Goldmedia: Trends im neuen Jahr
Goldmedia ermittelt alljährlich Trends und Tendenzen im Medienbereich. Dieser Artikel fasst einige davon zusammen: etwa die aktuellen Veränderungen im Streaming, die Entwicklung hin zu dynamischen Preisen an den Kinokassen und das Potenzial von Audio als neuem Leitmedium.
Algorithmen für die Kinokassen – Dynamic Pricing hält Einzug
Kevin Dieterich, Analyst Goldmedia
Seit Jahren schon versuchen die Kinobetreiber in Deutschland, vor allem durch steigende Ticketpreise, den anhaltenden Besucherrückgang zu kompensieren. Jetzt steht die Kinoindustrie vor einem Umbruch im Bereich des Ticketings: Während die Preise an den Kinokassen lange fix waren und sich hauptsächlich an pauschalen Erfahrungswerten orientierten, setzen Kinobetreiber immer stärker auf die Vorteile dynamischer Preismodelle, die auf Algorithmen beruhen.
Beim sogenannten Dynamic Pricing werden die Preise für ein Produkt, je nach aktueller Marktlage, kurzfristig angepasst. Wie bei Flugtickets oder Hotelbuchungen längst üblich, werden in 2019 immer öfter Angebot und Nachfrage über die aktuellen Preise von Kinokarten entscheiden. Im Gegensatz zu den bislang verbreiteten Preisdifferenzierungsmodellen, bei denen zur Kalkulation von Film- und Wochentagszuschlägen nur auf historische Daten vergangener Spielzeiten und anderer Erwartungswerte zurückgegriffen wird, analysieren dynamische Preissysteme dagegen die Nachfrage in Echtzeit.
Dynamic Pricing erlaubt bessere Auslastung von Kinosälen
Mehr als ein Drittel aller Kinotickets werden derzeit im Durchschnitt innerhalb einer einzigen Stunde verkauft: in der Zeit von 20 bis 21 Uhr. Die Nachfrage nach Kinotickets unterliegt also einer starken Konzentration. Vorstellungen während der Randzeiten sind in der Regel weniger gut besucht.
Dieses Problem kann durch Dynamic Pricing behoben werden: Durch das systematische Variieren von Ticketpreisen können Kinos einerseits die unterschiedliche Zahlungsbereitschaft verschiedener Kinobesucher-Gruppen besser nutzen und andererseits schneller auf Nachfrageschwankungen reagieren. Das heißt, dynamische Preisanpassungen bzw. günstigere Tickets zu Randzeiten sind hilfreich, um preisbewusste Kunden zum Besuch von Vorstellungen auch außerhalb von Nachfragespitzen zu motivieren. Dadurch wird die gleichmäßigere Auslastung von Sälen und Vorstellungszeiten möglich, und auch die Gesamtauslastung kann dadurch verbessert werden.
Neben den bislang üblichen Preisdifferenzierungskriterien, wie Filmkategorie bzw. -länge und Wochentag, kommen via Dynamic Pricing weitere wichtige Komponenten zum Tragen: Analysen von Einflussfaktoren auf das Besuchsverhalten deutscher Kinogänger zeigen, dass insbesondere das Wetter eine signifikante Wirkung auf die Preisbereitschaft der Kinobesucher (Goldmedia, 2018) hat. Solche situationsspezifischen Einflüsse sowie der Zeitpunkt der Ticketanfrage werden bei dynamischen Preissystemen analysiert und bei der Preisgestaltung berücksichtigt.
UCI mit ersten Erfahrungen in Deutschland
In anderen Entertainmentbereichen haben sich dynamische Preise international bereits durchgesetzt. Nun scheint auch die Kinobranche davon profitieren zu wollen. Nach ersten erfolgreichen Tests mit nachfragegesteuertem Ticketing im Ausland, beispielsweise durch Regal Entertainment in den USA oder Cinema Park aus Russland, führte Mitte 2018 UCI als erste Kinogruppe in Deutschland flächendeckend Dynamic Pricing ein. Eine längere Testphase ging voraus.
Bei dem UCI-Modell werden die verfügbaren Sitzplatzkontingente in verschiedenen Preiskategorien kontinuierlich variiert. Ein und derselbe Kinositz wird so – je nach Nachfrage – mal einer teureren und mal einer günstigeren Preiskategorie zugeordnet. Der Preis für die jeweilige Sitzplatzkategorie bleibt bei UCI jedoch konstant, nur die Kontingente ändern sich. Inwiefern aber Kinobesucher in Deutschland auch bereit wären, andere Preise für ein Ticket beispielsweise innerhalb des Verkaufszeitraums eines Filmes zu akzeptieren, bleibt bisher unklar. Wer ein Kinoticket eine Woche vorher kauft, könnte weniger bezahlen als eine Stunde vor Filmstart; wer einen Film in der Startwoche sieht, könnte mehr bezahlen als in der sechsten Woche.
Und wie reagieren die Verleihfirmen? Hier steht zu vermuten, dass diese aus Sorge vor sinkenden Eintrittspreisen und wegen negativer Erfahrungen in der Vergangenheit dynamischen Preisen eher skeptisch gegenüberstehen. So scheiterte vor mehr als zehn Jahren mit »EasyCinema« der Versuch, Dynamic Pricing in Großbritannien zu etablieren. Das Projekt, bei dem Kinotickets teilweise für 0,20 Pfund verramscht wurden, hatte vor allem keinen Erfolg aufgrund schlechter Konditionen mit den Verleihern. Eine Grundvoraussetzung seitens der Verleihfirmen ist demnach, dass durch die Einführung von Dynamic Pricing die durchschnittlichen Ticketpreise nicht drastisch sinken.
Ticketpreise haben ihren Peak erreicht und zwingen zum Handeln
Die deutschen Kinobetreiber werden 2019 nicht umhinkommen, sich intensiv mit den Möglichkeiten neuer Preisstrategien zu befassen. Denn nachdem über die letzten Jahre hinweg die Ticketpreise, selbst inflationsbereinigt, immer weiter gestiegen sind, zeichnet sich nun ab, dass diese ihren Peak erreicht haben (1. HJ 2018: -0,1% ggü. 1. HJ 2017). Auch die Halbjahreszahlen der FFA für 2018 zeigen, dass die obere Akzeptanzgrenze der Kinogänger erreicht sein könnte: Die Besucherzahlen im Kino gehen stetig zurück. Daran mögen der lange Sommer, zu wenige Blockbuster oder der VoD-Boom auch ihren Anteil haben. Aber mittelfristig ist nicht davon auszugehen, dass die schmerzlichen Umsatzrückgänge (1. HJ 2018: -15,3% Umsatz ggü. 1. HJ 2017) allein durch weitere Anhebungen der durchschnittlichen Eintrittspreise ausgeglichen werden könnten.
Umsatzsteigerungen durch Dynamic Pricing
Der Trend im Kinoticketing geht also hin zu einer immer stärkeren Ausreizung der Preisbereitschaft spezifischer Kinogänger-Gruppen. Damit die Umsätze wieder steigen, tun Kinobetreiber gut daran, nicht nur auf Dauerregen zu hoffen, sondern stärker als bisher auf Business Intelligence-Lösungen bei der Optimierung des Preis-Mix zu setzen. So behauptet das Unternehmen Smart-Pricer – der Ticketing Service-Provider von UCI – bis zu 10 Prozent mehr Umsätze und bis zu 15 Prozent höhere Ticketverkäufe zu Randzeiten durch Dynamic Pricing im Kino generieren zu können.
Fazit: Dynamic Pricing und Cinema Intelligence-Anwendungen werden 2019 einen noch höheren Stellenwert einnehmen als bislang. Das Pilotprojekt der UCI zeigt einen möglichen Weg für andere Kinoketten. Allerdings bleibt zu erwähnen: Die Einführung entsprechender IT-Systeme wird – mit Blick auf die verbundenen Kosten und das benötigte Know-how – insbesondere für kleinere Kinoketten und unabhängige Kinos eine große Herausforderung. So könnte sich die schwierige wirtschaftliche Situation für diese Kinos im Konkurrenzkampf mit den Multiplexketten trotz oder gerade wegen solcher Lösungen sogar noch weiter verschärfen.
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Die Artikel sind Teil des Goldmedia Trendmonitors 2019. Goldmedia gibt im Trendmonitor alljährlich in Form von Analysten-Kommentaren einen Ausblick auf relevante Trends in den Bereichen Medien und Entertainment, Internet und Telekommunikation des kommenden Jahres in Deutschland.