitten werden muss. So wird die zweite, preiswertere Variante die Regel sein: Dazu wird das Material aus einem Schnittsystem, in unserem Falle einem Avid Liquid 7, in Form von unkomprimierten Einzelbildern ausgegeben. Zu beachten ist, dass das HDV Format 1440 x 1080 Pixel hat und damit in der Horizontalen weniger als das normale 1080-HD-Format, das 1920 Pixel breit ist. Um später ins richtige Seitenverhältnis von 16:9 zu kommen, werden die HDV-Pixel bei der Ausgabe in der Horizontalen gestreckt. Findet das nicht statt, gibt es lange Gesichter. Dieser Schritt kann durch den Dienstleister erledigt werden, oder auf zwei verschiedenen Wegen durch die Produktion: Entweder weist man das Schnittprogramm an, die Bilder bei der Ausgabe zu strecken, oder man spielt zunächst Einzelbilder aus, und erledigt das Strecken mit einem Bildbearbeitungsprogramm, das diese Aufgabe als Batch- oder Stapelprozess erledigt. Am besten ist es, beide Wege mit einer kurzen Sequenz zu testen und die Ergebnisse zu vergleichen. Im Test brachte der direkte Wege das bessere Ergebnis. Gezippt passten die Bilder des etwa 30 Sekunden langen Vorlauf auf eine DVD.

Es zeigte sich, dass Cine-Gamma 2 mit Cine-Matrix 2 die besten Ergebnisse brachte. Die Schärfe, so kam von Swiss Effects als weitere Rückmeldung, sei relativ hoch und die Farbsättigung zumindest bei dem gedrehten Motiv etwas zu gering. So waren die Vorgaben für den eigentlichen Test klar.

Der Einsatz von Cine-Gamma 2 und Cine-Matrix 2 bringt beim Drehen einen Nachteil mit sich: Die Bilder sehen auf dem Suchermonitor relativ dunkel und flau aus.

Der Test sollte sowohl innen mit Kunstlicht, als auch außen mit Tageslicht gedrehte Szenen enthalten. Zum Test hatte Canon eine Vorversion des Programms »Console« zur Verfügung gestellt, mit dem sich der Camcorder von einem Laptop aus bedienen lässt.

Beim Innendreh erlaubte es nicht nur eine komfortablere Einstellung der verschiedenen Parameter, sondern auch die Überwachung des Signals mit Waveform- und Vectorscope. Um möglichst gut vergleichen zu können, welche Auswirkungen verschiedene Einstellungen der Kameraparameter hatten, wurde jede Einstellung mehrfach mit jeweils etwas veränderten Parametern gedreht: Detail (Kantenanhebung), DTL Frequenz, Knie-Einstellung, Noise Reduction, Farbsättigung, Blackstretch und –-compress sowie Verstärkung wurden jeweils den Motiven entsprechend variiert. Die gleichen Motive wurden zudem mit verschiedenen Blendenstufen und anderen Einstellungsgrößen gedreht.

Beim Außendreh versprachen Schnee und Sonnenschein einen Kontrast, der dem XL H1 einiges abfordern würde, zumal eine der beiden Darstellerinnen Afrikanerin ist. Bei den Außenaufnahmen beschränkten sich die Veränderungen auf die Parameter Detail, Color Gain und Noise Reduction. Außerdem stand als weiterer Testpunkt an: Schwenken. Der XL H1 war während des gesamten Tests auf 25 Bilder pro Sekunde mit 1/25 s Belichtungszeit eingestellt. Das allein führt unter Umständen schon zu einem zu einem Shutter- oder Stroboskop-Effekt — in Abhängigkeit von Motiv, Brennweite und Schwenkgeschwindigkeit. Bei HDV kommt noch dazu, das über mehrere Bilder komprimiert wird (MPEG-2, Long-GoP), was zusätzlich nachteilige Effekte auf das Bild haben kann. Zum Vergleich wurden die Schwenks auch noch einmal in 50i gedreht.

Als weiteres Vergleichsmaterial wurden auch einige Einstellungen mit dem DV-Camcorder XL 2 gedreht.

Die Verarbeitung zu Einzelbildern verlief genau wie beim Vorlauf, die etwa 30 GB wurden auf einer Festplatte zu Swiss Effects versendet.

Schließlich im Kino angekommen, ist die Spannung groß. Schon nach den ersten Sekunden wird klar: Das Bild ist besser als wir erwartet hatten. Im ersten Moment sieht es fast aus wie echtes 35 mm. Wenn der Blick ein wenig kritischer wird, sind die Unterschiede aber deutlich sichtbar. Besonders in den Totalen ist der Schärfeeindruck bei weitem nicht so hoch wie bei Film und stärker gesättigte, farbige Bildteile wirken etwas flächig. Die mit Verstärkung gedrehten Einstellungen sind leicht entsättigt und enthalten zudem sichtbar höhere Rauschanteile. Ergo sollte besser ohne Verstärkung gedreht werden.

Dennoch ist der Gesamteindruck gut bis sehr gut. Selbst die chromatischen Aberrationen, die auf dem Video bei Übergängen mit sehr hohen Kontrasten in den Vertikalen zu sehen waren, werden von den uneingeweihten Zuschauern erst wahrgenommen, nachdem sie darauf aufmerksam gemacht worden sind. Als dann die »Schneeeinstellungen« kommen, wird es noch mal spannend. Wie vorher am Computer schon sichtbar: Sowohl der Schnee, als auch das Gesicht der afrikanischen Darstellerin zeichnen bei den richtig belichteten Einstellungen gut durch. Nichts ist abgesoffen, fast nichts ausgefressen – das ist sehr beachtlich.

Bei der zügig, aber nicht schnell geschwenkten Einstellung ist — wie befürchtet — ein leichtes Shuttern zu sehen, sogar bei der mit 50i gedrehten Einstellung. Bei langsameren Schwenks fällt es weniger auf.

Die mit dem XL 2 in DV gedrehte Kontrolleinstellung, die auf dem PC- und auch auf dem PAL-Monitor eigentlich recht gut aussah, zeigt in der Projektion überdeutlich ihre Schwächen: Die Auflösung und damit der Schärfeeindruck ist deutlich geringer, die Farbtrennung und Farbwiedergabe sind nicht so klar, wie bei den H1-Aufnahmen – auch wenn diese selbst nicht ganz optimal sind.

Die Rottöne des XL H1 findet Thomas Krempke, der technische Berater von Swiss Effects, »etwas dominant« und da dies besonders bei europäischen Gesichtern sichtbar ist, sollte der Puder am Set nicht fehlen. Besonders bei der Anhebung des Color-Gain, kann es zu schnell zum Ausbluten oder zumindest einer Unschärfe bei roten Bildelementen kommen. Vom Einsatz der Noise-Reduction rät Thomas Krempke ab, da sie das Bild leicht unscharf werden lässt. Falls unbedingt nötig, kann auch noch später bei der Postproduktion ein entsprechender Filter eingesetzt werden. Die Detail-Frequenz empfiehlt er auf »Low« zu setzen. Alles in allem ist Thomas Krempke ganz zufrieden, das Ergebnis ist so ähnlich wie er es erwartet hatte: »Die Auflösung ist deutlich besser als bei DV, aber natürlich nicht so wie bei 35 mm und auch nicht so wie bei richtigem HD.«

Bei der Vorführung waren neben einigen Kollegen auch drei Vorführer zugegen, die schon viele, auch viele schlechte Ausbelichtungen gesehen haben. Sie sind überrascht von dem mehr als respektablen Ergebnis. Nein, es reicht nicht an 35 mm heran, aber das kann es ja auch gar nicht. Es ist eine — insbesondere wenn bei der Postproduktion eines der preiswerten HDV-Schnittsysteme eingesetzt wird — bezahlbare Möglichkeit, einen Film zu produzieren, der in fast jedem Kino dieser Welt gezeigt werden kann.

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