5G, Broadcast, Funktechnik: 18.07.2024

Nimmt die Bundeswehr PMSE und 5G ins Visier?

Die Ampel-Bundesregierung hatte im Koalitionsvertrag von 2021 das Ziel formuliert, das UHF-Band »dauerhaft für Kultur und Rundfunk (zu) sichern«. Jetzt soll diese UHF-Nutzung zugunsten der Bundeswehr eingeschränkt werden.

Die Weltfunkkonferenz tagte im November und Dezember 2023 in Dubai.

WRC-2023 hatte im Dezember u.a. entschieden, die Nutzung der UHF-Frequenzen zwischen 470 und 694 MHz zu erhalten. Ein Angriff des Mobilfunks konnte im Dezember 2023 abgewehrt werden. Demnach bleibt der Rundfunk – in Deutschland mit DVB-T2 HD – alleiniger Primärnutzer. Sekundärnutzer waren und bleiben die Funkanwendungen für sog. »Programme Making and Special Events« (PMSE). WRC-23 öffnete (u.a. als Zugeständnis an den Mobilfunk in Nahost) jedoch eine Hintertür für weitere Sekundärnutzer – mit dem Zusatz, dass diese die Primärnutzung nicht stören dürfen.

Staatssekretärin Heike Raab erklärte dazu als Vertreterin der Medienbeauftragten der Bundesländer: »Es ist gut und wichtig, dass der Frequenzbereich zwischen 470 und 694 MHz für terrestrisches Fernsehen, DVB-T2, und Kultur nun bis auf Weiteres gesichert ist. Zudem hat der Rundfunk nun ausreichende Planungssicherheit, um die Entwicklung von 5G-Broadcast weiter voranzutreiben.«

Im Juli 2024 greift die Bundesregierung dieses Statement an und will die Bundeswehr als weiteren Sekundärnutzer im UHF-Band etablieren. Die Nutzung durch die Kreativ- und Veranstaltungswirtschaft und für DVB-T2 gerät in Gefahr, die Perspektive der Rundfunkverbreitung mit 5G Broadcast wird infrage gestellt.

Bundeswehr ab sofort auf UHF?

Nach Angaben von Jochen Zenthöfer, Sprecher des Lobbyverbandes SOS – Save Our Spectrum, gegenüber golem.de überraschte die Bundesnetzagentur (BNetzA) am 5. Juli mit der Mitteilung, ab sofort würden Frequenzen des unteren UHF-Bereichs versuchsweise der Bundeswehr zugeteilt. Das sei mit den anderen Nutzern des Frequenzbandes nicht abgestimmt und eine Bedrohung für Veranstaltungen vom großen Festival bis zum Schultheater, merkt Zenthöfer an. Gleichwohl sollen laut BNetzA die Zuteilungen ab 2025 in Regelzuteilungen umgewandelt werden, sofern keine Störungen anderer Dienste aufträten.

@ Bundeswehr
Funkloch bald bei TV und PMSE statt bei der Bundeswehr?

Zeitgleich zitiert der Onlinedienst teltarif.de aus einem dort vorliegenden aktuellen Papier des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr. Das Ministerium von Volker Wissing (FDP) legt darin den Bundesländern im »Umlaufverfahren« den Entwurf einer Vereinbarung vor, wodurch »der Bundeswehr im Bereich 470 – 694 MHz (TV-UHF-Band) ein bedarfsgerechtes Frequenzspektrum von nicht weniger als fünf Funkkanälen (je 8 MHz Bandbreite) dauerhaft zur gemeinsamen koordinierten Nutzung« übergeben werden soll. Dafür seien »in einer gemeinsamen Untersuchung mit Rundfunk, Kulturbereich und Bundeswehr unter Leitung der Bundesnetzagentur (…) mögliche Frequenzbereiche zu identifizieren«. Das solle »unmittelbar« umgesetzt werden.

Bundeswehr will »mindestens« fünf UHF-Kanäle

Laut dieser Veröffentlichung verlangt die Bundeswehr in den Teilbereichen:

  • 470 bis 510 MHz mindestens zwei Kanäle zur Entlastung des Truppen- und Soldatenfunks;
  • 510 bis 608 MHz mindestens ein Kanal für die Vernetzung rückwärtiger Dienste;
  • 614 bis 694 MHz mindestens zwei Kanäle im standardisierten (3GPP n71) Frequenzbereich für die Vernetzung taktischer Einheiten;
  • »ergänzender Bedarf« bestehe u.a. auf Truppenübungsplätzen und während Übungen.

Begründet werde der Griff der Bundeswehr auf UHF-Ressourcen u.a. mit dem permanenten Bedarf des Militärs an Bandbreite für Funksysteme. Außerdem sei das Frequenzband der NATO zwischen 225 und 400 MHz ausgeschöpft und reiche nicht mehr für größere Übungen.

Das Wissing-Ministerium ist sich offenbar sicher, dass die für die Funknetze zuständigen Bundesländer der Forderung nach Frequenzen für die Bundeswehr zustimmen. Dem Papier aus dem Digitalministerium sei bereits der Entwurf einer Presseinformation beigefügt, berichtet teltarif.de.

Aktuelle Nutzung (1): Terrestrisches Digital-Fernsehen

@ DVB-T2/BNetzA
Verteilung der UHF-Ressourcen für DVB-T2 (Stand: 2/2019). Quelle: »Perspektiven zur Nutzung des UHF-Bandes 470-694 MHz nach 2030« (Goldmedia/Fraunhofer IIS für die BNetzA, 2021).

Das Fernsehen hatte im Zuge der Umstellung der TV-Terrestrik von analog auf digital und von DVB-T auf DVB-T2 den UHF-Bereich zwischen 694 und 850 MHz (Kanäle 49 bis 68) bereits 2010 bzw. 2015 als »digitale Dividende« 1 und 2 an den Mobilfunk abgeben müssen. Der VHF-Bereich ging 2006 komplett an den digitalen Hörfunk mit DAB+. Seit 2019 werden mit DVB-T2 HD regional abhängig zwischen 14 und 40 Programme im technisch besten HDTV-Modus 1280/25p über bis zu sechs UHF-Kanäle in 90 Verbreitungsgebieten ausgestrahlt, stellt ein Gutachten für die Bundesnetzagentur fest. Zu beachten sei, dass die zweite Nutzung einer Frequenz bei üblicher Sendeleistung von 100 kW einen Mindestabstand der Sendeanlagen von 100 km erfordert.

Für DVB-T2 HD stehen in den mit 6 Multiplexen versorgten Regionen maximal 168 MHz (75% des Spektrums) zur Verfügung; das Gutachten räumt jedoch ein, dass Schutzabstände nicht eingerechnet wurden, die erforderliche Bandbreite also größer ist. Die Zuteilung zusätzlicher Frequenzen als Ausgleich für Verluste durch die Digitalen Dividenden würdigt BNetzA kritisch: So sei z.B. das VHF-Band III (174 bis 230 MHz) wegen »elektromagnetischer Interferenzen« für die beispielsweise bei Musikaufführungen erforderlichen hochqualitativen Audio-Übertragungen »nur eingeschränkt zu benutzen«.

Programmveranstalter, Dienstleister und Entwickler bereiten derzeit einen Sendebetrieb im Standard 5G Broadcast über UHF vor. So haben Rundfunkanstalten aus sechs Staaten Europas im Vorfeld von WRC-23 eine Absichtserklärung zur Einführung und eine »Roadmap to 5G Broadcast« vorgelegt. Diese Nachfolgetechnik von DVB-T2 soll den Empfang von linearem TV, Mediatheken usw. mit Mobiltechnik wie Smartphones und Tablets optimieren und könnte in ca. acht Jahren auf den Markt gebracht werden.

Die Unterzeichner der Absichtserklärung zu 5G Broadcast: Dr. Harald Kräuter, Technischer Direktor ORF (A), Michael Eberhard, Direktor Technik und Produktion SWR (D), Susanne Rath BR (D), Michael Wagenhofer, Geschäftsführer ORS (A), Dominique Hoffmann, Hauptabteilungsleiterin Distribution und Entwicklung SWR (D), Willem Roskam, Chief Technology Officer NPO (NL), Stefano Ciccotti, Chief Technology Officer RAI (IT), Jacques Donat-Bouillud, Directeur at France Télévisions (F), Brian Wynne, Head of Technology RTÉ (IRL).

Aktuelle Nutzung (2): PMSE

@ SOS- Save Our Spectrum
Die vom Fernsehen gelassenen Lücken im UHF-Bereich werden von den PMSE-Anwendern genutzt.

Zweiter wesentlicher Nutzer der Frequenzen zwischen 470 und 694 MHz sind die PMSE-Anwender. »Für den Einsatz von Funkmikrofonen (drahtlose Mikrofone) und In-Ear-Monitoren hingegen ist die Sekundärnutzung regional nicht belegter DVB-T2-Frequenzen auch perspektivisch von zentraler Bedeutung«, stellt das BNetzA-Gutachten fest. Definiert wird PMSE als »professioneller Veranstaltungsfunk« bei temporären Ereignissen wie feste Installationen an Konzert- und Veranstaltungsorten und in Film- und TV-Produktionsstudios, Indoor wie Outdoor. Das ist derzeit durch eine Allgemeinzuteilung der BNetzA bis Ende 2030 gesichert.

Dabei geht es nicht nur um Audioübertragungen, etwa von Gesang und Monitoring. Dazu gehört u.a. die drahtlose Anbindung von Kameras und Videotechnik. Was offiziell als »nichtöffentlicher mobiler Landfunk« bezeichnet wird, ist u.a. die Signalzuführung über Kurzstreckenfunk beispielsweise zu einem Ü-Wagen oder die Anbindung von Überwachungskameras. Für die Verbreitung nicht erforderliche UHF-Frequenzen können örtlich bei geringer Sendeleistung für Audio-Reportagen, also die Übertragung von einem Ereignisort zum Funkhaus genutzt werden.

Wie die betroffenen Kreativbranchen sieht auch BNetzA für Großveranstaltungen einen wachsenden Frequenzbedarf für alle Funkdienste bei »zum Teil deutlich über 100 MHz für PSME«. Daher bleibe PMSE auf UHF angewiesen. Ein Ausweichen etwa auf 2 GHz mit Mobilfunktechnologie sei langfristig vielleicht denkbar, wäre aber aufwändig und teuer.

SOS-Initiative weist Pläne zurück

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Auf Befragen vom teltarif.de weist  SOS – Save our Spectrum die Attacke der Bundeswehr barsch zurück. »Einen Super-Sekundärstatus für die militärischen Belange in Friedenszeiten lehnen wir ab.« Gegenüber teltarif.de heißt es weiter: »Fünf Kanäle für das Militär – das geht nicht. Es gibt keinerlei belastbare Untersuchungen zu den Verträglichkeiten mit den bisherigen Nutzern Rundfunk und Kultur/Wissenschaft/Schulen, usw.«

Zudem würde die Fortentwicklung der TV-Verbreitung in Richtung 5G Broadcast beschränkt, wenn »fünf Kanäle aus dem eigentlich primär zur Verfügung stehenden Spektrum in der Realität fehlen«.

SOS sieht in einer unbefristeten Nutzung von UHF-Spektrum durch die Bundeswehr außerdem »eine Diskriminierung gegenüber den anderen Nutzern«, die die Feststellung des tatsächlichen Bedarfs des Militärs »und eine flexible und nachfrageorientierte Frequenzplanung verhindern« würde. SOS warnt außerdem vor einer Beschränkung der Debatte auf »einige wenige Verbände und Hersteller«.

Jahrelange Praxis bestätigt, dass die Sekundärnutzung durch PMSE-Funkdienste die TV-Verbreitung nicht stört. Welche Kapazitäten für zusätzliche militärische Funkdienste im UHF-Frequenzbereich zwischen 470 und 692 MHz zur Verfügung stehen und wie sie ggfs. die dort bestehenden Primär- und Sekundäranwendung beeinflussen, wurde bisher weder theoretisch noch praktisch untersucht. Ob die Zusage der Bundesregierung Bestand hat, das UHF-Band »dauerhaft für Kultur und Rundfunk (zu) sichern«, steht erneut auf der Kippe. Kommt nun ein Primat der nationalen Sicherheit durch die Hintertür?

Quellen: