Postproduction: Under Pressure
Im Herbst lud Adobe Experten der deutschen Postproduktionsindustrie von Arri, Constantin, Fox und D-Facto zum Gespräch ins Hauptquartier nach München. Die Teilnehmer diskutierten aktuelle technische Entwicklungen sowie Chancen und Herausforderungen der Postproduktion.
Die Krux der Deliverables
Michael Welzel, Head of Imaging bei Arri Media, zeigt am Beispiel der neuen sechsteiligen Serie »Parfum« auf, wie aufwändig es mittlerweile sei, die passenden Ausspielungsformate, die »Deliverables«, bereitzustellen, wenn viele Partner mit im Boot sind und auch eine internationale Auswertung vorgesehen ist. Dann müssten etwa wie bei dieser Produktion Dolby Vision für den einen Partner, HDR10 für den anderen, HLG für einen weiteren Distributor geliefert werden, zudem auch SDR-Versionen und weitere inhaltlich unterschiedliche FSK-Schnittversionen sowie eine deutsche und eine internationale Version. Die Liste ließe sich endlich fortsetzen, so Welzel, der ergänzt, dass alles noch komplexer werde, wenn es Last-Minute-Änderungen gebe.
Van Bedient aus dem Hollywood-Office von Adobe bestätigt Welzels Einschätzung und berichtet, es sei bei großen internationalen Spielfilmen mit globaler Vermarktung mittlerweile keine Seltenheit mehr, dass dafür bis zu 800 unterschiedliche Deliverable-Versionen erstellt werden müssten. Das sei selbstverständlich ein Spitzenwert, der aber zeige, welchen Stellenwert das Thema habe und wieviel Zeit in der Postproduktion dafür aufgewendet werden müsse. Hier könnte und sollte IMF Abhilfe schaffen, und Van Bedient ist sich sicher, dass eine tiefere Integration von IMF in unterschiedlichste Postproduktionssysteme stattfinden wird und muss.
Für Patrick Palmer stellt sich angesichts der Herausforderungen im Bereich der Deliverables die Frage, ob all diese unzähligen Versionen tatsächlich ihre Berechtigung haben oder ob es nicht an der Zeit wäre, bestimmte Entwicklungen oder Anforderungen in Frage zu stellen. Aus seiner Sicht gilt das auch durchaus für HDR, wovon es schon jetzt unzählige Spielarten gebe und wo man letztlich von einer echten Standardisierung weit entfernt sei.
Nicholas Goodwin ist jedoch optimistisch, dass nicht zuletzt aus diesen Gründen bei aktuellen Entwicklungen wie HDR eine Standardisierung stattfinden werde; sie liege im Interesse aller Beteiligten. Mit DCI habe man in der Kinodistribution ein gutes Vorbild, bilanziert er. Michael Welzel von Arri wendet jedoch ein, dass es mittlerweile auch bei DCIs, also den Kinokopien, etliche unterschiedliche Varianten gebe, etwa für Atmos, für Dolby Vision– und nun für die neuen Samsung-LED-Kinos, um nur ein paar Beispiele zu nennen.
Kreativität vs. Technik?
Aus der Sicht von Welzel dominieren technische Fragen mittlerweile den Postproduktionsprozess zu sehr. Das schrecke viele Kreative ab, was seiner Meinung nach kontraproduktiv für die Postproduktion ist. Thilo Henn pflichtet ihm bei und bestätigt, dass viele Kreative von den technischen Möglichkeiten der Softwares überfordert seien. Sie möchten sich nicht mit Codecs, Formaten oder Deliverables herumschlagen – was die Personalsuche für Postproduktionsfirmen enorm erschwere.
Patrick Palmer sieht hier die Hersteller in der Pflicht, die dafür sorgen müssten, dass die technischen Möglichkeiten einer Software nicht der kreativen Arbeit im Weg stünden. Das könne auch jetzt schon gelingen, sagt er und führt als Beispiel die Serie »Mindhunter« an. Hier hätten sich die Kreativen sehr viele Gedanken darüber gemacht, wie mit HDR Emotionen beim Zuschauer geweckt werden könnten. Gleichzeitig habe die Produktion größten Wert darauf gelegt, Workflows so zu definieren, dass die Technik nicht der Kreativität im Weg stehe.
Künstliche Intelligenz
Nicholas Economides hat mit seinem Team bei Fox den Output in den vergangenen vier Jahren verdreifacht. Er schreibt dies unter anderem den Möglichkeiten zu, die Computerprogramme heutzutage bieten, um effizienter zu arbeiten – etwa auch mit Künstlicher Intelligenz (Artificial Intelligence – AI). Gleichzeitig ist er sich aber sicher, dass irgendwann ein Punkt erreicht werde, an dem Effizienzsteigerung nicht mehr möglich sei – und sich diese Entwicklung sogar umkehren könne. Denn Kreativität bedeute letztlich auch, dass man verschiedene Dinge ausprobiere – und dabei zwangsläufig auch scheitere, weil man sehe, dass die eine oder andere Sache nicht funktioniert. Nur so könne sich Kreativität weiter entwickeln – weshalb es für Effizienzsteigerung eine natürliche Grenze geben müsse; es sollte noch Raum bleiben, um Dinge ausprobieren zu können.
Patrick Palmer geht auf diesen Aspekt ein und erläutert, dass Adobe zu einem ähnlichen Schluss gelangt sei, und zwar bei der Entwicklung von Künstlicher Intelligenz. Hier liege der Fokus für Adobe ganz klar darin, jene Jobs zu optimieren, die sich wiederholen, die langweilig sind und einfach nur Zeit kosten, aber erledigt werden müssen. Was Software aber keinesfalls übernehmen solle und dürfe, sei der kreative Part; hier könnten Maschinen und Software nichts Verwertbares liefern. Deshalb spare Adobe den kreativen Part beim Einsatz von KI aus.
Höhere Auflösung und Reframing
Dass sich Arbeitsbereiche verschieben und neue hinzukommen, zeigt sich aus Sicht der Gesprächsteilnehmer auch in anderen Bereichen. So berichtet Alexander Berner, dass er jüngst bei einer 8K-Produktion im Schnitt plötzlich auch zum Kameramann wurde, wenn er per Reframing mit Ausschnitten aus dem ursprünglichen Material arbeitete. Michael Gamböck, Senior Manager, Strategic Development EMEA Creative Cloud Video bei Adobe, ergänzt, dass dieser Workflow mittlerweile an etlichen Stellen genutzt werde, weil er, abhängig von der jeweiligen Produktion, auch Drehzeit sparen könne. Damit wachse der Einfluss des Schneideraums auf den Film, weil dort plötzlich wieder zusätzliche visuelle Entscheidungen in Bezug auf das Framing getroffen würden.
Software-Entwicklung ändert sich
Van Bedient, der im Adobe-Office in Hollywood viel mit US-Produktionen zu tun hat, ist sich sicher, dass es mit den heutzutage verfügbaren Tools so einfach wie nie sei, hochwertige Produktionen umzusetzen. Er kennt aber auch die Nöte all jener, die mit diesen Tools mehr und mehr Content produzieren müssen – und auch wollen. Das habe auch Einfluss auf die Art, wie Hersteller heute ihre Softwares entwickelten. Früher habe der Flow zwischen den einzelnen Programmen die wichtigste Rolle spielte, erläutert Patrick Palmer. Heute verfolge man einen etwas anderen Ansatz. Er erklärt, dass Premiere Pro mittlerweile eher die Rolle eines Hubs übernehme, während etwa After Effects als Authoring Tool fungiere – oder anders ausgedrückt:
Die eine Software liefert In-depth-Tools, während andere eine eher übergeordnete Funktion übernehmen sollen.
Andreas Kohl von D-Facto Motion hält dies für einen sinnvollen Ansatz. Letztlich widerspiegele er auch die Veränderungen in den Postproduktionshäusern, wo es immer mehr Verschiebungen zwischen den einzelnen Abteilungen gebe und zudem zwischen Technik- und Kreativabteilungen mehr und mehr Austausch stattfinde, der durch diesen Entwicklungsansatz reflektiert werde.
Ab die Zukunft
Michael Gamböck von Adobe erwartet, dass AI in den kommenden Jahren in den Softwares der Hersteller eine wichtige Rolle spielen und letztlich auch neue Jobs schaffen werde. Kreative Aufgaben aber könne und solle AI nicht übernehmen.
Michael Welzel kann sich auch insbesondere in der Qualitätskontrolle den Einsatz von mehr AI vorstellen und wünscht sich bei den Softwares aber überdies noch mehr Möglichkeiten für eine kollaborative Zusammenarbeit.
Nicholas Goodwin glaubt, dass eine der zentralen Aufgaben der kommenden Jahre darin bestehen werde, Content Creation und Content Management enger zu vernetzen, was auch Thilo Henn und Andreas Kohl von D-Facto für absolut notwendig halten.
Dass der Nachwuchs besser auf die Praxis vorbereitet werde, wünscht sich Nicholas Economides – auch mit internen Trainings, wie Nicholas Goodwin sie erwähnt. In diesem Bereich sei auch der BFS sehr aktiv, erläutert Alexander Berner.
Van Bedient und Patrick Palmer von Adobe bilanzieren, dass bei allen Bemühungen um mehr Effizienz – auch mit Hilfe von AI – letztlich der Mensch im Mittelpunkt stehen müsse. Einig sind sich alle Beteiligten der Gesprächsrunde, dass Kreativität in der Postproduktion wieder eine größere Rolle spielen muss.
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