Audio, Branche, Broadcast, Radio, Top-Story: 12.07.2019

Broadcast oder Internet – Kampf um die Radiozukunft

Der Hörfunk ist das letzte elektronische Massenmedium. Doch was kommt danach? DAB+? 5G? Wie lange wird UKW noch überdauern? Welche technischen Möglichkeiten und Strategien sind in der Diskussion? Und wie gestalten sich Geschäftsmodelle und Regulierung?




Teil 3: Abwarten ist keine Perspektive – Strategien für den Hörfunk
Starten oder warten?

Der Hörfunk ist das letzte elektronische Massenmedium, das die überwiegende Mehrheit seines Publikums analog-terrestrisch über UKW erreicht. Kaum mehr als 30 Veranstalter bewegen sich vor Ort in abschätzbaren Wettbewerbsszenarios. Das soll in digitale Sendezeiten hinüberwachsen. Die Vielfalt des Programmangebots wächst mit der Radioverbreitung über das Internet ebenso wie mit DAB+. Broadcast oder 5G-Internet –ein »Glaubenskrieg«? Im 3. Teil geht es um Technik und Strategien.

@Maximilian Greger
Der Hörfunk ist das letzte elektronische Massenmedium, das die überwiegende Mehrheit seines Publikums analog-terrestrisch über UKW erreicht.

DAB+ sendet im VHF-Band III zwischen 174 und 230 MHz. Die Bandbreite von 7 MHz der Kanäle 5 bis 12 wird in je vier Blöcke (5A bis 12D) á 1.536 MHz geteilt. Jeder Block ist wiederum in 864 »Capacity Units« (CU) gegliedert. Mit der Codierung nach HE-AAC v2 und abhängig von der Stärke des Fehlerschutzes reichen 54 CU für ein Radioprogramm in guter Audioqualität aus. Das entspricht einer Datenrate von 72 kbit/s. Mit dieser von den meisten Privatradios bevorzugten Konfiguration finden bis zu 16 Programme in einem Block Platz. Das katholische Radio Horeb im »Bundesmux« liegt mit 48 kbit/s am unteren Qualitätsrand. Öffentlich-rechtliche Stationen nutzen bis zu 96 kbit/s; die Klassikwelle des BR stellt sich mit 144 kbit/s auf ihre Live-Konzerte im 5.1 Audioformat ein.

Stromverbrauch und Sendekosten sind für einen DAB+-Multiplex sicherlich höher als bei UKW, unterm Strich je Programm aber geringer als bei UKW. Wie bei DVB-T/DVB-T2 können bei Bedarf größere Gebiete mit Gleichwellennetzen versorgt werden. Der »Bundesmux« und etliche landesweite Multiplexe zeigen diese Frequenzökonomie, während ein großflächig konzipiertes UKW-Programm an benachbarten Sendeanlagen auf verschiedenen Frequenzen gefahren werden muss.

4G-Internet und der Hörfunk

Das Internet wurde mit der 4G-Technik LTE zum Transportdienstleister des Hörfunks – für private wie öffentlich-rechtliche Sender und deren Hörerschaft. Die Konditionen der Internet-Gatekeeper bestrafen jedoch Intensivnutzer von Internet, Radio usw.: Ab einem bestimmten »Datenverbrauch« im Monat wird die Bandbreite reduziert.

Ergibt Radioverbreitung mit 4G-Mobildfunk und LTE Sinn?

In seinem Mitte Mai 2019 veröffentlichtem Statement »DAB+ oder 5G? Die digitale terrestrische Zukunft des Hörfunks« stellt Helmut G. Bauer die technischen und Marktkonzepte des Mobilfunks mit 4G und 5G und des Broadcast mit DAB+ nebeneinander.

Im Prinzip reicht 4G/LTE für den Hörfunk aus, sagt Bauer. 5G bringe nur quantitative Verbesserungen. Er bezweifelt die Eignung des mobilen Breitband-Internets für den Rundfunk jedoch generell. So wolle O2 die LTE-Versorgung für nicht mehr als 64 Prozent der Bevölkerung ausbauen. Die anderen Anbieter hätten mehr angekündigt, aber auch bei ihnen sind Funklöcher eingeplant. Wer in ländlichen Bereichen lebt oder unterwegs ist, wird mit 4G von Internet und Webradio ausgegrenzt.

Bringt 5G-Webradio die Lösung?

Für die kürzlich für 6,55 Mrd. Euro versteigerten 5G-Frequenzen bei 2 und 3,6 GHz fordert der Bund ab 2025 eine Versorgung von 98 Prozent der privaten Haushalte mit mindestens 100 Mbit/s. Auch bei 5G Internet sind also Funklöcher eingeplant, die die Nutzer vom Radio abschneiden werden.

Welcher Aufwand für eine Vollversorgung mit 5G im 3,6 GHz-Bereich zu leisten wäre, zeigt eine von Helmut G. Bauer zitierte Berechnung des Instituts für Nachrichtentechnik Braunschweig. Demnach wären allein für Niedersachsen 61.000 Basisstationen eines jeden der vier Netzbetreiber notwendig. Zum Vergleich: Bundesweit sind derzeit gerade einmal 48.146 Basisstationen aller drei LTE-Anbieter am Netz.

Systembedingte Funklöcher?

Der Bundesrat hatte im März 2019 (Drs 67/19) die Vereinbarungen zwischen Bund und Mobilfunkanbietern kritisiert. Das dort einer 99-prozentigen 5G-Versorgung zugrunde gelegte Kriterium »flächendeckend« müsste statt über die Zahl der Haushalte für die zu versorgende Fläche definiert werden.

Das offizielle 5G-Logo.

Mit 5G sei eine »erheblich verbesserte Flächenabdeckung von deutlich über 90 Prozent zu erwarten«, beantwortete die baden-württembergische Landesregierung schon im September 2018 eine parlamentarische Anfrage (Drs 16/4882). »Eine Flächenabdeckung von 100 Prozent …  ist … mit vertretbarem Aufwand nicht zu erreichen«, wird ein Grundproblem des Mobilfunks illustriert – und indirekt eine Zukunft der Funklöcher als unumgänglich dargestellt.

Ein sofort nach Ende der 5G-Auktion Mitte Juni 2019 aufgekommener Vorschlag will die Verantwortung für eine Vollversorgung auf die Steuerzahler abwälzen: Eine Netzgesellschaft des Bundes soll die Funklöcher stopfen, wo das den vier Mobilfunkbetreibern zu teuer ist.

Eine eigene grobe Kalkulation illustriert ein Problem, das die Radioverbreitung in einer 5G-Internet-Umgebung beinhaltet. Würden alle rund 120 ARD-Radios (inkl. Lokalsendern und Digitalwellen) und die 516 bei den Medienanstalten im Mai 2019 gemeldeten linearen Privatradio-Streams mit der bei DAB+ üblichen Datenrate von je 72 kbit/s gestreamt, würde das annähernd die halbe Datenrate der 100 Mbit/s 5G-Netze beanspruchen. Was bleibt da für Surfen, Podcasts, Videostreams und TV und Zukunftsanwendungen á la autonomes Fahren oder gar Banales wie Telefonie, SMS, E-Mails, usw.?

Radio-Broadcast mit 5G
Helmut G. Bauer ist als Rechtsanwalt in Köln ansässig. Er berät Unternehmen aus der Rundfunkbranche und zeichnet für das Informationsportal „Save Our Spectrum“.

Die für 5G-Broadcast vorgesehenen Frequenzen im 700 MHz UHF-Band sind für den Hörfunk nicht geeignet, setzt Bauer fort. Das großflächige Netzkonzept des Fernsehens, wie es derzeit im bayerischen 5G Today TV-Projekt erprobt wird, treffe den wesentlich regionalen und lokalen Charakter des Hörfunks nicht. Zudem wäre die Reservierung eines Frequenzbereichs auf internationaler Ebene erforderlich. Das Verfahren würde eine Einführung um Jahre hinausschieben und eine Standardisierung erfordern, bevor Empfangsgeräte entwickelt und Sendenetze errichtet werden könnten. Bauer bezweifelt, dass die europäischen Staaten diesen Weg gehen wollen und dass die Programmanbieter und Netzbetreiber dazu bereit wären.

Bauer: 5G ist »keine realistische Option« für den Hörfunk

Um 2006 scheiterte das »Handy-Fernsehen« mit DVB-H daran, dass die Mobilfunkbetreiber diese Handys boykottierten, weil sie über die verbreiteten Inhalte keine Kontrolle hatten. Mit 5G soll sich das ändern. Jeder der vier Netzanbieter wird über sein Programmangebot, die Versorgung, die Endgeräte und die Kosten für Anbieter und Verbraucher bestimmen. Programmpakete könnten sich von Betreiber zu Betreiber unterscheiden. Bauer erinnert an die – bereits von Telekoms zurück gewiesene – Forderung nach freiem Zugang der Nutzer zu terrestrischem Radio und Fernsehen. 5G-Internet und 5G-Broadcast sind für ihn »keine realistische Option für die digitale terrestrische Hörfunkverbreitung«. Abgesehen davon besteht in Deutschland eine Nutzungs-Bindung der Rundfunkfrequenzen bis 2030.

»Warten auf 5G ist keine Perspektive«
@BR
Das bayerische Projekt 5G Today beschäftigt sich ausschließlich mit der TV-Verbreitung mittels der neuen Mobilfunktechnik FeMBMS. Die dort erprobten großflächigen Netze treffen nur die Interessen weniger Radioanbieter.

In Österreich steht die 5G-Auktion noch bevor. Anlässlich des Starts des dortigen nationalen DAB+-Multiplexes am 28. Mai 2019 forderte Wolfgang Struber, Geschäftsführer von Radio Arabella Österreich und Vorsitzender des Vereins Digitalradio Österreich, für 5G u.a. freien Zugang der Verbraucher zu Radioprogrammen – kostenlos und unabhängig von einer SIM. Würden »angemessene 5G-Netzkosten« abgerechnet, könnte sich am Ende erweisen, »dass DAB+ Rundfunknetze für unsere Hörfunk-Bedürfnisse doch billiger sind«. Zudem müssten die 5G-Funknetze aus Sicht der Radios über 98 Prozent der Fläche abdecken.

Struber fasste die heutigen Ausgangsbedingungen zusammen, die für ganz Europa zutreffen: Mit einer Standardisierung von 5G Broadcast sei nicht vor 2025 zu rechnen. EU-Beschlüsse sichern dem Rundfunk bis 2030 die im VHF-Band (DAB+) und im UHF-Bereich (DVB-T2) verbliebenen Frequenzen. »Von einer wirtschaftlich sinnvollen Marktpenetration mit 5G-fähigen Radiogeräten kann vor 2035 nicht ausgegangen werden«, schätzt Struber ein und stellt fest: Der Hörfunk könne es sich nicht leisten, Entscheidungen bis dahin zu schieben. »Ein Verharren auf UKW und Warten auf 5G ist keine Perspektive.«

Baldiger Ersatz von DVB-T2 und DAB+ ist »absoluter Unsinn«
@Nonkonform
Bei der Anga Com war 5G ebenfalls Thema.

Das unterstrichen auch Fachleute am Rande der Kölner Kongressmesse Anga Anfang Juni 2019. Der mediale Hype um 5G Broadcast erwecke den falschen Eindruck, mit Verbraucherangeboten sei binnen zwei Jahren zu rechnen. Tatsächlich sei eine Debatte über Geschäftsmodelle wegen des fehlenden Standards überflüssig. Laut einem Bericht nannten es Fachleute »absoluten Unsinn«, »schon jetzt in diesem frühen Stadium von Nachfolgern für die heutigen Technologien DVB-T2 und DAB+ zu reden und diese als Übergangs- oder Brückentechnologien zu bezeichnen.« 5G sei für »völlig andere Nutzungsszenarien konzipiert«; sinnvoll sei eine »langjährige Koexistenz aller drei Verfahren«.

Seite 1: Von Eureka zum »Bundesmux«
Seite 2: Bleibt UKW eine »unendliche Geschichte«?
Seite 3: Abwarten ist keine Perspektive – Strategien für den Hörfunk
Seite 4: Geschäftsmodelle und möglicher Regulierungsbedarf