Editorial, Kommentar: 07.12.2017

Do it yourself

Es gibt die Wandersage, dass ein Frosch im Wasser einfach sitzen bleibe, wenn man es ganz langsam immer weiter erhitze. Wenn der Temperaturanstieg nur langsam genug sei, merke es der Frosch erst, wenn es schon zu spät sei.

Das ist aber eben nur eine Wandersage: In Wahrheit spürt der Frosch sehr genau, wann es Zeit wird, das Wasser zu verlassen und er wird dann alle Anstrengungen unternehmen, das auch zu tun.

Bei uns Menschen hingegen funktionieren die Instinkte und Sensoren ganz offenbar nicht mehr so gut und es ist für uns viel schwieriger und komplexer, es zu erkennen und richtig zu reagieren, wenn jemand beginnt, uns ganz langsam abzukochen.

Do it yourself
Do it yourself: am Flughafen ist das Realität.

Ein Beispiel: Über die Jahre haben die Fluggesellschaften ihren Service — außer vielleicht in den höchsten Klassen — schrittweise immer weiter reduziert und immer mehr Tätigkeiten auf den Kunden verlagert. Mittlerweile führen wir selbst online die komplette Buchung durch, dann checken wir mit dem Handy oder einem von uns selbst ausgedruckten Ticket an einem Automaten ein, wir wiegen unser Gepäck selbst, machen den Kleber dran und legen den Koffer eigenhändig aufs Band.

Das Lamento über die Zustände im Flieger selbst wollen wir uns an dieser Stelle sparen: Die allermeisten Leser dieses Textes kennen das ohnehin selbst zur Genüge. Wir fragen uns aber: Wie geht das weiter? Sollen wir demnächst auf Flugreisen noch unser eigenes Klopapier mitbringen?

Aber auch in anderen Bereichen kann man ähnliche Tendenzen beobachten: Es wird immer mehr auf den Kunden ausgelagert: Unfreiwilliges Do it yourself wird Vorschrift.

Sagen wir mal, sie nutzen Online-Dienstleistungen. Bezahlen ist ganz einfach, das Geld wird ruckzuck elektronisch abgebucht, da sind Google, Apple, Amazon, Dropbox und wie sie alle heißen, ganz fix.

Sie brauchen eine Rechnung? Geht Ihnen per E-Mail zu, bitte selbst ausdrucken. Oder in der nächsten Stufe: Es gibt keine E-Mail mehr, gehen Sie stattdessen online, suchen sie in einem umständlichen, überfrachteten Bedienmenü die Rechnungsübersicht, beachten sie in puncto Mehrwertsteuer bitte, dass der Leistungserbringer in Irland sitzt, finden sie die richtige Rechnung, wählen sie den passenden Zeitraum aus und laden Sie dann die Rechnung als PDF herunter und drucken Sie diese aus.

Easy und komfortabel geht definitiv anders. Wie konnte es bloß passieren, dass wir unseren Rechnungen hinterherrennen und sie uns letztlich selbst ausstellen müssen? Wir bezahlen mit von uns selbst durchgeführten Buchhaltungsaufgaben dafür, dass der Verkäufer es möglichst angenehm hat. Ist das Service?

Auf der einen Seite werden Buchhaltungs- und Dokumentationspflichten selbst für kleine Unternehmen immer zahlreicher, aufwändiger und umständlicher, auf der anderen Seite wird der Aufwand, um eine simple Rechnung zu bekommen, immer größer. Das passt nicht zusammen.

Vielleicht ist es also an der Zeit, in solchen Fällen immer öfter und auch viel früher als bisher, unser physikalisches Wissen zu nutzen und kund zu tun: Auch wenn man Wasser ganz, ganz langsam erhitzt, dann erreicht es irgendwann den Siedepunkt und kocht.
 
Sie werden sehen.

Autor
Christine Gebhard, Gerd Voigt-Müller
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