Editorial, Kommentar: 16.02.2017

Minenfelder

Es gibt viele mögliche Ursachen, wenn man bestimmte Dinge, Trends oder Entwicklungen nicht versteht. Wenn man die eigene Wahrnehmung der Realität mit der seiner Mitmenschen nicht in Einklang bringen kann. Wer spinnt? Ich oder die anderen? Oder ist alles nur ein Missverständnis?

Wir leben in einer Zeit, in der sich große Teile der westlichen Gesellschaften letztlich grundsätzlich darauf verständigt haben, dass Menschen weder aufgrund ihres Geschlechts, ihrer Hautfarbe, Herkunft, Religion oder ihrer sexuellen Orientierung benachteiligt werden sollen.

So steht es — zumindest teilweise — in zahlreichen Verfassungen, so lautet ein breiter gesellschaftlicher Konsens in Ländern, in denen die Mehrheit der Bevölkerung Zugang zu Bildung hat. Dass es dennoch auch in solchen Gesellschaften Diskriminierung, Sexismus und Rassismus gibt, dass die Realität also viel zu oft anders aussieht, soll hier nicht bestritten werden — aber wenigstens in der groben Zielrichtung besteht eigentlich seit dem Verbot der Sklaverei in der zivilisierten Welt, einigermaßen Einigkeit.

Derzeit scheint aber der Rückfall in einige, ganz seltsame Aspekte der Diskriminierung Hochkonjunktur zu haben — zumindest treibt er auch an solchen Stellen wilde Blüten, wo man das nicht unbedingt erwarten würde. Vielleicht eine Folge der von wenigen ausgehenden, aber um so lauter vorgetragenen Zwischenrufe und Provokationen?

Beispiele gefällig? Markus Lanz stellte als Moderator seiner gleichnamigen Talkshow dem Medienberater Michael Spreng die Frage, was er Martin Schulz und Angela Merkel denn optisch raten würde. Dass Politikberater solche Fragen sehr wohl mit ihren Kandidaten diskutieren, steht außer Frage. Dann aber setzte Lanz noch eins drauf: »Mir fällt immer auf, also Frauen, Frauen verändern sich ja so — optisch — in der Politik, dass du sie irgendwann eigentlich gar nicht mehr so wirklich als Frauen wahrnimmst.«

Willkommen im Jahr 2017, wo Moderatoren zwar keinen geraden Satz mehr formulieren können, aber mal eben so abfällige wie klischeehafte Bemerkungen über das Aussehen von Politikerinnen raushauen.

Andere Stadt, andere Szene: In den USA wurden gerade die Grammys verliehen und den Preis fürs Album des Jahres erhielt die britische Sängerin Adele. Dass ihre amerikanische Berufskollegin Beyoncé in dieser Kategorie erneut leer ausging, verwunderte viele — und zahlreichen Medienberichten zufolge auch Adele selber. Der Grammy-Chef sah sich in der Folge bemüßigt, Rassismus-Vorwürfe zurück zu weisen. Ein Blick auf die Preisträger der vergangenen Jahre kann aber zumindest nachdenklich stimmen.

Ganz ähnlich wird wohl auch die kommende Oscar-Verleihung ablaufen, die am 26. Februar 2017 stattfindet. Schon in früheren Jahren gab es hier Diskriminierungsverdacht — und ein Blick auf die Nominierten reicht, um eine Vorahnung zu bekommen, dass das auch in diesem Jahr ein Thema werden könnte.

Was ist da los? Das sind ganz sicher schwierige Themenfelder und Fragestellungen mit vielen Tretminen, zu denen man viele verschiedene Haltungen entwickeln kann — und es liegt der Redaktion fern, Sie als Leser in diesen Aspekten zu bevormunden. Aber wenn sich Menschen in den Medien darüber keine Gedanken machen, wer soll es denn sonst tun?

Sie werden sehen.

Autor
Christine Gebhard, Gerd Voigt-Müller
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