Wie sieht die Zukunft der Broadcast-Produktion aus?
Olivier Suard von Nevion fragt sich, welche Richtungen die derzeit immer schneller werdende Innovationsgeschwindigkeit der Broadcast-Branche nehmen könnte.
Olivier Suard, Vice President of Marketing von Nevion, hat sich im folgenden Artikel Gedanken darüber gemacht, ob die Broadcast-Branche weiterhin mit so großer Geschwindigkeit Innovationen umsetzen wird und in welche Richtung diese Innovationen gehen könnten.
In den vergangenen zwei Jahren hat sich der Broadcast-Sektor stark verändert. Die Pandemie hat diese traditionell konservative Branche dazu gezwungen, innovativ zu werden und neue Technologien zu nutzen. Waren die Broadcaster im Jahr 2020 nur deshalb bereit, grundlegende Änderungen an ihrer Arbeitsweise zu verändern, weil sie dazu gezwungen waren, kamen sie im Jahr 2021 mehrheitlich in Fahrt und setzten Initiativen um, die vorher auf die lange Bank geschoben worden waren. Nun gab es Fortschritte in den Bereichen 5G, Remote-Produktion und Cloud — neben vielen anderen. Mittlerweile zeichnen sich eine Reihe neuer, stabiler Trends ab.
IP-Produktion wird sich durchsetzen
Die Einführung von IP in der Live-Produktion war schon seit einiger Zeit ein wichtiger Trend, und es gibt keine Anzeichen dafür, dass sich dies im Jahr 2022 und darüber hinaus verlangsamen würde. Die IP-Produktionsstandards sind jetzt stabil und ihre Umsetzung ist signifikant vorangeschritten, auch in der Steuerungsebene.
Diese Fortschritte haben dazu geführt, dass die IP-Live-Produktion selbst bei Großveranstaltungen immer alltäglicher wird. So haben sich mehrere Sendeanstalten, darunter NBC Olympics, schon bei den Olympischen Spielen in Tokio 2020 für eine reine IP-Produktion entschieden. Dieser Trend wird sich in den kommenden Jahren sowohl im großen, als auch im kleinen Maßstab, zweifellos fortsetzen — zum Beispiel im Ü-Wagen-Bereich, wo sich IP viel leichter implementieren lässt als in anderen Produktionsprozessen.
Konsolidierung von Remote-Production-Architekturen
Die Remote-Produktion entwickelt sich immer mehr zum Mainstream und wird sich in der Veranstaltungsproduktion weiter durchsetzen. Es gibt jedoch noch immer keine einheitliche Definition von Remote-Production-Architekturen. Letztes Jahr veröffentlichte die britische Digital Production Partnership (DPP) einen Bericht, um dies zu ändern, indem sie fünf Architekturmodelle für Live-Remote-Inhalte definierte, aber erst in diesem Jahr hat eine Konsolidierung dieser Architekturen begonnen.
Wechsel der Produktionstechniken
Künftig werden Produktionsinfrastrukturen dezentraler und flexibler gestaltet werden. Es wird mehr unterschiedliche Modelle dafür geben, was an welchem Ort umgesetzt wird: außer der Übertragung von individuellen »isolated« Kamerafeeds und der reinen Fernsteuerung quasi durch Auswählen aus einem Proxy-Mosaik wird es noch viele weitere Produktionsmethoden geben. Damit wird es einen Übergang von der einfachen Remote-Produktion zu einer verteilten, »Distributed Production« geben.
Diese verteilte Produktion ist in manchen Bereichen bereits Realität, und die Verbindung zwischen On-Premise- und Cloud-Aktivitäten wird an Bedeutung gewinnen, da immer mehr Produktionsinfrastruktur als Software in Private oder Public-Clouds verfügbar wird.
Weitere Modelle für die Live-Remote-Produktion haben sich herausgebildet, die von Unternehmen wie Nevion entwickelt wurden. Diese Modelle wurden zwar ursprünglich für die Live-Remote-Produktion konzipiert, sie können aber auch an andere Produktionsformen adaptiert werden — gleichgültig, ob dort ein Studio und eine technische Infrastruktur schon dauerhaft stehen oder ob ein Ü-Wagen dorthin gebracht wird. Die Einfachheit und Vielseitigkeit dieser Modelle macht es leichter, diverse Optionen zu prüfen, die den Sendern zur Verfügung stehen, und ihre Produktionsinfrastruktur entsprechend zu gestalten, so dass sie in den kommenden Jahren wahrscheinlich an Bedeutung gewinnen werden.
Wachsende Popularität der ‚Follow the Sun‘-Produktion
Vollständig standortunabhängige Architekturen für die Produktion werden sich mit der Einrichtung weiterer Follow-the-Sun-Produktionszentren (FTS) für globale Inhaltsproduzenten immer mehr durchsetzen. FTS-Modelle sind in der Welt der Software-Entwicklung bereits sehr beliebt und eignen sich gut für globale Inhaltsproduzenten, deren Teams oft über verschiedene Zeitzonen verstreut sind. So entwickelt beispielsweise der E-Sports-Publisher Riot Games sein eigenes FTS-Modell, um die verschiedenen von ihm organisierten Liga-Events abzudecken.
Zumindest teilweise wurde dieser Schritt durch die Covid-19-Pandemie beschleunigt — und hat gezeigt, dass Teams auch dann effektiv zusammenarbeiten können, wenn sie sich nicht am selben Ort befinden.
Weitere Entwicklung von 5G
Auch wenn 5G im Broadcast-Bereich erhebliche Fortschritte gemacht hat und Initiativen wie 5G-Vinni und 5G-Virtuosa dessen wahres Potenzial zu erschließen beginnen, ist diese Entwicklung noch lange nicht abgeschlossen. So hat 5G noch nicht die Reife und den Funktionsumfang erreicht, die erforderlich sind, um sein volles Potenzial für die Broadcast-Produktion voll auszuschöpfen. Insbesondere in den Bereichen Network Slicing und 5G Control Plane/Orchestration muss noch mehr getan werden, da diese Bereiche noch nicht das bieten, was für einen durchgängigen, erfolgreichen auf breiter Basis nutzbaren Einsatz von 5G in einer Broadcast-Umgebung erforderlich ist.
Die langsamen Fortschritte bei 5G und die mangelnden Fähigkeiten der Mobilfunknetzbetreiber haben bei einigen Sendern zu einer Verlagerung des Schwerpunkts geführt, die nun nicht-öffentliche und Campus-Netzwerke in Betracht ziehen. Diese Möglichkeit wird von einigen Sendern weiter erforscht, und auch dadurch wird 5G auf Touren kommen. Allerdings ermöglichen Mobilfunknetze derzeit — vor allem dann, wenn es sich um öffentliche Netze handelt — (noch) nicht den Traum einer standortunabhängigen Plug-and-Play-Konnektivität, die sich die meisten Broadcaster wünschen. Daher werden Sender, die diesen Weg weiterverfolgen, gezwungen sein, Kompromisse einzugehen.
Wachsendes Vertrauen in virtuelle software-only Produktions-Workflows
Virtuelle software-only Produktions-Workflows (die in privaten oder öffentlichen Clouds eingesetzt werden) sind auf dem Weg zu einer unbestreitbaren Vormachtstellung. Das Vertrauen in diese Infrastrukturen wächst und damit auch das Vertrauen in die Bereitstellung am vorderen Ende der Kette (Live-Produktion).
Darüber hinaus wird die Nutzung von Konnektivität ohne Quality-of-Service (QoS), also über das öffentliche Internet, in der Produktion zunehmen, was dazu führen wird, dass entsprechende Angebote, wie das Reliable Internet Streaming Protocol (RIST), ausreifen werden. RIST ist ein interoperabler Standard, der darauf abzielt, Video über Netze ohne QoS für jeden Anwendungsfall zuverlässig zu transportieren, aber typischerweise für Medien-Workflows wie Nachrichten- und Sportbeiträge, Remote-Produktion, Affiliate-Distribution und primäre Distribution.
Wir bei Nevion beobachten bereits ein wachsendes Interesse an der (öffentlichen) Cloud-Produktion. Dem Eifer einiger Branchenvertreter steht die pragmatischere Herangehensweise vieler Sendeanstalten gegenüber, die aus verschiedenen Gründen zögern, sich vollständig auf Cloud-Dienste zu verlassen. Letztendlich wird sich wahrscheinlich ein hybrides Cloud-Ground-Modell als dominierendes Produktionsmodell durchsetzen.
Eine neue Ära für die Produktion
Letztendlich eröffnen die technologischen Fortschritte und das Aufkommen neuer Architekturen eine breite Palette neuer Möglichkeiten im Bereich der Broadcast-Produktion. Es liegt nun an den Broadcastern und Media-Networks, zu entscheiden, welche ihren Anforderungen sowohl kurz- als auch langfristig am besten entsprechen.