Nonlineares Editing – Aufbruch zu neuen Ufern
Die Nachbearbeitung mit computer-basierten Systemen ist längst schon Standard — selbst in Bereichen, wo sich nonlineare Systeme zunächst nicht so gut durchsetzen konnten. Aber zur allgemeinen Konjunkturschwäche der Medienbranche kam in diesem Bereich in den letzten Jahren auch noch eine gewisse Marktsättigung hinzu: harte Zeiten für die Anbieter von NLE-Systemen, deren Zahl sich dadurch weiter reduzierte. Nun kommt mit neuen Formaten und neuen, netzwerk-orientierten Ansätzen wieder Bewegung in den Markt. Im Fokus dieses Specials stehen die aktuellen Trends, verfügbare HD-Systeme und Entscheidungskriterien beim Kauf (PDF-Download am Textende: Text und Tabelle).
Aktuelle Trends
»Der Markt hat sich konsolidiert« – das klingt irgendwie positiv, ist aber nichts anderes als ein Euphemismus dafür, dass von einstmals unzähligen NLE-Herstellern mittlerweile nur noch eine Handvoll übrig geblieben ist. Diese Handvoll ist derzeit dabei, das verbliebene Terrain abzustecken und vielleicht wird sich auch der eine oder andere noch gänzlich aus dem Business zurückziehen.
Doch was kommt danach? Über die Zukunft des Editings machen sich nicht nur die Kunden Gedanken, sondern natürlich auch die Hersteller, die mit ihrem Business auch morgen und übermorgen noch Geld verdienen wollen. Ist das heute mit Editing-Lösungen überhaupt noch möglich? Der professionelle Editing-Markt gilt schon seit einigen Jahren als gesättigt und weitgehend aufgeteilt: Der Wechsel vom Wachstumsmarkt hin zum Verdrängungswettbewerb mit allen unschönen Nebeneffekten und massiven Konzentrationstendenzen hat sich vollzogen. Vorläufiger Kulminationspunkt ist dabei sicher die Übernahme von Pinnacle durch Avid.
Seither gelten im professionellen Mainstream-Editing Avid und Apple als Haupt-Player. Dahinter sind aus professioneller Sicht die Editing-Softwares und –Systeme von Adobe und Canopus sowie die Consumer-Systeme von Avid, die weiterhin unter der Marke Pinnacle vertrieben werden. Natürlich gibt es noch einige weitere Anbieter im Consumer-Markt, die aber zumindest derzeit im europäischen Profi-Editing-Markt keine nennenswerte Rolle spielen. Im eher effektlastigen, high-endigen Compositing-Bereich sind neben Avid besonders Autodesk/Discreet und langsam zunehmend auch wieder Quantel etabliert.
Bemerkenswert ist im Rückblick auf die vergangenen Jahre zweifellos, wie es Apple geschafft hat, im Profi-Editing Fuß zu fassen und trotz relativ spätem Start noch zur Spitzengruppe aufzuschließen. Seit das Unternehmen vor Jahren grundlegendes Knowhow zugekauft hatte, ging es steil bergauf — trotz Beschränkung auf die eigene Macintosh-Plattform. Gerade im Editing hat Apple über die Jahre mit Final Cut Pro stetig an Bedeutung gewonnen. Weniger deutlich geht es für Apple im Compositing- und Effekt-Bereich vorwärts, wo Insider von Shake und Motion mehr erwartet hatten.
Innerhalb des Editing-Marktes gibt es eine interessante Prognose, die auf breiter Basis zu hören ist: »Normales« Editing werde sich zur »Commodity« entwickeln, also zu einer Funktion, die zu den Standards im PC-Bereich gehört. Selbst Graham Sharp, Avids Vice President European Sales and Operations, sieht das so: Ein Videoschnittprogramm werde künftig zur Grundausstattung eines Rechners gehören, meint Sharp (siehe Interview).
Sichtbar wird diese Tendenz aber auch darin, dass immer mehr professionelle Anbieter »kleine« Editing-Clients als Teile größerer Systeme anbieten, besonders im News- und Archivbereich: Dalet, Cinegy, S4M, Quantel und andere haben »einfache« Schnittprogramme in ihre Systeme integriert, die in manchen Fällen bei genauerer Betrachtung gar nicht so limitiert sind, oder zumindest Potenzial für mehr enthalten.
Wenn aber die Schnittfunktionalität quasi einfach mitgeliefert wird, welchen Grund sollte es dann noch geben, sich eine spezielle Software fürs Editing zu kaufen? Graham Sharp sagt, dass der Kunde genau dann in eine NLE-Software oder ein -System investiere, wenn sie seine Workflows verbessere und Mehrwert biete. Das sehen andere Hersteller ganz ähnlich und merken immer wieder an, dass es letztlich nicht die einzelnen Funktionen sind, die einen Kunden überzeugen, sondern das System als Ganzes.
Ein weiterer Aspekt besteht darin, dass die Zahl der Videoformate in der Akquisition wie in der Distribution in den vergangenen Jahren explosionsartig zugenommen hat und es derzeit leider ganz und gar nicht so aussieht, als ob sich das rasch ändern würde. Aus den Formaten erwachsen neue Anforderungen an die Systeme, nicht nur was den I/O-Aspekt, also die Schnittstellen und den Support neuer Speichermedien betrifft, sondern auch in puncto Multiformat-Fähigkeit: Können etwa in der gleichen Timeline unterschiedliche Auflösungen und sogar unterschiedliche Bildraten gleichzeitig verarbeitet werden?
Die nächste Herausforderung ist der mit HD sprunghaft anwachsende Bandbreiten- und Speicherbedarf. Hier wird sich wieder die Spreu vom Weizen trennen: Was nutzt dem Profi ein PC mit mitgeliefertem Gratis-Schnittprogramm, wenn das Gerät keine Profi-HD-Schnittstellen bietet und tagelang rendern muss, um ein HD-Programm ausspielen oder eine HD-DVD brennen zu können?
Am oberen Ende der Postproduction-Skala wachsen Editing, Compositing, Effekte und im Ansatz auch die 3D-Animation immer enger zusammen — sowohl innerhalb der Produktpaletten etablierter Hersteller wie Avid, Autodesk/Discreet und Quantel wie auch bei »Newcomern«, die bei näherer Betrachtung in einigen Fällen gar keine Newcomer sind: SGO aus Spanien etwa hat mit Mistika ein System entwickelt, das von Experten als viel versprechend gesehen wird. Andere sehen in Assimilate einen viel versprechenden Aspiranten, der Autodesk/Discreet und Quantel das Leben schwer machen könnte. Interessant: Hinter Mistika stehen auch Mitarbeiter und Knowhow von Communicacion Integral und deren System Jaleo, hinter Assimilate hat sich Personal von Intergraph und 5D versammelt.
Im Bereich Color Grading und Digital Intermediate, der derzeit stärker umkämpft ist als alle anderen Aspekte der High-End-Postproduktion, tut sich ebenfalls einiges: Die schon etablierten Hersteller haben Konkurrenz bekommen, etwa durch die mittlerweile von Digital Vision übernommene Nucoda (hinter der die Entwickler von Parallax und Socratto stehen), aber auch durch Iridas und Filmlight. Im Grading und Mastering sehen die Hersteller noch Wachstumspotenzial, nicht nur Verdrängungswettbewerb. Zwar darf man diesen Bereich derzeit als einigermaßen vom NLE-Markt entkoppelt betrachten und es dürfte wohl auch keiner der genannten Pläne in Richtung NLE haben. Andersrum dagegen sind klare Begehrlichkeiten auszumachen: Beim einen oder anderen der verbliebenen NLE-Anbieter würde Mastering- und Grading-Funktionalität das Portfolio durchaus abrunden, auch wenn es sich hier um die Nische in einem Nischenmarkt handelt.
Dass auch die großen Hersteller der Branche ihr Interesse am NLE-Markt trotz zahlreicher Misserfolge noch nicht verloren haben, zeigt sich darin, dass der Generalist Grass Valley erst vor wenigen Monaten Canopus geschluckt hat. Auch Sony ist mit Xpri noch im NLE-Rennen.
Unangefochtener Platzhirsch, was die Postproduction in der ganzen Bandbreite dieses Themas betrifft, ist Avid. Mit der umfassendsten Produktpalette, die teilweise durch gut ausgewählte Zukäufe, teilweise durch Eigenentwicklung entstanden ist, kann das Unternehmen fast alle Bedürfnisse vom simplen Editing bis zur komplexen, effektlastigen Postproduction abdecken, ist im News-Bereich ebenso aktiv wie im Netzwerk- und Speichermarkt. Seit der Übernahme von Pinnacle hat Avid auch eigene Server-Lösungen, die Übernahme von Medea brachte weitere RAID-Lösungen ins Unternehmen. Als weiteren Schritt im Broadcast-Bereich erwartet die Branche eine enge Integration der Live-Grafik-Systeme mit den News-Systemen.
Avid hat sich eine einzigartige Marktposition erarbeitet, ist der Generalist in der Nische, dem auch die ganz Großen der Branche nichts anhaben konnten, sondern mit denen das Unternehmen innerhalb seines Bereichs auf Augenhöhe kooperiert.
Sicherheit kann es in einem so schnelllebigen Markt wie der software-basierten Postproduction aber niemals geben: Nirgendwo sonst in der Branche folgen Aufstieg und Fall von Unternehmen so schnell aufeinander wie hier. Auch Avid ist schon durch schwere Krisen gegangen, war mehrfach als Übernahmekandidat im Gespräch. Media 100, früher mal die Nummer 2 im NLE-Markt, hat sich in die Krise manövriert und die Reste wurden nun über Optibase an Boris weiter gereicht. Und wer erinnert sich etwa noch an den Vidocube von Immix, dessen Nachfolger Stratasphere später von Scitex phasenweise an einem der größten IBC- und NAB-Stände überhaupt präsentiert wurde, dann unter dem Namen Affinity bei Accom landete und nun verschwunden ist? Und das sind nur zwei Beispiele. Andererseits hat auch Avid mal ganz klein angefangen und in einer Hotelsuite in Montreux kaum mehr als briefmarkengroße Zappelbildchen auf einem Mac gezeigt — und das ist auch noch keine 20 Jahre her.
Entscheidungs-Kriterien: Welches NLE-System ist das richtige?
Editing als Grundfunktion eines jeden besseren PCs? Auch wenn die mitgelieferten Programme immer besser werden: Das reicht ganz sicher nicht für professionelles Arbeiten. Stellen Sie sich und dem Verkäufer die richtigen Fragen:
Neue Schnittsysteme ohne HD-Option sind im professionellen Bereich so gut wie unverkäuflich. Allenfalls im Gebrauchtbereich geht hier vielleicht noch etwas. Das ist richtig so und daran sollten auch Sie mitwirken: Ein NLE-System, das nicht mindestens eine HD-Option und/oder schon grundlegende HD-Funktionalität aufweist, ist eigentlich gar keins, denn schon morgen steht der erste Kunde mit einem HD– oder HDCAM-Band vor der Tür. Deshalb enthält die Tabelle nur HD-fähige Systeme.
Ob man es mag oder nicht: HDV ist so etwas wie der neue Indie-Filmstandard und tritt in diesem Marktsegment in die Fußstapfen von DV: Je besser ihr System damit umgehen kann, um so besser für Sie. HDCAM ist dagegen das derzeit am weitesten verbreitete, wirklich professionelle HD-Format und könnte eine ähnliche Marktposition erringen, wie Digital Betacam im SD-Bereich: gut, wenn Sie darauf vorbereitet sind.
Wer etwa HDV-Ausgangsmaterial in HDV nachbearbeiten möchte, kommt dabei mit einem schwachen Rechner nicht weiter. Selbst gut ausgestattete PCs geraten schnell an ihre Grenzen, wenn bei HDV mit Effekten gearbeitet wird und diese in Echtzeit abgespielt werden sollen. Weiterer Knackpunkt bei HDV: In welchem Format und mit welcher Frame-Rate wurde das Originalmaterial aufgezeichnet? Hier gibt es bei den Schnittsystemen nach wie vor viele Einschränkungen: Nicht jedes System kann alle Frame-Raten und Auflösungen bearbeiten, und manche bieten keine Schnittstellen fürs direkte Einspielen. Solche Fragen klärt man daher tunlichst vor einer Produktion, wenn man sich den Ärger in der Postproduktion und vor allem die zusätzlichen Kosten für eventuelle Konvertierungen ersparen will.
Sind diese für die Zukunftssicherheit und Effektivität des Systems essenziellen Frage zu Ihrer Zufriedenheit geklärt, kann es mit der Fragestunde weitergehen:
Wie passt die Software in die bestehende Infrastruktur? Lässt sich damit effektiv arbeiten? Passt sie zum etablierten Workflow in der Facility? Können die Operator direkt oder mit geringem Schulungsaufwand damit umgehen? Gibt es genügend offene Schnittstellen, die es erlauben, die Software mit den Produkten anderer Hersteller zu vernetzen und daran anzubinden?
Sind Netzwerkfähigkeiten wichtig? In welchem Ausmaß? Sollen mehrere Systeme gleichzeitig auf das gleiche Material zugreifen können, oder geht’s auch ein oder zwei Nummern kleiner? Über welche Interfaces sollen welche Backup- und Speichersysteme angeschlossen werden?
Ganz wichtig: Basiert das System auf Standard-IT-Komponenten? Diese Frage ist für viele Hersteller und vor allem für viele Kunden von zentraler Bedeutung. Denn in einer Welt der immer kürzer werdenden Produktzyklen mag sich kaum ein Kunde noch auf Lösungen einlassen, die eine spezielle und meist teure Hardware erfordern. Der Anteil, den die Software an Systemen und Lösungen hat, wird deshalb immer größer, und wer am Markt bestehen will, muss hierfür die nötigen Tools liefern. Dennoch wird es parallel dazu immer Hardware-Beschleuniger geben, mit denen sich die (Echtzeit)-Leistung der Software steigern lässt – und natürlich gibt es auch Systeme, die ganz auf spezielle Hardware-Lösungen setzen. Wer mehr Echtzeitfunktionalität will, muss dafür eben nach wie vor bezahlen und meist in zusätzliche Hardware investieren.
Was nutzt ein PC mit mitgeliefertem Gratis-Schnittprogramm dem Profi, wenn das Gerät keine Profi-HD-Schnittstellen bietet und der Rechenknecht tagelang rendern muss, um ein HD-Programm ausspielen zu können?
Das gilt auch für die Mittelklasse der Systeme, die mittlerweile durchweg in der Lage ist, HD-Material zu bearbeiten oder wenigstens eine Anbindung dafür bietet. Hier sind die jeweils bearbeitbaren Auflösungen und Frame-Raten ebenfalls ein wichtiges Leistungskriterium. Weitere essenzielle Frage: Ist es mit dem System möglich, Material unterschiedlicher Ausgangsformate und womöglich auch verschiedene Bildformate zu mischen? Und wenn ja, auf welche Art und Weise? In der Übergangszeit von SD zu HD ist das von großer Bedeutung, denn solange im Archiv noch weitgehend SD-Material steht, wird es immer wieder Fälle geben, in denen SD-Material innerhalb einer HD-Produktion verarbeitet werden muss. Daran schließt sich gleich die nächste Frage an, die beim Direktvergleich von SD- und HD-Material in einer Produktion unweigerlich auftaucht: Gibt es genügend Funktionen, mit denen sich das Bildmaterial verbessern und vielleicht auch farbkorrigieren lässt?
In der High-End-Bearbeitung spielen noch etliche weitere Fragen eine Rolle: Welche Anbindung an Compositing-Softwares bieten die Systeme? Wie einfach lassen sich Animationen integrieren? Gibt es direkte Im- und Exportmöglichkeiten?
Eine der wichtigsten Fragen von allen: Wie steht es um die Echtzeitfunktionalität in den unterschiedlichen Auflösungen? Laufen nur Previews in annähernder Echtzeit? Gibt es einen Echtzeit-Videomonitorausgang? Wie lange dauert das Rendering für bestimmte Effekte oder Sequenzen? Fragen, die sich mit der Faktenerfassung in Tabellen in der Regel nicht beantworten lassen, sondern meist erst bei der Arbeit mit einem System. Hier kann und soll die Tabelle lediglich einen ersten Überblick bieten.
Auch persönliche Vorlieben spielen bei der Entscheidung für ein System eine große Rolle: Wer schon jahrelang mit einer bestimmten Software arbeitet, kennt eben deren
Oberfläche, deren Tricks und Kniffe – und möchte dieses Wissen nicht unbedingt aufgeben. Über die Jahre betrachtet haben sich so bei den Benutzeroberflächen Standards etabliert, die für den Neueinsteiger nicht immer logisch oder konsistent wirken, die aber beibehalten werden, weil es die Operatoren gewohnt sind, so zu arbeiten.
Zum Schluss noch eine Anmerkung zum Thema Preis: Reine Softwares wirken auf den ersten Blick natürlich deutlich günstiger als Komplettlösungen. Wird ein Rechner dazugerechnet, wird’s schon etwas teurer. Und wenn der Rechner so ausgestattet werden soll, dass er auch HD-Material vernünftig bearbeiten kann – also mit ordentlich Speicher, zusätzlichen Boards und eventuell einer externen Anschlussbox – dann sehen die Preise schon wieder ganz anders aus. Deshalb lohnt es sich, genau hinzusehen, was man letztlich fürs Geld bekommt.
Wenn Sie auf die unten stehenden Dateinamen klicken, können Sie ein PDF herunterladen, das Text und eine Tabelle mit den Eckdaten von 31 NLE-Systemen und Boards enthält.
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