IP, Intercom, Signaltechnik, Top-Story, Unternehmen, Video: 08.12.2022

Riedel: High-Tech-Entwicklung in Wien

Riedel Communications betreibt in Wien eine Niederlassung, die unter anderem MediorNet und Bolero entwickelte. film-tv-video.de war vor Ort.





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INTERVIEW

Am Standort in Wien befindet sich seit 2007 das Riedel Kompetenzzentrum für Echtzeit-Videonetzwerke und Glasfaserübertragung. Hier wurde MediorNet entwickelt. Wie entstand dieses Produkt, das zunächst als Lösung für Signaltransport gedacht war, später aber sukzessive auch zusätzliche Funktionen wie Routing, Verarbeitung und Konvertierung einbezog?

©Nonkonform, Gernot Butschek
Gernot Butschek, Entwicklungsleiter Riedel Wien.

Gernot Butschek: Thomas Riedel hatte 2007 die Assets der in Konkurs befindlichen Firma MediorNet gekauft und ein Kernteam an Entwicklern übernommen und dieses Team anschließend mit einigen zusätzlichen Ingenieuren und Entwicklern komplettiert. Einer davon war ich als Leiter der Entwicklungs-Abteilung – das war quasi der Beginn der MediorNet-Entwicklung bei Riedel.

Riedel war damals, zumindest was den Intercom-Teil betrifft, ein etabliertes Unternehmen und hatte auch schon eine Entwicklungsabteilung in einer gewissen Größe. Thomas Riedel hat dann quasi diese kleine Gruppe hier in Wien dazugekauft und damit ein produktreifes System entwickelt, das es so zuvor nicht gab.

©Nonkonform, Jürgen Diniz-Malleck
Jürgen Diniz-Malleck ist bei Riedel Sales Director.

Jürgen Diniz-Malleck: Das war damals sehr mutig, aber Thomas Riedel hatte am Markt eine Lücke erkannt, die er füllen wollte. Es gab allerdings zunächst kein Großprojekt, das diese Entwicklung finanziert hätte. Natürlich gab es ein paar Kunden, die Interesse gezeigt hatten, aber mehr nicht. Doch Thomas Riedel folgte seinem Unternehmersinn und wusste, dass er sich aus dem reinen Kommunikations- und Intercom-Sektor weiterentwickeln musste in Richtung Video. Und das ist mit MediorNet geschehen.

Mediornet
MediorNet wurde in Wien entwickelt.

Gernot Butschek: Der Hintergrund für diesen Schritt war klar: Das Video Business weltweit ist viel größer als das Intercom-Business, und Riedel Communications wollte sich auch ein Stück dieses Kuchens sichern. Der Schritt in Richtung Video war damals nicht unumstritten, denn Riedel war mit Intercom sehr erfolgreich und profitabel, während die Entwicklung von MediorNet in Wien zunächst nur Geld kostete. Aber Thomas Riedel hat recht behalten. Es war durchaus eine sehr clevere Entscheidung, ein zweites Standbein für das Unternehmen aufzubauen.

Welche Rolle spielte dabei die Markt-Entwicklung weg von analog hin zu digitaler Signaltechnik?

Riedel MediorNet ist bei vielen großen Events im Einsatz.

Jürgen Diniz-Malleck: Die Idee für ein Produkt wie MediorNet kam von den Großveranstaltungen. Dort muss man eine dezentrale Signalverteilung sicherstellen, bei der man an manchen Punkten Signale ins System ein- und an anderen wieder ausspielen will. Das wurde mit MediorNet sehr einfach möglich. Das Bündeln und Transportieren von diversen Signalen, von Audio, Video und Steuerungsdaten über ein einziges Glasfaserkabel, gab es zuvor nicht. MediorNet eröffnete damit die Möglichkeit, Aufbauzeit zu sparen und ganz generell den Aufwand zu reduzieren.

©Nonkonform, Jürgen Diniz-Malleck
Im Grunde adaptierte MediorNet den Stage-Box-Gedanken, erläutert Jürgen Diniz-Malleck.

Im Grunde adaptierte MediorNet den Stage-Box-Gedanken, den man aus dem Audiobereich schon kannte. Die Kombination und intelligente Vereinfachung hatte es in dieser Form aber nicht gegeben – zumindest nicht so modular, vielseitig und leistungsfähig wie bei MediorNet. Gerade im AÜ- und Event-Bereich haben die Kunden das sehr schnell verstanden. Und das ging natürlich einher mit der Digitalisierung, die zeitgleich im Markt stattfand.

©Nonkonform, Gernot Butschek
MediorNet sollte von Beginn an ein voll digitales System werden.

Gernot Butschek: Als wir 2007 angefangen haben, wurde mehrheitlich in SD produziert und zu etwa 20 % in HD. Bis 2010 hat sich das dann gedreht, dann wurde rund 80 % in HD und in 3G-Infrastrukturen und langsam zunehmend auch in UHD-Formaten produziert. Da sieht man also eindeutig den technologischen Trend von analog zu digital.

Für uns war auch von Anfang an klar, dass MediorNet ein voll digitales System werden würde. Im Kern gibt es da keine analoge Technik mehr, alles ist voll digital.

Wie lange dauerte es schlussendlich, bis Riedel das MediorNet-System vorstellen konnte?

Mit Micron erhielt MediorNet eine wichtige weitere Funktion, nämlich das Routing.

Gernot Butschek: 2009 haben wir es vorgestellt, damals hatten wir dann auch schon einen großen Kunden gewonnen. Das war L.A. Live, der Betreiber eines Veranstaltungsortes in Los Angeles, dem Staples Center. Im Juli wurde dort dann die Trauerfeier für Michael Jackson mit unserem System realisiert.

Rückblickend muss man sagen, dass die Kunden, die das Produkt schon früh gekauft hatten, letztlich kein Produkt, sondern eine Idee erwarben. Zu Beginn war es nämlich nicht so leicht, zu erklären, was MediorNet eigentlich ist, denn es war einerseits ein Übertragungssystem, aber andererseits auch ein Verarbeitungssystem. Deshalb war es relativ schwer, den Kunden alle Vorteile dieses Systems nahezubringen. Die Kunden, die es ausprobierten, waren aber am Ende alle sehr zufrieden, weil sie ihre Workflows damit massiv vereinfachen konnten.

©Nonkonform, Jürgen Diniz-Malleck
Die verteilte Intelligenz von MediorNet macht das System sehr robust, so Jürgen Diniz-Malleck.

Jürgen Diniz-Malleck: Ich denke, dass MediorNet mit der Vorstellung von Micron den Durchbruch erzielte. Die Transport-Komponente von MediorNet mit Routing von Micron zu ergänzen, war genial. Das ermöglichte es den Kunden, eine dezentrale Audio-Video-Kreuzschiene aufzubauen, wo wirklich jedes Signal mit jedem Signal verschaltet und auch verteilt werden kann. Diese Idee brachte einen ganz neuen Freiheitsgrad und eröffnete uns als Hersteller den Videokreuzschienenmarkt.


Wie funktioniert Riedel MediorNet? Gernot Butschek, Entwicklungsleiter bei Riedel Communications in Wien, erklärt das Video-Übertragungssystem.

Die verteilte Intelligenz von MediorNet, die Tatsache, dass jeder Knoten alles weiß und auch die Signalverwaltung durchführen kann, hat das System auch enorm robust gemacht und dazu geführt, dass wir so große Events wie den Eurovision Song Contest oder auch die Signalverteilung bei Olympischen Spielen oder bei anderen High-Profile-Events mit dem System realisieren durften — weil die Verfügbarkeit des Systems eben einfach enorm hoch ist.

©Nonkonform, Gernot Butschek
Die Technik hinter MediorNet ist sehr clever.

Gernot Butschek: Vielleicht sollte ich an dieser Stelle ganz kurz die besondere Technologie von MediorNet erklären, die das System so robust macht:

MediorNet besteht aus einzelnen Knoten, und wie Jürgen schon erläuterte, haben wir mittlerweile unterschiedliche Geräte mit unterschiedlicher Leistungsfähigkeit: Micron, Metron, MicronUHD und weitere. Alle sind über Glasfaserkabel verbunden, und auf diesem Glasfaserkabel läuft auch ein proprietäres Protokoll, das wir hier in Wien entwickelt haben. Davon gibt es bis zum heutigen Tag drei Ausformungen: Wir haben mit einer Datenrate von 4,25 Gigabit pro Sekunde begonnen, sind dann auf zehn Gigabit pro Sekunde und bei der letzten Generation auf 25 Gigabit pro Sekunde aufgestiegen.

©Nonkonform, Riedel Wien
Das Entwicklerteam in Wien …

Das Besondere ist bei unserer Lösung, dass wir das Signal – wenn man so möchte – in seine Essenz zerlegen. Ein Videosignal wird von uns in kleine Häppchen zerlegt, und diese kleinen Häppchen können wir individuell durch unser System routen. Wir haben sozusagen, wenn man bildlich sprechen möchte, kleine Waggons, wie bei einem Zug, und da packen wir die Signale rein. Wenn wir Audio haben, passt das in einen Waggon, wenn wir Video haben, brauchen wir eben mehr Waggons für den Transport.

©Nonkonform, Riedel Wien
.. testet alles auf Herz und Nieren.

Diese Waggons können wir individuell auf die Reise schicken – das ist die Kern-Technologie von MediorNet. Zudem haben wir bei MediorNet die Möglichkeit, fein granular auch Signale niedrigerer Bandbreitenerfordernisse abzuhandeln. Das bedeutet konkret, dass wir die Bandbreite einer Glasfaser sukzessive anfüllen können. Dadurch ist die Ausnutzung eines Hardware-Backbone viel, viel besser, und wir haben im Idealfall eine enorme Bandbreitenoptimierung. Das wiederum bedeutet für eine existierende Glasfaser-Infrastruktur in einem Sendezentrum, dass der Kunde darüber viel mehr an Leistung und Kapazität rausholen kann, als dies bei einem traditionellen Setup der Fall wäre.

©Nonkonform, Jürgen Diniz-Malleck
Jürgen Diniz-Malleck glaubt, dass SDI und IP noch länger ko-existieren werden.

Jürgen Diniz-Malleck: Das Ganze haben wir auf Basis von Ethernet entwickelt, das war quasi das physikalische Protokoll.

Gernot Butschek: Der nächste Schritt besteht nun darin, von den proprietären Protokollen in Richtung standardisierter Internet Protokolle wie TCP, IP, UDP zu gehen, denn die Kunden fragen das zunehmend an und wollen auch über lokale Netze oder Weitverkehrsnetze Daten übertragen. Dafür müssen diese Daten und die Signale standardisiert verpackt werden. Durch die Übernahme des kanadischen Herstellers Embrionix haben wir für solche IP-Lösungen eine starke Basis dazugewonnen.

©Nonkonform, Riedel Wien
Ein Arbeitsplatz am Standort Wien. 

Aber war nicht gerade die proprietäre Riedel-Technologie der Garant für die Stabilität von MediorNet?

Gernot Butschek: Natürlich, das ist nach wie vor so, denn wir geben unsere proprietäre Technologie, unsere Transport-Infrastruktur nicht auf. Beide Lösungen, beide Technologien können übrigens problemlos koexistieren, und damit lassen wir unseren Kunden die Wahl, ihr System so zu formen, wie sie es für richtig halten.

Ein sinnvoller Ansatz bestünde meiner Meinung nach für Kunden darin, Inseln mit proprietärer MediorNet-Technologie aufzubauen, die hoch performant sind, und an einigen Punkten dann Weitverkehrsnetze mit standardisierten Internet-Protokollen anzubinden.

Mit Embrionix übernahm Riedel einen erfolgreichen IP-Spezialisten.

Jürgen Diniz-Malleck: Natürlich haben wir schon vor der Übernahme von Embrionix wahrgenommen, dass sich die Branche mit IP-basierten Signalübertragungen beschäftigt, egal ob das jetzt on Campus ist oder noch weiterdenkend.

Man muss aber auch sehen, dass wir mit Micron schon jetzt vieles von dem abdecken können, was sich sonst nur mit IP-Systemen realisieren lässt. Wir konnten das also schon viel länger als andere, die dafür IP-Technologie einsetzen mussten. Und wir können es, wenn man ehrlich ist, eigentlich immer noch viel besser: Weil wir eben die Pakete besser managen, als sie mit einem freien API für paket-orientierten Medientransport gemanagt werden.

©Nonkonform, Riedel Wien
Rund 45 Mitarbeiter gibt es im Office in Wien.

Aber wie Gernot schon sagte, sehen wir eine Daseinsberechtigung für beide Lösungen für die nächsten 5 bis 10 Jahre. Es hängt auch immer von der Anwendung ab, was sinnvoll ist. Ein Playout-Center hat eine andere Gewichtung zwischen IP und Non-IP wie ein Produktionsort, eine Produktionsstätte, ein Ü-Wagen. Das sind ganz andere Anforderungen an Verfügbarkeit, Schnelligkeit und Flexibilität.

Seite 1: Entwicklungs-Standort Riedel Communications in Wien
Seite 2: Entwicklung und Besonderheiten MediorNet
Seite 3: Entwicklung und Besonderheiten Bolero
Seite 4: »CFO-Produkte« und der Weg zu IP


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