Unwort des Jahres: Alternative Fakten
Der Begriff »alternative Fakten« wurde zum Unwort des Jahres 2017 gewählt. Entschieden hat das eine Jury um die Sprachwissenschaftlerin Prof. Dr. Nina Janich. Als Basis diente eine öffentliche Vorschlagsliste. Ein Kommentar dazu.
Die Aktion »Unwort des Jahres« will durch ihre jährliche Wahl Interesse wecken für »den sprachkritischen Blick auf Wörter und Formulierungen in allen Feldern der öffentlichen Kommunikation, die gegen sachliche Angemessenheit oder Humanität verstoßen«.
Tatsächlich gelang es der Aktion in den vergangenen Jahren immer wieder, Begriffe zu wählen, die für eine bestimmte Zeit, einen bestimmte Sachverhalt oder eine aktuelle Stimmung zwar typisch, im Duktus aber unangemessen waren: »Rentnerschwemme«, »Herdprämie«, »Gotteskrieger« oder »Volksverräter« etwa.
Nun also »alternative Fakten«. Erfunden — oder zumindest bekannt gemacht — von der Trump-Beraterin Kellyanne Conway, die damit in einem Interview eine offensichtliche Lüge kaschierte. Die Aktion »Unwort des Jahres« erklärt: »Die Bezeichnung „alternative Fakten“ ist der verschleiernde und irreführende Ausdruck für den Versuch, Falschbehauptungen als legitimes Mittel der öffentlichen Auseinandersetzung salonfähig zu machen.«
Das trifft den Kern: Die Lüge an sich ist ja nun wirklich nichts Neues. Neu ist nur ihre jüngste Verkleidung. Nach dem Motto: Lügen ist okay, wenn es der — vermeintlich — richtigen, also meiner eigenen Sache dient. Ein jeder sein eigener Propagandaminister.
Wieso noch aufhalten mit Argumenten, die auf Fakten basieren, wenn es ausreicht, Behauptungen aufzustellen? »Alternative Fakten« sind eine irgendwie freundlicher klingende, bequeme Möglichkeit geworden, die jeweils eigene Sicht der Wirklichkeit zu erklären und zu verbreiten. Und wer andere Positionen vertritt, der wurde eben von der »Lügenpresse«, den »Mainstream-Medien« und dem »alten System« gehirngewaschen, die alle zusammen mal wieder mit frei erfundenen Fakten und Fake-News um sich werfen.
Dieses Doppelspiel unterbindet letztlich die echte Auseinandersetzung mit kontroversen Themen — und es greift vor allem im politischen Umfeld, immer mehr Raum.
Aus Sicht von film-tv-video.de hat die Unwort-Jury also eine sehr gute Wahl getroffen. Auch, weil bei den »alternativen Fakten« noch etliche andere Themen mitschwingen: die zunehmende Popularität einer wahren Flut von Verschwörungstheorien etwa, oder die postfaktische Meinungsbildung.
Eine eigene Meinung zu haben, halten wir für sehr wichtig. Aber sich zuvor mit den Fakten zu beschäftigen, ist vielen offenbar einfach zu mühsam. Viel leichter ist es, die Meinung anderer zu übernehmen und sich bei Bedarf einfach die passenden »alternativen Fakten« dazu auszudenken.
Menschliche Interaktion kommt aber nur mit einem Mindestmaß an Vertrauen zustande. Doch das lässt sich mit »alternativen Fakten« ganz sicher nicht aufbauen.
Sie werden sehen.