Broadcast, OTT: 30.11.2018

Einstieg ins nonlineare Fernseh-Zeitalter

Der europäische Standard Hybrid Broadcast Broadband TV (HbbTV) soll technischer Kern einer künftigen hybriden nonlinearen Fernsehverbreitung »Over the top« (OTT) werden.

Freenet TV Connect
Alles unter einem Dach: Gestreamtes Live-TV und Abrufdienste, Mediatheken und Apps bei Freenet TV Connect.

OTT bezeichnet die Verbreitung von Medieninhalten über Netze der Internet-Service-Provider, ohne diese in die Vermarktung einzubeziehen. »HbbTV ist der Weg, um OTT in die klassische TV-Welt einzubinden und das Rundfunkgeschäft auszubauen«, kommentiert Vincent Grivet, Vorsitzender der HbbTV Association. Die offene HbbTV-Spezifikation stelle sicher, dass neue Plattformen eine maximale Zahl von Empfangsgeräten bzw. deren Besitzer erreichen.

Das könnte neue nationale Allianzen für nonlineare Dienste entstehen lassen, mutmaßen Insider. So wird erneut unter anderem ein gemeinsames Abruf-Portal öffentlich-rechtlicher und privater TV-Anbieter diskutiert. Neben solchen Vermarktungs-Plattformen für lineare wie nonlineare Streaming-Angebote schauen vor allem die Privatsender auf neue Möglichkeiten für die Werbung: HbbTV ermöglicht beispielsweise die Einführung individuell adressierbarer Werbung.

HbbTV / OTT / Samsung
Oberflächlich: Einstiegsseite eines Samsung-Fernsehers in die OTT-Welt.

Allerdings sind inzwischen auch Service-Provider wie die Deutsche Telekom oder Vodafone auf den digitalen Zweitvermarktungstrichter gekommen. Nachdem ihre Mobilableger bereits ähnliche Plattformen anbieten, haben beide Konzerne jetzt auch festnetzbasierte OTT-Plattformen gestartet. Sie erweiterten ihr bisheriges Portfolio von kommunikationstechnischen Dienstleistungen und treten über die bisherigen TV-Pakete hinaus nun auch als Vermarkter von Inhalten mit eigenen Plattformen auf.

Vom Digitaltext zum nonlinearen Fernsehen

Die Entwicklung von HbbTV setzte 2008 ein. Der 2010 von der ETSI anerkannte Standard bringt die bis dahin nebeneinander existierenden Welten des Internets und des Rundfunk-Broadcasts zusammen. Dafür läuft OnAir eine Signalisierung für die mit dem jeweiligen Programm verbundenen Internet-Seiten mit – sogenannte Internet Link Services (ILS). In den Senderlisten erscheinen daher auch Programme oder Angebote, die nicht OnAir sind, sondern aus dem Internet gestreamt werden.

HbbTV bei der ARD: Navigation am Einstieg und …
… Startseite in die Mediathek.

Diese Inhalte sind so aufbereitet, dass sie die Besonderheiten des Fernsehens – darunter die Bildschirm-Eigenschaften und Navigation mit der Fernbedienung – berücksichtigen. Die dafür zunächst genutzte Programmiersprache CE HTML wurde 2015 durch HTML5 abgelöst. Die im Februar 2018 von ETSI übernommene jüngste Version 2.0.2 integriert auch High Dynamic Range und die Kommunikation mit Zweitschirmen. Für Streaming-Inhalte sollten die Geräte in der Regel mit der HbbTV-Version 1.5 und MPEG Dash ausgestattet sein; die notwendige Bandbreite wird mit mindestens 3 Megabit pro Sekunde angegeben, wenn HDTV-Bilder abgerufen werden sollen. Das empfehlen ARD, ZDF und Freenet TV.

HbbTV-Seite bei Sat1, ca. 2011.
Werbung spielte schon in ersten Präsentationen eine wichtige Rolle. Hier ca. 2011 im Sat1-Videotext.

Prominentes Aushängeschild der Anfangszeit war der digitale Videotext, dessen wenig zeitgemäßes analoges Erscheinungsbild mit Grafiken und Videos aufgehübscht werden kann. Das gilt auch für die Electronic Program Guides (EPGs), die bei der Navigation durch das Programmangebot, gelegentlich auch beim Programmieren von Aufzeichnungen, helfen. Der Umfang des ehemaligen »zeitversetzten Fernsehens« wurde erheblich erweitert: Die heutigen Sender-Mediatheken bieten alles an, was geht. Jedoch stehen Urheberrechte für ausländische Kinofilme so gut wie nicht zur Verfügung.

Durchbruch in nicht einmal 10 Jahren

Die programmbezogenen Anwendungen werden in der Regel mittels der roten Taste der Fernbedienung eingeschaltet und daher als »Red Button-Applikationen« bezeichnet. Darauf und auf wenige weitere Bedienungs-Standards haben sich private und öffentlich-rechtliche Sender geeinigt. Freenet TV Connect macht seine Streaming-Kanäle über die Senderlisten geeigneter Empfänger zugänglich. Applikationen weiterer Anbieter ohne Sendebezug können über die Nutzeroberfläche des Empfangsgeräts erreicht werden – wenn die Gerätehersteller diese Links anbieten. Das betrifft Abruf-Plattformen wie Amazon, Netflix, Maxdome und andere.

HbbTV-Logo.
HbbTV-Logo.

Zur Rolle von HbbTV in den deutschen Fernsehhaushalten verweist die Deutsche TV-Plattform, Gastgeber des 7. HbbTV-Syposiums in Berlin, auf aktuelle Erhebungen der GfK-Marktforschung. Demnach seien 3,4 Mio. – also 74 Prozent – der 4,6 Mio. in den ersten drei Quartalen 2018 verkauften Fernseher mit »smarten« Funktionen ausgestattet. HbbTV dominiert also über die herstellerspezifischen Internet-Schnittstellen inzwischen in 86 Prozent der gehandelten »smarten« Fernseher. Das ist auch in rund 480.000 Settopboxen und Videoplayern/-Recordern der Fall, die im gleichen Zeitraum über die Ladentheken gingen.