Perspektivfrage
»Die Welt soll gefälligst so sein, wie ich mir das vorstelle.« Ganz offenbar hat diese Haltung in verschiedenen Ausprägungen im menschlichen Denken ihren festen Raum. Beim einen stärker, beim anderen schwächer. Mal direkter und naiver, mal indirekter und komplexer, bricht sie sich immer wieder auf verschiedene Weise Bahn. Und das findet natürlich auch in den sozialen Medien seinen Ausdruck.
So kommt es etwa immer wieder mal vor, dass film-tv-video.de dort beispielsweise freundlich aufgefordert wird, seine Inhalte zu übersetzen. Und immer öfter findet das auch weniger freundlich statt. Mitunter auch in kyrillischen, arabischen, thailändischen Schriftzeichen oder mit dem eindeutigen Befehl »ENGLISH!!!!«
Wer könnte nicht prinzipiell nachvollziehen, dass man Inhalte, die irgendwie interessant wirken, auch ganz gern verstehen möchte? Unterschiede gibt es eben darin, was man aus diesem Wunsch ableitet: »Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt«, oder »Service bitte, aber zackig«.
Das Beispiel Sprache ist dabei sicherlich nochmal ein besonderes: Die Perspektive auf die jeweils eigene Muttersprache kann natürlich niemals objektiv sein. Aber selbst da können vielleicht ein paar Zahlen die Perspektive ändern: Weltweit gibt es laut Wikipedia rund 105 Millionen deutsche Muttersprachler. Das nachzuprüfen ist natürlich kaum möglich, aber gehen wir der Einfachheit halber mal davon aus, dass die folgenden Zahlen, die ebenfalls von Wikipedia stammen, ähnlich genau oder ungenau sind.
Muttersprachler in aufsteigender Reihenfolge: französisch: 80 Mio, deutsch: 105 Mio, russisch: 150 Mio, portugiesisch: 240 Mio, englisch: 330 Mio, spanisch: 570 Mio, chinesisch (Mandarin): 955 Mio.
Hut ab, wenn Sie das genau so eingeschätzt haben. Für alle anderen: Da zeigt sich, dass fast alles eine Frage der Perspektive ist. Und ja — natürlich verändert sich die Reihenfolge, wenn man nicht nur die Zahlen der Muttersprachler nimmt, sondern die der Sprecher. Dann machen etwa französisch und russisch deutliche Sprünge nach oben. Aber um eine Rangfolge der Wichtigkeit von Sprachen geht es ja in diesem Editorial gar nicht.
Eine Überlegung noch: Vielleicht hat beim eingangs geschilderten Verhalten auch die personalisierte, digitale Filterblase, in der sich mittlerweile jeder von uns bewegt, einen Effekt. Die Wand der Filterblase bietet eben beim einen mehr und beim anderen weniger guten Durchblick — aber ganz transparent ist sie halt fast nie. Man hat also stets einen mehr oder weniger milchigen, getrübten Blick auf alles, was jenseits der Blase liegt. Das führt dazu, dass der Aufwand und die Anstrengung, über den Tellerrand hinauszublicken, immer größer werden.
Wir versuchen es dennoch.
Sie werden sehen.