Medienpolitik: 25.01.2024

Zur Zukunft von ARD, ZDF und Deutschlandradio

Der Zukunftsrat-Bericht bietet eine umfassende Analyse und zahlreiche Empfehlungen zur Reform von ARD, ZDF und Deutschlandradio. Die Vorschläge und ausgewählte Reaktionen im Überblick.

Das Papier des Zukunftsrats steht zum Download zur Verfügung.

Für die Rundfunkpolitik in Deutschland sind die Regierungen der 16 Bundesländer verantwortlich. Seit Jahren kämpfen sie vergeblich um eine gemeinsame Haltung zur Einschränkung der Aufgaben der neun öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten der ARD, des ZDF und des Deutschlandradios. Wie oft in Fällen vehementer politischer Differenzen sollte es eine Kommission richten: Im März 2023 beriefen sie den »Rat für die zukünftige Entwicklung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks«. Das achtköpfige Gremium legte jetzt seinen 38-seitigen Bericht vor. Die Bundesländer sind jedoch nicht verpflichtet, die Vorschläge der Fachleute aufzugreifen oder gar umzusetzen.

Kern der Betrachtung sind nicht nur Veränderungen der Strukturen, die sowohl aus finanziellen Gründen als auch mit Blick auf die digitale Wandlung erforderlich sind. Vorgeschlagen wird u.a. die Schaffung einer Dachanstalt für zentrale Aufgaben der ARD sowie eine gemeinsame technische Lösung für die digitalen Aufgaben durch eine gemeinsame Firma aller Anstalten.

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Es gab großes Medieninteresse bei der Vorstellung des Berichts.
Zehn Empfehlungen

Die folgenden zehn Empfehlungen »werden von allen Mitgliedern der Zukunftsrats getragen« und fassen die Ergebnisse zusammen:

  1. © Staatskanzlei RLP / Schacht
    Julia Jaekel stellte den Bericht vor.

    Der Zukunftsrat empfiehlt, den Angebotsauftrag der Öffentlich-Rechtlichen in zentralen Aspekten zu schärfen und fortzuentwickeln. Die Demokratie- und Gemeinwohlorientierung sollte deutlicher und nachdrücklicher formuliert sein – mit dem Ziel, die Öffentlich-Rechtlichen stärker auf ihren Beitrag zur demokratischen Selbstverständigung zu verpflichten und einen common ground zu schaffen.

  2. Die Öffentlich-Rechtlichen müssen Angebote und Gelegenheiten bieten, die die Menschen zusammenbringen. Das sollte im Angebotsauftrag deutlicher verankert werden.
  3. Die bisherige Ausrichtung des Angebotsauftrages auf deutsche Staatsangehörige ist nicht auf der Höhe der Zeit. Die Öffentlich-Rechtlichen sollten für alle da sein, die dauerhaft in Deutschland zuhause sind und als künftige Wählerinnen und Wähler in Betracht kommen.
  4. Der Angebotsauftrag muss auch die Möglichkeiten der digitalen Partizipation der Gesellschaft und ihrer Akteure in den Blick nehmen. Non-lineare Formate eigenen sich besonders, zur Selbstverständigung der Gesellschaft beizutragen.
  5. Der Bericht enthält einige Anmerkungen zu den Angeboten. Diese stehen unter den Überschriften »Eigenständigkeit und Unterscheidbarkeit«, »Unabhängigkeit«  und »Ausgewogenheit«, weil dies aus Sicht des Zukunftsrates besonders wichtige Aspekte öffentlich-rechtlicher Angebote sind. Auch in diese Richtung lässt sich der Auftrag schärfen.
  6. © Staatskanzlei RLP / Schacht
    Roger de Weck gehört dem Zukunftsrat an.

    Für die zukünftige ARD-Anstalt, ZDF und Deutschlandradio schlägt der Rundfunkrat jeweils einen pluralistisch besetzten Medienrat als Hüter der Auftragserfüllung, einen überwiegend nach Fachexpertise besetzten Verwaltungsrat zur Stärkung von Strategiefähigkeit und Kontrolle und eine kollegiale Geschäftsleitung vor. Die bisherigen Organe werden ersetzt.

  7. Der Zukunftsrat empfiehlt die Errichtung einer ARD-Anstalt mit zentraler Leitung, die die Arbeitsgemeinschaft ersetzt. Diese ARD-Anstalt ist Dachorganisation der Landesrundfunkanstalten. Sie hat die alleinige Strategie-, Steuerungs-, Finanz- und Organisationskompetenz für die bundesweiten Angebote der ARD und für alle zentralen Aufgaben und Dienstleistungen. Die Landesrundfunkanstalten, von zentralem Abstimmungsaufwand befreit, können sich stärker auf ihre Aufgabe konzentrieren: die regionale Grundversorgung und regionale Perspektive. Das Modell folgt dem Gedanken der organisierten Regionalität: Zentrales zentral, Regionales regional.
  8. Um die Digitalisierung rasch, erfolgreich und zu vernünftigen Kosten voranzutreiben, empfiehlt der Zukunftsrat ARD, ZDF und Deutschlandradio, eine Gesellschaft für die Entwicklung und den Betrieb einer gemeinsamen technologischen Plattform zu gründen. Diese Gesellschaft stellt das technische System für alle öffentlich-rechtlichen digitalen Plattformen bereit. In ihr entstehen keine Inhalte; die drei Partner bleiben inhaltlich autonom.
  9. © Staatskanzlei RLP / Schacht
    Impressionen der Pressekonferenz.

    Die Öffentlich-Rechtlichen müssen die Veränderungsbereitschaft im Innern weiter fördern. Dafür empfiehlt der Zukunftsrat eine Reihe von Maßnahmen, um Managementkompetenz zu steigern, Fortbildung zu verbessern und mehr Externe zu gewinnen. Ein gutes Angebot braucht gute Köpfe. Ein von vornherein auf niedrige Gehälter abzielender »Gehaltspopulismus« hilft nicht weiter. Nötig sind vielmehr funktionsadäquate Gehälter.

  10.  Der Zukunftsrat empfiehlt eine Umstellung des Finanzierungsverfahrens der Öffentlich-Rechtlichen. Dabei soll die Ex-ante-Bewertung durch die Kommission zur Überprüfung und Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) durch eine am Maßstab der Auftragserfüllung ausgerichtete Ex-post-Bewertung von einer modifizierten KEF ersetzt werden. Was die Höhe des Beitrags betrifft, geht der Zukunftsrat von einem Modell aus, das Auftragserfüllung und Indexierung kombiniert, wobei die vorgeschlagenen Reformen mittelfristig zu signifikanten Einsparungen führen werden. Inwieweit diese zur Absenkung des Rundfunkbeitrages oder zur besseren Auftragserfüllung verwendet werden, müssen die Länder entscheiden.

Der Rat formuliert u.a.: »Neben Information, Bildung und Kultur sind Fiktion, Unterhaltung und Sport unerlässlich, weil sich nur so ein breites Publikum erreichen lässt. Auch sie gehören zum Angebotsauftrag der Öffentlich-Rechtlichen. Fiktion, Unterhaltung und Sport können eine Klammer um weite Teile der Gesellschaft bilden und das Publikum binden. Erst das Zusammenspiel aller Bereiche vermag einen wichtigen Beitrag zur Selbstverständigung dieser Gesellschaft zu leisten.« Damit wird populistischen Ideen eine Absage erteilt, den Programmauftrag der Sender auf Rumpfaufgaben wie Nachrichten und Bildung zu reduzieren und wirtschaftlich attraktive Genres den Privatsendern zu überlassen.

Aus den Reaktionen
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»Bei den Inhalten aber blieb der Zukunftsrat seltsam vage«, kommentiert Timo Niemeier auf der Medienplattform dwdl die Vorschläge zum Programmauftrag. Sind die Verweise auf eine Demokratie- und Gemeinwohlorientierung »wirklich der große Aufschlag, den die Medienpolitik wollte«? Kritisiert wird, dass der Rat sich bezüglich der vorgeschlagenen ARD-Dachanstalt vor einer Aussage zur Verschlankung der Landesrundfunkanstalten drücke. Andererseits wird hervorgehoben, dass hinsichtlich der Gehälter »den Populisten der Wind aus den Segeln« genommen wird.

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Der Verband des Privatrundfunks Vaunet sieht in den Vorschlägen eine »Chance für klare Abgrenzung und mehr Vielfalt im dualen Mediensystem«. Ein Umbau des Systems zur Stärkung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen der Privatsender sei »der richtige Ansatz«. In diesem Sinne wird die alte Forderung der Privaten wiederholt, die Werbeflächen von ARD und ZDF weiter einzuschränken.

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Die Gewerkschaft Verdi kritisiert scharf, »dass der Zukunftsrat ohne Sachverstand oder Einbeziehung aus der Mitarbeiterschaft der Rundfunkanstalten seine Vorschläge entwickelt hat«. Mit einer ARD-Dachanstalt kann sich die Gewerkschaft nicht anfreunden, diese »würde neue publizistische Hindernisse aufbauen, denn regionale Stärke und bundesweite Kompetenzen der ARD-Sender würden auseinandergerissen«. Das Konzept der Finanzierung mit der »Abkehr (von) der verfassungsrechtlich gesicherten Rundfunkfinanzierung« bleibe schwammig. Begrüßt wird der Vorschlag einer zentralen Technik-Einheit.

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Der CSU-Vorsitzende und bayerische Ministerpräsidenten Markus Söder stellt – gegen den Wunsch der zuständigen Bundesländer – wiederum die Existenz des Saarländischen Rundfunks und Radio Bremens zur Disposition, deren Aufgaben SWR bzw. NDR übernehmen sollen. Er fordert wiederum die Zusammenlegung der internationalen Kooperationssender 3SAT und Arte, die Kopplung von »tagesschau24 und anderen Infokanälen« und den Verzicht auf einige TV-Kanäle. Mittels der Steigerung des Infoanteils auf 60 Prozent soll »Unnötiges« (u.a. Quizsendungen) aus dem Programm entfernt werden. Ein Dorn im Auge sind Söder auch die Klangkörper, die die Bundesländer kraft Gesetzes an die Sendeanstalten (und deren Finanzierung) angebunden haben. Im Gegensatz zu den Diäten von Parlamentariern sollen die Bezüge des Führungspersonals der Sender gesenkt und die Zahl der Radioprogramme von 72 auf 58 reduziert werden. Die demnächst erwartete Empfehlung der KEF-Kommission für eine Erhöhung des Rundfunkbeitrages um 58 Cent auf monatlich 18,94 Euro will Söder ablehnen.

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Die Vorsitzenden der ARD-Rundfunk- und Verwaltungsräte sehen vor allem die Bundesländer gefordert, »strukturelle Hindernisse aus dem Weg zu räumen, damit die bereits begonnene ARD-Reform ihr Potential für ein profilstarkes vielfältiges Angebot, pluralistische Berichterstattung, Dialog und Stärkung von Demokratie und Gemeinwohl ausschöpfen kann«. Die Aufarbeitung der Kritikpunkte sei »unerlässlich«; dabei bieten sich die Gremienvorsitzenden zum Gespräch mit der Rundfunkkommission der Bundesländer über die Vorschläge des Zukunftsrates an.

Die Mitglieder des Zukunftsrates:
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Der Zukunftsrat übergibt sein Papier an die Medienstaatssekretärin Heike Raab, die Rheinland-Pfalz als Vorsitzland der Rundfunkkommission der Bundesländer vertritt. (v. l.: Roger de Weck, Prof. Bettina Reitz, Heike Raab, Prof. Dr. Annika Sehl, Julia Jaekel, Maria Exner, Prof. Dr. Peter M. Huber, Prof. Dr. Mark D. Cole).

Julia Jaekel (Vorsitzende) war Chefin von Gruner + Jahr (Bertelsmann). Sie ist u.a. Mitglied des European Advisory Boards von Google.

Ihr Stellvertreter ist Prof. Dr. Peter M. Huber. Das Exmitglied der Unionsparteien war von 2010 bis 2023 Richter am Bundesverfassungsgericht.

Prof. Dr. Mark D. Cole ist Wissenschaftlicher Direktor am Institut für Europäisches Medienrecht (EMR) und Co-Direktor des Instituts für Rechtsinformatik der Universität des Saarlandes.

Maria Exner ist Gründungsintendantin von Publix (Schöpflin-Stiftung, Stiftung Mercator Schweiz, Zeit Stiftung Bucerius), das im Sommer in Berlin als Netzwerk für Journalismus und Öffentlichkeit öffnet. Sie war Chefredakteurin des Zeitmagazin.

Prof. Dr. Nadine Klass lehrt Bürgerliches Recht, Recht des geistigen Eigentums sowie deutsches und europäisches Verfahrensrecht an der Uni Mannheim. 2012 bis 2018 war sie stellvertretendes Mitglied des NRW-Verfassungsgerichtes.

Prof. Bettina Reitz ist Präsidentin der HFF München, Mitglied der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste und der Europäischen Filmakademie. Sie war u.a. Geschäftsführerin der Degeto und Fernsehdirektorin des BR.

Prof. Dr. Annika Sehl lehrt Journalistik mit Schwerpunkt Medienstrukturen und Gesellschaft an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt.

Der Schweizer Roger de Weck ist Publizist und war von 2011 bis 2017 Generaldirektor der öffentlich-rechtlichen Anstalt der Schweiz SRG SSR.