Broadcast oder Internet – Kampf um die Radiozukunft
Der Hörfunk ist das letzte elektronische Massenmedium. Doch was kommt danach? DAB+? 5G? Wie lange wird UKW noch überdauern? Welche technischen Möglichkeiten und Strategien sind in der Diskussion? Und wie gestalten sich Geschäftsmodelle und Regulierung?
Peter Dehn beleuchtet in diesem vierteiligen Artikel die unterschiedlichen Aspekte der Zukunft des Radios.
Teil 1: Von Eureka zum »Bundesmux«
Der Hörfunk ist das letzte elektronische Massenmedium, das die überwiegende Mehrheit seines Publikums analog-terrestrisch über UKW erreicht. Kaum mehr als 30 Veranstalter bewegen sich vor Ort in abschätzbaren Wettbewerbsszenarios. Soll das in digitale Sendezeiten hinüberwachsen? Oder soll das Programmangebot dank digitaler Verbreitung über DAB+ und im Internet vielfältiger werden? Broadcast oder Internet – ein »Glaubenskrieg«?
Die Fronten scheinen unversöhnlich: Auf der einen Seite stehen die Befürworter von DAB+ als mittelfristigen Nachfolger für UKW. Auf der anderen Seite wird DAB+ als unnötiger Übergang zu 5G-Webradio zurückgewiesen, um das UKW-Biotop zu bewahren. Das wird mit dem Begriff »Technologieneutralität« verbunden. Zugleich werden Hunderte markenverbundene Radiowellen im Internet platziert.
Zwischen diesen Polen agieren nicht nur die Radioveranstalter. Die Politik ist gefordert, die Digitalisierung des Hörfunks auf den Weg zu bringen. Die auf 16 Bundesländer verteilte Verantwortung für die Ausgestaltung des Rundfunks ist dabei nicht eben förderlich. Im Grunde entstanden 16 höchst unterschiedliche Radiolandschaften und verschiedene landesrechtliche Regelungen für den Privatfunk. Die medienpolitischen Bewertungen sind z.B. zur Förderung von DAB+ während eines Simulcasts mit UKW höchst unterschiedlich und hängen möglicherweise von der jeweiligen Koalition und deren Wechsel ab.
Mit seinem Mitte Mai 2019 veröffentlichten Papier »DAB+ oder 5G? Die digitale terrestrische Zukunft des Hörfunks« regte der Kölner Anwalt und Berater Helmut G. Bauer diese Bestandsaufnahme an. Der erste Teil führt vom Anfang digitaler Radio-Broadcasts in Deutschland zum aktuellen Status.
DAB+ – ein europäischer Standard
Im Rahmen des Eureka 147-Projektes der EU wurde unter deutscher Federführung ab Mitte der 1980er Jahre ein digitaler Sendestandard für digitalen Hörfunk im VHF-Band III (174 bis 230 MHz) und im – für Rundfunkanwendungen eher ungeeigneten – L-Band (1,46 GHz) entwickelt. Erstmals wurde auf der Berliner Funkausstellung 1995 ein roter Knopf für »Digital Audio Broadcasting« (DAB) betätigt. »Als terrestrisches Rundfunksystem wird DAB langfristig UKW ablösen können, durch multimediale Elemente ergänzen und zu wesentlichen Kosteneinsparungen bei der Programmverbreitung führen«, orakelte 1995 Frank Müller-Römer, Vorstandsvorsitzender der DAB-Plattform e.V. und Technikchef des Bayerischen Rundfunks.
Das Kompressionsverfahren Musicam reduzierte die Datenrate eines Programms zwar auf damals stattlich niedrige 192 kbit/s bei CD-gleicher Soundqualität. Nach Abzug von zweimal 64 kbit/s für Datendienste und weiterem Platz für Fehlerkorrekturdaten blieb im Multiplex Platz für sechs Programme. Wegen des Vorrangs des Fernsehens im VHF-Band war das Potenzial von DAB allerdings damit schon ausgeschöpft. Die beiden weit voneinander entfernten Frequenzbereiche verteuerten die Empfänger. Wegen der unter einem Kilowatt koordinierten Sendeleistung war der Indoor-Empfang schlecht. DAB erreichte daher keine nennenswerte Marktdurchdringung. Bis 2007 – also im Laufe von zehn Jahren – sollen 546.000 Empfangsgeräte verkauft worden sein. Das war nicht nur den beteiligten Privatradios (auch angesichts auslaufender Fördermittel) zu wenig. Auch einige ARD-Anstalten beschränkten ihr Engagement auf ein Minimum.
Frischer Wind zeichnete sich mit der Nachfolgetechnik DAB+ ab. U.a. wurde der Fehlerschutz verbessert und die Datenraten auf 72 kbit/s reduziert, was theoretisch bis zu 20 Programme je Multiplex erlaubt – ohne negative Wirkung auf die hörbare Qualität. Das VHF-Band III steht jetzt ausschließlich für DAB+ und mit Sendeleistungen bis zu 10 kW zur Verfügung. Das verbessert die Ausbreitung ebenso wie den Indoor-Empfang signifikant. Die internationale Koordination gestattet in Deutschland örtlich bis zu acht Multiplexe. Rein theoretisch können also weit über 100 Programme unterschiedlicher regionaler Orientierung verbreitet werden. Zugleich wurde erstmals eine nationale Hörfunk-Verbreitung möglich.
Neustart 2011 – der »Bundesmux« und nationale Senderkonzepte
An diesem »Bundesmux« – verbreitet in einem nationalen Gleichwellennetz im Block 5C – nehmen seit dem 1. August 2011 neun private Radioprogramme teil. Erstmals können sich Privatradios auf nationaler Ebene präsentieren und durch nationale Werbung refinanzieren. Dabei sind sie nicht auf das lückenhafte UKW-typische Frequenz-Flickwerk angewiesen.
Das öffentlich-rechtliche Deutschlandradio kann so erstmals seinen nationalen Versorgungsauftrag erfüllen – für alle vier Programme. Daneben transportiert der »Bundesmux« nicht nur programmbegleitende visuelle Dienste. Verkehrsdaten auf Grundlage des TPEG-Standards werden von einigen Navi-Herstellern genutzt, um ihre Kartenwerke mit aktuellen Verkehrslage-Infos zu verbinden.
Media Broadcast will als Betreiber der Programm- und Sendeplattform das Sendenetz bis Ende 2019 um 13 auf 137 Senderstandorte erweitern. Dann werden etwa 68,4 Mio. Menschen (85 Prozent der Bevölkerung) im mobilen Modus bzw. 99 Prozent der Autobahnen versorgt. Das entspricht einer Abdeckung von 96,0 Prozent der Fläche. Ab 2020 kann weiter ausgebaut werden, denn die Ministerpräsidenten der Bundesländer haben dem »Bundesmux« seine Frequenzen für bis Ende 2035 zugewiesen.
Das Schicksal eines zweiten »Bundesmuxes« mit weiteren 16 Privatradios wird vor Gericht entschieden. Ein unterlegener Bewerber hatte gegen die Zuweisung der Landesmedienanstalten an den Betreiber Antenne Deutschland geklagt. Diese Zuweisung wurde zwar im Mai 2019 in erster Instanz aufgehoben. Jedoch besteht keine »aufschiebende Wirkung«. Das von Media Broadcast und dem Radioveranstalter Absolut Digital gebildete Konsortium könnte also – trotz des laufenden Verfahrens – wie angekündigt anlässlich der Funkausstellung Anfang September 2019 im Testbetrieb und ab dem 4. Quartal 2019 im Regelbetrieb von bis zu 71 Sendeanlagen senden.
»Bundesmux« zieht Bundesländer nach
Den Neustart von DAB+ im August 2011 haben die Landesrundfunkanstalten begleitet. Sie senden alle UKW-Wellen und ihre »digital only«-Programme per DAB+. In den meisten Bundesländern bieten private Radioveranstalter ihre Programme auf Landesebene digitalterrestrisch an. Der Ausbau der Sendenetze für die ARD-Anstalten wie für die Privatradios ist weit gediehen, aber noch nicht überall abgeschlossen.
Die Spannweite der Strategien für die Hörfunkverbreitung ist breit. In Bayern werden mit Landesförderungen alle landesweiten, regionalen und lokalen UKW-Privatradios bis Mitte 2020 parallel auf DAB+ platziert. Wo noch keine Privatradios in der Digital-Luft sind (oder nur als Gast im Mux der Landesrundfunkanstalt), laufen Aktivitäten, um das zu ändern. Für das Saarland ist die Vergabe-Entscheidung für September 2019 angekündigt, für Schleswig-Holstein läuft im Sommer eine Ausschreibung für ein landesweites Programm im NDR-Mux und drei lokale Multiplexe. Lediglich in Mecklenburg-Vorpommern wird eine Entscheidung der Landesregierung erwartet, um die Privatradios in dem dünnstbesiedelten Bundesland mit Fördermitteln zu unterstützen. Lediglich Niedersachsen schert aus: Ein Landtagsbeschluss fordert die Abschaltung von DAB+ und forciert den Mobilfunk. In diese widersprüchlichen Szenarios kann sich der Bund nur eingeschränkt einbringen. Ein »Aktionsplan für die Transformation der Hörfunkverbreitung in das digitale Zeitalter« des BMVI scheiterte 2017 an den großen Privatradios.
Lokalradios könnten ihre begrenzten Sendegebiete auch nach DAB+ übernehmen. Dabei sind sie nicht auf die broadcast-üblichen großflächigen (»High Power – High Tower«-) Sendekonzepte angewiesen. Beispiele aus der Schweiz und England, zwei Versuchsprojekte in Sachsen und eines in Rheinland-Pfalz zeigen, dass Kleinleistungssender eine gute Definition des Empfangsgebietes ermöglichen. Werden sie auf Basis von Software Defined Radio betrieben, sinken die Verbreitungskosten. Die sächsische Medienanstalt SLM stellt den 15 bzw. 13 Teilnehmern ihrer laufenden Projekte in Leipzig und Sachsen für einen späteren Regelbetrieb »ein DAB+-Radioprogramm in guter Qualität für rund 300,00 Euro pro Monat« in Aussicht. Das sei »erheblich günstiger als bisher über UKW«. Damit rückt auch der Digitaleinstieg lokaler nichtkommerzieller Radiosender in Reichweite.
DAB+ ist am Markt etabliert
Allein 2018 wurden 1,4 Mio. DAB+-Produkte verkauft. Das sind etwa zehn Prozent mehr als im Vorjahr. Nach weiteren Angaben befinden sich Mitte 2019 11,8 Mio. DAB+-Radios in 17 Prozent der deutschen Haushalte. IP-fähige Radios finden sich im Schnitt in 10,9 Prozent der Haushalte, stellt der Digitalisierungsbericht Audio 2018 der Landesmedienanstalten fest.
Rund 600 DAB+-Produkte für alle denkbaren Einsatzbereiche vom Taschenradio bis zur HiFi-Anlage sind im Handel. Der Digitalempfang wird fast durchweg mit UKW verbunden. Viele Radios sind zusätzlich mit WLAN und/oder Bluetooth für Webradio ausgestattet. Damit entsprechen diese Produkte bereits der von der Bundesregierung geplanten Verpflichtung auf hybride Tuner.
Neuere Geräte verfügen auch über Sprachsteuerungen und können ins Heimnetzwerk eingebunden werden. Der Abverkauf von »UKW-Only«-Radios sinkt hingegen – 2017 bei HiFi-Tunern sogar um 35 Prozent.
Laut DAT-Jahresbericht wurden 39,1 Prozent der 2017 verkauften Neuwagen mit einem DAB+-Radio ausgeliefert. Viele Autoradios, ob ab Werk eingebaut oder nachgerüstet, wechseln automatisch zwischen DAB+ und UKW, wenn der Empfang schwächelt. Die EU macht im European Electronic Communications Code (EECC) die Kombination von UKW- und Digitaltunern in Autoradios ab 2021 zur Pflicht und stellt den Mitgliedsstaaten die Erweiterung auf andere Produktkonzepte frei.
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