Berührt EU-Bereitschaftszeit-Urteil auch Filmschaffende?
Der Europäische Gerichtshof hat ein Urteil zur Frage der Bewertung von Bereitschaftszeiten gefällt. Es könnte auch Film- und Fernsehschaffende berühren.
Der Europäische Gerichtshof hat die Frage der Bewertung von Bereitschaftszeiten behandelt und ein Urteil dazu gefällt. Grundsätzlich gebe es bei Arbeitnehmern entweder »Arbeitszeit« oder »Ruhezeit«. Was Arbeitgeber als »Bereitschaftszeit« ansehen, sei also entweder Arbeitszeit oder Ruhezeit, und diese schließen einander aus, urteilte der EU Gerichtshof. Das Gericht hebt hervor, dass es sich jedenfalls um »Arbeitszeit« handelt, sofern Beschäftigte sich an einem Arbeitsplatz, der nicht ihre Wohnung ist, aufhalten müssen und dort zum Arbeitseinsatz verfügbar sind. (Rechtssachen C-344/19 und C-580/19)
Geklagt hatte ein Feuerwehrmann, der zu Bereitschaftszeiten verpflichtet war, innerhalb deren er nach längstens 20 min in fertiger Ausrüstung arbeitsfähig sein musste. Laut einer Stellungnahme des Verbands BVK enthält dieses Urteil aber grundlegende Rechtsvorschriften und könnte daher möglicherweise auch Film- und Fernsehschaffende und deren geltende Tarifverträge berühren. Bei dieser Gelegenheit keilt der BVK auch gegen die Gewerkschaft Verdi. Hier der Wortlaut:
»Auch Film- und Fernsehschaffende arbeiten regelmäßig und in erheblichem Umfang über die durch das Arbeitszeitgesetz (ArbZG) erlaubten Grenzen hinaus — etwa elf, zwölf Stunden oder länger. Handhabe für diese Arbeitszeitausweitung bietet der zwischen der Gewerkschaft Verdi und der Produzentenallianz vereinbarte Tarifvertrag für Film- und Fernsehschaffende (TV FFS). Er unterstellt den Beschäftigten der Filmindustrie erhebliche regelmäßige »Bereitschafts«-Zeit (z. B. am Set) im Verlauf des Arbeitstages, welche (vermeintlich) eine entsprechende Verlängerung der Arbeitszeiten über die nach dem ArbZG zulässige Arbeitszeit hinaus erlaube.
Das Urteil des EuGH stellt klar: Selbst wenn es irgendeine »Bereitschaftszeit« am Arbeitsplatz geben sollte, wäre diese definitiv »Arbeitszeit« und damit zu vergüten (was der TV FFS auch vorsieht). Allerdings könnte eine derartige Arbeitszeit aber nicht als fiktive »Ruhezeit« die tägliche Arbeitszeit verlängern, denn die Ausweitung von Arbeitszeit durch Arbeitszeit ist paradox. So stellen auch die z. T. noch unbezahlten Shuttle-Zeiten von und zum Set oder andere Fahrzeiten selbstverständlich zu vergütende Arbeitszeiten dar.
Faktisch gibt es bei Filmproduktionen die von den Tarifpartnern unterstellten »Arbeitsbereitschafts-Zeiten« überhaupt nicht. Die Beschäftigten arbeiten nicht nur häufig überlange Tage, sondern oft auch ohne die regulär anzusetzenden Pausenzeiten, weil »Dreherfordernisse« dem angeblich im Wege stehen. »Häusliche Rufbereitschaft« kommt in der Branche so gut wie gar nicht vor. Allein diese könnte gegebenenfalls als »Ruhezeit« bewertet werden. Es müssen nun endlich auch in der Filmproduktion bei überlangen Tagen alle Stunden als volle Arbeitsstunden deklariert und angerechnet werden, da es keinerlei Bereitschaftszeiten im Sinne von »Ruhezeit« (etwa am Set) gibt. Die Behauptung im TV FFS, Filmschaffende dürften überlange Tage arbeiten, beruht auf einer vorsätzlichen rechtswidrigen Aushebelung des Arbeitszeitgesetzes im Einvernehmen mit Verdi. In den Augen der Filmschaffenden ist das eine dreiste »Bereitschaftszeit-Lüge«.
Falko Ahsendorf, Ehrenpräsident des BVK, sagt dazu: »Gut, dass der Europäische Gerichtshof so logisch und klar entschieden hat. Die unglaubliche Unterstellung von ‚Arbeitsbereitschaft‘, wenn man den ganzen Tag am Set rödelt, hat uns schon immer aufgeregt. Dass eine Gewerkschaft diese Aufweichung des Arbeits- und Gesundheitsschutzes legitimiert und überlange Tage für die Beschäftigten durch ihre Willfährigkeit ermöglicht, ist skandalös.«
Dr. Michael Neubauer, Geschäftsführer des BVK, ergänzt: »Die werktägliche Arbeitszeit einfach zu verlängern, indem man abgeleistete harte Arbeitsstunden zu ‚Arbeitsbereitschaft‘ umdeklariert, ist nicht nur ein dreister Akt der Profitmaximierung, sondern auch ein Ausdruck der mangelnden Wertschätzung der Beschäftigten und ihres gesundheitlichen und sozialen Wohlergehens. Dass der EuGH klarstellen muss, was eine Gewerkschaft im Interesse ihrer Mitglieder und aller Beschäftigten längst hätte umsetzen müssen, ist ein Armutszeugnis. Gemeinsam mit den Arbeitgebern den Schutzgedanken auszuhöhlen, ist grotesk.«